Das Leben ist ein Strand

Ich bin kein Strand­mensch. Man könn­te phy­si­sche Grün­de ver­mu­ten: hel­ler Haut­typ, kei­ne aus­de­fi­nier­ten Mus­keln. Eine benei­dens­wer­te Strand­fi­gur kos­tet wahn­sin­nig viel Zeit. Mein Kör­per ist eher dafür gebaut, zwölf Stun­den ohne Mühen zu mar­schie­ren, als in Bade­ho­se eine beein­dru­cken­de Figur zu machen. Mag ich des­halb die Ber­ge lie­ber? Viel­leicht. Ich glau­be vor allem, Freu­de ent­steht durch Akti­vi­tät. Im Gebir­ge muss man eine gute Wei­le lau­fen, um die erha­bens­ten Orte zu errei­chen. Der Strand dage­gen lädt dazu ein, sich sofort hin­zu­le­gen. Son­nen­schirm, Lie­ge, Hand­tuch. Deli­ri­um.

Die Bil­der pal­men­ge­säum­ter asia­ti­scher Strän­de haben in mir nie gro­ße Sehn­sucht aus­ge­löst. Wenn ande­re von Thai­land schwärm­ten, ließ mich das stets kalt. Strän­de fin­de ich irgend­wie kit­schig und platt. Das Kon­zept Strand­ur­laub erschien mir immer rät­sel­haft. Trotz­dem ging es eines lan­gen Win­ters auf eine Insel, die kaum mehr zu bie­ten hat als Son­ne, Pal­men und tol­le Strän­de – all dies aller­dings in voll­ende­ter Aus­füh­rung.

Pala­wan auf den Phil­ip­pi­nen wur­de 2014 von den Lesern der Zeit­schrift Con­dé Nast Tra­vel­ler zur schöns­ten Insel der Welt gekürt. Sol­che Ran­kings sind immer etwas zwei­fel­haft, doch das war natür­lich schon eine Ansa­ge. Pala­wan gilt als soge­nann­te Traum­in­sel, da lässt sich wenig dis­ku­tie­ren. Sehens­wür­dig­kei­ten von For­mat gibt es auf der Insel nicht. Man kann dem ein­hei­mi­schen Volk der Batak einen Besuch abstat­ten, mit einem Kajak durch einen Unter­was­ser­fluss pad­deln und tau­chen.

Pala­wans Ver­spre­chen ist die Idee vom beach life: Schla­fen in einer Holz­hüt­te, zum Mee­res­rau­schen erwa­chen, bar­fuß lau­fen, vom Tag nichts wol­len. Und in die­ser Ein­fach­heit der Din­ge zwi­schen wind­schie­fen Pal­men und bon­bon­far­be­nen Son­nen­un­ter­gän­gen stellt sich dann so etwas wie läs­si­ge Zufrie­den­heit ein. Ein Bekann­ter sprach außer­dem von einer »Pär­chen­in­sel«. Auch das leuch­tet ein: Pala­wan ist die per­fek­te Kulis­se für Roman­tik.

Der Schrift­stel­ler Leif Randt schrieb in einer Geschich­te über den Bon­di Beach, an son­ni­gen Orten sei­en posi­ti­ve Vibes wich­ti­ger als Inhal­te, und dass er das eigent­lich gut fin­de. Aber wahr­schein­lich beschreibt es mein Pro­blem mit dem Strand: Ich miss­traue sei­nem Glück­sim­pe­ra­tiv und der auf­ge­setz­ten posi­ti­vi­ty. Am Strand sind die Leu­te immer super gelaunt, weil sie ver­in­ner­licht haben, dass das am Strand so sein soll­te.

Trotz­dem flo­gen wir nach Pala­wan. Ich hat­te das Rei­se­ziel sogar vor­ge­schla­gen. Wir such­ten also das Strand­le­ben. Hier ist das Ergeb­nis:

BACUIT-ARCHIPEL

Begrün­te Karst­fel­sen, tür­kis­blau­es Was­ser: Das sind die iko­ni­schen Land­schafts­bil­der von Pala­wan, die auf Insta­gram beson­ders oft geteilt wer­den. Das tro­pi­sche Para­dies lässt sich im Bacuit-Archi­pel im Nor­den der Insel erstaun­lich ein­fach per orga­ni­sier­te Boots­tour errei­chen. Aus­gangs­punkt ist das eins­ti­ge Fischer­dorf El Nido, heu­te ein geschäf­ti­ger Tra­vel­ler-Hot­spot. Um die Tou­ris­ten nicht zu ver­wir­ren, hei­ßen die Tages­aus­flü­ge A, B, C und D. Wir wähl­ten Rou­te A, weil es angeb­lich die schöns­te ist.

Die vier Boots­tou­ren sind in jedem Hos­tel in El Nido buch­bar, was man spä­ter auf den Inseln sieht: über­all Tou­ris­ten. Vor Shi­mi­zu Island reih­ten sich die Boo­te dicht an dicht. Die Big Lagoon sähe ohne Men­schen natür­lich tol­ler aus, aber wir waren ja selbst Teil die­ses orga­ni­sier­ten Spek­ta­kels. Also brav mit dem Kajak fah­ren und schnor­cheln. Der Seven Com­man­dos Beach mit sei­nem wei­ßen Sand und den Pal­men war per­fekt, aber eben über­lau­fen. All dies über­rasch­te uns nicht. Wir waren ver­gnügt. Wer hier noch Robin­son-Crue­so-Atmo­sphä­re erwar­tet, kommt aller­dings zwan­zig Jah­re zu spät.

Wow-Effekt: 6/​10
Robin­son-Crue­so-Fee­ling: 3/​10
Roman­tik-Fak­tor: 3/​10

LIO BEACH

Lio Beach liegt kei­ne hal­be Stun­de nörd­lich von El Nido. Der Strand ist von der Haupt­stra­ße aus nicht zu sehen und prak­tisch men­schen­leer. Es gibt kei­ne güns­ti­gen Back­pa­cker-Hüt­ten, eher Resorts, in denen die Nacht im Dop­pel­zim­mer so 80 Euro kos­tet. Wir über­nach­te­ten im Balai Adlao, um uns für die vor­he­ri­gen 10-Euro-Näch­te in hell­hö­ri­gen Hos­tels zu ent­schä­di­gen. Hier stie­gen sonst Paa­re ab, die per Direkt­flug nach El Nido und mit einem pri­va­ten Flug­ha­fen­trans­fer anreis­ten. Wir kauf­ten Exklu­si­vi­tät, ohne schlech­tes Gewis­sen.

Das neu­ge­bau­te Resort war sehr clean, ein Bruch mit der nach­läs­sig wuchern­den Tro­pen­ve­ge­ta­ti­on. Die Restau­rants erin­ner­ten an Fast-Food-Filia­len. Der gut aus­ge­leuch­te­te Surf- und Beach­shop hät­te auch in einem Ein­kaufs­zen­trum im Ruhr­ge­biet ste­hen kön­nen. Alles selt­sam deplat­ziert. Aber dann gin­gen wir zum Strand und erblick­ten das tro­pi­sche Pan­ora­ma der ein­sa­men Bucht: wie für uns allein ent­wor­fen. Wir genos­sen chi­ne­si­sche Küche zum Sound der Wel­len, einen dra­ma­ti­schen Son­nen­un­ter­gang, Kli­ma­an­la­ge, blü­ten­wei­ße Laken und end­lich war­mes Was­ser in der Dusche. Wir waren nun ange­kom­men.

Wow-Effekt: 6/​10
Robin­son-Crue­so-Fee­ling: 4/​10
Roman­tik-Fak­tor: 8/​10

CALITANG & NACPAN BEACH (TWIN BEACH)

Zum Twin Beach fährt man von El Nido aus eine knap­pe Stun­de nach Nor­den, erst über eine asphal­tier­te Stra­ße, dann über Erde. Der Zwil­lings­strand heißt so, weil dort zwei Strän­de in einer schma­len Land­zun­ge zusam­men­lau­fen: Cali­tang Beach und der rund vier Kilo­me­ter lan­ge und form­schö­ne Nacpan Beach. Meh­re­re Imbis­se und Strand-Cot­ta­ges ste­hen unter den Pal­men am Was­ser. Man kann Chi­cken Ado­bo essen, Kokos­nus­milch schlür­fen, sei­ne Füße in den Sand ste­cken und ab und zu ins Meer gehen. Es ist nicht wirk­lich leer am Nacpan Beach, aber die Men­schen zer­streu­en sich. Im Hin­ter­land liegt ein ver­schla­fe­nes Dorf mit Kir­che und Sport­platz. Ange­neh­mes Nichs­tun.

Wir bezo­gen eine Hüt­te im Gar­ten einer Fami­li­en­pen­si­on am Cali­tang Beach. Abends aßen wir auf Plas­tik­stüh­len süß­lich-scharf ange­mach­ten Fisch, zube­rei­tet von den Frau­en der Her­ber­ge. Ein etwas kränk­li­cher Hun­de­wel­pe weck­te unser Mit­leid. War es am ers­ten Tag son­nig gewe­sen, zogen am zwei­ten Tag Wol­ken auf, und der Wind leg­te zu. Am Hori­zont wipp­ten die Pal­men. Fischer­boo­te lagen mor­bid auf der Wie­se. Im Dorf traf man auf Kühe, Schwei­ne und Hüh­ner.

Spä­tes­tens abends prä­sen­tier­te sich der Nacpan Beach als Kli­schee eines traum­haf­ten Tro­pen­stran­des, zugleich wirk­te alles etwas nach­läs­sig und ver­fal­len. Auch das stür­mi­sche Wet­ter arbei­te­te beharr­lich gegen die Schön­heit der Land­schaft an. An vie­len Strän­den fürch­tet man, die eige­ne Gefühls­welt kön­ne nicht mit der Per­fek­ti­on der Kulis­se mit­hal­ten. Hier lagen die Din­ge anders. Wir waren sehr zufrie­den an die­sem Ort.

Wow-Effekt: 7/​10
Robin­son-Crue­so-Fee­ling: 6/​10
Roman­tik-Fak­tor: 7/​10

PRINCE JOHN LODGING

Wer auf Pala­wan Ein­sam­keit sucht, dem sei Prin­ce John Lodging wärms­tens emp­foh­len. Die Her­ber­ge liegt nörd­lich von Port Bar­ton und ist per Boot erreich­bar. Der Strand eig­net sich wegen der Stei­ne zwar nicht gut zum Baden, aber das ist egal. Gast­ge­ber John, ein jun­ger Fili­pi­no, heißt alle Gäs­te per­sön­lich will­kom­men. Das ist ihm ein ernst­haf­tes Anlie­gen. Die Holz­hüt­ten sind ange­nehm spar­ta­nisch. Abends speist man auf einer Ter­ras­se im Ker­zen­schein, in wohl­tu­en­dem Abstand zur nächs­ten Ansied­lung und zu übri­gen Rei­se­plä­nen. An die­sem Ort adap­tiert man das beach life qua­si auto­ma­tisch.

Wow-Effekt: 4/​10
Robin­son-Crue­so-Fee­ling: 8/​10
Roman­tik-Fak­tor: 7/​10

INOLADOAN ISLAND

Ino­la­do­an Island vor Port Bar­ton beher­bergt ein ein­zel­nes Resort, das sich aller­dings nicht her­me­tisch vor ande­ren Tages­gäs­ten abschirmt. Vie­le Aus­flugs­boo­te machen auf der Insel Halt für ein Mit­tag­essen. Nicht der per­fek­te wei­ße Sand ist hier die Top-Sehens­wür­dig­keit, es sind die Mee­res­schild­krö­ten im tür­kis­far­be­nen Was­ser. Wir waren ganz begeis­tert und ver­brann­ten uns beim Schnor­cheln auch gleich den Rücken (was wir lei­der erst abends fest­stell­ten). Ansons­ten ist die Insel der geeig­ne­te Ort, um sich im Schat­ten unter Pal­men in Genüg­sam­keit zu ver­lie­ren. Der Aus­blick ist tadel­los. Die Hit­ze erzwingt Träg­heit. Die Gedan­ken dre­hen sich lang­sa­mer. Life is a beach, für zwei Stun­den.

Wow-Effekt: 8/​10
Robin­son-Crue­so-Fee­ling: 3/​10
Roman­tik-Fak­tor: 4/​10

SABANG

Sabang ist ein Stadt­strand und des­halb erst ein­mal abschre­ckend. Wer das Urlaubs­dorf um die Mit­tags­zeit erreicht, ist etwas ent­täuscht: Auch die zwei bes­ten Resorts am Platz – Sher­i­dan und Daluyon – lie­gen meer­sei­tig dicht gedrängt und haben kei­nen eige­nen Strand. Die Ver­söh­nung erfolgt am Abend: Wenn die Son­ne über den Ber­gen unter­geht und Dunst über der Bucht liegt, will man doch noch ein­mal in die Flu­ten stei­gen. Das Meer erscheint im Halb­dun­keln wild, die Licht­stim­mung ist mys­tisch. Auch mor­gens um sechs Uhr hat man die Bran­dung für sich und kann den Tag eigent­lich nicht bes­ser begin­nen als mit einem Sprung in die Wel­len. Sabang ist schön in der Däm­me­rung.

Wow-Effekt: 4/​10
Robin­son-Crue­so-Fee­ling: 2/​10
Roman­tik-Fak­tor: 5/​10

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