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Der Rust Belt der USA beginnt im westlichen Teil des Bundesstaates New York, zieht sich weiter Richtung Westen durch deinen Staat Pennsylvania, West Virginia, Ohio, Indiana, Michigan, Illinois bis nach Iowa und Wisconsin. Um dich herum hat sich im November 2016 quasi die US-Wahl entschieden. Im ehemaligen Manufacturing Belt hatten die Republikaner den größten Wählerzuwachs und konnten die sogenannte »blaue Wand« der Demokraten durchbrechen. Das Wahlkampfversprechen, neue Jobs in der einstigen Hochburg der US Schwerindustrie zu schaffen, haben die Hoffnungen vieler arbeitsloser Industrie- und Bergbauarbeiter genährt. Und tatsächlich gab es nach der Wahl einen kleinen Boom im Steinkohle Bergbau. Aber so richtig groß konnte die neue Regierung Kohle und Stahl nicht mehr machen. Das Sterben der Bergwerke geht unaufhaltsam weiter. Dass die Versprechen im Hinblick auf die aktuelle Klimakrise unvereinbar mit der Notwendigkeit sind, den CO‑2 Ausstoß weltweit drastisch zu senken und stärker auf regenerative Energiequellen zu setzen, steht auf einem anderen Blatt.
Du, liebes Pittsburgh, bist jedenfalls ein hervorragender Beweis dafür, dass Veränderung und Fortschritt anders aussehen können. Du hast dich nach dem Zusammenbruch der Stahlindustrie neu erfunden und in andere Richtungen entwickelt. Tech Firmen wie Google, Intel oder Uber haben in dich investiert und neue Perspektiven für deine Stadt mit ihren 300.000 Menschen eröffnet. Gleich vor unserem Hotel konnten wir jeden Morgen vom Frühstück aus ein Beispiel für deine Innovationsfreude beobachten: der Mitfahr-Dienst Uber testete selbstfahrende Autos auf deinen Straßen. Die vielen Brücken, Tunnel und Steigungen machen dich zu einem idealen Testgelände. Trotz erfolgreichem Strukturwandel, der aus einer stolzen Stahl-Stadt ein lebhaftes wirtschaftliches und kulturelles Zentrum gemacht hat, bist du deinen Wurzeln treu geblieben. Relikte deiner einst gefeierten Industrie und wunderschöne historische Gebäude stehen wie selbstverständlich in guter Nachbarschaft mit moderner Architektur. Zwei historische Zahnradbahnen sind Teil deines öffentlichen Nahverkehrssystems und krabbeln mit sehr viel Charme vergangener Zeiten langsam deinen Hausberg Mt. Washington hinauf. Du bist eine Fußgängerstadt. Drei Flüsse teilen dein Stadtgebiet, deine 440 Brücken (ein Großteil aus Stahl versteht sich) verbinden deine vielfältigen Stadtteile und Bewohner miteinander. Wir sahen den Manager im Anzug genauso über deine Brücken eilen, wie die Mutter mit Kinderwagen.
Möchte man sich wie wir von deiner Kunstszene beeindrucken lassen, wandert man von Downtown über die Andy Warhol Bridge (Nomen est Omen) hinüber zum North Shore. Heimat des Museums »The Warhol«. Der Popart Künstler wurde 1928 in deinem Schoß geboren. Du hast ihn aufwachsen sehen, bis er nach dem Abschluss seines Kunststudiums 1949 nach New York zog. Seine bekannten Werke werden in vielen Museen für Moderne Kunst gezeigt. Das Besondere am »The Warhol«, dem größten Museum der USA, das einem einzigen Künstler gewidmet ist, sind seine frühen Arbeiten und die vielen Fotographien und persönlichen Dokumente und Gegenstände, anhand derer sein Leben und seine künstlerische Laufbahn nachgezeichnet wird. Auf sieben Etagen sind in einem alten industriellen Lagerhaus 900 Gemälde, fast 2000 Arbeiten auf Papier, über 1000 Drucke, 4000 Fotografien sowie Film- und Videomaterial ausgestellt. Im Untergeschoss befindet sich die »Factory«, hier können Besucher eigene Siebdrucke à la Warhol anfertigen. Ein toller kreativer Abschluss einer Reise durch das Leben eines besonderen Künstlers und Sohn deiner Stadt.
Ein paar Blöcke weiter schließt sich das historische Viertel »Mexican War Streets« an. Hier säumen teils wunderschön restaurierte, viktorianische Reihenhäuser, Gemeinschaftsgärten und Baumalleen die Straßen. Die Nachbarschaft ist ein Schmelztiegel vieler Nationalitäten. Schilder wie »Hate has no home here«, »Black lives matter« und »One human family. We support refugees and our muslims neighbors« weisen darauf hin, dass jeder willkommen ist. »Das hier ist eine liberale Insel«, erzählt mir einer deiner Bewohner im Neighborhood Café »Common Coffee« und fragt mich, wo wir herkämen. »Ah, Ann Arbor, Michigan … another island«. Er erzählt mir von deinem fantastischen Programm »City of Asylum«, das verfolgten Autoren ein neues Zuhause gibt, damit sie in Frieden arbeiten können. Einen Steinwurf entfernt vom Café liegt die »Writers Lane«, dort leben einige der betroffenen Schriftsteller. Der Chinese Huang Xiang feierte seine neue Freiheit, ohne Angst vor Repressalien schreiben zu können, mit dem »House Poem«. Er schrieb Auszüge aus seinen Gedichten in Kalligraphie an die Fassade des Hauses, in dem er einige Jahre lebte.
Dankbar für die Stärkung mit Coffein und Cookies wollen wir weiter. Dein Nachbar bedankt sich noch bei uns, dass wir den Weg in sein Viertel gefunden haben. Ich liebe solche spontanen Begegnungen mit Einheimischen, die über ein »how are you doing« hinaus gehen. Nächster Stop ist ein Museum, das alles andere als ein typisches Museum ist. Die »Mattress Factory« (genau, im Hauptgebäude wurden einst Matratzen produziert) ist ein Experimentierfeld, das ungewöhnliche Installationen zeigt, die Künstler aus aller Welt vor Ort für die vorhandenen Räume des aus mehreren Häusern bestehenden Museums geschaffen haben.
Die japanische Künstlerin Yayoi Kusama hat zwei fantastische Räume für die Mattress Factory geschaffen, u.a. »Repetitive Vision«.
Teil von Rita Duffy’s »Souvenir Shop«
»Palestinian« von Mohammed Mussalam
Auf dem Weg zurück in dein Downtown kommen wir noch an »Randyland« vorbei. Der lokale Künstler Randy Gilson hat ein abbruchreifes Haus in eine bunte Outdoor-Galerie transformiert. Der Innenhof von »Randyland« ist vollgestopft mit Spiegeln, angemalten Puppenköpfen, tibetanischen Gebetsfahnen, Plastikflamingos, Vogelkäfigen, bunte Papageien, Schildern und Stühlen und unzähligen Pflanzen, alles liebevoll arrangiert. Randy nennt es sein »house of junk und joy«. Auch er heißt jeden willkommen. Seine Mission: Glück, Freude und positive Energie verbreiten. »It’s all about what’s in your heart« sein Credo. Typ wie du.
Nein, liebes Pittsburgh, wir haben noch nicht genug von der Kunst. Auf deinem Market Square werden wir zufällig selbst Teil einer Kunstaktion. »Write a postcard to the President«, so der Titel der »Mitmach-Aktion« der Künstlerin Sheryl Oring. Bitte zum Diktat. Hier sitzen Frauen im Look einer 60er Jahre Sekretärin vor altmodischen Schreibmaschinen. Symbolik für die rückwärts gewandten Aktivitäten der aktuellen Regierung. Die von den freundlichen Damen getippten Postkarten werden mit der Adresse »Weißes Haus, Washington D.C.« versehen und abgeschickt. Du gibst Raum für politischen Dialog als Kunstform. Das gilt auch für die »Conflict Kitchen«, ein Restaurant, das ausschließlich Gerichte aus Nationen serviert, mit denen sich dein Land im Konflikt befindet. Seit Beginn des Projektes wurden hier schon Köstlichkeiten aus Nordkorea, Kuba, Venezuela, dem Iran, Afghanistan und Palästina serviert. Die Idee der Macher dahinter: Menschen aus verschiedenen Kulturen und Lebensumständen über das Essen zu einem Dialog zusammen zu bringen. Standort der Conflict Kitchen ist dein Universitätsviertel Oakland, Sitz der University of Pittsburgh. Von hier aus hat man einen fantastischen Blick auf das massive Hauptgebäude der Uni, die »Cathedral of Learning«. Auch hier geben Weltoffenheit, Toleranz und Vielfalt den Ton an. Die über deine Stadtgrenzen hinaus bekannten »Nationality Classrooms« wurden länderspezifisch sorgfältig gestaltet und eingerichtet. Eine schöne Idee, die unterschiedlichen ethnischen Gruppen, die zu deiner Entwicklung beigetragen haben, zu würdigen.
Am letzten Tag möchte ich aber doch noch wissen, wo deine alten Zechen und Kokereien geblieben sind. Die Suche nach Relikten aus einer anderen Zeit führt uns ein wenig außerhalb, in deinen Osten. Hier erhebt sich oberhalb des Monongahela River der »Carrie Furnace«. Hochofen 6 und 7 sind die letzten Zeugen der »Homestead Steel Works«, dem einstigen Flaggschiff der amerikanischen Stahlindustrie. Die Anlage zählt zu den wenigen Überresten des stahlproduzierenden Amerikas. Es ist die einzige stillgelegte Hochofen-Anlage, die dir geblieben ist. 1907 gebaut produzierte sie bis 1978 Stahl.
Ja, ich weiß. Du bist auch eine große Sport-Stadt. Aber ich muss ja irgendwann mal einen Punkt machen. Ich komme bestimmt mal wieder. Jetzt verabschiede ich mich von dir und deinem coolen Charme, dem ich schnell erlegen war. (Liebes Detroit, bitte sei jetzt nicht eifersüchtig ;-))
Der ehemalige Coach deiner Eishockey-Mannschaft »Pittsburgh Penguins«, Bob Johnson, hat den Slogan »It’s a great day for hockey« geprägt. Every day is a great day in the Burgh! In diesem Sinne: See you, liebes Pittsburgh!
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Liebe Frau Sanne, das freut mich sehr!! Vielen Dank für die Blumen. Wie so oft – die spannendsten Orte entdeckt man dort, wo man sie gar nicht erwartet. Pittsburgh ist so ein hidden gem. So long … Britta
Fantastisch geschrieben! Spannend und faszinierend zugleich scheint dieses Pittsburgh zu sein.
Bitte noch mehr Geschichten.
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