Warum uns abenteuerliche Reisen locken

Ziege auf Auto, Somalia

In einer Welt, die durch Satel­li­ten­bil­der und Insta­gram-Posts immer klei­ner wird, bleibt die Sehn­sucht nach dem Unbe­kann­ten eine der weni­gen Fluch­ten vor der Mono­to­nie der glo­ba­li­sier­ten Exis­tenz. Aben­teu­er­rei­sen in tou­ris­tisch kaum erschlos­se­ne Regio­nen bie­ten mehr als nur den Reiz der Ent­de­ckung. Sie stel­len uns die Fra­ge, wer wir sind und wie wir uns defi­nie­ren – nicht sel­ten, indem sie uns mit unse­rer eige­nen Selbst­dar­stel­lung kon­fron­tie­ren.

Das Versprechen des Authentischen

Die eta­blier­ten Rei­se­zie­le – Paris, Bali, Ita­li­en – sind von Sym­bo­len der Zugäng­lich­keit und Bequem­lich­keit durch­drun­gen. Sie lie­fern uns die per­fek­te Kulis­se für das, was wir längst ken­nen. Doch wo so vie­les insze­niert scheint, drängt sich die Fra­ge auf: Was bleibt von mir, wenn ich nicht die vor­ge­fer­tig­te Rou­te fol­ge? Die Rei­se in eine weni­ger bereis­te Regi­on trägt das Ver­spre­chen von Authen­ti­zi­tät in sich, das uns das Gefühl gibt, mehr zu erle­ben, tie­fer zu füh­len.

Ein Dorf in den Anden, ein abge­le­ge­ner Wüs­ten­pfad in der Saha­ra – hier, so hofft man, bleibt die Erfah­rung unbe­rührt von dem, was für ande­re erschlos­sen wur­de. Doch ist es tat­säch­lich die Unbe­rührt­heit, die uns lockt? Oder viel­mehr die Mög­lich­keit, uns selbst als Ent­de­cker zu sehen?

Straßenschild Pferdekarren

Abenteuerreisen als Spiegel des Selbst

Man könn­te wohl­feil argu­men­tie­ren, dass der Wunsch nach Aben­teu­er­rei­sen eine Form von Eitel­keit ist. Der Gedan­ke, „Ich war dort, wo ande­re nicht sind“, gibt uns das Gefühl, beson­ders zu sein. Und doch steckt dar­in mehr. In der Abwe­sen­heit von Ver­trau­tem wer­den wir gezwun­gen, uns selbst in unbe­kann­ter Umge­bung zu ver­or­ten. Wer bin ich, ohne die Spra­che zu spre­chen? Wer bin ich, wenn die Stra­ßen kei­nen Namen haben?

Hier wird die Rei­se zu einem Spie­gel: Sie zeigt uns, wie anpas­sungs­fä­hig, wie krea­tiv und wie ver­letz­lich wir sind. Die Her­aus­for­de­rung des Unbe­kann­ten gibt uns die Mög­lich­keit, Facet­ten von uns zu ent­de­cken, die im All­tag ver­lo­ren gehen.

Das Abenteuer als Flucht und Konfrontation

Doch Aben­teu­er­rei­sen sind auch eine Flucht. Nicht unbe­dingt vor der Kom­fort­zo­ne, son­dern vor der Enge der Rou­ti­ne. Sie sind eine Ant­wort auf die stil­le Angst, dass wir in einer Welt leben, die uns zu wenig Über­ra­schun­gen bie­tet. In einer abge­le­ge­nen Regi­on zu sein, ver­mit­telt das Gefühl, einer Art glo­ba­ler Gleich­för­mig­keit zu ent­kom­men – auch wenn die­se Flucht iro­ni­scher­wei­se selbst zu einem glo­ba­len Trend gewor­den ist.

Zugleich ist das Aben­teu­er immer auch eine Kon­fron­ta­ti­on. In Gegen­den, die nicht für den Tou­ris­mus aus­ge­legt sind, fehlt die schüt­zen­de Schicht der Annehm­lich­kei­ten. Kom­fort wird durch Impro­vi­sa­ti­on ersetzt, Sicher­heit durch Risi­ko. Hier zeigt sich, wie bereit wir sind, uns der Welt zu stel­len, wie sie wirk­lich ist: rau, unver­än­dert, indif­fe­rent gegen­über unse­ren Wün­schen.

Das Risiko der Romantisierung

Es wäre jedoch naiv, zu glau­ben, dass weni­ger erschlos­se­ne Regio­nen auto­ma­tisch authen­ti­scher sind. Die Pro­jek­ti­on, die wir auf die­se Orte legen – sei es die Ein­fach­heit, die Ursprüng­lich­keit oder die „wah­re“ Kul­tur – kann eben­so ver­fälscht sein wie die Vor­stel­lung von Paris als Stadt der roman­ti­schen Träu­me. Unser Blick ist geprägt von dem Wunsch, in die­sen Regio­nen etwas zu fin­den, das uns fehlt, sei es Ruhe, Aben­teu­er oder ein tie­fe­res Ver­ständ­nis für das Leben.

Die Gefahr liegt dar­in, die Men­schen und Kul­tu­ren, die wir besu­chen, auf unse­re Bedürf­nis­se zu redu­zie­ren. Sie wer­den nicht sel­ten zu Sta­tis­ten in unse­rem per­sön­li­chen Dra­ma der Selbst­fin­dung. Die Her­aus­for­de­rung besteht dar­in, die­se Pro­jek­ti­on zu durch­schau­en und den Ort um sei­ner selbst wil­len zu erle­ben, nicht als Kulis­se für unse­re eige­ne Geschich­te.

Touristen auf kaputtem Panzer am Straßenrand

Das Streben nach Bedeutung

War­um also suchen wir das Aben­teu­er? Viel­leicht liegt die Ant­wort dar­in, dass wir in einer Welt vol­ler Vor­her­seh­bar­keit danach hun­gern, etwas zu erle­ben, das sich bedeu­tungs­voll anfühlt. Eine Aben­teu­er­rei­sen, die uns an unse­re Gren­zen bringt, erin­nert uns dar­an, dass wir leben­dig sind, dass die Welt grö­ßer ist, als wir uns aus­ma­len kön­nen, und dass es immer noch Orte gibt, die uns Demut leh­ren kön­nen.

Am Ende sind es nicht die Orte, die uns ver­än­dern, son­dern die Art und Wei­se, wie wir ihnen begeg­nen. Ob wir uns selbst in einem aben­teu­er­li­chen Set­ting beson­ders füh­len möch­ten oder ein­fach auf der Suche nach ech­tem Kon­takt mit der Welt sind – die Ant­wort liegt weni­ger in der Fer­ne als in unse­rer eige­nen Hal­tung.

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Auf der Suche nach Glück und Aben­teu­er: Phil­ipp Laa­ge geht in sei­nem Buch »Vom Glück zu rei­sen« wei­te­ren Fra­gen auf den Grund.

  • Vom Glück zu reisen

    War­um sieht der Strand auf Social Media schö­ner aus? Wel­che Sehens­wür­dig­kei­ten kannst du aus­las­sen und wo ist es noch authen­tisch? Ein ganz beson­de­res Rei­se­hand­buch.

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