Bangkok Buyers Club

Im Leben ist nichts umsonst, so sagt man. In Bang­kok schon gar nicht. In die­ser Stadt, in der »du für Geld alles kriegst«, wie uns ein Unter­neh­mer erklärt, scheint die Bereit­schaft ihrer Ein­woh­ner zum Kon­sum gren­zen­los.

Vom Natio­nal Sta­di­um kann man die Suk­hum­vit Road kilo­me­ter­lang ent­lang lau­fen, ohne dass sich das Stadt­bild ändert. Es gibt kei­nen Qua­drat­me­ter, der nicht als Ver­kaufs­flä­che genutzt wird. Über einem ragen die­se rie­si­gen, epi­schen Malls und blo­cken das Son­nen­licht weg. Wo weni­ger Platz ist, rei­hen sich mit­tel­gro­ße Läden anein­an­der. Auf dem Geh­weg quet­schen sich mobi­le Ver­kaufs­stän­de dicht an dicht. Man muss sei­ne Augen über­all haben, denn manch­mal lie­gen sogar auf dem Fuß­bo­den Pla­nen vol­ler Pro­duk­te. Die Suk­hum­vit ist ein Kor­ri­dor des Kon­sums. Und er wird täg­lich aufs Neue von Men­schen­mas­sen geflu­tet, die auf der Jagd nach Pro­duk­ten sind. Vie­le Ein­käu­fer wir­ken getrie­ben. Immer auf der Suche. Als sei irgend­wo da drau­ßen das eine, ulti­ma­ti­ve Pro­dukt, das ihnen Erlö­sung bie­tet.

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 Aber wer soll es dem Ein­zel­nen in die­sem Umfeld ver­übeln? In Bang­kok sind die Sky­walks so ange­legt, dass man mit­un­ter gar nicht anders kann, als in ein Ein­kaufs­zen­trum zu lau­fen. Wer­be­bot­schaf­ten sprin­gen einem im Sekun­den­takt ins Blick­feld. Bei Vie­len blei­ben sie nicht ohne Wir­kung: Ich habe mit Bang­ko­kern gespro­chen, die im Wert eines Klein­wa­gens geklei­det sind, jedoch die traum­haf­ten Inseln Thai­lands, nur ein paar Auto­stun­den ent­fernt, nicht ein­mal beim Namen nen­nen kön­nen. Natür­lich gibt es das Phä­no­men auch woan­ders in der Welt. Orte, an denen der Kapi­ta­lis­mus bra­chi­al erfahr­bar ist. Groß­städ­te, deren Ein­woh­ner in ers­ter Linie Kon­su­men­ten sind und sich mit die­ser Rol­le her­vor­ra­gend iden­ti­fi­zie­ren. Was Bang­kok für mich spe­zi­ell macht: ich erken­ne als Außen­ste­hen­der kei­ne Gegen­be­we­gung zu die­ser Mate­ri­al­schlacht. Stu­den­ten strah­len schon durch ihre Uni­form Kon­for­mi­tät aus. Sie las­sen sich aus­bil­den, um die­sem Sys­tem zu die­nen, nicht um es zu hin­ter­fra­gen. Ich fra­ge mich, wie die Bewoh­ner im »alten Bang­kok« die Ent­wick­lung sehen. Die­je­ni­gen, die in den Neben­stra­ßen wie in einer pro­vin­zi­el­len Paralell­welt woh­nen: Zwi­schen den ver­glas­ten Sky­scra­pern wir­ken sie wie mensch­li­che Ana­chro­nis­men.

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 Einen Abend sehen wir im alt­ehr­wür­di­gen Kino­pa­last Sca­la die Doku­men­ta­ti­on Money & Life von Katie Teague. Der Inhalt passt zu mei­nen Beob­ach­tun­gen: Mar­ke­ting und Wer­bung ver­mit­teln dem Men­schen kon­stant, dass er von sich aus man­gel­haft ist. Mit Pro­dukt A hast du Spaß, mit Pro­dukt B wirst du schlau, mit Pro­dukt C lie­gen dir die Frau­en zu Füßen! Nur durch eine Gesichts­ope­ra­ti­on bist du schön. Als Mensch bist du ohne Kon­sum nicht »kom­plett«. Pas­send dazu fällt mir das Schau­fens­ter einer Schön­heits­kli­nik auf. Die Aus­sa­ge: Als Frau braucht man heu­te eine Nase in Form des Eifel­turms.

Shopping am Siam Square

 Der Kon­su­ment stram­pelt in einem Hams­ter­rad. Egal, wie viel er kon­su­miert, sei­ne Män­gel wird er nie ganz able­gen. Stän­dig kom­men neue, »not­wen­di­ge« Pro­duk­te auf den Markt. Dar­über hin­aus wird bei den Pro­dukt­zy­klen die Schrau­be immer mehr ange­zo­gen: Das neue Smart­phone ist bereits nach einem Jahr nicht mehr zeit­ge­mäß, Kla­mot­ten allen­falls einen Früh­ling über in Mode.

 War­um beschäf­tigt mich das Gan­ze eigent­lich so?

 War­um schrei­be ich einen Text über die Effek­te von Mar­ke­ting und Kon­sum in Bang­kok? Viel­leicht, weil ich sel­ber sei­nen Rei­zen schwer stand­hal­ten kann. Ich dro­he »umzu­kip­pen«. Nach 7 Mona­ten Bud­get-Rei­se mit den glei­chen fünf T‑Shirts sieht die Gar­ni­tur im H&M für mich wie die feins­te Robe aus. Nach Jah­ren mit dem glei­chen Net­book bin ich im Apple Shop über­zeugt, dass ich ALLE Pro­duk­te brau­che. Para­dox, denn eigent­lich füh­le ich mich gera­de jetzt pudel­wohl: ohne den Bal­last von zuviel Besitz.

 Im Den­ken bin ich nie ganz ent­kop­pelt von dem Umfeld, in dem ich gera­de rei­se. Wenn man umge­ben ist von so vie­len Men­schen, die Shop­ping zum Lebens­zweck erhe­ben, setzt man sich zumin­dest damit aus­ein­an­der. Man spielt im Kopf gewis­se Sze­na­ri­en durch, fragt sich für einen Moment sogar, ob man die­sen Life­style adap­tie­ren möch­te.

Siam Square

 Ist der Rausch der Sin­ne vor­bei, kom­men die Erkennt­ni­se: Hat ein Pro­dukt jemals mein Lebens­ge­fühl ent­schei­dend ver­bes­sert? Lie­gen die Ver­spre­chun­gen von Frei­heit, Schön­heit, Ent­schlos­sen­heit oder Glück wirk­lich in Pro­duk­ten? Oder kann ich mir die­se Attri­bu­te nicht über mein Han­deln zu eigen machen? Erlan­ge ich eher Frei­heit, indem ich mir eine Jack Wolfs­kin Jacke kau­fe, oder indem ich den ers­ten Schritt einer gro­ßen Rei­se tue? Ver­sprü­he ich Ent­schlos­sen­heit, indem ich mir ein mas­ku­li­nes Par­fum kau­fe, oder indem ich mei­nem Chef sage, dass ich mit der Zusam­men­ar­beit nicht ein­ver­stan­den bin?

 Die Wer­te, die fast allen Men­schen wich­tig sind, lie­gen immer in ihnen selbst. Der Schlüs­sel, ihnen nahe­zu­kom­men, ist viel mehr das eige­ne Han­deln umzu­stel­len, als dem Reiz eines Pro­duk­tes zu erlie­gen. Was für ein befrei­en­des Gefühl. Ich füh­le mich fast erha­ben in mei­nem abge­tra­ge­nen T‑Shirt.

 Die The­se, dass im Leben nichts umsonst ist, kann glück­li­cher­wei­se wider­legt wer­den. Bang­kok bie­tet vie­le berei­chern­de, nicht­kom­mer­zi­el­le Ange­bo­te. Wir haben uns im Kino einen Film ange­schaut, das Bang­kok Art & Cul­tu­re Cen­ter besucht, und im Wat Mahat­hat einen Medi­ta­ti­ons­kurs absol­viert. Bezah­len muss­ten wir dafür nichts. Abso­lut span­nend, und eben­falls gra­tis, ist es die Stadt zu Fuß zu erkun­den. Manch­mal sieht man abends plötz­lich einen Thai­box­kampf unter einer Auto­bahn­brü­cke. Oder man ent­deckt einen Legu­an von der Grö­ße eines Kro­ko­dils im Kanal. Oder man lernt wirk­lich kurio­se Gestal­ten ken­nen. Oder, Oder, Oder. Das sind wah­re High­lights. Zum Glück.

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