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Wir stechen in See. Der beißende Wind fegt mir um die Ohren und jagt mich hinein in den Bauch des Schiffes, wo es warm und gemütlich ist. Die Gesichter einiger Passagiere sind grünlich gefärbt. Der Seegang ist beachtlich. Wir befinden uns auf dem Europäischen Nordmeer, eine Verbindung zwischen dem Nordatlantik und dem Arktischen Ozean.
Nach vier Stunden nähern wir uns einer Felswand, die steil aus dem Vestfjord ragt. Die Lofotveggen oder auch Lofotenwand genannt, ist eine Inselkette oberhalb des Polarkreises. Genauer gesagt 68 Grad Nord: Dort wo die Nordlichter die Nacht in ein Spektakel aus elektrischen Farben verwandelt und die Mitternachtssonne die Landschaft in endloses Licht eintaucht.
Am Hafen von Moskenes holt mich ein Mitarbeiter des Hotels ab, in dem ich diesen Sommer arbeite. Die Straße windet sich eng am Berg und bietet eine gute Sicht auf die dramatische Landschaft. Uralte Bergmassive, die wie Trolle aus dem Meer ragen und kleine Fischerdörfer, die dicht beieinander gedrängt um den wenigen Platz kämpfen, der einen Hausbau ermöglicht.
Nach der nächsten Kurve tauchen wir in eine surreale Landschaft ein. Bunte Holzhäuser drängen sich auf vorgelagerten Inseln, die mit Brücken zum Festland verbunden sind. Ein pyramidenförmiger Berg bestimmt die Szenerie. Dazu baumeln Tausende, wenn nicht Millionen toter Fische im Wind. Die Köpfe von den Körpern getrennt, hängen sie an Holzgerüsten, Balkonen und Wäscheständern.
Es ist der Nordatlantikstrom der das Leben auf den Lofoten ermöglicht. Durch ihn ist die Temperatur 10 Grad über dem Durchschnitt im Verhältnis zu anderen Orten auf diesem Breitengrad. Was da tot im Wind baumelt, ist der getrocknete Kabeljau, auch Tørrfisk (Dörrfisch) genannt. Zwischen Februar und April schwimmen die Fische von der Barentssee zu ihren Laichgründen in der Nähe der Lofoten. Eine Wassertemperatur von 4 Grad und die tiefen Fjorde bereiten die idealen Voraussetzungen.
Die Luft ist durchtränkt von dem Gestank der verwesenden Fische. Ich stiefel unter den Holzgerüsten, den sogenannten hjell, durch den Matsch. Die toten Fischköpfe über mir. In meiner Fantasie versetzte ich mich in die Zeit der Wikinger, die hier vor fast 1000 Jahren dem gleichen Geruch ausgesetzt waren. Schon damals war der getrocknete Fisch ein wichtiges Exportgut.
Im frühen 12. Jahrhundert hat König Eystein den Wert dieses Exportgutes erkannt und das Dorf Kabelvåg gegründet. Es liegt südwestlich von Svolvær auf der Insel Austvågøya. Dort ließ er die ersten Rorbu bauen, die heute als Airbnb an Touristen vermietet werden. Rorbu, das ist eine kleine Fischerhütte, die halb auf Stelzen im Meer gebaut, das Ein- und Ausladen der Ware von den Fischerbooten ermöglicht.
Der Fisch wird immer noch auf die gleiche traditionelle Weise getrocknet wie in der Wikingerzeit. Erst wird er ausgenommen und gereinigt. Danach wird der Kopf vom Körper getrennt. Immer zwei Fische werden am Schwanz zusammengebunden und über die Holzgerüste gehängt, die Köpfe separat gebündelt. So baumeln sie ungefähr drei Monate in der salzhaltigen Luft, werden vom Wind getrocknet und von der Kälte konserviert. Die idealen Bedingungen zur Herstellung dieser Spezialität gibt es nur auf den Lofoten. Hier gibt es den weltweit besten Trockenfisch.
Inzwischen ist der Schnee geschmolzen, die Mitternachtsonne hat sich ihren Platz oberhalb des Horizonts erkämpft und ich gleite mit meinem Kajak durch die tiefen Fjorde. Mit mir die Touristen, die staunend vom Wasser aus die Landschaft bewundern und sich angeekelt vom Fischgeruch die Nase zuhalten. „Das Gold des Nordens“, erkläre ich grinsend und berichte über die Geschichte der Lofoten.
Zur Sommersonnenwende entfachen wir das traditionelle Feuer. Die Gäste versammeln sich, spielen auf der Gitarre und singen. Meine Chefin widmet sich der Zubereitung des Trockenfisches und holt einen Hammer. Sie legt den Fischkörper auf einen Stein und hämmert darauf herum. Die Gäste staunen und bersten in ein lauthalses Lachen. „So wird er weich“, erklärt sie und bietet den Gästen eine Kostprobe.
Endlich ist es soweit. Ende Juni kommen die polnischen Hilfsarbeiter und schneiden die Trockenfische von den Holzgerüsten. Mit dem Traktor werden die Waren nun zu den verschiedenen Lagerhallen gefahren und für einige Monate zum Reifen gelagert. Wie bei einem Wein hat jedes Jahr seine eigene Qualität und sein eigenes Aroma. Es gibt bis zu 20 verschiedene Einstufungen für den Fisch, der von Expertenhand sortiert wird. Einige der Trockenfische finden demnach ihren Weg nach Portugal, andere nach Italien und wiederum andere machen sich auf den Weg nach Nigeria.
Am Ende erinnern nur noch die nackten Holzverschläge und der ein oder andere Fischkopf an die tausend Jahre alte Tradition, die das Leben auf den Lofoten ermöglicht. Bis sich die nächste Generation Kabeljau auf den Weg nach Norwegen macht, um kopflos im Wind zu baumeln.
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