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T: Von unten sieht er gar nicht so hoch aus. Der Mount Cameroun ähnelt eher einem großen Hügel – finde ich, als ich vom Rand der Stadt Buea auf die dunstigen, regenwalddichten Hänge blicke. Anfängerfehler, korrigiert mich mein Reisepartner und bester Freund Michel, der vor zehn Jahren schon einmal hier war: »Du siehst gerade mal den unteren Teil. Krater und Gipfel liegen in den Wolken.« Ich zucke die Achseln. Ein Berg eben, höher als zu sehen, aber immer noch ein Berg. Ein Vulkan, um genau zu sein – aber auch den kann man hochsteigen. Ein Fuß vor den anderen.
Morgens, früh um kurz vor sechs, holen uns unsere Guides Eco und Leo ab und bringen uns zum Fuß des Mount Camerouns. Auf- und Abstieg in zwei Tagen, eine Übernachtung auf 3000 Metern, unterhalb des Gipfels, »Mountain Lodge«, Abendessen inklusive. Klingt machbar, einigermaßen komfortabel, trotzdem noch Abenteuer: Kamerun ist kein klassisches Urlaubsland. Zum größten Berg des Landes schaffen es deshalb nur rund 1000 Touristen pro Jahr. Wir sind drei davon: Zwei Freunde, Chris, Michel – und ich.
Wir starten in der Nähe des Bismarckbrunnens und des deutschen Friedhofs, auf dem die Gebeine lang verstorbener Kolonialherren liegen. Von 1884 bis 1919 war Kamerun deutsches Protektorat. Genug Zeit, um einigen Schaden anzurichten; nicht genug Zeit, um das deutsche Ansehen komplett zu verspielen. Die erste kleine Etappe führt an einem Gefängnis vorbei, die Insassen arbeiten schon jetzt auf den Feldern, weil es morgens noch kühler ist. Sie winken, als sie uns bemerken: Woher wir seien? »Allemagne, Allemagne – j’aime Allemagne«, ruft einer, eine alte Hacke in der Hand. Wachpersonal sehen wir nicht, unsere Guides erklären: Sobald ein Insasse flieht, bekommt er so viele Jahre obendrauf gebrummt, dass er sich seinen Plan besser fünfmal überlegt.
Steil und steiler, heiß und heißer, Bananenstauden, prall aufgehende Sonne: Ich schwitze. Wir haben gerade den Regenwald erreicht und mir kommen erste Zweifel: Bergsteigen in den Alpen bin ich gewöhnt. Bergsteigen in den Tropen zehrt den ganzen Körper aus. Meine Muskeln scheinen mir träger, meine Füße bremsen mehr als zu gehen, ständig brauche ich Wasser. Leo, unser Träger, reicht es klaglos – er ist in Badelatschen unterwegs und schleppt fünfzehn Kilogramm Verpflegung in einem improvisierten Rucksack aus zusammengenähten Reissäcken. Michel, Chris und ich reden schon länger kaum noch miteinander. Wir brauchen unseren Atem für den Aufstieg, die Luft ist feucht und zum Schneiden dick. Die Kraft, die ich noch habe, investiere ich in gelegentliche Flüche, die unsere Träger zum Glück nicht verstehen. Michel und Chris schon. Die beiden, sonst nie um einen Spruch verlegen, machen jetzt lieber sparsame Witze.
M: Dann schimmern hangaufwärts zwei Hütten durch das Blätterdickicht. Wir rasten. Um und über uns summt der Busch vor Insekten, Bergwasser rinnt aus einer Quelle. Unsere Guides trinken, uns halten sie lieber einmal mehr die mitgetragenen Wasserflaschen hin. Nicht, dass noch ein Europäer krank wird, die Wasserqualität Kameruns kann auf den Magen schlagen. Wir müssen sowieso bald flüchten: Bienen haben uns gerochen und sind begeistert von unserem salzigen Schweiß. Nach wenigen Minuten schwirren Hunderte um uns herum und versuchen zu landen: auf Kopf, Armen, Beinen. Selbst die verschwitzten Rückenpolster unserer Rucksäcke werden von Dutzenden aufgeregter Insekten abgeleckt.
Etwa eine Stunde später endet der Regenwald schlagartig. Statt Baumriesen gibt es nur noch Gräser. Jetzt liegt der immergrüne Garten hinter uns, den der Berggott Ebassa Moto der Legende zufolge aus Trauer schuf: Die Meeresgöttin Nalowa hatte sich von ihm getrennt und war in den Ozean zurückgekehrt. So erzählt es sich der Stamm der Bakweri, der am Fuß des Mount Cameroun lebt. Die Bakweri sagen auch: Jeder darf den Wald betreten – solange er nur Früchte nimmt. Verstößt jemand gegen diese Regel, lässt Ebassa Moto vor Wut den Berg erzittern und ihn Feuer spucken.
T: Was mir bis jetzt anstrengend vorgekommen ist, wünsche ich mir nun zurück. Über der Baumgrenze sehe ich nur endlose, steile Steppe, dünnes Gras auf Lavagestein, das unter jedem Schritt wegzubrechen droht. Ich stemme die Hände in die Hüften, blicke nach oben, dort, wo die Wolken alles verwischen und denke: Scheiße. Das schaffe ich nie. Alle einhundert Höhenmeter müssen wir jetzt pausieren, meine Waden fühlen sich an wie einbetoniert, Michel hat das Witzereißen endgültig aufgegeben. Ich weiß, dass ich den Aufstieg genießen sollte: die Natur, die Landschaft, die von weither posaunenden Bergelefanten. Ich kann nicht. Stattdessen fluche ich noch mehr, auf diesen schrecklichen Berg, auf meine dünnen, widerspenstigen Waden, auf Michel, der mich hierher geschleppt hat. Er erträgt es schweigend.
Endlich: Die Hütte, in der wir übernachten werden. Auf knapp 3000 Metern liegt die »Mountain Lodge«, ein paar Blockhütten, finanziert von der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit. Zum Abendessen schlinge ich ein halbes Kilo Spaghetti mit undefinierbarer Soße hinunter, bevor ich mit Chris und Michel in unsere Herberge wanke: zwei saubere Betten mit sehr dünnen, grauen Wolldecken. Nachts wird es kalt hier oben, also legen wir uns in unseren Kleidern zum Schlafen, ziehen sogar die Anoraks an. Durch den Spalt unter der Tür kommt der Wind schon nicht durch, denke ich. Licht aus. Ruhe. Michel hat zwar Bedenken – vielleicht krabbelt irgendetwas untendurch, aber die ich kaum. Ich bin schon fast eingeschlafen.
Husch. Husch. Getrappel, etwas Pelziges, plötzlich: ein kleiner, runder Körper, direkt auf meinem Gesicht. Ah! Ich schreie. Etwas Pelziges, ein kleiner, runder Körper, direkt auf meinem Gesicht. Ah! Ich schreie. Licht, der ganze Boden bewegt sich: überall kleine, fast schwarze Mäuse. Unter dem Bett, auf dem Bett, zwischen unseren Rucksäcken. Chris wirft eine Wasserflasche, erwischt einen der pelzigen Eindringlinge. Es knirscht, die Maus quiekt empört und schießt unterm Türspalt hinaus. Der Rest der Sippe ist geblieben, er denkt gar nicht daran, die Hütte zu räumen. Piepsend suchen sie nach Essbarem. Es dauert fast eine halbe Stunde, bis wir alle Nager hinausgetrieben haben: in die windige, schwarze, kalte Nacht des Mount Cameroun.
Nur: Wie bleiben sie wirklich draußen? Mit einem Stück Wellblech verschließt Chris schließlich den Spalt unter der Tür. Die Barriere wirkt, auch wenn wir die Mäuse kratzen und nagen hören. Eine mausfreie, kalte, kurze Nacht steht an, bevor es noch einmal über 1000 Höhenmeter nach oben geht. Am nächsten Morgen soll es noch einmal über 1000 Höhenmeter nach oben gehen. Ich weiß, dass ich es nicht schaffen werde – am selben Tag müsste ich noch 3000 Höhenmeter absteigen. Wollen die Jungs ohne mich zum Gipfel? Sie wollen. Ich kann sie verstehen – vor allem Michel. Er war vor zehn Jahren schon einmal hier und hat damals kapituliert – genau wie ich jetzt. Für ihn gilt es. Aber bei mir geht es einfach nicht. Ich werde schon absteigen, während Michel und Chris sich zum Gipfel kämpfen.
M: Um fünf Uhr morgens beginnt der nächste Tag. Während Tatjana in der Hütte bleibt und schläft, stolpern wir mit unserem Guide Eco los: Es ist stockfinster und wir haben die Taschenlampen vergessen. Trotzdem spurtet Eco den Berg hinauf, während mir schon nach hundert Höhenmetern die dünne Luft ausgeht. Japsend sitze ich am Wegesrand. Meine Flachlandherkunft macht sich bemerkbar. In meiner Heimat Mecklenburg ist die höchste Erhebung 179 Meter hoch. Wir nennen das dort Berg.
Wenig später ist Eco über uns an der Bergflanke verschwunden, während wir uns gemächlicher an Grasbüscheln den Berg hinaufziehen. Weil alle paar Dutzend Höhenmeter ein weiß getünchter Stein den Weg markiert, kommen wir auch allein zurecht. Als die Sonne in unserem Rücken schon aufgegangen ist, finden wir Eco wieder: Er sitzt vor einer verbeulten Blechhütte am Hang und hört Musik über Bose-Kopfhörer. Um Kopf und Gesicht hat er ein fleckig-beiges Hemd gewickelt, ähnlich einem Turban. »Gegen den Wind«, sagt er knapp, steht auf und stapft davon – bevor zu viele Worte und Luft vergeudet werden.
Es ist kalt und nass geworden. Drei Grad sind es vielleicht, wir haben das Gipfelplateau erreicht. Vor uns schlängelt sich der Weg durch feinen, schwarzen Schotter und erkaltete Lava. Kleine Flechten klammern sich an Lavabrocken und lassen sie aussehen, als hätten sie weiße, feuchte Bärte, die im Wind flattern.
Wütend zerrt der Wind auch an uns. Jetzt, wo uns die Bergflanke nicht mehr schützt, jagt er über das Plateau und reißt Nebelfetzen mit sich. Schon nach wenigen Metern ist alles nur noch weiße, helle Wolkenwand, jeder Atemzug lässt sich trinken. Wind, Wasser und Schotter, fein, als ginge man durch Dünen. Wie die Ostseeküste an einem stürmischen Tag, schießt es mir durch den Kopf.
Zweimal ist der Mount Cameroun in den vergangenen zwanzig Jahren ausgebrochen und spuckte glühendes Gestein. Jetzt herrscht Ruhe, unter unseren Füßen knirscht nur der Basalt. Doch davon höre ich nichts. Nur das Brüllen des Windes erfüllt meine Ohren. Sprechen ist nicht mehr möglich.
Stunde um Stunde marschieren wir durch schwarze Strände und Dünen. Und dann, endlich, ragt er plötzlich vor uns auf: ein kleiner Brocken, der sich aus der Schotterwüste erhebt, nur ein Dutzend Meter hoch. Der Gipfel, 4095 Meter hoch. Als ich nach oben klettere, liegt das weiße Wolkenmeer unter uns. Nichts ist mehr zu sehen. Keine schwarzen Geröllstrände, kein Regenwald am Fuß des Berges, kein Golf von Guinea im Süden. Nur sonnenerleuchteter Nebel, der uns verschluckt.
T: Ob Michel und Chris schon auf dem Gipfel sind? Ich wünsche es ihnen. Was ich ihnen weniger wünsche, ist der Abstieg. Lavagestein ist schon beim Aufstieg kein Genuss, den Abstieg macht es zur Hölle. Ich rutsche mehr als ich gehe, mehrmals fängt mich Leo auf. Kaum zu glauben, dass es einmal im Jahr das »Mount Cameroun Mountain Race of Hope« stattfindet: Professionelle Bergläufer laufen dabei den heiligen Berg so schnell wie möglich hoch – um dann im Eilschritt wieder hinuterzusprinten. Die besten Männer schaffen es in knapp viereinhalb Stunden, die besten Frauen in fünfeinhalb. Leo tröstet mich: Auch er sei nicht so schnell. Sechseinhalb Stunden brauche er von Buea bis zum Gipfel und zurück.
Wieder im Regenwald sehe ich, wofür ich beim Aufstieg kaum Augen hatte: Ein großes, giftgrünes Chamäleon kreuzt unseren Weg. Leo fängt es für mich, damit ich die glatten, samtenen Schuppen streicheln kann. Affen kreischen über uns und hangeln sich in dreißig Meter Höhe durch die Äste. Leo schlägt vor, mitten im Dschungel zu rasten. Ich nicke, schlafe ein, müde, ausgezehrt. Eine dreiviertel Stunde später klopft mir Michel auf die Schulter, Eco und Chris im Rücken. Er strahlt. Abenteuer Mount Cameroun: bestanden.
Zurück in Buea gibt es nur einen Gedanken: Essen. Auf unseren zerschundenen Füßen tippeln wir zu »Poulet Paul«, der so heißt, weil er die besten gegrillten Hähnchen am Platz macht. Als das Fleisch vom Grill kommt, sehe zumindest ich zeitweise aus wie ein Kannibale, der sein erstes Opfer verschlingt. Besteck überflüssig, Michel und Chris lachen. Wir sehen noch einmal hoch, zum Mount Cameroun, dem heiligen Berg, dem Mäuseberg, schon wieder in den Wolken. Michel muss nicht fragen, was ich denke. »Beim nächsten Mal«, sagt er.
Geschichte
Der Mount Cameroun liegt an der Atlantikküste Kameruns in Zentralafrika, nahe der Grenze zu Nigeria. Mit 4095 Metern Höhe ist der aktive Vulkan der höchste Berg des Landes, auf dem afrikanischen Kontinent rangiert er auf Platz 34. Er ist außerdem der wohl älteste aktive Vulkan weltweit. Erstmals erwähnt wurde er von dem karthagischen Seefahrer Hanno um 470 vor Christus: Er beschreibt ihn als feuerspeienden Berg, der den Nachthimmel erleuchtete und Lavaströme ins Meer fließen ließ. Obwohl der Mount Cameroun in den vergangenen einhundert Jahren sieben Mal ausbrach, besuchen ihn heute 1.000 bis 2.000 Touristen pro Jahr.
Hinkommen
Die nächstgelegenen Städte sind Limbe und Buea, die im 19. Jahrhundert von deutschen Truppen okkupiert wurden. Heute sind sie wichtige Wirtschaftszentren im englischsprachigen Teil Kameruns. Man erreicht sie am besten mit einem gecharterten Fahrer aus der Hafenstadt Douala (Fahrtzeit ca. 1,5 Stunden). Aufgrund von politischen Spannungen zwischen der englischsprachigen Minderheit und der frankophonen Zentralregierung kam es in den vergangenen Monaten allerdings zu gewaltsamen Militäreinsätzen in der Gegend um den Mount Cameroun. Das Auswärtige Amt hat daher eine Teilreisewarnung für die anglophonen Regionen herausgegeben: www.auswaertiges-amt.de
Aufstieg
Der Mount Cameroun liegt im gleichnamigen Nationalpark – wer ihn besteigen will, muss sich Führer und Träger über eine der ortsansässigen Agenturen buchen. Den Kontakt bekommt man leicht in jedem Hotel Bueas. Pro Person liegen die Kosten dafür bei etwa 60.000 CFA (Zentralafrikanische Francs), umgerechnet 90 Euro. Der Mount Cameroun ist nicht während der Regenzeit zugänglich; die ideale Reise- und Wanderzeit erstreckt sich von Anfang September bis Ende April. Ab Buea werden verschiedene Touren angeboten, die zwischen einem und drei Tagen dauern.
Antworten
Ich war im April 2019 auf dem Berg und kann das alles bestätigen…
Nur wird man beim Aufstieg nie einen »Waldelefanten tröten« hören da diese erst 2h Fußmarsch hinter der Gustav Mann Quelle anzutreffen sind und somit am anderen Ende des Berges…
Und die Geschichte mit den kreischenden Affen ist wohl auch sehr sehr ausgeschmückt (so wie die mit den Mäusen)…
Trotzdem ein wundervoller BergWir wollten im Januar den Berg besteigen, allerdings warnte uns schon ein Lamido vor aktuellen Unruhen im Gebiet. Schließlich war die gesamte Region für Touristen gesperrt. – Eure treffende Beschreibung macht aber Lust auf einen neuen Anlauf;-) Jens & Heidi
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