An den Ufern von Lissabon

Man­chen Städ­ten eilt ein unsen­ti­men­ta­ler, aber durch und durch posi­ti­ver Ruf vor­aus und doch denkt man so gut wie nie an sie.

Nicht aus man­geln­der Wert­schät­zung oder weil ihnen etwas Nega­ti­ves anhaf­tet – im Gegen­teil: Der Man­gel an schlech­ten Nach­rich­ten aus einer Stadt kann auch dazu füh­ren, dass man sie nicht so oft auf dem Radar hat. Als in Paris die Anschlä­ge vom Novem­ber 2015 ver­übt wur­den, hat­te dies auf die Stadt und ihre Aus­strah­lung nicht all­zu viel Ein­fluss. Men­schen auf der gan­zen Welt spre­chen täg­lich die­ses Wort aus – „Paris“ – egal, ob sie in dem Moment posi­ti­ve oder nega­ti­ve Asso­zia­tio­nen haben. Ande­re Städ­te sind nur des­we­gen in aller Mun­de, weil man mit ihnen sofort Schre­ckens­mel­dun­gen in Ver­bin­dung ruft. Alep­po. Kann­te irgend­ein Mensch im Wes­ten (außer die­je­ni­gen, die sich pro­fes­sio­nell mit der ara­bi­schen Welt und der Regi­on des Nahen Ostens im Spe­zi­el­len aus­ein­an­der­set­zen) vor zehn Jah­ren über­haupt die­sen Namen? Wuss­ten mehr als, na sagen wir mal, 2% über­haupt von der Stadt oder davon, dass sie in Syri­en liegt und wie alt sie ist?

Lis­sa­bon. Guter Ruf, aber so gut wie nie in den Nach­rich­ten. Kei­ne Anschlä­ge, kei­ne Kata­stro­phen, kei­ne Toten. Kein Krieg. Der Name steht für – ja, wofür eigent­lich? Bevor ich ankam, schwirr­ten mir Bil­der und Wor­te durch den Kopf, all das, was mei­ner Mei­nung, mei­ner Erwar­tung nach, die­se Stadt aus­macht. Melan­cho­lie. Fado Musik. Gegrill­ter Fisch. Wein. Son­ne. Der Tejo, der hier in den unend­lich gro­ßen Atlan­tik mün­det.

All die­se Bil­der waren berech­tigt, alle mit einem Fünk­chen Wahr­heit ver­se­hen. Und selbst­ver­ständ­lich nie und nim­mer aus­rei­chend für Lis­sa­bon. Bereits beim Lan­de­an­flug der Swiss Air Maschi­ne wur­de mir zunächst ein­mal die vor­treff­li­che geo­gra­fi­sche Lage der por­tu­gie­si­schen Haupt­stadt bewusst. Was für Mög­lich­kei­ten! Ein Häu­ser­meer ver­streut auf sie­ben Hügeln – ganz wie in Rom  – das Was­ser des Tejo, der sich genau zwi­schen den bei­den Häu­ser­mee­ren hin­durch­presst und genau dort, wo die Stadt liegt, auf­bläht wie ein Fisch, der sich mit Luft voll­saugt. Über der Bucht meh­re­re Brü­cken, am bes­ten sicht­bar die rote, an die Gol­den Gate erin­nern­de Brü­cke des 25. April, Pon­te 25 de Abril(der Name erin­nert an die Nel­ken­re­vo­lu­ti­on von 1974, als wei­te links­ge­rich­te­te Tei­le der Armee sich gegen eine dro­hen­de Dik­ta­tur­herr­schaft zur Wehr setz­ten, wor­auf ihnen von den begeis­ter­ten Bür­gern der Stadt sym­bo­lisch rote Nel­ken in die Gewehr­läu­fe gesteckt wur­den). Am Ran­de der Brü­cke – von hier oben schein­bar klein und doch erkenn­bar – die Jesus-Sta­tue, die am Süd­ufer der Bucht neben der Brü­cke errich­tet wur­de. Als ob Jesus sei­ne Hän­de schüt­zend über den Fluss und die Bewoh­ner Lis­sa­bons hal­ten möch­te. Wei­ter west­lich wur­de der Tejo nach kur­zem Abneh­men wie­der brei­ter, das Flug­zeug leg­te sich in eine stei­le Links­kur­ve und schließ­lich späh­te ich genau auf die Mün­dung, wo sich das Süß­was­ser des Flus­ses in der an die­sem Tag azur­blau erstrah­len­den Unend­lich­keit des Atlan­ti­schen Oze­ans auf­lös­te. Ja, es war wahr­lich eine ange­mes­se­ne Ankunft für die­se Stadt.

 

Zwi­schen Fado­wahn und Ruhe­po­len

Die kom­men­den Tage in der alfa­ma – der Alstadt – waren zwie­späl­tig. Begeis­te­rung und Ent­de­ckungs­drang lös­ten sich mit Ableh­nung und regel­rech­tem Ekel ab. Ende Okto­ber und daher nicht mehr ganz so vie­le Tou­ris­ten wie im Früh­jahr oder Som­mer, aber doch zu vie­le, um sich hier unauf­fäl­lig unter die Ein­hei­mi­schen zu gesel­len. Kopf­stein­pflas­ter, über­all Tafeln – bekrit­zelt mit Wer­bung für die all­abend­li­chen “Ori­gi­nal Fado Shows!!!”. Wie kann etwas noch ein Ori­gi­nal sein, das so auf­dring­lich und mit drei (!!!) Aus­ru­fe­zei­chen hin­aus­po­saunt wird? Nein, es waren nicht die Knei­pen und Fisch­re­stau­rants, nicht die Kir­chen und nicht das Kas­tell über der alfa­ma, wenn­gleich ich von die­sem Ort eine der wun­der­bars­ten Aus­sich­ten genoss, die man in Euro­pa fin­den wird. Es waren die Sei­ten­we­ge, ver­win­kel­te Gän­ge, stei­le Anstie­ge, mal über Trep­pen, mal ohne. Die alten Stra­ßen­bah­nen, die rat­ternd und quiet­schend um die Ecken bogen und zum Teil wahn­wit­zig nah an den offe­nen Fens­tern der Ein­woh­ner ent­lang rat­ter­ten. Die Wäsche­lei­nen über den Geh­we­gen und die alten Damen, die sich am Abend ein­fach von Fens­ter zu Fens­ter unter­hiel­ten, der all­abend­li­che Ritus, der Plausch zwi­schen Nach­barn, zwi­schen Freun­den, Ver­wand­ten und Gleich­ge­sinn­ten. All das war es, was mich in kur­zer Zeit für Lis­sa­bon ein­nahm. Ein wenig so, wie Lie­be nicht auf den ers­ten, son­dern auf den zwei­ten Blick.

Und es war die­ser Moment, bevor ich die Stadt in Rich­tung Süden Por­tu­gals ver­las­sen wür­de. Ich stand an einem Aus­sichts­punkt in der alfa­ma, zu mei­nen Füßen jahr­hun­der­te­al­te Kacheln, die hier eine Mau­er und in der gan­zen Stadt Häu­ser­wän­de und Gebäu­de, aus­schmück­ten. Mein Blick ging in die Wei­te, nach vorn. Unter mir, hin­ter den roten Dächern, nur das schwar­ze Nichts des Tejo, der rechts von mir irgend­wo wei­ter weg in den Atlan­tik floss, als ob Euro­pa hier mit einer melan­cho­li­schen, roman­ti­schen und tod­trau­ri­gen Ges­te Adieu sagen woll­te.

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Antworten

  1. Avatar von Franka

    Hal­lo Mari­us,
    mei­ne Vor­freu­de auf Lis­sa­bon hast du mit dei­nen Wor­ten und Bil­dern auf jeden Fall noch ein­mal erhöht. Ich besu­che im Früh­ling eine Freun­din, die dort lebt und bin sehr gespannt auf die Stadt und ihre Foto­mo­ti­ve! Weißt du, inwie­weit man rund um Lis­sa­bon sur­fen kann?

    Lie­be Grü­ße,
    Fran­ka

    1. Avatar von Marius Kriege

      Bom dia Fran­ka,
      schön, dass ich mit dem Arti­kel dei­ne Vor­freu­de stei­gern konn­te. Lis­sa­bon wird dir gefal­len. Was das Sur­fen angeht, eig­net sich zur rich­ti­gen Jah­res­zeit bei­nah die gesam­te por­tu­gie­si­sche West­küs­te, da der Atlan­tik dau­er­haft für hohe Wel­len sorgt. Zum Baden etwas schwie­rig, also gut für Sur­fer. Emp­feh­len kann ich beson­ders eine Stel­le etwas wei­ter süd­lich in Rich­tung Algar­ve – der Strand von Ode­ce­i­xe ist ein per­fek­ter Spot für Sur­fer.

  2. Avatar von Mueller

    Vie­len Dank,
    tol­ler Bei­trag, wir sind ech­te Por­tu­gal – Lieb­ha­ber und fan­den tol­le Fotos und Infos hier.

    Herz­li­che Grü­ße
    Fam. Muel­ler

    https://fewo-lagos.de

  3. Avatar von Norah

    Lie­ber Mari­us,
    sehr schön, wie du die Stadt beschreibst. »Ein wenig so, wie Lie­be nicht auf den ers­ten, son­dern auf den zwei­ten Blick.« Manch­mal geht es mir genau­so. Wenn man nach ein paar Tagen rich­tig ange­kom­men ist, sich aus dem Tou­ris­ten­ku­chen hin­aus bewegt, ins Gespräch kommt, man sich aus­zu­ken­nen beginnt, so dass im Kopf Platz ist, um auf Details zu ach­ten.

    Bis jetzt habe ich es nicht nach Lis­sa­bon geschafft. Ich hof­fe, dass sich das bald ändern wird. Dann wer­de auch ich am Ufer des Tejo ste­hen, mit vie­len neu­ge­won­ne­nen Ein­drü­cken, und ver­mut­lich wer­de ich an dei­ne Wor­te den­ken, die ich soeben gele­sen habe.

  4. Avatar von Michelle

    Lis­sa­bon ist ein­fach eine wun­der­schö­ne Stadt. Beson­ders die Gäss­chen in der Alt­stadt fin­de ich toll. Hier kann mann sich aber auch sehr schnell ver­lau­fen.

    Ist euch schon auf­ge­fal­len, dass die Brü­cke wie die Gol­den Gate Bridge von San Fran­cis­co aus­schaut? 😉

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