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Teheran, Iran
Ich habe die Alkoholfahne meines Lebens.
Wäre ich in Ostfriesland, würde man mir wahrscheinlich anerkennend auf die Schulter klopfen.
Ich bin allerdings nicht in Ostfriesland, sondern im Iran.
Hier gibt es für Alkoholkonsum Peitschenhiebe statt Schulterklopfer.
Ein mürrischer Beamter mit Vollbart sitzt am Schalter der Passkontrolle. Einige Schritte entfernt stehen Polizisten mit Maschinengewehren und blicken wachsam auf die Schlangen vor den verschiedenen Schaltern.
Bleib cool, rede ich mir ein, während der bärtige Griesgram mich wortlos mit einer Handgeste dazu auffordert, ihm meinen Reisepass zu geben, ohne dass er dabei von dem kleinen Computerbildschirm aufschaut, vor dem er wie angewurzelt sitzt.
Ich versuche trotzdem nett zu bleiben und grüße den miesepetrigen Beamten mit einem freundlichen „Schalom“.
Schalom?
Fuck.
Kurz verschwindet all mein Blut aus meinem Gesicht, danach schießt es mit solcher Härte wieder zurück, dass ich das Gefühl habe, mein Kopf würde explodieren.
In einer Art außerkörperlicher Erfahrung blicke ich kopfschüttelnd auf mein betrunkenes Ich herunter. Du hast nicht ernsthaft gerade „Schalom“ gesagt, oder? In einem Land, in dem Antisemitismus politisches Dogma ist? Verdammter Idiot!
„Salam, Salam!“, sage ich schnell hinterher. So hektisch, dass sich meine Stimme fast überschlägt. Kann man ja mal verwechseln…
Der Beamte am Zoll-Schalter schaut zum ersten Mal von meinem Pass hoch und blickt mich mit eiskaltem Blick durchdringend an.
Ich bin im Arsch.
Vier Stunden zuvor
Café Shiraz, Teheran
Das Café Shiraz ist in den letzten Wochen zu so etwas wie meinem iranischen Zuhause geworden. Während meines Aufenthalts in Teheran, bin ich jeden Tag hier gewesen. Meinen letzten Abend im Land hier zu verbringen war daher für mich nur sinnig.
Das winzige Café, das von drei kleinen Tischen und einem Bücherregal zur Gänze ausgefüllt ist, wird von Karim und seiner Verlobten Nesrin geführt, die mich schon am ersten Abend herzlich aufgenommen und mich allen anderen Gästen vorgestellt haben.
Viel Laufkundschaft haben sie nicht, dafür ist ihr Geschäft viel zu abgelegen und versteckt.
Sie leben stattdessen von ihrer Stammkundschaft, denn das Café Shiraz ist Treffpunkt für Nonkonformisten und andere Aussätzige jeglicher Couleur. Genau meine Art von Gesellschaft.
Berufs-Querulanten, Künstler, Religionskritiker, sogar ein Zauberer zählt zu den regelmäßigen Gästen, die sich hier allabendlich mit Koffein und Diskussionsstoff versorgen.
So auch heute.
Die Präsidentschaftswahl steht ins Haus zwischen Amtsinhaber Hassan Rohani, der während der letzten Jahre zumindest einige Reformen im Land in Gang gesetzt hat und dem erzkonservativen Herausforderer Ebrahim Raissi.
„Pest oder Cholera, wenn du mich fragst“, sagt Haschem bitter. Der bekennende Kommunist saß für seine politischen Überzeugungen bereits einige Jahre im Knast. Seinen Mund hat er sich dadurch nicht verbieten lassen.
„Also gehst du nicht wählen?“, fragt Karim.
„Auf gar keinen Fall. Meine Stimme bekommt keiner dieser beiden Verbrecher“, antwortet Haschem bestimmt.
„Aber wenn Raissi tatsächlich gewinnt, dann wird es noch schlechter werden“, entgegnet Karim.
„Wie soll es noch schlechter werden? Guck dich doch mal um. Wir sitzen hier mit einem Deutschen am Tisch und können ihm noch nichtmal mehr ein Bier anbieten. Und deine Frau muss sich auf der Straße unter ihrem verdammten Kopftuch verstecken“, sagt Haschem wütend.
Als wäre dies das Signalwort gewesen, rückt sich Nesrin, die auf Karims Schoß sitzt, ihr Kopftuch zurecht, das ihr während des Gesprächs vom Kopf gerutscht ist und nur noch locker um ihren Hals liegt. Sie blickt kurz auf die Straße, doch es ist niemand zu sehen, sodass sie ihr grünes Seidentuch eher Alibi-mäßig auf ihren Dutt aufliegen lässt, während der Großteil ihrer Haare weiterhin unbedeckt bleibt. Zumindest ein kleines bisschen protestiert sie damit gegen die repressiven Gesetze ihres Landes.
Während Karim und Haschem weiter diskutieren, kommt Arjan, der Zauberer, durch die kleine, offene Tür des Cafés, beobachtet die Diskussion eine kurze Zeit und setzt sich dazu.
„Worüber redet ihr?“, fragt Arjan.
„Über die Wahl“, sage ich.
„Mann, nicht schon wieder“, antwortet er spürbar genervt, „Pass auf, ich zeig euch lieber einen neuen Trick“, während er eine Packung Spielkarten aus seiner Jackentasche holt und mich die nächste halbe Stunde wie ein Volltrottel mit offenem Mund dasitzen lässt, während er Karten, Geld und andere Gegenstände nach Belieben verschwinden und an anderen Stellen wieder auftauchen lässt.
Hexenzeug.
In der Zwischenzeit geht Karim zu einem kleinen Regal an der Wand, das so voll mit prall gefüllten Einmachgläsern steht, dass es sich in der Mitte schon leicht durchbiegt.
Er greift eins der Gläser und schiebt es zu mir herüber.
„Eingelegte Zwiebeln, typisch iranisch. Die musst du noch probieren, bevor du fährst“, sagt er.
Das Glas sieht so aus, als hätte lange keiner mehr etwas daraus probiert. Auf dem Deckel ist über die Zeit eine harte Kruste aus Bratfett aus der Küche und Staub entstanden und die Hälfte der Flüssigkeit ist mittlerweile verdunstet. Übrig geblieben ist ein bräunlicher Rand, bis dort wo früher einmal die Flüssigkeit gestanden haben muss und eine trübe Brühe, in der einige aufgequollene Zwiebelstücke treiben.
Angewidert stochere ich mit einer Gabel in dem Glas herum, wodurch ich einiges an undefinierbarem Zeug aufwirble, das sich auf dem Boden abgesetzt hat, bis ich endlich ein Stück Zwiebel erwische.
Das Zwiebelstück schmeckt so verfault, dass sich mein gesamter Mund zusammenzieht und ich das Stück am liebsten schon aus einem Reflex heraus sofort wieder ausgespuckt hätte. Aus Höflichkeit tue ich es natürlich nicht, sondern schlucke es stattdessen ohne zu kauen herunter, um es möglichst schnell hinter mir zu haben.
Karim schnappt sich das Glas, fischt etwas mit seiner Gabel darin herum, probiert ebenfalls einen Bissen und verzieht angewidert das Gesicht.
„Bah, wie kannst du das essen?“
„Hallo? DU hast gesagt, dass ich das probieren soll“, sage ich empört.
„Sorry, hör beim nächsten Mal einfach nicht auf mich“
Nesrin lacht und macht mir zum Runterspülen des fauligen Geschmacks einen starken Kaffee.
Obwohl ich versuche, den Augenblick so weit wie möglich hinauszuzögern, muss ich mich irgendwann auf den Weg zum Flughafen machen, um meinen Flug nach Hause nicht zu verpassen.
Karim besteht darauf, dass er und Nesrin mich zum Flughafen fahren und schickt den Rest der Gäste nach Hause.
„Wir müssen nur vorher noch kurz zu meinen Eltern. Meine Mutter hat noch was für dich“, sagt Karim, während ich mich auf die Rückbank seines Dacias quetsche und er anschließend kreuz und quer durch die Hinterstraßen Teherans fährt, bis wir von einem kleinen Wohnblock anhalten.
„Ich bin gleich wieder da“ sagt Karim und kommt ein paar Minuten später mit zwei großen Plastiktüten wieder, die er mir auf den Schoß wirft.
„Liebe Grüße von meiner Mutter“, sagt er, während ich etwas verdutzt das Innere der Tüten begutachte.
Die Tüten sind bis zum Zerreißen gefüllt mit Lebensmitteln. Eingekochte Marmelade, Nüsse, Gewürze, selbstgemachte Bonbons, Kekse und ein Glas eingemachte Zwiebeln.
„Mein Onkel lässt auch grüßen“, sagt er und reicht mir eine große Flasche mit einer dunkelroten, trüben Flüssigkeit.
„Was ist das“
„Wein. Hat mein Onkel selbst gemacht. Was besseres findest du hier nicht“, sagt er und fordert mich auf zu probieren.
Schon als ich den Deckel der Flasche öffne, kommt mir ein faulig, sprittiger Geruch entgegen.
Der Wein schmeckt allerdings sogar noch schlechter, als er riecht. Wie eine Mischung, aus gegorenem Traubensaft und Benzin.
Ich will gar nicht wissen, wie hoch der Alkoholgehalt ist, gebe die Flasche zu Karim, der einen kräftigen Schluck nimmt und die Flasche an mich zurückgibt.
Dieses Spiel wiederholen wir für die nächste Dreiviertelstunde, während wir durch die iranische Nacht rauschen.
Das Radio ist voll aufgedreht und entlässt knarzig scheppernd persische Musik durch die weit geöffneten Autofenster in die laue Nacht.
Ich werde die beiden echt vermissen.
Wir müssen so viel lachen, dass ich Karim am liebsten bitten würde, noch mal umzudrehen, als wir uns der Ausfahrt zum Flughafen nähern. Dann allerdings würde ich meinen Flug verpassen.
Karim biegt langsam auf den Flughafenbereich und hält vor dem Eingang zu den Gates, während ich den letzten Schluck aus der Flasche Wein trinke.
Keine Ahnung, wie Karim noch Autofahren kann. Ich jedenfalls hänge komplett in den Seilen. Er ist im Gegensatz zu mir einfach an die trockne Luft gewöhnt, versuche ich mir einzureden.
Wir verabschieden uns, ich umarme noch mal beide herzlich, muss ihnen versprechen, dass ich schnellstmöglich nach Teheran zurückkehre und laufe mit leichter Schlagseite zum Flughafen.
„Nicht ausatmen“, ruft er mir noch einmal hinterher.
Zurück am Anfang
Ich grinse den Beamten verkniffen an, während er weiterhin keinen Gesichtsmuskel bewegt.
„Was haben Sie im Iran gemacht?“, fragt er durchdringend.
„Reisen. Das schönste Land in dem ich je war“
Seine Miene wird tatsächlich etwas freundlicher.
„Wirklich?“
Perfekt. Im Notfall immer an den Patriotismus der Menschen appellieren.
„Auf jeden Fall! Die Kultur, die Architektur und das Essen, mein Gott, das Essen“
„Ja, das Essen ist schon großartig“
Der Mann hinter mir wird langsam ungeduldig und sagt etwas zu dem Beamten auf Farsi, woraufhin dieser sich zum ersten Mal kurz von seinem Sitz erhebt und den Mann hinter mir wütend anschreit, bevor er sich wieder mir zuwendet.
„Entschuldigung, ich wollte Sie nicht unterbrechen. Wo hat es Ihnen denn am besten gefallen?“
„Uff, da gibt es so viele Dinge. Kashan hat mir ziemlich gut gefallen“
Seine Stimmung steigt noch weiter. Wie der Zufall es will, kommt die Familie seiner Frau aus der Nähe von Kashan.
Oh Gott, ich weiß nicht, wie lange ich mich noch zusammenreißen kann.
Ich versuche beim Sprechen möglichst die Luft anzuhalten und in den Pausen durch die Nase auszuatmen, während ich mich mit einer Hand an der Kante des Tresens festhalte.
Bitte frag mich nicht, was ich beruflich mache. Ich kann ohnehin schlecht lügen, am allerwenigsten allerdings, wenn ich betrunken bin.
Für Journalisten ohne entsprechendes Journalistenvisum drohen langjährige Haftstrafen. Für Alkoholkonsum sowieso.
Als betrunkener Journalist, ohne einen Cent Geld, würden sie mich wahrscheinlich direkt am Flughafen erschießen.
Wo mein Geld geblieben ist?
Ich war wieder einmal unglaublich schlecht auf alles vorbereitet. Unter Anderem wurde ich über die Tatsache, das Iran nicht an das weltweite Banken-Netz angeschlossen ist, meine Scheck- und Kreditkarten also völlig nutzlos sind, erst im Flugzeug von meinem iranischen Sitznachbarn aufgeklärt.
Ich musste also den gesamten Urlaub mit dem Bargeld auskommen, dass ich für den Notfall und die ersten paar Tage mitgenommen habe.
Bis auf den letzten Rial, ungefähr 0,000026 Euro, habe ich alles ausgerechnet, um nicht zu verhungern und einigermaßen heile am Flughafen anzukommen.
Es hat gepasst. So gerade.
Der iranische Grenzbeamte gibt mir endlich meinen Reisepass zurück, wünscht mir noch einen guten Heimflug und dass ich hoffentlich bald wieder in den Iran komme.
Ich lächle ihm noch einmal möglichst freundlich zu und verschwinde so schnell ich kann aus seinem Sicht- und Geruchsfeld sowie dem seiner bewaffneten Kollegen.
Ich will endlich ins Flugzeug, um meinen Rausch auszuschlafen.
Vorher meldet sich allerdings mein Magen. In den Tiefen einer meiner Taschen entdecke ich tatsächlich noch zwischen abgelaufenen Busfahrscheinen, Flyern, Visitenkarten und Müll einen zerknitterten Schein.
Ein Schokoriegel zur Stärkung für die letzte halbe Stunde vor Abflug ist noch drin. Meine Wahl fällt auf den iranischen Abklatsch eines Snickers.
Ich beiße in mein Snickers-Imitat und denke, wie immer auf dem Weg zurück nach Hause ins verregnete Norddeutschland, noch einmal an die letzten Tagen in diesem liebevollen wie hartem, anziehenden wie abschreckenden, diesem absolut verrückten Land zurück.
Krass, was ich hier schon wieder alles erlebt habe.
Noch krasser allerdings ist, was ich alles schon wieder ÜBERlebt habe.
(Die Namen und Orte in diesem Beitrag wurden zur Sicherheit der Betroffenen abgeändert.)
Antworten
Hallo Lennart, Danke für den sehr realistischen Text, aus dem man so manches rauslesen kann, z.B. den Stolz Deiner Freunde, Dir verbotenen Wein präsentieren zu können oder auch das Verhalten des Flughafenpolizisten (was auf dem Papier verboten ist und tatsächlich bis vor etwa 5 Jahren supergefährlich war, ist es längst nicht mehr, kann sich aber jederzeit wieder ändern). Zur Ehrenrettung der Iraner kann ich dir aber sagen, dass es auch recht ordentlich selbstgemachtes Bier und Wein gibt. Ich habe dazu mal einen Blogtext geschrieben, vielleicht interessiert er dich:
https://akihart.wordpress.com/2017/01/06/weinherstellung-im-iran/
Beste Grüsse und Schalom 😉
Moin Chris,
Bei der von dir zitierten Formulierung handelt es sich natürlich um eine Überspitzung meinerseits. Ich habe zu keinem Zeitpunkt in Iran Angst gehabt, erschossen zu werden.
Des weiteren bin ich voll und ganz deiner Meinung. Ich ertappe mich regelmäßig dabei, wie sich beim Aufeinandertreffen verschiedener Kulturen, oder dem Aufkommen fremder Umstände und Situationen die von dir genannten »deutschen Denkmuster« einschleichen. Diese zu überwinden und mich dem zunächst Fremden zu öffnen, ist tatsächlich einer der Hauptgründe, weshalb ich reise.
Und ja, ich werde definitiv noch mal nach Iran reisen. Das von mir beschriebene Paar hat mich im Frühjahr zu ihrer Hochzeit eingeladen.Stimme dir zu! Einerseits völlig unvoreingenommen an einen Ort zu reisen und andererseits diese deutsche „Normsucht“ (heute ist echt Wortneuschöpfungstag) abzulegen, ist schon nicht einfach – aber ein wirklich schöner Grund, zu reisen.
Ich bin gespannt auf deinen nächsten Bericht aus dem Iran!
– Chris
Ich finde die Geschichte wirklich schön geschrieben, zeigt allerdings auch mit aller Stärke einen typisch deutschen Reflex (den ich bei mir auch immer und immer wieder entdecke): Bei der kleinsten Abweichung von Regeln, alle Eventualitäten und Konsequenzen durchspielen, um am Ende vom Schlimmsten auszugehen: »Als betrunkener Journalist, ohne einen Cent Geld, würden sie mich wahrscheinlich direkt am Flughafen erschießen.« 😀
Ich denke nicht. 😀
Aus meiner Zeit im Iran kann ich nur sagen, dass ich das Land im Ganzen als absolut wundervoll erlebt habe. Ich würde jederzeit zurück und ich hoffe, der Autor wird es auch tun. Er wurde ja schließlich sogar von offizieller Seite darum gebeten.
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