Wie ich lernte mit dem dritten Auge zu sehen

»I want you to see Egypt with the third eye« sagt Hassan, als wir in knal­len­der Hit­ze durch den Tem­pel von Kar­nak lau­fen. An die­sem ers­ten Tag mei­ner Ägyp­ten Rei­se hat­te ich noch kei­ne Ahnung was er mir eigent­lich damit sagen woll­te. Es war bereits der drit­te Tem­pel an die­sem Tag, und mein Kopf tat sich schwer mit all den Ein­drü­cken mit­zu­hal­ten, wo soll­te ich da jetzt noch ein drit­tes Auge her­ho­len?

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Gegen sechs Uhr mor­gens hat­te Hassan mich vom Schiff abge­holt. Ein rüs­ti­ger Mann in sei­nen 70ern emp­fing mich mit Geh­stock in der Lob­by des Nil­kreu­zers, wäh­rend die ande­ren Rei­sen­den im bes­ten Alter mit einem Gui­de mit­gin­gen, der bereits eine eige­ne Face­book­grup­pe für sie ein­ge­rich­tet hat­te. Ich blick­te die­ser Iro­nie des Schick­sals einen Moment hin­ter­her und folg­te mei­ner Beglei­tung für die nächs­ten Tage. Schließ­lich hat­te man mir gesagt er sei der Bes­te.

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Im Tal der Köni­ge erfuhr ich zum ers­ten Mal von ihm, dass es laut der alten Ägyp­ter fünf Wege gibt ins Jen­seits zu rei­sen. Die Zei­chen dafür lie­ßen sich in den Bema­lun­gen der Grä­ber wie­der­erken­nen, die in etwa genau so alt schie­nen wie die Maschen der Stra­ßen­händ­ler, von denen mich Hassan abzu­schir­men ver­such­te. Beim Tem­pel der Hat­schep­sut, frag­te er mich noch ein­mal ab. »So, what are the five ways to tra­vel to hea­ven?« Ich ant­wor­te­te ver­wun­dert: »sail the boat, fol­low the jackel or your own shadow, beco­me a bird or the tomb beco­mes bey­ond its­elf?«. Die­ser letz­te Punkt mach­te für mich am wenigs­ten Sinn, aber zu die­sem Zeit­punkt war mir das noch rela­tiv egal. Die alten Ägyp­ter wer­den sich da schon irgend­was bei gedacht haben, dach­te ich. Er erklär­te mir er wür­de im Auto sit­zen blei­ben und auf mich war­ten. Für einen Moment war ich ganz froh, dass nie­mand neben mir ste­hen wür­de um mich mit Infor­ma­tio­nen zu bom­bar­die­ren, wäh­rend ich eigent­lich nur ver­su­che, die rich­ti­ge Per­spek­ti­ve im Sucher mei­ner Kame­ra zu fin­den. Gui­des sind in den meis­ten Tem­peln nicht erlaubt – Regel der Unesco – und so betrat ich den his­to­ri­schen Platz ganz mut­ter­see­len­al­lein. Denn außer mir hat­te sich an die­sem frü­hen Mor­gen kein ein­zi­ger ande­rer Tou­rist hier­her ver­irrt. Das war gleich­zei­tig auf­re­gend, wohl­tu­end und irgend­wie beängs­ti­gend.

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»Look out for the cow, and don’t give your money to anyo­ne«, hat­te Has­sen mir vor­her auf­ge­tra­gen, und ich such­te den gan­zen Tem­pel nach Inschrif­ten mit Kühen ab. Dabei ver­gaß ich für einen Moment gänz­lich Fotos zu machen. Als ich die Inschrift ent­deck­te, fühl­te es sich fast so an, als hät­te ich einen klei­nen Schatz unter all den tau­sen­den Gly­phen gefun­den, viel wert­vol­ler als die Bil­der, die ich mit nach Hau­se neh­men wür­de.

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Im Luxor Tem­pel echauf­fier­te ich mich über den feh­len­den Obe­lisk, der jetzt in Paris steht, und Hassan erklär­te mir gedul­dig was die Obe­lis­ken für die alten Ägyp­ter bedeu­tet hat­te. »It is not only a sun­di­al or a land­mark, no, it is the need­le that goes into hea­ven!« Er spieß­te sei­nen Zeig­er­fin­ger in die Luft und voll­ende­te sei­ne Erklä­run­gen mit einer aus­la­den­den Hand­be­we­gung. »It uni­fies hea­ven and earth.« Klar. Macht Sinn. Mein ver­wirr­tes Gesicht führ­te zu einem tie­fen rau­chi­gen Lachen. »Nina, I want you to lis­ten! Look at this…« Er deu­te­te mit sei­nem Geh­stock auf eine Wand und erklär­te mir mit einer Engels­ge­duld die Bedeu­tung von Papy­rus und Lotus im alten Ägyp­ten. »See? God tied Egypt. And what god tied, men will not unite!«

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»I used to be a pro­fes­sor, you know«, erzähl­te er mir im Tem­pel von Kar­nak. In Kai­ro und Luxor hat­te er Ägyp­to­lo­gie unter­rich­tet, bis es mit sei­nem Bein nicht mehr ging. Er bog rechts um die Ecke, links um eine Säu­le her­um und knie­te sich auf den Boden. »Do you see the owl? Isn’t it beau­tiful?« Er kann­te die­sen Ort wie sei­ne Wes­ten­ta­sche, und das fas­zi­nier­te mich. Wir tra­fen einen sei­ner ehe­ma­li­gen Stu­den­ten, nun selbst Tou­ris­ten­füh­rer. »You are a very lucky woman to have him show you around!« Ich nick­te. Ja, ich hat­te wirk­lich Glück gehabt. Auch wenn mir das am Anfang nicht so in den Kopf gehen woll­te.

Er wur­de für den Moment zu mei­nem ste­ti­gen Beglei­ter. Auf einem klei­nen, blau wei­ßen Motor­boot zur Insel der Philae erzähl­te er mir von sei­ner ers­ten gro­ßen Lie­be. Sie war Hol­län­de­rin und er zog für sie nach Euro­pa. »It did­n’t last long. I missed Egypt too much. And she could­n’t live here. But we still wri­te let­ters.«

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Wir gin­gen in Muse­en, fuh­ren Kut­sche, tran­ken Tee und spa­zier­ten über einen Stau­damm. Mit jedem Ort den wir besich­tig­ten, mit jeder Inschrift die er mir erklär­te oder Geschich­te, die er mir erzähl­te, begriff ich, dass ihm sehr viel dar­an lag, mir nicht nur schnö­de die »Sehens­wür­dig­kei­ten« zu zei­gen. Er woll­te dass ich ver­stand und er woll­te so viel von sei­nem Wis­sen wie nur mög­lich an mich wei­ter­ge­ben. Was für den Moment dar­in resul­tier­te, dass sich in mei­nem Kopf irgend­wann ein gemisch­ter Salat aus Cro­co­di­les, Lio­nes­ses, Cows, Horus, Lotus, Papy­rus, Scarabs und sämt­li­chen Göt­tern befand – und den­noch woll­te ich mehr Wis­sen aus ihm her­aus sau­gen. Ich setz­te mich noch Abends mit ihm zusam­men und bom­ba­dier­te ihn mit Fra­gen, er lehr­te mir die Bedeu­tung der Gly­phen in mei­nem Namen und pro­phe­zei­te mir ich wür­de mal eine gute Mut­ter sein, aber noch nicht bald. Gott sei Dank, dach­te ich, und doch hat­te mich nie so für die Geschich­te der Pha­rao­nen und Göt­ter im alten Ägyp­ten inter­es­siert wie jetzt. Ich notier­te, ich skiz­zier­te, ich ver­in­ner­lich­te.

Ich begriff, was er mit dem drit­ten Auge gemeint hat­te. Und ich glau­be es ist mir gelun­gen.

 

Nina wur­de auf die­se Kreuz­fahrt von Luxor nach Aswan von Möven­pick Hotels&Resorts ein­ge­la­den.

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Antworten

  1. Avatar von Mauritius Expertin

    Hey,

    das war, glaub ich, eine sehr schö­ne und inter­es­san­te Rei­se. Ich war auch mal vor ein paar Jah­ren in Ägyp­ten, aber habe lei­der kei­ne Tem­peln besucht, trotz­dem fand ich es sehr schön da. Wie fan­dest du Ägyp­ten den?

    1. Avatar von Nina

      Das ist ein biss­chen schwer zu sagen, viel­leicht ein biss­chen eine Art Hass-Lie­be draus gewor­den. Es gab Momen­te, Men­schen und Orte die mich tief berührt haben und fas­zi­niert haben und die ein­schnei­den­de Erleb­nis­se waren. Durch Men­schen wie Hassan habe ich das Land lie­ben und ver­ste­hen gelernt (auch was die heu­ti­ge Kul­tur betrifft), aber es gab auch Situa­tio­nen in denen ich mich nicht so wohl gefühlt habe und es hat mich auf Dau­er gestört dass ich mich nicht so frei bewe­gen konnte/​durfte wie ich ger­ne gewollt hät­te.

  2. Avatar von Alex

    Hal­lo Nina,
    Du kannst dich ja wirk­lich glück­lich schät­zen einen Men­schen getrof­fen zu haben, der dir so tie­fe Ein­bli­cke in sei­ne Kul­tur und sein Leben gestat­tet hat. Tol­le Bil­der!

    1. Avatar von Nina

      Dan­ke Alex! Das tue ich!

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