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Der arg strapazierte Klopper „seinen Lebenstraum verwirklichen“ ist diesmal echt angemessen: die Alpenüberquerung zu Fuß habe ich seit Jahren im Visier. Ich bin die Berge Patagoniens, die Cordillera Blanca in den Anden und das Himalaya-Gebirge durchwandert. Europas höchstes Gebirge fehlte noch.
Klar, gesehen habe ich die Alpen vorher schon. Aber nicht überquert. Zu Fuß. Allein. Das waren diesmal die entscheidenden Stichwörter. Mir gefiel die Vorstellung, mit nichts als einem Rucksack in die Berge zu entschwinden, in entlegenen Hütten zu übernachten und eine Woche später in Südtirol wieder aufzutauchen. Schwierig sollte es werden, mich fordern. Ich wollte mich selbst wahrnehmen in dieser Ausnahmesituation.
Man merkt schon: Die Alpenüberquerung sollte mehr werden, als die Summe ihrer Etappen und die Fotos auf meiner Speicherkarte. Etwas Dauerhaftes. Ein bemerkenswertes Merkmal. Genauso wie man über manche Menschen sagt, „der hat früh geheiratet“, oder „die hat ihr Hobby zum Beruf gemacht“, würde man über mich sagen können „der ist mal von Deutschland nach Italien gelaufen.“
Wenn man dann auf den Boden der Tatsachen zurückkehrt merkt man: Ganz so verwegen war das Vorhaben gar nicht. Ich war gewiss nicht der einzige, der diesen Sommer über die Alpen laufen wollte. Vor allem meine Strecke auf dem Fernwanderweg E5 von Oberstdorf nach Meran ist wohl die beliebteste Route. Darüber hinaus war ich bereits vor dem ersten Schritt professionell umsorgt worden: das Team von ASI-Reisen hatte im Vorfeld für mich die Hütten gebucht und mir sämtliche Infos über die Route per Post zugesandt. Meine Vorbereitung war minimal: ich packte Kleidung für 3 Tage ein und besorgte Energieriegel für den Notfall.
Tag 1: Von Oberstdorf zur Kemptner Hütte
[6,5 km |↟900m |↡50m | Gehzeit: 3 Std.]
Die erste Etappe. „Vom Papier her“ die einfachste. Als ich am Bahnhof in Oberstdorf ankomme, springe ich sofort in einen überfüllten Kleinbus zum Gasthof Spielmannsau. Von dort aus soll es offiziell losgehen. Schon komisch, wenn man alles alleine macht, denke ich da noch. Als wir ankommen gehe ich einfach mal los. Ganz bewusst höre ich in mich hinein. Sitzen die Schuhe? Wie schwer ist der Rucksack? Lauftempo okay? Wie ist jetzt sonst alles? Ich bin besonders aufmerksam, weil es nun beginnt, dieses große Vorhaben. Es liegt an mir allein, es anzugehen. Vor mir liegen die Alpen, ein Weg führt geradeaus – viel kann man nicht falsch machen in diesem Moment.
Ich komme bald durch ein schattiges Waldgebiet, eine Wohltat an diesem schwülen Mittag. Mein Rucksack wiegt ca. 8 Kilo. Für jemanden, der hauptsächlich Tagestouren macht, eine ungewohnte Belastung. An der Gepäckseilbahn zur Kemptner Hütte gebe ich einen Großteil davon ab und gehe den Anstieg unbeschwerter an. Eine steile Schneise führt ab hier über nasse Felsen. Schmelzwasser flutet den mit Seilen gesicherten Weg. Doch es ist die reine Freude hier zu gehen: Ich habe ein überwältigendes Alpenpanorama im Rücken und ein Kribbeln im Bauch. Plötzlich bin ich mittendrin. In meinen Schritten liegt die Zuversicht auf ein irres Abenteuer. Die Kemptner Hütte erreiche ich nach ca. 3,5 Stunden.
Dort durchlaufe ich eine Routine, die sich bald einschleifen wird: Zuerst ziehe ich unten im Schuhraum die schlammigen Treter aus und stelle sie zu den anderen ins Regal. Dann melde ich mich beim Hüttenwirt, besorge gleich eine Duschmarke, stelle meinen Rucksack ans „Bett“ und mich in die Schlange für die Dusche. Ja, genau. DIE Dusche. In vielen Hütten gibt es wirklich nur eine. Die Marke erhitzt das Wasser für 2 himmlische Minuten. Dann geht’s in die Stube zum Abendessen. Am ersten Abend habe ich noch die Illusion, ich würde alleine bleiben und nehme mein Notizbuch mit in den Saal. Doch zum Schreiben komme ich nicht. Ein paar Wanderer, die ich auf dem Weg kennenlernte, rufen mich an ihren Tisch. Wir tauschen uns aus und es wird schnell klar, dass man sich aneinander gewöhnen wird: Wir gehen alle dieselbe Strecke auf dem europäischen Fernwanderweg E5.
Tag 2: Kemptner Hütte – Memminger Hütte
[13 km |↟1000m |↡900m | Gehzeit: 10,5 Std.]
Für mich eine extrem schwierige Etappe. Mehr als das. Ein Gewaltmarsch wie er im Buche steht, um ehrlich zu sein. Daran bin nur ich selber Schuld.
Schon am Morgen, beim Abstieg von der Kemptner Hütte, wähle ich die etwas längere Route ins Tal, weil ich unbedingt über eine beeindruckende Hängebrücke gehen möchte. Ich laufe am Mädelejoch und schließlich an der Roßgumpenalm vorbei und verzichte bis Holzgau, dem ersten Zwischenziel, auf eine Rast. Dort springe ich zumindest für einen kurzen Abschnitt in den Linienbus (bis Bach). Die 5 Minuten Fahrtzeit reichen offensichtlich aus, um ein Leberkäsbrötchen zu essen und eine folgenschwere Entscheidung zu treffen: Aller Hinweise zum Trotz entscheide ich mich den Teilabschnitt durch das Madautal zu laufen. Die anderen Wanderer besteigen unterdessen Sammeltaxis. Diese brausen auf dem Weg immer wieder an mir vorbei, ungläubige Augenpaare hinter der Fensterscheibe kreuzen jedesmal kurz meinen Blick.
Als ich an der Materialseilbahn vor dem finalen Aufstieg zur Memminger Hütte ankomme, habe ich meine physischen Kräfte für den Tag fast aufgebraucht. Im Kopf sieht es anders aus. Ich fühle mich fit, stabil, optimistisch und offensichtlich auch plötzlich zu stolz, meinen Rucksack abzugeben. Wozu dieser lächerliche Hochmut? Daran scheitern Bergexpeditionen, liest man oft. Soviel steht zum Glück nicht auf dem Spiel. Keine Besteigung des Mount Everest, nur ein letzter giftiger, steiler Anstieg, der mit 2–3 Stunden Gehzeit angegeben ist.
Dennoch sind es genau die letzten Hüttenaufstiege am Etappenende, die diese Alpenüberquerung so intensiv machen. Ein schmaler Pfad windet sich bergan. Die Hitze lungert am exponierten Westhang des Seekogels, der Sonnenbrand kribbelt längst im Nacken und ich, ich sammele Schritt für Schritt Höhenmeter. Mein Ziel, die Memminger Hütte, liegt auf 2242 Metern, von denen man fast 700 über diesen letzten Anstieg aufsteigt. Einzelne Schweißtropfen fallen bei jedem Schritt von meiner Stirn auf die trockenen Steine zu meinen Füßen. Mein Hemd ist inzwischen nass und schwer wie ein Putzlappen. Die Erschöpfung appelliert immer beharrlicher an den Verstand, man könne es ja jetzt, nach inzwischen 9 Stunden Laufzeit, langsam mal gut sein lassen.
Das sanfte Plätschern eines Baches bringt Erleichterung. Ich fülle die Wasserflasche auf, trinke sie fast in einem Zug aus und halte sie gleich nochmal in den kühlen Strom. Dann laufe ich wieder. Die idyllische Ruhe draußen kommt in meinem Kopf nicht an, weil ich hörbar atme und mein Puls so pumpt. „1,5 Stunden bis zur Memminger Hütte“ steht auf dem Wegweiser und das an einem Punkt, an dem ich dachte, ich sei fast da. Keine erfreuliche Nachricht in diesem Moment. Plötzlich fallen Regentropfen aus dem sonnigen Himmel. Ich werde nachlässig, hole das Regencape nicht aus dem Rucksack und lasse mich wehrlos beregnen, weil mir dieser minimale Vorgang schon zu aufwendig erscheint. Mein Blick hat sich längst auf das wesentliche verengt – immer weiter aufzusteigen.
Unverhofft tut sich die Hütte nach einer Abbiegung vor mir auf. Ein paradiesischer Moment ist das, wie ich meinen Weg plötzlich durch eine weidende Herde edler Haflinger bahne, um zum nun sichtbaren Ziel zu kommen.
Als ich etwas unrund in die Hütte trete, sind die meisten anderen Wanderer längst da. Hochbetrieb in der Stube: „Maderl, bringst uns no a Bier“, schnappe ich im Vorbeigehen auf und bekomme einen Eindruck von dem, was wohl gemeint sein muss, wenn vom „gemütlichen Hüttenleben“ die Rede ist. Ich folge meiner abendlichen Routine. Mein Platz im Schlaflager ist diese Nacht besonders begrenzt: ein Koloss von Mensch liegt praktisch Schulter an Schulter mit mir und schnarcht mir direkt in den Gehörgang. Ich muss trotzdem irgendwann eingeschlafen sein. Der Tag hat seine Spuren hinterlassen.
Tag 3: Memminger Hütte – Zams Venet Gipfelhütte
[14 km |↟650m |↡1450m | Gehzeit: 6 Std.]
„Erstaunlich wie schnell der Körper regeneriert“, denke ich noch, als ich gegen 6:20 Uhr meine Schüssel Cornflakes zum zweiten Mal auffülle. Dann das Gedränge unten im Schuhraum. Der Blick durch die kleinen Fenster aus der Hütte ist keiner: Das Draußen ist grau und nass. Aber es hilft ja alles nichts, sagt man sich hier. Es muss jetzt trotzdem losgehen, schließlich ist die Etappe streng durchgetaktet. Die Leute versiegeln sich selbst und ihre Rucksäcke so gut es geht. Auch ich lege Gamaschen an: Laufen mit nassen Socken möchte ich um jeden Preis vermeiden.
Wie an der Kette gezogen gehen die neonfarbenen Wanderer durch eine steingraue Landschaft bergwärts davon. Die Wolken gleiten direkt über den Boden, man hört nur den Regen gleichmäßig deckend auf das dumpfe Terrain fallen. Es geht bald hinauf zur Seeschartenspitze, ein Nadelöhr auf 2705 Metern. Wenn die Steine nass sind, erfordert das immer besondere Konzentration beim Aufstieg.
Chris aus Nürnberg, mit dem ich noch häufiger abends zusammensitzen werde, steigt mir plötzlich entgegen. Ein Kumpel von ihm kommt nicht nach: Thomas, der sich diese Alpenüberquerung trotz offensichtlich mangelnder Fitness zutraut. Ich gehe weiter nach oben. Die Seeschartenspitze ist ein kleines Felsentor, das man durchschreiten muss, um dann auf der anderen Seite den Berg hinabzusteigen. Es staut sich ein wenig auf den letzten Metern. Zur schlechten Sicht am rutschig-nassen Hang, kommt jetzt auch noch der schwierige, beseilte Schlussakt. Manche werden nervös. „Des kannst weglassen!“ krächzt eine Frau, als ihr Partner ihr unterstützend die Hand reichen möchte, „Des ganze Ding hier is die Obergrütze!“ Ich male mir aus, wie sie von vornherein keine Lust hatte, aber ihm zu liebe dieser Alpenüberquerung zugesagt hat. Und nun, an Tag zwei bröckelt auch ihre Toleranz, im Angesicht des schottrigen Karsthangs kurz vor der Seeschartenspitze.
Der folgende Abstieg bereitet mir eher Probleme, immer wieder schlittere ich unkontrolliert auf dem Geröll. Erst später lese ich im Wanderführer, der Abschnitt sei „kein großes Vergnügen“. Auf Wanderstöcke hatte ich bewusst verzichtet, ich möchte meine Hände viel lieber frei haben, aber ich beobachte, wie andere diese nun nutzen um sich langsam hinabzutasten.
An der Oberlochalm im Tal ist zwar heute Ruhetag, trotzdem setzen sich einige auf die leeren Bänke vor der Hütte. Mal durchschnaufen nach dem nervenaufreibenden Abschnitt. Ein Ehepaar wirkt angeschlagen, die Frau redet offen über’s Aufgeben. Jörn hingegen, mit dem ich während der Tour immer wieder einzelne Abschnitte laufe, ist stets frohen Mutes. Er reicht mir ein Stück Tiroler Speck auf der Messerkante. Die Alpen sind ein wiederkehrendes Sehnsuchtsziel für ihn: „Wir fahren so oft es geht in die Berge“. Für ihn kommt nichts anderes in Frage: „Einmal waren wir an der Ostsee“, sagt er „aber da ist ja nichts.“ Er träumt vom Kilimanjaro. Irgendwann. Ich schütte ihm ein paar meiner Nüsse in die Handfläche und ziehe weiter.
Der Sonne entgegen ins Inntal
Bis zum Etappenende in Zams geht es nun bergab. Offizielle Mittagspause läute ich in der Unterlochalm ein. Familie Krißmer hat zünftige Brotzeiten für hungrige Wanderer vorbereitet. Mir tut es ein wenig Leid, wie viele nett angerichtete Teller mit Speck, Gurken und Brot hier unverkauft stehen. Der Sohn der Familie sagt ganz enttäuscht, sie hätten extra soviel vorbereitet, weil sie dachten, dass mehr Wanderer hier rasten würden. Ich nehme ihm einen Teller ab und setze mich.
Der Abstieg nach Zams zieht sich am Ende über einen sonnigen Trockenhang in Richtung Inntal. Das beste Klima Österreichs soll dort unten vorherrschen, so dass Pfirsiche, Aprikosen, Äpfel und Weintrauben reifen können. Ich rausche förmlich bergab, inzwischen habe ich meinen Rhythmus auf dieser Tour gefunden. Ein komisches Gefühl ist das dann aber, wenn man plötzlich durch die kleine Stadt stiefelt. Als sei man seit Wochen von der Zivilisation abgeschnitten. Ich gehe zur Talstation der Venetbahn und lasse mich in einer Gondel zur Gipfelhütte bringen. Inmitten eines fantastischen 360 Grad Bergpanoramas liegt diese Hütte – die eher wie ein Hotel anmutet. Obwohl ich in einem 6‑Bett Zimmer schlafe, kommt mir alles so komfortabel vor. Meine Nürnberger Freunde sind inzwischen wieder komplett und wir essen gemeinsam Kässpätzle.
Halbzeitfazit meiner Alpenüberquerung: Alles gut, so kann es weitergehen.
Ich habe diese Tour in Zusammenarbeit mit ASI-Reisen gemacht. Dabei wurde ich ihm Vorfeld bestens beraten und bei der Planung und Durchführung unterstützt. Alle Mitarbeiter waren extrem nett und hilfreich. Vielen Dank dafür und liebe Grüße!
Antworten
Hey,
sehr schön beschrieben, da kann man sich reindenken was einem so erwartet. Möchte ich auch mal machen. VGHey Oli,
ich kann die Tour wirklich jedem nur empfehlen. Toll, dass dir der Bericht gefallen hat!
Gruß,
Stefan
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