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Holprig ist die Jeep-Fahrt vom Busbahnhof zur Unterkunft, ich muss mich festhalten, um auf der Rückbank nicht hin- und hergeschleudert zu werden. So sehe ich sie nur flüchtig aus den Augenwinkeln – Männer, die in der Ferne Wasserbüffel über die hellbraune Erde treiben und Frauen, die am Rand der unbefestigten Straße gekonnt Körbe auf ihren Köpfen balancieren. Hinter mir liegen sechs Stunden Busfahrt von Kathmandu nach Sauhara im Süden von Nepal. Von Stunde zu Stunde ragten immer weniger Gipfel am Horizont empor, wurden die grünen Hügel entlang der Strecke immer flacher, bis sich schließlich nur noch ebenes Grasland und dichter Dschungel abwechselten.
Community Homestay: Zeit mit den Locals verbringen
Der Jeep hält. Zu meiner Linken liegt ein Fluss, der nicht viel Wasser führt. Zu meiner Rechten geht es geradewegs hinein in eine kleine Oase. „Welcome to Tharu Community Homestay“ steht auf einem Schild am Eingang, an ihm vorbei schlängelt sich ein Weg in einen Garten.
Ich bin angekommen.
Zum einen in Chitwan. Nepals Distrikt an der Grenze zu Indien beherbergt einen der Touristenmagneten des Landes: den Chitwan Nationalpark. Mehr als 700 Tierarten gibt es hier, darunter Tiger, Leoparden, Nashörner, Krokodile und Elefanten. Jeden Tag brechen Touristen aus den Hotels und Lodges an den Rändern des Parks zu Jeep-Safaris, Jungle Walks und Kanufahrten auf.
Zum anderen im „Tharu Community Homestay“. Homestays gibt es mittlerweile fast überall in Nepal, vor allem in ländlichen Gebieten. Das „Tharu Community Homestay“ zählt zu einem Netzwerk, dem mittlerweile zwölf Unterkünfte dieser Art in verschiedenen Landesteilen Nepals angehören.
Das Prinzip: Reisende übernachten inmitten einer nepalesischen Gemeinschaft, meist sogar in Privathäusern, und werden eingebunden in Alltagsaktivitäten, die die Familien vor Ort selbst gestalten. Nicht nur lernen Touristen so das einheimische Leben kennen, sie unterstützen auch die jeweilige Gemeinde. Vor allem die einheimischen Frauen profitieren: Sie übernehmen verschiedene Aufgaben im Community Homestay, von der Gästebetreuung bis zur Organisation, und erwirtschaften so ein eigenes Einkommen, das in vielen Fällen das ihrer Männer übersteigt. Noch dazu fließt ein Teil des Geldes in die Kommune, etwa in den Bau von Schulen.
Meine Gastgeber sind Angehörige der Tharu. Die Tharu nennen sich selbst „Menschen des Waldes“, sie bewohnen die Tiefebene um den Chitwan Nationalpark herum schon seit vielen Jahrhunderten und haben ihre eigene Kultur im Einklang mit der Natur entwickelt. Sie leben hauptsächlich von der Landwirtschaft und bauen ihre Häuser traditionell aus Riedgras, Bambus, Schlamm und Kuhdung.
Auch die Hütte, in der ich die kommenden zwei Nächte verbringe, wurde traditionell gebaut. Sie befindet sich – das ist hier anders als in anderen Community Homestays – auf einem kleinen Gelände mit insgesamt sechs Hütten etwas abseits der Einheimischen. Der Raum ist schlicht, aber mit allem ausgestattet, was man braucht: Bett, Nachttisch, Kleiderstange, Ventilator. Wie in allen Community Homestays gibt es im Badezimmer eine Dusche mit Warmwasser und eine Westtoilette.
Ich beziehe meine Hütte und trete wieder hinaus in den Garten. Zum ersten Mal fällt mir das weiße Kaninchen auf, das hier zwischen Hängematten und Blumenkübeln umherhoppelt.
Im Speisesaal, dem Herzstück der Anlage, hängt ein Foto der Tharu-Frauen, die am Community Homestay beteiligt sind. Als ich mich an einen der Tische setze, begrüßt mich zu meiner Überraschung jedoch ein Mann namens Fulendra. Er ist hier für die Programmplanung zuständig und stellt mir die Unternehmungen für heute (Dorfspaziergang und Kochen mit einer Tharu-Familie) und morgen (Kanufahrt, Jungle Walk und Safari im Chitwan Nationalpark) vor. Und schließlich bringt er Licht ins Dunkel: „Doch, doch, die Frauen haben hier durchaus das Sagen! Sie stimmen im Gemeinderat über alles ab, was das Community Homestay betrifft, und laden die Gäste abwechselnd in ihre Häuser ein. Hier auf dem Gelände arbeiten sie nur deshalb nicht, weil sie kein Englisch sprechen. Das wird sich aber ändern. Demnächst soll es nämlich auch Englischkurse für sie geben“, erklärt Fulendra, der selbst kein Tharu ist und gleichzeitig als Ranger und Guide arbeitet. „Du lernst sie gleich kennen, wenn wir ins Dorf gehen.“
Das Dorf der Tharu am Rande des Chitwan Nationalparks
Das Tharu-Dorf ist in wenigen Minuten zu Fuß erreichbar und ein wundervoll friedlicher Ort. Am späten Nachmittag, als die Sonne langsam untergeht, machen wir uns auf den Weg, vorbei an Reis- und Senffeldern, von denen hier und da Ziegen zu uns herübermeckern, vorbei an riesigen glockenförmigen Heuballen, bis wir schließlich auf eine kleine Straße kommen, in der mehrere der sandfarbenen Häuser aus Naturmaterialien stehen.
Mich fasziniert, wie eng und selbstverständlich Mensch und Tier hier zusammenleben. Ab und zu biegt jemand mit ein paar Rindern um die Ecke, am Straßenrand krähen Hähne.
Fulendra führt mich auf einige Höfe und begrüßt die Bewohner, ohne viel Aufhebens um mich zu machen. Die Tharu sind es gewöhnt, dass Reisende durch ihr Dorf spazieren. Eine Befürchtung bewahrheitet sich glücklicherweise nicht: Dass ich mir wie ein Eindringling vorkomme. Zum einen bin ich an diesem Abend Mitte November, mit Ausnahme eines älteren Österreichers, sowohl im Homestay als auch im Dorf offenbar die einzige Touristin.
Es ist „Tihar“ und die Tharu in Chitwan feiern
Zum anderen habe ich nicht das Gefühl, dass die Dorfbewohner meinetwegen irgendetwas anders machen als sonst. Gerade sind sie ohnehin schwer beschäftigt. Heute ist der dritte „Tihar“-Tag. „Tihar“, das ist das „Festival der Lichter“, das in ganz Nepal gefeiert wird, und vor jedem Hauseingang spielt sich dieselbe Szene ab: Frauen, seltener auch Männer, hocken an der Erde und kreieren Rangolis. Diese Kunstwerke aus Mehl, farbigem Reis und Sand sollen Lakshmi, die Göttin des Wohlstands, in ihr Heim locken. Damit Lakshmi ihren Weg nicht verfehlt, malen einige zusätzlich kleine Pfeile oder Fußspuren auf den Boden bis zur Haustür. Eine Frau treibt ihren Mann zur Eile an: „Mach hin, uns läuft die Zeit davon!“, übersetzt Fulendra und lacht. Das Rangoli muss unbedingt fertig sein, bevor die Sonne untergeht.
Bei einer anderen Familie bin ich heute Abend zum gemeinsamen Kochen eingeladen. Als Fulendra und ich bei ihnen ankommen, ermuntern mich die Kinder der Familie, bei ihrem Rangoli mitzuhelfen.
Mehr als zwanzig Familienmitglieder leben hier zusammen. Und sie sind in Feierlaune. Die Häuser sind mit blinkenden Lichterketten geschmückt, im Hintergrund dudelt Popmusik. Zwei Frauen bringen Holz zu einer Feuerstelle neben der Eingangstür, eine von ihnen nimmt mich an die Hand und führt mich zum Pumpbrunnen, wo ich mit ihr zusammen den Reis wasche, danach schneiden wir Kartoffeln und Tomaten. Leider reicht mein Nepalesisch nicht für ein Gespräch, sodass wir uns die meiste Zeit leicht verlegen anlächeln und ich es versäume, sie nach ihrem Namen zu fragen.
Es gibt Dal Bhat, das nepalesische Nationalgericht. Die Frauen stellen Fulendra und mir überdimensionale Portionen vor die Nase – und mir kurze Zeit später auch einen Beistelltisch, ein Kissen und Besteck. Ich bin offenbar nicht die erste westliche Touristin, die nicht gut im Schneidersitz sitzen kann. Zumindest das Kissen nehme ich dankend an und esse, wie es hier üblich ist, mit Fingern.
Nach dem Essen bedeutet mir Siya, die ich sofort von dem Foto im Speisesaal des Community Homestays wiedererkenne, ihr zu folgen. In ihrem Schlafzimmer legt sie mir die klassische schwarz-weiße Kleidung der Tharu-Frauen an. Routiniert steckt sie mir den weißen Stoff mit Sicherheitsnadeln fest, legt mir Schmuckreifen um Arme und Knöchel und hängt mir eine silberne Münzkette um den Hals, bevor sie selbst in die traditionelle Kleidung schlüpft. Kaum ist sie fertig, stoßen zwei weitere Frauen aus dem Dorf in der schwarz-weißen Tracht dazu. Nach einem gemeinsamen Schnappschuss fordern die drei mich gut gelaunt auf, allein in meinem Tharu-Outfit zu posieren.
Querfeldein laufen Fulendra und ich zu den Hütten zurück. Die Musik aus dem Dorf wird immer leiser, die Tihar-Lichter immer kleiner und irgendwann ist die Nacht um uns herum so schwarz, dass Fulendra mit einer Taschenlampe den Weg leuchten muss.
Das Bett in meiner Hütte ist hart, aber das macht nichts. Es herrscht fast vollkommene Stille, ich höre nichts als die Quietsch-Geräusche, die Eidechsen ab und an von sich geben, und schlafe sofort ein.
Offenlegung: Ich wurde im Rahmen meiner letzten Reise nach Nepal von dem Reiseveranstalter „Fairaway“ zu zwei Übernachtungen im Tharu Community Homestay eingeladen.
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