Ein Traum von einem Zug: In 65 Stunden durch den Kontinent

4.500 Kilo­me­ter bis zum Ziel. Vom Pazi­fi­schen zum Indi­schen Oze­an: Der Indi­an-Paci­fic ver­bin­det Syd­ney und Perth auf Schie­nen. Der Zug ist das Traum­schiff auf Glei­sen. Die Trans­si­bi­ri­sche Eisen­bahn der süd­li­chen Hemi­sphä­re.

Um gepfleg­te Klei­dung wäh­rend der gesam­ten Rei­se wird gebe­ten und gemeint ist damit offen­sicht­lich eine Kom­bi­na­ti­on aus Kha­ki-Shorts und wei­ßen, straff gezo­ge­nen Ten­nis­so­cken, denn die­se klei­den­de Kom­bi­na­ti­on trägt auf den ers­ten Blick außer mir jeder an Board. Ich füh­le mich uner­hört aus­ge­grenzt.  Wie ein Kind auf der Schau­kel, sit­ze ich in mei­nem famos kom­for­ta­blen Rei­se-Ses­sel und stre­cke die Bei­ne aus, ohne dabei den Vor­der­sitz zu errei­chen. Die drit­te Klas­se des Indi­an-Paci­fic über­trifft die First Class der Luft­han­sa. Nur, hier wird über­wie­gend mit gro­ßen Ruck­sä­cken gereist, auf denen Län­der­flag­gen auf­ge­näht sind, und nicht mit sie­ben­tei­li­gen Lou­is-Vuit­ton-Kof­fer­sets.

Hin­ter mir sitzt Jose, ein Spa­ni­er, der kein Spa­nisch spricht. Auch Eng­lisch oder Deutsch ist das, was Jose mir von kom­mu­ni­ka­ti­ons­we­gen ent­ge­gen schmet­tert, nicht. Es ist gera­de die­se Mischung, die mich zum Lachen bringt und zu Trä­nen rührt. Mir scheint: Jose ist nicht der typi­sche Spa­ni­er, wie man ihn aus Funk, Fern­se­hen und von der But­ter­fahrt kennt.

Von links hin­ten wer­de ich ange­stuppst und – den alten Trick durch­schau­end – als ich mich nach rechts oben umdre­he, kommt prompt ein Kopf nach oben geschos­sen und Jose grinst sein Senor-Ros­si-Grin­sen. „Kom­men Sie drin­king in la bar?“. Er lädt mich auf ein Getränk mei­ner Wahl ein und bestellt zwei Bier. Als er den Com­pu­ter auf mei­nen Bei­nen sieht, fragt er: „Naaa, schrei­be Sie an der Mer­kel?“. Er macht ein lau­tes Haha­ha­ha und freut sich die­bisch über sei­nen Witz. Jose hat Humor. Und einen Hang zum Phi­lo­so­phi­schen. Er habe eine Frau und ein Kind zu Hau­se. Ver­hei­ra­tet sei er nicht. Ich will wis­sen, ob das nicht recht unge­wöhn­lich sei, in Spa­ni­en. „Neii­in,“ ant­wor­tet Jose, „no mar­ried, nur Lie­be.“. Ich glau­be ihm.

Die Fami­lie sei­ner Frau stam­me aus Kolum­bi­en und betrei­be dort eine »Gast­stät­te« – ein tol­les Wort, wenn ein Spa­ni­er es gebraucht – in der die Fami­lie ihrer Kund­schaft war­mes Bier anbö­te. War­mes Bier? So sit­zen wir also nörd­lich von Ade­lai­de im Spei­se­wa­gen des Indi­an-Paci­fic, brü­der­lich Bier (kühl!) trin­kend und schau­en dabei indo­ne­si­sche Musik-Vide­os auf dem Smart­phone. Jose urlaub­te jüngst in Indo­ne­si­en und möch­te unbe­dingt, dass ich für ihn dort eine Insel auf mei­ner wei­te­ren Rei­se besu­che, aber ich habe den Namen immer noch nicht ver­stan­den. Mehr als Chi-li will sich aus dem Kau­der­welsch ein­fach nicht her­aus­hö­ren las­sen. Ich will in mei­nem Brief an „der Mer­kel“ davon schrei­ben und mich dort dar­über kun­dig machen.

Im Restau­rant-Wagen tref­fe ich Rob. Wir fah­ren an einem Koa­la vor­bei, der genüss­lich in ein Euka­lyp­tus­blätt­chen beißt – bei einer Rei­se­ge­schwin­dig­keit von 85 Kilo­me­ter pro Stun­de, kein Pro­blem, dies zu beob­ach­ten.

Rob hat alles ver­lo­ren was ihm wich­tig war. Sei­ne Frau, sei­nen Sport­wa­gen und sei­ne Fir­ma. Sei­ne Frau bestand bei der Schei­dung auf den Sport­wa­gen, da sie der Ansicht war, er hät­te sich den Wagen nie­mals kau­fen dür­fen. Er tat es trotz­dem – ohne sie zu fra­gen. Rob streckt demons­tra­tiv den Mit­tel­fin­ger in die Luft. Er hat­te eine Ope­ra­ti­on: Eine neue Nie­re. Ein Freund woll­te eine Nie­re spen­den, Rob hat abge­lehnt. Er hät­te dem Freund ewig dank­bar sein müs­sen. So hat er sei­ne Angst aus­ge­hal­ten, auf einen Spen­der gewar­tet und ihn gefun­den.

Seit­dem ist alles anders. Die neue Nie­re füh­le sich kalt an. Außer­dem sehe er aus, meint er, als habe er einen Bier-Bauch, denn der neue Mit­be­woh­ner ist vor­ne, in sei­nem Bauch, ver­baut. Din­ge sind ihm nicht mehr wich­tig. Jetzt gibt er Töp­fer­kur­se und unter­rich­tet armen Men­schen den Umgang mit Geld. Qua­si eine Mischung aus Katha­ri­na Saal­bach und die­sem Herrn Zwegert von RTL. Zum Abschluss sagt er etwas, das nach­hallt: Du bist, was du tust. Er lebe nur noch von Tag zu Tag. Jeden Tag das tun, was gut tut. Heu­te habe er gemein­sam mit mir ein Bier getrun­ken (also, jeder sei­nes…). Ein guter Tag sei das gewe­sen, sagt Rob.

Irgend­wo im Nir­gend­wo hal­ten wir an. 2.500 Kilo­me­ter von Syd­ney, 2.000 Kilo­me­ter von Perth ent­fernt. Wir befin­den uns auf dem Teil der Stre­cke, wo die Schie­nen 450 Kilo­me­ter wie an einer Schnur gezo­gen ver­lau­fen. Aus dem Laut­spre­cher brummt eine Ansa­ge: Eine Stadt sei zu sehen, heißt es dort. Da die Fens­ter nicht auf Augen‑, son­dern in Brust­hö­he arran­giert sind, ste­hen die Men­schen jetzt auf dem Gang und haben die Hän­de auf die Knie gestützt und den Ober­kör­per nach vor­ne gebeugt. Fern­glä­ser und Foto­ap­pa­ra­te bau­meln war­tend am Hals hin­un­ter. Das Pro­blem: Es ist nichts zu sehen. Schon seit 1.000 Kilo­me­tern nicht. Mög­li­cher­wei­se liegt die Stadt unter­halb der Erde. Ist warm, im Out­back.

In der Gold-Klas­se ist alles mit dunk­lem Holz ver­tä­felt. Ich tip­pe auf Maha­go­ni, ken­ne mich aber nicht aus. Unter­stel­le vor­sichts­hal­ber etwas noch Teu­re­res. Die Leu­te sit­zen in ihren Kabi­nen, die mich an die Zel­len auf Alca­traz erin­nern, die ich mal in San Fran­cis­co sah. Die Türen sind geöff­net. Eben­so Bier‑, Sekt- und Wein­fla­schen. Aus dem Laut­spre­cher dröhnt hier Coun­try-Musik. In der drit­ten Klas­se (mei­ner): Bil­li­ger Radio Pop. Es ist 11 Uhr Orts­zeit. Geträn­ke und Essen sind hier inklu­si­ve, was bei einem Fahr­preis von 2.000 Dol­lar durch­aus ver­tret­bar erscheint. Es sieht ein biss­chen aus, wie offe­ner Luxus-Voll­zug.

In der drit­ten Klas­se wird weni­ger geord­net voll­zo­gen. Nach der ers­ten Nacht im Kom­fort-Lie­ge­ses­sel, liegt alles kreuz und quer. Men­schen über‑, unter- und mit­ein­an­der. Hand­tü­cher hän­gen aus den Gepäck­fä­chern her­un­ter, geöff­ne­tes Gepäck steht halb im Gang. Ich wische die Sab­ber­fle­cken mei­nes Sitz­nach­barn von mei­nem frisch gebü­gel­ten Hemd. In der Toi­let­te steht Was­ser, sodaß eine mit­rei­sen­de Frau auf allen Vie­ren mit einem Hand­tuch feu­delt. „Der Boden ist naß“, beschreibt sie von da unten zu mir hin­auf, dass, was ich mit eige­nen Augen sehen kann, in einer Misch­ton­fall aus Recht­fer­ti­gung und Ent­rüs­tung, schrubbt aber gleich wei­ter. Mag mir der Abstand zwi­schen den Sit­zen zunächst üppig erschie­nen sein, er beinhal­tet kei­ne Garan­tie für Lärm­schutz: Ein Schnar­chen, im Rhyth­mus eines Herz­pa­ti­en­ten, unter­hält leb­haft den gesam­ten Wagon.

Müde sit­ze ich tags­über nahe der Küche und spre­che mit Antho­ny, dem Bar­kee­per, der mir gera­de augen­zwin­kernd einen Nach­schlag für mein Chi­cken Cur­ry von der Küche aus auf den Tel­ler schiebt. Gera­de letz­te Woche gab es Stunk im Zug, meint er. Jemand habe Dro­gen kon­su­miert. Ich bin geschockt und ziem­lich sicher, er will mir ver­schlüs­selt mit­tei­len, die älte­ren Herr­schaf­ten in der Gold­klas­se wür­den gut einen weg­pi­cheln, denn hier ist alles inklu­si­ve und es feie­re sich schon­ung­los über Gebühr, wenn alles umsonst ist. Heis­sa!

Als ich uner­laubt durch den Salon-Wagen der Gold­klas­se schlen­de­re, wer­de ich prompt bestä­tigt, als mich ein älte­rer Herr anspricht. Ich mei­ne, der Herr in Shorts und Ten­nis­so­cken lallt, könn­te aber auch ein ame­ri­ka­ni­scher oder aus­tra­li­scher Akzent sein, den ich nicht auf Anhieb ver­ste­he. Ich grüs­se freund­lich zurück und lüf­te dabei mei­nen hüb­schen Stroh­hut, den ich zur Ablen­kung von mei­ner unge­pfleg­ten Klei­dung tra­ge, denn es ist ja gepfleg­te Klei­dung erwünscht!

Ich eile wei­ter, raus aus dem Kanin­chen­bau und ver­las­se die­ses Wun­der­land der moder­nen Eisen­bahn, zurück in die drit­te Klas­se, in der ich die über 70-jäh­ri­gen Magnus und Lin­da aus Schwe­den tref­fe. Die bei­den rei­sen mit den ande­ren Back­pa­ckern und über­nach­ten zwei Näch­te im Lie­ge­sitz, obwohl ihnen die Wahl eines Gold-Abteils nie­mand übel neh­men wür­de, solan­ge sie hin und wie­der eine Fla­sche Roten rüber in die drit­te Klas­se schie­ben. Magnus wür­de gern noch nach Peru rei­sen, aber dafür sei es wohl zu spät, meint er und stützt sich demons­tra­tiv auf sei­nem Geh­stock ab.

Als wir in Kar­ro­bi, der größ­ten Stadt des aus­tra­li­schen Out­backs, hal­ten, wer­den eini­ge Herr­schaf­ten von Bus­sen abge­holt. Land­aus­flug. Ich schlen­de­re durch die Stadt. Der Rab­bit Pro­of Fence ver­läuft hier. Ich mache Halt, an einem weis­sen Haus aus dem lau­te Musik dringt und in das vie­le Men­schen in Abend­gar­de­ro­be strö­men. Ein Cha­ri­ty Abend für behin­der­te Kin­der. Die Dame am Ein­gang lädt mich ein, teil­zu­neh­men. Ich habe nur eine hal­be Stun­de. Der Zug drängt auf Wei­ter­rei­se. 50 Dol­lar für eine hal­be Stun­de ken­ne ich, ist mir heu­te aber zu teu­er. Die Frau emp­fiehlt mir eine der „Gast­stät­ten“ auf der Haupt­stras­se mit dem Kom­men­tar: „Das ist das, was die Stadt aus­macht, die Gast­stät­ten.“ Kein Zwei­fel. Wei­ter run­ter die Stra­ße, beim loka­len Job­mak­ler, wird in den Stel­len­ge­su­chen auf das offen­sicht­lich wich­tigs­te Kri­te­ri­um in Fett­schrift hin­ge­wie­sen: „Muss einen Dro­gen und Alko­hol­test bestehen“. Ich zäh­le mehr Kir­chen als Knei­pen auf dem wei­te­ren Weg und ich bin nicht sicher, ob das bedeu­tet, es gibt mehr oder weni­ger Hoff­nung für das aus­tra­li­sche Out­back. In jedem Fall böte sich ein traum­haf­ter Zug durch die Gemein­de an, müss­te ich nicht gleich wei­ter mit dem Zug ans ande­re Ende des Kon­ti­nents bret­tern.

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Antworten

  1. Avatar von Mauritius Expertin
    Mauritius Expertin

    Ein­fach super der Arti­kel!!
    So wie du, bin ich ganz und gar der Mei­nung, dass die Men­schen, die man auf Rei­sen trifft, das Rei­sen noch viel inter­es­san­ter gestal­ten. Jeder Mensch ist eine Rei­se.
    Ich hab mich in den Indi­schen Oze­an ver­liebt… das Was­ser ist ein­fach ein­zig­ar­tig, ich lie­be die blau­en Lagu­nen. Warst du schon mal auf einer Insel im Indi­schen Oze­an? Mau­ri­ti­us kann ich dir nur emp­feh­len, es hat vie­le ver­schie­de­ne Facet­ten zu bie­ten! Nicht zuletzt wegen den ver­schie­de­nen Kul­tu­ren, son­dern auch wegen der ver­schie­de­nen Vege­ta­ti­on. Ein­zig­ar­tig!

    Lass dir son­ni­ge Grü­ße aus Mau­ri­ti­us da 🙂

    1. Avatar von Markus Steiner

      oh, da dan­ke ich recht schoen. habe noch nie son­ne aus mau­ri­ti­us geschenkt bekom­men. die nehm ich gern.

  2. Avatar von Gesa

    Klas­se Arti­kel! Ich fin­de, du hast eine wun­der­bar bild­li­che Spra­che, Mar­kus. Habe dei­ne Geschich­te sehr gern gele­sen, nicht zuletzt des­halb, weil es auf Rei­sen doch auch immer um die Men­schen geht, die wir unter­wegs tref­fen. Du scheinst im Zug eini­ge getrof­fen zu haben und hast sie mit dei­nen Wor­ten für mich leben­dig wer­den las­sen. Toll, dan­ke!

    1. Avatar von markus

      Dan­ke recht herz­lich fuer Dei­nen wun­der­vol­len Kom­men­tar, Gesa. Wenn die­se Geschich­te Dei­nen Bild­aus­loe­ser drueckt, aus fremd ver­ste­hen wird, weil Men­schen nae­her rue­cken, und Dein Tag rei­cher ist, dann bin ich sprach­los, denn es ist der ein­zi­ge Lohn des Schrei­bers.

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