Madagaskar – du bist so schön und so brutal

Alatsara – Ala bedeu­tet auf Mada­gas­sisch Wald. Tsa­ra gut oder schön. Schö­ner Wald. Ich könn­te mir kei­nen pas­sen­de­ren Namen für die­sen wun­der­schö­nen Wald vor­stel­len, in dem ich die letz­ten Tage war. Und doch sind es die Men­schen, die mei­ne Zeit dort reich gemacht haben. Die mir nicht aus dem Kopf gehen.

Wie Nja­ka, ein Pri­ma­to­lo­gie­stu­dent aus Tana, fein­glied­rig und fein­sin­nig. Er fiel mir schon am ers­ten Abend am Lager­feu­er auf. Er pass­te nicht so recht an die­sen Ort. War bes­ser geklei­det, hat­te leder­ne Flip­flops und eine sil­ber­ne Uhr an. Trug immer lan­ge Hosen und einen Gür­tel. War meist schweig­sam doch freund­lich. Er war­te­te seit drei Wochen dar­auf, dass sein Such­trupp, drei lau­te Hau­de­gen in aus­ge­lei­er­ten Shirts und kur­zen Hosen, die gro­ßen Bam­bus­le­mu­ren fin­den. Bis­her erfolg­los. Jemand mein­te: „Die zäh­len die Tage, nicht die Arbeit. Denen ist egal, ob sie ihre Arbeit ver­lie­ren, wenn sie die Tie­re nicht fin­den. Sie den­ken nur ans Jetzt. Nicht an die Zukunft.“

An die Zukunft den­ken – ich habe den Ein­druck, das läuft in Mada­gas­kar oft anders ab. Die Men­schen, mit denen ich hier in Anda­si­be im Osten Mada­gas­kars zu tun hat­te, die mich mit­ge­nom­men und mir ermög­licht haben, ihnen über die Schul­ter zu bli­cken, Fra­gen zu stel­len, lang­sam Zusam­men­hän­ge zu begrei­fen, die­se Men­schen den­ken an die Zukunft. Und es macht sie trau­rig, dass vie­le Men­schen dies nicht tun. Nur schnell eine Lösung für ein Pro­blem suchen. Und doch muss ich an die­ser Stel­le unwei­ger­lich an mei­ne eige­ne Gesell­schaft den­ken, mei­nen kul­tu­rel­len Hin­ter­grund. Ja, in Deutsch­land wird die Sicher­heit, die Vor­sor­ge sehr groß­ge­schrie­ben. Dar­über oft das Heu­te ver­ges­sen. Doch schnel­le, beque­me, statt nach­hal­ti­ge Lösun­gen sind auch in Deutsch­land beliebt. Viel­leicht ten­die­ren Men­schen zur Bequem­lich­keit. Doch von bequem könn­te der All­tag im Camp, in dem ich die letz­ten Tage ver­bracht habe, nicht wei­ter ent­fernt sein.

Heu­te Mor­gen war das Auto nicht da und das Was­ser fast alle. Also muss­te in den rie­si­gen Kanis­tern zu Fuß Was­ser vom Fluss geholt wer­den. Der Fluss liegt einen knap­pen Kilo­me­ter ent­fernt. Aller­dings einen Kilo­me­ter bru­tal die Dreck­pis­te berg­ab. Und eben­so bru­tal mit vol­lem Kanis­ter wie­der hin­auf. Die Kanis­ter haben ein Fas­sungs­ver­mö­gen von bestimmt 30 Litern. 30 Kilo­gramm den stei­len Berg hin­auf­schlep­pen. Nja­ka ist selbst nur eine Hand­voll. Etwa einen hal­ben Kopf klei­ner als ich, schmal wie eine Stan­ge Bam­bus. Er war heu­te Mor­gen mit einem sei­ner Camp­kol­le­gen Was­ser holen. Jeder hat­te einen Kanis­ter. Ich weiß nicht, wie er den Kanis­ter getra­gen hat, ver­mut­lich auf der Schul­ter. So habe ich es bei ande­ren gese­hen. Die­ser fein­glied­ri­ge Mann und der bru­ta­le Kanis­ter. Für mich eine unvor­stell­ba­re Qual. Ich war völ­lig platt, hat­te einen Puls jen­seits von Gut und Böse, als ich beim Camp­wech­sel mei­nen gut­sit­zen­den Ruck­sack die ande­re Dreck­pis­te zu unse­rem Camp hin­auf­ge­schleppt hat­te. Und der Ruck­sack wog weit weni­ger als der Kanis­ter. Auch Nja­ka war heu­te Mor­gen danach völ­lig k.o. – sah aber nicht so aus. War nicht groß ver­schwitzt. Hing jedoch noch zwan­zig Minu­ten spä­ter reg­los auf dem Stuhl. Dann raff­te er sich auf, hol­te Was­ser aus dem Topf. Ja, Nja­ka hat etwas in mir berührt, mich zum Nach­den­ken gebracht.

Im Regenwald in Madagaskar

Der Wald. Er hin­ter­lässt immer Spu­ren bei mir. Wun­der­schö­ne Mus­ter und die eine oder ande­re Nar­be, wenn ich die Kämp­fe und Pro­ble­me mit­be­kom­me. Die Pro­ble­me der Men­schen, die für den Erhalt der Wäl­der ein­tre­ten und mir ihre Lie­be zum Wald vor­le­ben, indem sie mich in die ver­steck­tes­ten Win­kel füh­ren.


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