Dein Warenkorb ist gerade leer!
An seinem Sehnsuchtsort ganz von vorn anfangen. Dort leben, wo andere Urlaub machen. Für viele Menschen bleibt das zeitlebens ein Traum. Doch pro Jahr kehren immerhin rund 25.000 Staatsbürger Deutschland langfristig den Rücken.
Wie die Journalistin und Reiseführer-Autorin Christiane Sternberg: Mehrfach war sie mehrere Wochen beruflich auf Zypern gewesen und hatte über das Leben auf der geteilten Insel und den EU-Beitritt der Republik Zypern 2004 berichtet. Vor zehn Jahren zog sie schließlich gemeinsam mit ihrem Mann, einem Fotografen, in die Inselhauptstadt Nikosia. Mit ihrem Buch „Die Fibel für Auswanderer: Ihre Checkliste für den Neuanfang“ geht sie das Gedankenexperiment Auswandern Schritt für Schritt mit ihren LeserInnen durch. Im Interview erklärt sie, welche Fragen Menschen, die ihre Heimat ebenfalls verlassen wollen, sich stellen sollten.
Flügge: Warum haben Sie beschlossen, einen Ratgeber für Auswanderer zu schreiben?
Christiane Sternberg: Zypern ist eine Urlaubsinsel. Wenn man hier lebt, kommt man mit vielen Touristen ins Gespräch. Das läuft oft auf die Frage „Und in welchem Hotel sind Sie untergebracht?“ hinaus. Wenn ich dann antworte „Nein, nein, ich lebe hier!“, ähneln sich die Reaktionen in vielen Fällen. Die Leute finden das interessant und toll. Sie fragen aber immer auch, ob es nicht aufwändig ist, auszuwandern und ob ich kein Heimweh habe. Am häufigsten höre ich: „Und was macht man dann?“ Es scheint die Annahme zu gelten, dass jemand, der auswandert – insbesondere in ein Urlaubsgebiet – ein Aussteiger ist. Dabei ist Auswandern kein Hippie-Traum und auch nicht die Verlängerung des Urlaubs, sondern die Verlagerung des Alltags in andere Umstände. Das möchte ich mit dem Ratgeber verdeutlichen. Außerdem gebe ich Hilfestellung bei diesem Schritt und nenne Faktoren, die man sich im Vorfeld überlegen sollte.
Flügge: Was bewegt Menschen dazu, ihre Heimat für immer verlassen zu wollen?
Christiane Sternberg: Wenn es nicht die Liebe ist, sind es oft die Lebensumstände, in denen jemand zu Hause steckt. Häufig gibt es zuvor irgendeinen Lebenseinschnitt, zum Beispiel eine Trennung oder den Verlust des Jobs. Viele wünschen sich einen Neuanfang, sie möchten anderswo von vorn beginnen und etwas Neues probieren.
Flügge: Unter welchen Bedingungen kann das gelingen?
Christiane Sternberg: Wenn man nicht der Illusion erliegt, dass der Ortswechsel alles verändert. Man sitzt ja nicht plötzlich nur noch Kaffee trinkend unter einer Palme. Um viele der alltäglichen Probleme, die man zu Hause hat, muss man sich genau so im Ausland kümmern. Da hilft gute Vorbereitung, aber häufig beschäftigen sich Auswanderer mit ganz einfachen Dingen nicht.
Flügge: Welche zum Beispiel?
Christiane Sternberg: Viele, die bei Renteneintritt ins Ausland gehen, bedenken nicht, dass sie dann noch viel Lebenszeit haben. Wenn der Tag dann nur aus Kaffeetrinken und Besuchen bei Freunden besteht, ist das wenig erfüllend. Man muss sich vorher klar machen: Womit möchte ich dort meine Zeit füllen? Möchte ich dort arbeiten? Wenn ja, welche Möglichkeiten gibt es? Noch ein Beispiel: Eltern, die auswandern, müssen sich vorher gut informieren, auf welche Schule sie ihre Kinder schicken können. Oft kommen ja nur Privatschulen infrage, an denen auf deutsch oder englisch unterrichtet wird. Diese sind aber sehr teuer. Auf einige Umstände kommt man von allein aber auch nicht. Hier auf Zypern ist zum Beispiel der Personennahverkehr miserabel. Für Eltern bedeutet das, dass sie ihre Kinder täglich mit dem Auto zur Schule bringen und wieder einsammeln und sie am Wochenende auch mal nachts von einer Party abholen müssen. Deshalb ist es so wichtig, sich so genau wie möglich mit den Gegebenheiten im Zielland auseinanderzusetzen.
Flügge: Wie bereitet man sich am besten auf das Leben im anderen Land vor?
Christiane Sternberg: Man sollte mehr Zeit dort verbracht haben als einen einzigen zweiwöchigen Urlaub und das Land auch mal in anderen Jahreszeiten erlebt haben. Am besten spricht man viel mit Menschen, die dort leben. Wenn man vor Ort noch keine tiefer gehenden Kontakte geknüpft hat, kann man zum Beispiel bei Facebook diversen Gruppen beitreten, „Deutsche in ……“ heißen die meist. Mitglieder, die dort schon wohnen, beantworten mit Engelsgeduld alle Fragen. Einem Land kann man sich auch gut nähern, indem man sich mit seinem Jahres‑, Wochen- und Tagesrhythmus beschäftigt: Welche Feiertage gibt es dort und werden die noch ernst genommen? Welche Sendungen im Fernsehen sind besonders beliebt und was mögen die Menschen so sehr daran? Letztlich wird es aber selbst dann Momente geben, in denen einem die Mentalitätsunterschiede zu schaffen machen können.
Flügge: Und was tut man, wenn man erst vor Ort feststellt, wie groß diese Unterschiede sind?
Christiane Sternberg: Zunächst mal ist das völlig normal. Das ist übrigens auch der Grund, warum Beziehungen, in denen einer von beiden aus einem anderen Land kommt, viel Arbeit bedeuten. Oft stellt ein Partner fest, dass der andere in seinem Land ganz anders tickt als im eigenen. Jeder fällt zu Hause wieder in seinen alten Rhythmus zurück. Die Frage ist dann aber: Wie gehe ich damit um? Man kann das Ganze als Abenteuer sehen und als persönliche Bereicherung. Das ist die Chance, seinen eigenen Kompass neu zu justieren und sich selbst von einer anderen Seite kennen zu lernen. Wenn die Sichtweisen, die man zu Hause für gut und richtig hielt, komplett über den Haufen geworfen werden, kann man sich fragen: Stellt das, was mich aufregt, in diesem Land vielleicht eine viel sinnvollere Haltung dar als die, die ich von zu Hause gewöhnt bin? Ich bin auf Zypern zum Beispiel ruhiger geworden. Mein Bedürfnis nach Pünktlichkeit habe ich dem Leben hier angepasst. Wenn ich auf eine Behörde gehe, weiß ich, dass das hier eben etwas länger dauern kann. Und wenn jemand bei rot über die Ampel fährt und ich sage „Das darf der doch nicht!“, müssen mein Mann und ich laut lachen.
Flügge: Was empfinden Sie als besonders bereichernd, wenn man auswandert?
Christiane Sternberg: Wenn man sich die Freiheit genommen und den Mut aufgebracht hat, diesen Schritt zu gehen, dann stärkt das die eigene Persönlichkeit enorm.
(Titelfoto: © CIPS / Marcos Gittis)
Erschienen am
Schreibe einen Kommentar