Dein Warenkorb ist gerade leer!
4.500 Kilometer bis zum Ziel. Vom Pazifischen zum Indischen Ozean: Der Indian-Pacific verbindet Sydney und Perth auf Schienen. Der Zug ist das Traumschiff auf Gleisen. Die Transsibirische Eisenbahn der südlichen Hemisphäre.
Um gepflegte Kleidung während der gesamten Reise wird gebeten und gemeint ist damit offensichtlich eine Kombination aus Khaki-Shorts und weißen, straff gezogenen Tennissocken, denn diese kleidende Kombination trägt auf den ersten Blick außer mir jeder an Board. Ich fühle mich unerhört ausgegrenzt. Wie ein Kind auf der Schaukel, sitze ich in meinem famos komfortablen Reise-Sessel und strecke die Beine aus, ohne dabei den Vordersitz zu erreichen. Die dritte Klasse des Indian-Pacific übertrifft die First Class der Lufthansa. Nur, hier wird überwiegend mit großen Rucksäcken gereist, auf denen Länderflaggen aufgenäht sind, und nicht mit siebenteiligen Louis-Vuitton-Koffersets.
Hinter mir sitzt Jose, ein Spanier, der kein Spanisch spricht. Auch Englisch oder Deutsch ist das, was Jose mir von kommunikationswegen entgegen schmettert, nicht. Es ist gerade diese Mischung, die mich zum Lachen bringt und zu Tränen rührt. Mir scheint: Jose ist nicht der typische Spanier, wie man ihn aus Funk, Fernsehen und von der Butterfahrt kennt.
Von links hinten werde ich angestuppst und – den alten Trick durchschauend – als ich mich nach rechts oben umdrehe, kommt prompt ein Kopf nach oben geschossen und Jose grinst sein Senor-Rossi-Grinsen. „Kommen Sie drinking in la bar?“. Er lädt mich auf ein Getränk meiner Wahl ein und bestellt zwei Bier. Als er den Computer auf meinen Beinen sieht, fragt er: „Naaa, schreibe Sie an der Merkel?“. Er macht ein lautes Hahahaha und freut sich diebisch über seinen Witz. Jose hat Humor. Und einen Hang zum Philosophischen. Er habe eine Frau und ein Kind zu Hause. Verheiratet sei er nicht. Ich will wissen, ob das nicht recht ungewöhnlich sei, in Spanien. „Neiiin,“ antwortet Jose, „no married, nur Liebe.“. Ich glaube ihm.
Die Familie seiner Frau stamme aus Kolumbien und betreibe dort eine »Gaststätte« – ein tolles Wort, wenn ein Spanier es gebraucht – in der die Familie ihrer Kundschaft warmes Bier anböte. Warmes Bier? So sitzen wir also nördlich von Adelaide im Speisewagen des Indian-Pacific, brüderlich Bier (kühl!) trinkend und schauen dabei indonesische Musik-Videos auf dem Smartphone. Jose urlaubte jüngst in Indonesien und möchte unbedingt, dass ich für ihn dort eine Insel auf meiner weiteren Reise besuche, aber ich habe den Namen immer noch nicht verstanden. Mehr als Chi-li will sich aus dem Kauderwelsch einfach nicht heraushören lassen. Ich will in meinem Brief an „der Merkel“ davon schreiben und mich dort darüber kundig machen.
Im Restaurant-Wagen treffe ich Rob. Wir fahren an einem Koala vorbei, der genüsslich in ein Eukalyptusblättchen beißt – bei einer Reisegeschwindigkeit von 85 Kilometer pro Stunde, kein Problem, dies zu beobachten.
Rob hat alles verloren was ihm wichtig war. Seine Frau, seinen Sportwagen und seine Firma. Seine Frau bestand bei der Scheidung auf den Sportwagen, da sie der Ansicht war, er hätte sich den Wagen niemals kaufen dürfen. Er tat es trotzdem – ohne sie zu fragen. Rob streckt demonstrativ den Mittelfinger in die Luft. Er hatte eine Operation: Eine neue Niere. Ein Freund wollte eine Niere spenden, Rob hat abgelehnt. Er hätte dem Freund ewig dankbar sein müssen. So hat er seine Angst ausgehalten, auf einen Spender gewartet und ihn gefunden.
Seitdem ist alles anders. Die neue Niere fühle sich kalt an. Außerdem sehe er aus, meint er, als habe er einen Bier-Bauch, denn der neue Mitbewohner ist vorne, in seinem Bauch, verbaut. Dinge sind ihm nicht mehr wichtig. Jetzt gibt er Töpferkurse und unterrichtet armen Menschen den Umgang mit Geld. Quasi eine Mischung aus Katharina Saalbach und diesem Herrn Zwegert von RTL. Zum Abschluss sagt er etwas, das nachhallt: Du bist, was du tust. Er lebe nur noch von Tag zu Tag. Jeden Tag das tun, was gut tut. Heute habe er gemeinsam mit mir ein Bier getrunken (also, jeder seines…). Ein guter Tag sei das gewesen, sagt Rob.
Irgendwo im Nirgendwo halten wir an. 2.500 Kilometer von Sydney, 2.000 Kilometer von Perth entfernt. Wir befinden uns auf dem Teil der Strecke, wo die Schienen 450 Kilometer wie an einer Schnur gezogen verlaufen. Aus dem Lautsprecher brummt eine Ansage: Eine Stadt sei zu sehen, heißt es dort. Da die Fenster nicht auf Augen‑, sondern in Brusthöhe arrangiert sind, stehen die Menschen jetzt auf dem Gang und haben die Hände auf die Knie gestützt und den Oberkörper nach vorne gebeugt. Ferngläser und Fotoapparate baumeln wartend am Hals hinunter. Das Problem: Es ist nichts zu sehen. Schon seit 1.000 Kilometern nicht. Möglicherweise liegt die Stadt unterhalb der Erde. Ist warm, im Outback.
In der Gold-Klasse ist alles mit dunklem Holz vertäfelt. Ich tippe auf Mahagoni, kenne mich aber nicht aus. Unterstelle vorsichtshalber etwas noch Teureres. Die Leute sitzen in ihren Kabinen, die mich an die Zellen auf Alcatraz erinnern, die ich mal in San Francisco sah. Die Türen sind geöffnet. Ebenso Bier‑, Sekt- und Weinflaschen. Aus dem Lautsprecher dröhnt hier Country-Musik. In der dritten Klasse (meiner): Billiger Radio Pop. Es ist 11 Uhr Ortszeit. Getränke und Essen sind hier inklusive, was bei einem Fahrpreis von 2.000 Dollar durchaus vertretbar erscheint. Es sieht ein bisschen aus, wie offener Luxus-Vollzug.
In der dritten Klasse wird weniger geordnet vollzogen. Nach der ersten Nacht im Komfort-Liegesessel, liegt alles kreuz und quer. Menschen über‑, unter- und miteinander. Handtücher hängen aus den Gepäckfächern herunter, geöffnetes Gepäck steht halb im Gang. Ich wische die Sabberflecken meines Sitznachbarn von meinem frisch gebügelten Hemd. In der Toilette steht Wasser, sodaß eine mitreisende Frau auf allen Vieren mit einem Handtuch feudelt. „Der Boden ist naß“, beschreibt sie von da unten zu mir hinauf, dass, was ich mit eigenen Augen sehen kann, in einer Mischtonfall aus Rechtfertigung und Entrüstung, schrubbt aber gleich weiter. Mag mir der Abstand zwischen den Sitzen zunächst üppig erschienen sein, er beinhaltet keine Garantie für Lärmschutz: Ein Schnarchen, im Rhythmus eines Herzpatienten, unterhält lebhaft den gesamten Wagon.
Müde sitze ich tagsüber nahe der Küche und spreche mit Anthony, dem Barkeeper, der mir gerade augenzwinkernd einen Nachschlag für mein Chicken Curry von der Küche aus auf den Teller schiebt. Gerade letzte Woche gab es Stunk im Zug, meint er. Jemand habe Drogen konsumiert. Ich bin geschockt und ziemlich sicher, er will mir verschlüsselt mitteilen, die älteren Herrschaften in der Goldklasse würden gut einen wegpicheln, denn hier ist alles inklusive und es feiere sich schonunglos über Gebühr, wenn alles umsonst ist. Heissa!
Als ich unerlaubt durch den Salon-Wagen der Goldklasse schlendere, werde ich prompt bestätigt, als mich ein älterer Herr anspricht. Ich meine, der Herr in Shorts und Tennissocken lallt, könnte aber auch ein amerikanischer oder australischer Akzent sein, den ich nicht auf Anhieb verstehe. Ich grüsse freundlich zurück und lüfte dabei meinen hübschen Strohhut, den ich zur Ablenkung von meiner ungepflegten Kleidung trage, denn es ist ja gepflegte Kleidung erwünscht!
Ich eile weiter, raus aus dem Kaninchenbau und verlasse dieses Wunderland der modernen Eisenbahn, zurück in die dritte Klasse, in der ich die über 70-jährigen Magnus und Linda aus Schweden treffe. Die beiden reisen mit den anderen Backpackern und übernachten zwei Nächte im Liegesitz, obwohl ihnen die Wahl eines Gold-Abteils niemand übel nehmen würde, solange sie hin und wieder eine Flasche Roten rüber in die dritte Klasse schieben. Magnus würde gern noch nach Peru reisen, aber dafür sei es wohl zu spät, meint er und stützt sich demonstrativ auf seinem Gehstock ab.
Als wir in Karrobi, der größten Stadt des australischen Outbacks, halten, werden einige Herrschaften von Bussen abgeholt. Landausflug. Ich schlendere durch die Stadt. Der Rabbit Proof Fence verläuft hier. Ich mache Halt, an einem weissen Haus aus dem laute Musik dringt und in das viele Menschen in Abendgarderobe strömen. Ein Charity Abend für behinderte Kinder. Die Dame am Eingang lädt mich ein, teilzunehmen. Ich habe nur eine halbe Stunde. Der Zug drängt auf Weiterreise. 50 Dollar für eine halbe Stunde kenne ich, ist mir heute aber zu teuer. Die Frau empfiehlt mir eine der „Gaststätten“ auf der Hauptstrasse mit dem Kommentar: „Das ist das, was die Stadt ausmacht, die Gaststätten.“ Kein Zweifel. Weiter runter die Straße, beim lokalen Jobmakler, wird in den Stellengesuchen auf das offensichtlich wichtigste Kriterium in Fettschrift hingewiesen: „Muss einen Drogen und Alkoholtest bestehen“. Ich zähle mehr Kirchen als Kneipen auf dem weiteren Weg und ich bin nicht sicher, ob das bedeutet, es gibt mehr oder weniger Hoffnung für das australische Outback. In jedem Fall böte sich ein traumhafter Zug durch die Gemeinde an, müsste ich nicht gleich weiter mit dem Zug ans andere Ende des Kontinents brettern.
Antworten
Einfach super der Artikel!!
So wie du, bin ich ganz und gar der Meinung, dass die Menschen, die man auf Reisen trifft, das Reisen noch viel interessanter gestalten. Jeder Mensch ist eine Reise.
Ich hab mich in den Indischen Ozean verliebt… das Wasser ist einfach einzigartig, ich liebe die blauen Lagunen. Warst du schon mal auf einer Insel im Indischen Ozean? Mauritius kann ich dir nur empfehlen, es hat viele verschiedene Facetten zu bieten! Nicht zuletzt wegen den verschiedenen Kulturen, sondern auch wegen der verschiedenen Vegetation. Einzigartig!Lass dir sonnige Grüße aus Mauritius da 🙂
oh, da danke ich recht schoen. habe noch nie sonne aus mauritius geschenkt bekommen. die nehm ich gern.
Klasse Artikel! Ich finde, du hast eine wunderbar bildliche Sprache, Markus. Habe deine Geschichte sehr gern gelesen, nicht zuletzt deshalb, weil es auf Reisen doch auch immer um die Menschen geht, die wir unterwegs treffen. Du scheinst im Zug einige getroffen zu haben und hast sie mit deinen Worten für mich lebendig werden lassen. Toll, danke!
Danke recht herzlich fuer Deinen wundervollen Kommentar, Gesa. Wenn diese Geschichte Deinen Bildausloeser drueckt, aus fremd verstehen wird, weil Menschen naeher ruecken, und Dein Tag reicher ist, dann bin ich sprachlos, denn es ist der einzige Lohn des Schreibers.
Schreibe einen Kommentar