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Die feine WelterbeRegion in Sachsen-Anhalt, zwischen Elbe, Saale und Mulde, ist ein wilder Mix: Ich radle von schicken Schlössern zu noch schickeren Designklassikern und spaziere zwischen gewaltigen Braunkohlebaggern zu neuen, stillen Seen.
Vom Pegelturm, 144 Stufen, blicke ich über den See. Der Große Goitzschesee ist der zweitgrößte im Mitteldeutschen Seenland, ein Ausflugssegelschiff gleitet gemächlich über das ruhige Wasser. Wälder, Wiesen, Badebuchten, eine kleine Marina mit weißen Segelbooten – es ist ein Bild der Naturerholung und Ruhe. Nichts lässt vermuten, dass die idyllische Landschaft hier noch vor zwei Jahrzehnten vollkommen anders aussah. Nur ein ICE-Stop von Berlin entfernt, eine gute Dreiviertelstunde Stunde Fahrt, liegt Bitterfeld. Die kleine Stadt ist bekannt als Teil einer im 19. und 20. Jahrhundert wichtigen Bergbau- und Chemieregion – doch die exzessive Nutzung und Verschmutzung hinterließ Spuren, die sichtbarsten davon: riesige Löcher im Boden. Seit dreißig Jahren verwandelt sich die Region in ein Paradies für Mensch und Natur – mit Ausflugs- und Erholungsangeboten für jeden Geschmack, Wassersportler wie Naturliebhaber, zum Baden, Radfahren, Segeln, Tauchen und Surfen. Hoch oben, auf einem dieser Ausflugsziele, stehe ich gerade – ein Turm wie eine Pegelanzeige, stets auf der Wasseroberfläche schwimmend, bestehend aus zwei gegeneinander laufenden Treppen.
Von Bernstein und Ballons
In die Industriegeschichte Bitterfelds taucht man am besten im kleinen, liebevoll geführten Kreismuseum Bitterfeld ein, das am Marktplatz zwischen Rathaus und Kirche liegt. Hier wird gezeigt, was Bitterfeld über die Jahrhunderte ausmachte: unter anderem eine Ausstellung zur Bernsteingewinnung im Tagebau sowie Exponate und Erklärungen zur Herstellung synthetischer Edelsteine, die hier angesiedelt war. Interessant ist auch, wie hier Anfang des 20. Jahrhunderts die Ballonfahrt als Konkurrenz zu Zeppelin eine Blüte erlebte, mit Ballons, die, prall mit Wasserstoff gefüllt, abhoben (und mit fataler Wirkung hin und wieder allzu schnell runterkamen).
Von Maschinen zu Menschen
Nur eine kleine Fahrt mit Bahn und Bus entfernt liegt in den Nähe des Ortes Gräfenhainichen ein weiterer idyllischer See, der Gremminer See. Auch dieser ist nicht im Zuge vergangener Jahrmillionen entstanden, sondern vor ein paar Jahren, als der gewaltige Braunkohlebergbau Gopla-Nord renaturiert und mit Wasser gefüllt wurde. An einem der Ufer wurde eine große Arena gebaut, die nun als Veranstaltungsstätte für Musik‑, Sport- und Kulturevents dient, flankiert von Baggern und monumentalen Ablegern, riesigen Maschinen, die zum Abbau der Bodenschätze gebraucht wurden: das Industriemuseum Ferropolis, Stadt aus Stahl. In zwei der Ableger kann man hinaufsteigen, und hier wird klar, welche verschworene Gemeinschaft die Bergleute waren, die hier im Tagebau schufteten und sich auf einander verlassen mussten.
Trotzdem bin ich froh, dass es, zumindest hier, nicht mehr stattfindet, die Natur zurückkehrt und sich wunderschöne Lebensräume entwickeln. Ein Tipp zur Anreise: Die „WelterbeLinie“ Bus 310 fährt an Wochenenden Ferropolis direkt an, unter der Woche steigt man vorher an der Abzweigung aus. Von dort ist es noch gut 2,5 Kilometer zu Fuß. Die Fahrt mit der “WelterbeLinie” ist wie der Eintritt zu Ferropolis und vielen anderen Leistungen in der WelterbeRegion im Kauf der “WelterbeCard” inbegriffen, die es als 24-Stunden oder 3‑TagesCard gibt. Weitere Infos dazu gibt es hier.
Weltkultur: Bauhaus
Steigt man in Ferropolis wieder in den Welterbe-Bus, geht die Fahrt bequem weiter bis nach Dessau. Seitdem ich im Kunst-Leistungskurs viel über Walter Gropius und die Ideen und Umsetzungen des Bauhauses gelernt hatte, wollte ich diese Hauptwirkstätte besuchen: Hier wurde nicht nur Designgeschichte geschrieben, die bis heute Bestand hat, sondern auch unglaublich innovative Ideen entwickelt für eine Gesellschaft im Zeitalter der Moderne. Die Idee durch industrielle Vereinfachung und Vervielfachung bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, der heute selbstverständliche Dinge wie eigene Bäder und Zentralheizung für alle versprach, wurde in Modellsiedlungen umgesetzt. Heute auf den ersten Blick eher unspektakulär, da gewohnt, waren sie vor den Weltkriegen Teil einer globalen gesellschaftlichen Revolution.
Das von Gropius entworfene Bauhausgebäude war in der erste Hälfte des 20. Jahrhunderts die bedeutendste Schule für Kunst, Design und Architektur weltweit. Lehrer der Schule waren bekannte Architekten und Künstler wie Wassily Kandinsky und Paul Klee, die hier in den sogenannten Meisterhäusern lebten, veröffentlichten ihre Theorien in Büchern und Zeitschriften, die hier herausgegeben wurden. Auf genau diese Reihe von sieben Meisterhäusern blicke ich aus meinem Fenster im familiengeführten Hotel Sieben Säulen, denn sie liegen genau auf der anderen Straßenseite, einladend in einem kleinen Kiefernwäldchen. Genau wie das Bauhaus-Gebäude und die Siedlung Dessau-Törten sind sie UNESCO Weltkulturerbe.
2019 eröffnete das Bauhaus Museum Dessau und beherbergt die zweitgrößte Bauhaus-Sammlung weltweit. Ein Besuch ist eine Design-Offenbarung: Nur mit dem Wissen, das hier auf unterhaltsame Weise vermittelt wird, kann man die Tragweite der Bauhaus-Ideen verstehen und wertschätzen. Zahlreiche Exponate der Designer zeigen, wieviel Bauhaus noch heute in fast jedem Wohnzimmer, Büro und in öffentlichen Räumen steckt – es ist beeindruckend.
Wie Prinz und Prinzessin
Dessau ist aber nicht nur wegen dem Bauhaus ein faszinierender Ort – es ist die luftige Mischung aus klassizistischen Parkanlagen, Schlössern und Landsitzen, die hier in mehreren Jahrhunderten gebaut wurden. Das Gartenreich Dessau-Wörlitz, seit gut zwanzig Jahren UNESCO-Weltkulturerbe, umfasst allein sieben Schloss- und Parkanlagen. Ideal lassen sich diese Sehenswürdigkeiten auf den zahlreichen Radwegen erkunden, die hier sehr gut ausgeschildert angelegt wurden, etwa der Elberadweg. Diesen nehme ich, um durch den Park Georgium und sich anschließende Felder gemütlich zum 1774 bis 1778 von Fürst Franz von Anhalt-Dessau für seine Frau Louise gebaute Landhaus Luisium zu besuchen. Ein englischer Landschaftsgarten mit Gehöft umgibt diesen stillen Ort.
Entlang der Elbe radle ich zum wohlverdienten Abschluss wieder in die Moderne, zum von Bauhausarchitekten gebaute Restaurant Kornhaus, bevor ich im Anthaltischen Theater ein Symphoniekonzert genieße. Von dystopischen Maschinen bis zum klassischen Konzert: Was ist das nur für eine vielfältige Region!
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