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29.09.2011 – Passi, Sokone, Tabakouta, dann endlich die Grenzstadt Karanga. Hier endet der Senegal, keine hundert Meter die Straße herunter steht man in Gambia. Der Reporter begeht die erste Dummheit des Tages.
Er läuft am immigration office vorbei und ignoriert die Rufe der Grenzsoldaten, weil er sie für feilschende Händler hält. »Don’t go away if someone in uniform calls you«, wird gebrüllt. Die Soldaten sind aufgebracht: Der weiße Mann will einfach so über die Grenze spazieren. Was denkt er sich dabei? Ganz wichtig in einer solchen Situation: sich entschuldigen, zerknirscht dreinschauen, aber auf gar keinen Fall zu zerknirscht, den Blick der Männer halten. Kann ja mal passieren, alles halb so wild.
Im hintersten Raum der Grenzstation sitzt der Mann, der hier zu entscheiden hat, wer nach Gambia einreisen darf und wer nicht, der Chef-Grenzer. Auf seinem wuchtigen Schreibtisch liegen schmutzige Zettel, an der Decke dreht sich ein Ventilator. Die zweite große Reporterdummheit: Auf die Frage nach der »occupation« mit »journalist« antworten. Journalist also. Schweigen im Raum.
Es ist schnell klar: Das war jetzt gerade sehr dumm, das zu sagen. Der Chef-Grenzer legt diesen Gestus aus Autorität und Desinteresse an den Tag, der immer auf Korruption schließen lässt: gar nicht gut. Seine Augen wandern auf den Pass des Reporters, zehn Sekunden wird jetzt erst einmal überhaupt nicht gesprochen. Der Chef-Grenzer genießt das: hinhalten und undurchschaubar bleiben. Dann blickt er wieder auf, fixiert den Reporter und atmet einmal betont langsam ein und aus.
Warum wollen Sie nach Gambia? Urlaub. Sie kommen nicht als Journalist nach Gambia? Nein. Wie lange wollen sie bleiben? Drei Tage. So kurz? Ja. Kennen Sie jemanden in Gambia? Nein. Wo übernachten Sie? In Bakau. Das geht eine ganze Weile so. Es gilt jetzt, selbstverständlichste Gelassenheit auszustrahlen.
Sicher, man könnte dem Mann erklären, dass man als Journalist kommt, aber nur eine harmlose Reisereportage schreiben will, keine Undercover-Recherchen plant, um soziale Missstände oder Wahlbetrug aufzudecken, und das Ganze seinem Land sogar noch touristische Aufmerksamkeit bringt. Man kann das auch lassen.
Der Chef-Grenzer findet keinen Beweis, der gegen die Geschichte des kurzurlaubenden Reisenden spricht. »Don’t make photos, don’t speak with people. If you make your journalism, we will arrest you.« Damit ist das Verhör zu Ende. Der Chef-Grenzer haut den Einreisestempel in den Pass. »I give you three days.«
Taxifahrt nach Barras. Der Reporter, der behauptet hat, keiner zu sein, denkt: Glück gehabt. Nach seiner Reise wird er nachlesen: Das Mediengesetz in Gambia sieht für »rufschädigende Artikel« mindestens sechs Monate Gefängnis vor. Die Organisation Reporter ohne Grenzen führt Staatspräsident Yahya Jammeh in ihrer Liste mit »Feinden der Pressefreiheit«. Yahya Jammeh, das ist der Mann, der einmal behauptet hat, er könne Aids mit Handauflegen heilen und den Todeszeitpunkt eines Menschen durch einen Blick in dessen Augen voraussagen.
Die Fähre nach Banjul scheint sich kaum zu bewegen, sie wird fast eine Stunde brauchen. Schweißperlen auf dem Unterarm. Kühe stehen neben Jeeps. Dreck und Hautreste sammeln sich auf dem Arm, wahrscheinlich sieht man nur wegen des Staubs gebräunt aus. Die Fingernägel bekommen schwarze Ränder, ganz gleich, ob man etwas anfasst oder nicht. Die Kleider der Frauen sind wie immer bunt und absolut sauber, das ist dem verdreckten, verkrusteten, im Grunde schon zu Erde gewordenen Reporter ein Rätsel, wie das funktionieren soll. Auf der anderen Seite wartet die Geschichte, denkt der Reporter. Das Wetter hat sich eingetrübt, vielleicht regnet es noch.
Taxifahrt nach Bakau. Der Ort liegt ein paar Kilometer von Banjul entfernt an der Küste und ist einer der Touristen-Hochburgen in Gambia. Von dort aus, so hat der Reporter geplant, wird er diese Strand-Geschichte machen. »Prevent HIV. Be faithful to your partner«, steht auf einem Plakat am Straßenrand. Banjul ist ein Nest. Das ministry of justice sieht aus wie ein schlechtes Klischee-Regierungsgebäude irgendeiner Bananenrepublik in einem James-Bond-Film: sandfarbener Putz, hölzerne Säulengänge, Veranda, Palmen, Soldaten mit Maschinenpistolen.
Die Wahl der Herberge ist, wenn man keinen supergeheimen Gemeintipp hat, ein Willkürakt. Die Bakau Lodge verspricht günstig zu sein. Sie wird von einer hohen Mauer mit einer schweren Metalltür umrundet. Die Anlage ist, weil die Hauptsaison noch nicht begonnen hat, offensichtlich gar nicht geöffnet. Ein Mann namens Omar öffnet nach lautem Klopfen die Tür und bittet herein. Er hat nur eine weite Stoffhose an. Ein Zimmer sei kein Problem, willkommen willkommen. Um einen kleinen Pool stehen sechs Bungalows, die eigentlich, wenn es hier nicht so gottverlassen wäre, ein einladendes Bild abgeben würden. Omar schließt eine Hütte auf, alles sieht »okay« aus, der Deal: 1000 Dalasi für zwei Nächte, das sind etwa 25 Euro.
Es ist früher Nachmittag: Erstmal das Gepäck ablegen, dann duschen, dann auf einen Plastikstuhl an den Pool setzen. Beim Blick in den gleißend weißen Himmel über diesem vollkommen ausgestorbenen Kaff irgendwo in Westafrika dann die erste Reporterkrise: Was mache ich hier? Wo ist die Geschichte? Wen wird das je interessieren? Komme ich hier wieder weg? Ist das alles nicht vollkommen sinnlos? Bin ich nicht völlig verloren?
Der Nachmittag zerstreut dieses Zerrbild der Wirklichkeit. Spätes Mittagessen mit Esther, Alex und Warren bei Mai’s Restaurant, einer klapprigen und deshalb von Anfang an sympathischen Bretterbude am Straßenrand. Moses, Besitzer und Chefkoch, macht Maafe: ein Reisgericht mit Hühnchen und einer Soße auf Erdnussbasis, quasi einen Afrika-Klassiker. Dazu gibt es Soda, alles für weniger als zwei Euro. Die drei Amerikaner erzählen, dass sie ein Semester in Dakar studieren und gerade einfach so herumreisen. Da es noch kaum andere Touristen in Bakau gibt, wird beschlossen, später gemeinsam zu Abend zu essen.
Der Reporter bricht auf, um seine Geschichte zu machen: rumlaufen, beobachten, mit den Leuten quatschen, einen Eindruck bekommen von diesem Ort. Die Notiz: Man muss nicht in einem teuren Hotel wohnen, man kann einfach hineinspazieren und sich hinsetzen und einen Drink nehmen. Sandstrand, Palmen, ein Gin Tonic. Die Sonne steht tief über dem Atlantik.
Später im warmen Abendlicht sieht die Bakau Lodge viel gemütlicher aus als in der heißen, harten Mittagssonne, und dann ist es auf einmal gar nicht schlecht, dass sich dort sonst niemand aufhält. Es wird dunkel. Mit den Amerikanern verbringt der Reporter den Abend bei einigen Jul Brew auf der Terrasse einer zusammengeschusterten Imbissbude. Die Küche bietet genau ein Gericht an: Kartoffeln mit Ei.
Am Morgen ist die Luft dampfig. Frühstück mit den drei Amerikanern um 8 Uhr auf lehmigen Plastikstühlen, gleich vor der Haustür an der Straße. Schweres Grau hängt über den bunt gestrichenen Baracken von Bakau, feuchte Erde, Regenpfützen, über dem Ozean gewittert es: ziemlich perfekt. Es gibt Weißbrot mit Bananen und Schokoladencréme: »Real Gambian breakfast«, sagt der Verkäufer.
Der Tag liegt vor dem Reporter wie die leere Seite seines Notizblocks. Eine seltsame Stimmung hat der Morgen, das hängt mit der Schwüle zusammen, mit der Feuchtigkeit in der Luft, die nicht unangenehm ist, das alles zieht den Reporter hinaus in diesen Tag, auf die Straßen und in die schmutzigen Gassen, in den Matsch und den Regen, auf die Märkte und in die ramponierten Kleinbusse, das treibt ihn über das Land, wo Menschen, Orte und Situationen vorbeiziehen unter dem schweren Himmel, sehr präsent und unvermittelt, als könnte das Auge alles gleichzeitig scharf stellen wie die Blende einer Kamera: das seltene Gefühl der Gegenwärtigkeit aller Dinge.
Fahrt zu viert zum Abuko Nature Reserve. Es soll das beliebteste Naturreservat des Landes sein, und das ist für die Geschichte des Reporters natürlich hervorragend.
Die Minibusse fahren ohne Zeitplan, es geht ins Landesinnere nach Serekunda, ins wirtschaftliche Zentrum Gambias. Das Restaurant McCeasars wirbt mit dem Slogan »Paris, New York, Banjul«. Umsteigen im Gewühl der Stadt: Rotbraune Pfützen auf der Straße, Menschen weichen Autos aus, springen zur Seite, streifen sich, rufen und fluchen, und die Annahme, hier als Weißer nicht aufzufallen, ist wieder so eine Chimäre, die man sich in der feuchten Tropenluft in den Kopf setzt.
Der Tag vergeht mit dem Aufspüren der kleinen Begebenheiten und der großen Stimmung und mit der Frage, wie sich beides zusammenbringen lässt.Der Reporter notiert skizzenhaft: Im Abuko-Reservat gibt es zwölf Hyänen, die in zwei getrennten Käfigen leben. Ansunjan, 36, zerhackt ein Schaf, um die Tiere zu füttern. Geier sammeln sich auf dem Zaun, sie wollen etwas abbekommen. Ein Nilwaran läuft über den Weg. Teichgroße Netze mit glatten, großen, blauen Spinnen verknüpfen die Blätter der Pflanzen, durchgehend Vogelstimmen, Tropfen fallen aus den Bäumen. In den Kronen sitzen grüne Meerkatzen und Stummelaffen.
Der Oberboss-Affe, ein abgrundtief böser Guinea-Pavian, geht als Kinderschreck durch: Blickt man ihm durch die Maschen des Geheges zu lange in die Augen, faucht er und schart einem Sand entgehen. Der Zaun, der ihn von den Besuchern trennt, dürfte die sinnvollste Investition des Parks sein.
Zurück zur Küste: Ein bisschen rumfahren, und wenn nichts Spektakuläres passiert, ist das auch in Ordnung. Man liest, dass weiße Frauen in den Vierzigern nach Gambia fliegen, um mit jungen schwarzen Männern schöne Tage zu verbringen. Es geht dann auch darum, der Anerkennung für die darbende körperliche Attraktivität gegen gewisse Geldbeträge auf die Sprünge zu helfen, kurzum: Man liest immer wieder von Sextourismus in Gambia. Muss man das so schreiben? Wie weit gehen beide Seiten wirklich? Wer kann dazu Zahlen auf den Tisch legen?
Viele gambische Männer erhoffen sich von dem Arrangement, heißt es, ein Schengen-Visum. Ist das verwerflich? Antworten auf diese Fragen kann man kaum geben, ein Urteil ist noch schwieriger. Klar ist: Das Wort »Sextourismus« lässt keine Fragen mehr zu, es reduziert alle Graustufen dieses Phänomens auf einen besetzten Begriff. Der Reporter wird »Sextourismus« nicht schreiben, überlegt er sich. Er ist zurück in Bakau und muss alles aufschreiben.
Rumhängen vor Mai’s Restaurant bei Moses, wieder fällt etwas Regen. Reinsetzen geht nicht, dafür ist die Bude zu klein. Wenn man über die Straße auf den Ozean schaut, erscheint alles immer noch diesig und erdig, auf so eine seltsame Weise ästhetisch.
Ein Fünfjähriger hat eine super soaker in der Hand: natürlich ein Riesending. Warren füllt Wasser in den Tank, der Junge jagt nun seinen Freund und lacht viel. Am Nebentisch sitzt ein alter Brite, der seit fünf Jahren in Gambia lebt, und schimpft auf die Korruption. Er hustet sich, rauchend, die Lunge aus der Brust und geht.
Um in Bakau alles gesehen zu haben, wird beschlossen, den Krokodiltümpel von Kachikally aufzusuchen. Schulkinder nehmen die drei Amerikaner an die Hand und führen sie von der Küstenstraße weg in die kleinen Gassen. Der Reptilienteich befindet sich in Privatbesitz, gleich nebenan steht ein lieblos eingerichtetes Museum mit vergilbten Fotografien aus der gambischen Geschichte, Eintritt 50 Dalasi.
Ein Mann namens Mohamed passt auf die Tiere auf. Er kennt die Touristen und ist natürlich ein ausgewiesener Sprücheklopfer, deshalb: den Notizblock bereithalten. Mohamed sagt: »They always fight for food and female.« Mohamed sagt: »Women are ugly, men are beautiful, normally it’s other way round.« Danke, Mohamed. Fotos machen, Hände schütteln, Abmarsch.
Es wird Abend in Bakau. Wie überall in den Tropen ist das so, als mache einer den Lichtschalter aus. Der Reporter hat sich von seinen Reisebegleitern verabschiedet, er ist wieder allein. Ein Bier von Moses, dann rüber zum Meer. Die Sonne schmilzt im Ozean, das Licht wechselt von gelb über orange zu rot. Überall sind Menschen, Stimmen gehen durcheinander, Kinder springen in die Brandung, auf den Grills brutzelt der Fisch. Irgendwann sieht man Sterne am Himmel.
Der Reporter sitzt auf den Stufen, die zum Strand führen, er hat geschaut und geredet, gesammelt und aufgeschrieben. Er hat die erste Geschichte »im Block«, das ist wieder so ein Journalistenausdruck. Total krass, das denkt er, wie schnell sich die Beziehung zu einem Ort verändert, wie die Zeit sich auseinander zieht: total seltsam, total gut.
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Sehr interessant! Dein Beitrag deckt sich mit meinen Erfahrungen, die ich in Gambia erlebt habe. Ich war aber weniger in Banjul sondern in Serekunda. Das Land hat sich seit 2014 aber auch stark gewandelt. Alles negative ist quasi aus dem Blickfeld der Touristen geschafft worden.
Ich habe einen Beitrag darüber verfasst und gebe hierzu auch einige Reisetipps: https://www.newscouch.de/afrika-gambia-reisebericht/ Soll keine Werbung sein, aber gerade in einem solchen Land wie Gambia sollte man auf Nummer sicher gehen und sich die Informationen hieraus ziehen.
Hallo Philipp, vielen Dank für diesen Beitrag!
Schade, dass der Reporter offensichtlich so gar keinen Bezug zu diesem Teil Afrikas zu haben scheint.
Seine Frage an sich selbst, was ihn gerade zu diesem Ort verschlagen hat, hat der Artikel leider nicht beantwortet.
Hemingway? Noch lange nicht – denn der hat Afrika geliebt – und respektiert…Woraus lesen Sie denn den fehlenden Bezug?
Spannende Geschichte. War es von Anfang an geplant, nur drei Tage in Gambia zu bleiben oder hing das mit deiner Arbeit als Journalist zusammen, dass du nur drei Tage bleiben durftest…?
Ich hatte ohnehin nicht mehr Zeit. Ganz abgesehen davon entschied sich der skeptische Grenzer dafür, mir nur für 72 Stunden das Visum zu geben,
Der Gambia ist ein zauberhaftes und anregendes Land. Ich habe mich da immer sehr wohl gefühlt. Vermutlich das beste Land für Schwarzafrika-Anfänger…
liebe Grüsse vom MugerSo weit würde ich nicht gehen, aber doch, ja, es lässt sich dort gut aushalten.
Unglaublich, aber leider wahr – dieser »Fehler« ist in ganz viele Ländern der Welt ein Fehler. Sehr gerne gelesen!
Ja, leider ist das so.
ach ja. ich mag das, wenn man zwischen ankommen und abfahren irgendwann weiß, das hier, das werde ich vermissen.
Gute Momente sind das.
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