Über Nacht in Bates Motel

Das Grau­en von Bari­lo­che lau­ert hin­ter einem ver­wit­ter­ten Holz­tre­sen der „Hos­te­ria Pan­o­r­ami­co“. Nur, dass hin­ter der Rezep­ti­on nicht der hüb­sche Antho­ny Per­kins steht, son­dern ein Mons­ter mit gel­ben Zäh­nen. Wären wir in Russ­land, hie­ße der fet­te, tei­gi­ge Kerl womög­lich Igor. Hier im Süd­wes­ten Argen­ti­ni­ens nen­nen wir ihn Héc­tor: groß, gewal­tig, gefähr­lich.

Schweiß rinnt ihm an sei­nem Stier­na­cken hin­ab und sam­melt sich im Kra­gen sei­nes aus­ge­wa­sche­nen, blass­blau­en Pull­overs, der sich über sei­nen krum­men Buckel spannt. Die vol­len, flei­schi­gen Lip­pen geben den Blick frei auf sei­ne Kau­leis­te, schmut­zig gelb von jahr­zehn­tee­al­tem Zahn­stein. „Si, tene­mos lugar“ presst er her­vor und grapscht mit sei­nen Wurst­fin­gern nach Stift und Papier.

Das Hotel muss mal etwas her­ge­macht haben. Damals in den Sech­zi­gern. Das weni­ge Licht, das sich an die­sem an sich son­ni­gen Tag durch die mil­chi­gen Fens­ter kämpft, wird von der dunk­len Wand­ver­tä­fe­lung geschluckt. Das biss­chen Rau­putz ober­halb der Bret­ter ist grau von vier­zig Jah­ren Qualm.

Es ist halb zehn und wir kön­nen noch nicht auf unser Zim­mer. Héc­tors Kum­pa­nen müs­sen es erst noch „put­zen“. Erschöpft nach 24 Stun­den Bus­fahrt aus dem Süden Pata­go­ni­ens, las­sen wir uns auf ein spe­cki­ges Sofa fal­len. Das ocker­far­be­ne, ris­si­ge Kunst­le­der quietscht unter dem Gewicht unse­rer Ruck­sä­cke und Schaum­stoff quillt aus den Näh­ten. Nein, das ist nicht die bes­te Abstei­ge. 120 Peso für ein Dop­pel­zim­mer, ohne Früh­stück, ohne Inter­net, ohne Kon­takt zur Außen­welt – zu viel. Egal, irgend­wo müs­sen wir schla­fen.

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Durch die Lob­by schlur­fen alte Leu­te in Frei­zeit­klei­dung. Bereit für eine Schiff­fahrt auf dem Nahual Hua­pi oder zum Auf­stieg auf den Cer­ro Cate­dral – was man nun ein­mal so macht in Argen­ti­ni­ens Out­door-Para­dies San Car­los de Bari­lo­che. Sie reden kaum und ver­schwin­den so schnell, wie sie erschie­nen sind, wie­der in den dunk­len Gän­gen des Hau­ses. Aus einer dunk­len Ecke beob­ach­tet uns eine Frau. Argen­ti­nie­rin, 35, viel­leicht 40. Zu viel Schmuck, zu viel Make-up. Sie zieht has­tig an ihrer Ziga­ret­te und tippt irgend­was in ihr Han­dy. Sie lächelt freund­lich, als uns Héc­tor an ihr vor­bei zu unse­rem Zim­mer führt. Run­ter in den Kel­ler.

Die Luft riecht mod­rig und feucht. Hin­ter der Holz­ver­klei­dung wuchert der Schim­mel. Es ist klamm und die Käl­te des Flie­sen­bo­dens zieht durch die Löcher in mei­nen Schuh­soh­len. Héc­tor fum­melt am Schloss der Zim­mer­tür und stößt sie mit einem Ruck auf. „Que descan­ses“. Sein Atem stinkt. Gra­ci­as.

Sein Wunsch klingt wie Hohn. Die Lob­by oben war ein­fach unge­müt­lich, aber das gan­ze brau­ne Holz hier auf nur zehn Qua­drat­me­ter ist erdrü­ckend. Ein Sarg aus Eiche­rus­ti­kal. Über den Bet­ten, bezo­gen mit brau­nen Tages­de­cken, hängt der Kunst­druck einer Berg­land­schaft. Könn­ten die Alpen sein. Oder die argen­ti­ni­sche Schweiz. Das Licht hat im Lau­fe der Jah­re die Rot­tö­ne ver­schwin­den las­sen. Jetzt ver­schwimmt die klei­ne gemal­te Hüt­te mit dem Blau und Grün der Ber­ge und des Sees.

Das ein­zi­ge Geräusch hier unten ist das Trop­fen des Was­ser­hahns im Bad – eine Nass­zel­le ohne Dusch­ka­bi­ne. Die Brau­se hängt schlicht über einem Abfluss­git­ter im Boden. Dar­un­ter: Dun­kel. Egal, es ist nur für eine Nacht. Jetzt raus an die Son­ne.

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Wir kom­men spät zurück, nach Son­nen­un­ter­gang. Wir wol­len so wenig Zeit wie mög­lich in dem Ver­lies ver­brin­gen. Die alten Leu­te von heu­te Mor­gen sind weg, dafür sit­zen drei jun­ge Mäd­chen am Tisch in der Ein­gangs­hal­le. Sie rau­chen, lachen, trin­ken Wein. Ein unwirk­li­cher Kon­trast zu der Gruft aus Holz und Moder. Héc­tor ist nicht mehr da. Sein Vater öff­net uns die Tür. Ein alter Mann mit wei­ßem Haar und über­ra­schend freund­li­chem Gesicht. Héc­tor scheint nach der Mut­ter zu kom­men. Von ihr muss er die­sen star­ren Blick und den flei­schi­gen Mund haben, aus dem pau­sen­los der Sab­ber zu rin­nen scheint.

Uns kom­men Ideen aus alten Hor­ror­fil­men in den Sinn. Vom geis­tig zurück­ge­blie­be­nen Sohn des Groß­grund­be­sit­zers, der nachts im Auf­trag des Vaters im Kel­ler unschul­di­ge Tou­ris­ten in Stü­cke hackt und an die Hun­de ver­füt­tert. Hun­de gibt es in Bari­lo­che genug. Wir haben Angst um die drei Mädels, die so unbe­küm­mert da sit­zen. Und um uns.

Der Ver­such, das Unbe­ha­gen in unse­rer Kam­mer mit Wein zu betäu­ben, schei­tert. Wir schla­fen unru­hig. Aus Angst vor dem Axt­mör­der und den Bett­wan­zen.

Am Mor­gen danach ist die Welt drau­ßen wie immer: Die Son­ne scheint durch die Ahorn­bäu­me, die die Sicht auf den See ver­sper­ren. Die frisch gestärk­ten Bett­la­ken flat­tern auf der Wäsche­lei­ne im Hin­ter­hof und man kann ent­fernt den Stra­ßen­lärm aus der Alt­stadt hören.

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Als wir mit unse­ren Ruck­sä­cken wie­der in der Lob­by ste­hen, sind die Mädels vom Vor­abend ver­schwun­den. Die Frau mit der Ziga­ret­te sitzt am glei­chen Platz wie ges­tern und beob­ach­tet uns. Héc­tor steht hin­ter dem Bret­ter­ver­schlag und staubt kon­zen­triert rote Plas­tik­ro­sen ab.

„Suer­te!“, brummt er uns nach, als wir durch die Tür ver­schwin­den. Er grinst. Und unter sei­nen flei­schi­gen Lip­pen wuchert der gel­be Zahn­stein.

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Antworten

  1. Avatar von Stefanie

    Schön gru­se­lig, ich habe auch schon kal­te Füße und hal­te die Luft an 🙂 Rei­sen ist eben kei­ne rei­ne Freu­de – man öff­net sich auch für die gru­se­li­gen Momen­te!

  2. Avatar von Alex
    Alex

    Sehr schön und anschau­lich geschil­dert. Es ist ja aber nicht so dass es in Bari­lo­che kei­ne Alter­na­ti­ven gäbe. Ich hab mich im 9er-Schlaf­saal durch den schlimms­ten Schnar­cher der Welt um den Schlaf brin­gen las­sen. 😉

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