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Schwul sein hat seine guten Seiten. Wo meine Mitreisenden mit ungelenken Bewegungen versuchten, sich ihre Schwimmkleidung anzuziehen, ohne sich dabei vor gesammelter Mannschaft zu entblößen, lies ich einfach meine Hüllen fallen. Genau wie meine weibliche Begleitung, mit der ich mir die guatemaltekische Sauna teilte.
So konnten wir hemmungslos kichern, plaudern und uns gegenseitig mit wohltuendem, warmem Wasser bespritzen und uns so vom ersten Tag der Wanderung zum Lake Atitlan erholen, der zwischen den Vulkanen Guatemalas liegt.
Es war ein Tag zum Eingewöhnen und Vorbereitung auf das, was noch kommen sollte. Nach sechs Wochen verhältnismäßigem Luxus, der hinter mir liegenden Dörfer, ging es zurück auf den wortwörtlichen Boden der Tatsachen. Wir trugen unser eigenes Essen, mit dem ‘Trail Mix’ (eine herrliche Mischung von Nüssen), der bei allen Mitreisenden heiß begehrt war.
Zudem hatten wir unsere Schlafquartiere auf dem Rücken, wobei der eine Schlafsack kaum ins Gewicht fiel. Wichtiger war da das unverzichtbare ‚Shit Kit‘ – Schippe und Schaufel, wenn man dann doch irgendwann einmal seine Notdurft verrichten musste.
Warmes Frühstück
Die Einführung für das ‚Shit Kit’ gab uns unser Reiseführer während der Vorstellungsrunde, auf einem Hügel in Xecam am Rande unseres Startpunktes Xela. Ein ‘Chicken Bus’, ein ehemaliger amerikanischer Schulbus, hatte uns hierher kutschiert nachdem wir morgens um sechs Uhr ein warmes Frühstück serviert bekommen hatten. Selbstverständlich etwas mit Bohnen.
Hier wurde mir zum ersten Mal bewusst: nach sechs Wochen sozialer Isolation wurde meine größte Herausforderung darin bestehen, mich in eine Gruppe von 22 Fremden integrieren zu müssen. Vorbei war die Zeit, wo ich alleine entscheiden konnte wohin es geht und wann es weitergeht. Und es kommt noch schlimmer, ich musste sogar vortäuschen, ein sozialer Mensch zu sein.
In der Gruppe der Fremden gab es das französisch-russische Paar aus Paris und St. Petersburg. Das Ehepaar aus Irland, wo mir die männliche Hälfte begeistert erklärte, dass dieser Brexit Irland und Nordirland wiedervereinen würde. Die drei australischen Jungs, die 25 Stunden am Tag über Witze lachten, die nur sie verstanden. Die chilenische Dame, die aus nachvollziehbaren Gründen liebend gern mit mir nackt in die Sauna abtauchte. Und dann die dänische Frau, in meinem Alter, die es genau wie mir bereits nach zwei Nächte zu viel war, auf einer Strohmatte in einem Raum mit zwanzig anderen Leuten zu schlafen. Uns vereinte die Sehnsucht nach einem vernünftigen Bett.
Belohnungen
Aber hey, für diese Unbequemlichkeiten gab es selbstverständlich auch eine Reihe von Belohnungen. Der erste Anstieg brachte uns zum Alaska-Berg, mit 3.050 Meter der höchste Punkt der dreitägigen Wanderung. Hier auf dem Bergkamm zu sitzen, glich einer Halluzination, einer Traumwelt. Wolken zogen vorbei und ließen die Berge im Hintergrund für einige Augenblicke wie von Zauberhand verschwinden.
Von dort aus führte uns ein schmaler Pfad in den Wolkenwald. Ein Ort, wo man das Wasser von den Bäumen runter tropfen hörte, auch wenn es nicht regnete. Die Natur hier ist so üppig, so beschwingt, man kann sie beinahe beim Wachsen zuhören und es fühlen. Zudem der perfekte Ort für einen improvisierten Mittagstisch mit herrlicher Guacamole. Für andere der erste Ort, um sich mit seinem ‚Shit Kit‘ zum ersten Mal näher auseinanderzusetzen.
Von hier aus ging es nur noch bergab. Dies jedoch mehrere Stunden, nach Antigua Santa Catarina Ixtahuacan, auch bekannt als Santa Catarina – ein malerisches, kleines Dorf frei von den meisten modernen Einrichtungen und Ausstattung. Das Gemeinschaftszentrum war dann auch unsere Unterkunft für die Nacht. Nicht viel mehr als ein großer Raum mit zwei Toiletten. Dafür gab es hier ein besonderes Vergnügen für die müden Knochen, das Temazcal: eine guatemaltekische Sauna. Ein dunkler, beheizter Raum mit niedriger Decke, wo man seine Haut mit kochend heißem Wasser waschen konnte.
Schnarchorchester
Zu diesem Zeitpunkt waren, wie man sich vorstellen konnte, die meisten Mitreisenden bereits vollkommen erschöpft und körperlich ausgelaugt. Daher konnte gegen 21 Uhr bereits das Schnarchorchester beginnen. Ungemütlich, aber offensichtlich gab es nur wenige Unterkünfte an diesem abgelegenen Ort. Und gerade wegen der Lautstärke und des unbequemen Untergrundes kam ich auf eine geniale Lösung für die zweite Nacht…
Leider war die zweite Nacht aber noch immer 15 bis 20 Kilometer entfernt. Nach einem entspannten Frühstück (etwas mit Bohnen und Ei, und Gott sei Dank auch Kaffee) ging die Wanderung entspannt weiter. Nach einer Stunde hatten wir eine atemberaubende Aussicht über das komplette Tal, hin zu Santa Caterina und auch auf dem Carretera Panamericana (Panamerikanische Autobahn).
Rekordberg
Zeit für den Rekordberg! Zeit für die coolsten und härtesten Jungs zu zeigen, wie schnell sie den steilsten Anstieg der gesamten Reise erklimmen konnten. Die drei Australier waren selbstverständlich ganz vorne dabei. Als dann der Rest der Gruppe nach 30 Minuten das Trio auf dem Gipfel einholte, waren die Jungs immer noch nicht in der Lage zu reden. Der Rekordberg hat seine ersten Opfer gebracht, und es würde noch mehrere Stunden dauern bevor die blonden Jungs wieder lachen würden.
Jetzt wurden wir jedoch zunächst mit einem Eis verwöhnt. Und einem Mittagstisch. Und mit einer endlosen Anzahl von Hügeln, die im ‘Maisfeld des Todes‘ endeten: ein verdammt steiler und unbequemer, aber kurzer, Anstieg zum Dorf von Xiprian.
Der anschließende Sonnenuntergang hinter den Bergen war unsere Belohnung. Dazu eine schnelle Dusche sowie ein Lagerfeuer mit Marshmallows und Bier. Danach ging es wieder früh ins Bett. Da die Wettervorhersage eine Mindesttemperatur von zwölf Grad versprach, entschied ich mich aber diese Nacht im Freien zu verbringen, in der unmittelbaren Nähe des langsam erlöschenden Lagerfeuers. Gloriös und Genial mit einem großgeschriebenen G.
Lake Atitlan
Da sind wir dann, um 4.30 Uhr morgens, mit verschlafenen Augen, in einer langen Schlange spazierend im Dunkeln, unterwegs zu Santa Clara la Laguna. Rechts ein schmaler Pfad, der scheinbar ins Nirgendwo führte. Links, leuchtend im Mondlicht, der Vulkansee von Lake Atitlan. Im Hintergrund der Vulkan Fuego, der im Vorjahr bei einem unerwarteten Ausbruch hunderte Todesopfer gefordert hatte. Gelegentlich spuckte er auch an diesem Morgen noch glühende Lava in den Himmel.
So viel Schönheit raubte auch den Australiern zwischenzeitlich den Atem (und die Sprache). Sie stiegen daraufhin in ihre Schlafsäcke, um so in den nächsten zwei Stunden den Sonnenaufgang zu genießen. Mit dem See als Bühne, der vor Jahrhunderten durch den umringenden Vulkan entstanden war, und der Sonne als Hauptdarsteller, wurden die naheliegenden Dörfer wach geküsst. Die Natur zeigte uns an diesem Morgen eine grandiose Show.
Unten in der Bucht konnten wir schon San Pedro La Laguna erkennen – Unser Reiseziel. Bekannt für sein hippie-artiges Leben und extrem niedrige Lebenserhaltungskosten. Was uns noch blieb war ein 90-minutiger Abstieg, mitunter quer durch lokale Kaffeeplantagen mit ihren dunkelroten Früchten. Als wir diese bewunderten, hörten wir plötzlich hinter uns einen Schrei. Für die nächsten zwei Minuten dann Stille…
Erschrocken und verängstigt
Unsere dänische Weggefährtin war ausgerutscht und abgestürzt. Mehrere Meter in die Tiefe. Sie war offensichtlich erschrocken und erstarrt, aber glücklicherweise nicht ernsthaft verletzt. Nichtdestotrotz war es eine nützliche Warnung an alle, dass Spazieren auf schmalen Pfaden und steilen Bergen nicht ohne Risiken ist.
Ein irrsinnig süßer Kaffee war die verdiente Belohnung unseres letzten Abenteuers. Nach einer kurzen Fahrt auf einem kleinen Lastwagen, konnten wir endlich im Lake Atitlan eintauchen und uns langsam wieder an die vor uns liegende Zivilisation gewöhnen. Und hier mussten wir uns langsam auch von den 22 Personen verabschieden, die mir vor zwei Tagen noch so fremd waren…
Antworten
Lustigerweise hatte ich auch einen deutschen Guide damals! Gruß, Bas
Ich habe diese Tour geliebt!
Grüße von einem Ex – Guide der Quetzaltrekkers
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