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Wild bewachsene Pflastersteine lassen uns erahnen, dass es hier vor langer Zeit eine kleine Straße gegeben haben muss. Wir folgen dem holprigen Pfad, der sich durch die raue Felslandschaft des Pyrenäenvorlands windet. Nach einem zweistündigen Fußmarsch unter der brennenden Sonne Spaniens, sehen wir endlich erste Anzeichen des Bergdorfes Sasé.
Eduardo, ein aufgeweckten Spanier, den wir beim Trampen kennengelernt haben, war Mitbegründer der Gruppe „Kollektiv Colores“, die im Jahr 1996 das einst verlassene Dorf wieder zum Leben erweckt haben.
Utopie der Tiere?
Still und gespenstische zeichnen sich die Silhouetten der Ruinen von Sasé am Horizont ab. Der Wind rauscht leise durch die Blätter, Grillen zirpen ihre gewohnten Lieder. Kein Lachen, keine Stimmen, keine Geräusche, die auf die Anwesenheit von Menschen hinweisen würden. Vielleicht sind wir gar nicht in Sasé, denke ich kurz, als wir im selben Moment von einem fürchterlichen Bellen aus der Stille gerissen werden. Zwei wütende Hunde stehen plötzlich mitten auf dem Weg. Zähne fletschend und mit aufgestellten Nackenhaaren knurren sie uns an.
Mit ein paar sanften Worten lassen sich die Hunde aber schnell beruhigen. Wir scheinen ihnen zum Glück recht sympathisch zu sein, denn von nun an folgen sie uns auf Schritt und Tritt bei unserem Erkundungsrundgang durch das kleine Bergdorf. Dabei begegnen wir Katzen, Hühnern, Eseln, Pferden…aber Menschen sind weit und breit nicht zu sehen. Verwundert schauen wir uns an: „Haben wir ein Dorf gefunden was von Tieren besetzt worden ist? Ist das hier die gelebte Utopie der Tiere, oder wie?
Dann aber, versteckt hinter einem alten Eichenbaum, finden wir doch ein kleines Haus das bewohnt scheint. Vorsichtig schieben wir das rostige Gitter zur Seite, welches als Gartentor dient. Auch die Haustüre ist nicht verschossen. Mit lauter Stimme rufen wir „Holaaa“ in die Dunkelheit des kleinen Häuschens hinein. Keine Reaktion. Mit der Hoffnung, dass die Bewohner des Hauses am Abend noch zurückkommen werden, machen wir in der Nähe ein kleines Feuer, um darauf unser Abendessen zuzubereiten.
Der letzte Bewohner
Kaum haben wir unsere Schlafsäcke aus dem Rucksack gekramt, kündigen laute Motorengeräusche die Ankunft eines Autos an. Wir schauen gespannt in die Richtung der beiden Scheinwerfer, die die Dunkelheit durchbrechen und uns grell entgegen scheinen. Ein alter Geländewagen quält sich langsam über die holprige Straße, bis er in der Nähe unseres Nachtlagers zum Stehen kommt.
Der Fahrer, Mitte 40, mit langen Dreadlocks, steigt aus und begrüßt uns freundlich. Als wir ihm erklären, warum wir hier seien, lacht Pepé laut auf, »Das war vor einigen Jahren!«
»Heute leben hier nur noch wenige Menschen. Momentan vielleicht drei oder vier. Wir haben das Dorf im Jahr 1996 mit ein paar Leuten besetzt. Das war ein buntes Treiben damals! Hier gab es weder Wasser noch Strom, also haben wir kilometerlange Schläuche verlegt, um das Wasser aus den Quellen zu uns zu leiten. Viele Menschen haben sich inspiriert gefühlt, weitere Dörfer im Valle de Solana zu besetzen. Eine unglaubliche Zeit…“ erinnert er sich.
Patchopa lebt in Sieso – einer Gemeinschaft in den spanischen Pyrenäen. Sie singt ihr eigenes Lied über Utopien: „Ich hatte einen Traum, den Traum einer Utopie. Und dabei habe ich mich bemüht, den verbotenen Frieden zu erreichen. Freiheit hat Besitzer. Und Liebe ist Fantasie. Ich wünsche mir, dass wir sie umgestalten, diese Realität mit Freude. Und so verändern wir das Leben.“
Am nächsten Morgen versuchen wir mit Pepé ins Gespräch zu kommen, um mehr über die Geschichte des Dorfes zu erfahren. Schnell lässt er uns spüren, dass er die Einsamkeit hier oben genießt und genug von den Besuchern und Besucherinnen hat, die dem „Mythos Sasé“ hinterherjagen.
Die Suche geht weiter…
Also machen wir uns wieder auf den Weg. Trampen durch das Pyrenäenvorland, vorbei an azurblauen Flüssen, imposanten Steinformationen und kleinen Dörfern. Frische, saftige Feigen versüßen uns die Mittagspausen. Am Abend schlagen wir unsere Zelte in der Natur auf und genießen die sternenklaren lauwarmen Nächte.
Irgendwann erfahren wir von einem kleinen Bergdorf in der Nähe von Huesca, das von jungen Leuten besetzt und bewohnt ist. Also beschließen wir kurzerhand, dort vorbei zu schauen.
Nur wenige Kilometer von unserem Ziel entfernt, warten wir auf ein Auto, das uns das letzte Stück mitnimmt. Eine Stunde? Zwei? Eine Weile. Aber die Zeit spielt in den letzten Monaten ohnehin keine große Rolle mehr.
Wir lesen, spielen Mundharmonika und scherzen, bis das nächste Auto kommt. Hier gibt es nur ganz kleine Straßen, kaum Verkehr. Aber dann hält doch ein kleiner Transporter an. „Leider nur Platz für eine Person“, gibt uns der Fahrer zu verstehen. Wir improvisieren und suchen einen Platz im Laderaum des Transporters. Dunkel hier drin. Aber wir kommen voran.
Als wir das Dorf betreten, schallt leise Gitarrenmusik durch die Luft. Wir folgen den Klängen und treffen schon bald auf eine kleine Gruppe, die sich auf dem Platz vor dem Gemeinschaftshaus zusammengefunden hat. Mit freundlichem Lächeln und herzlichen Umarmungen werden wir von den Bewohnern und Bewohnerinnen Willkommen geheißen.
„Schön, dass Ihr hier vorbei schaut!“ begrüßt uns Hugo freudestrahlend und springt auf, um uns das Dorf zu zeigen. Dabei treffen wir auf Pilippe, der mit seinen beiden Eseln von Frankreich zu Fuß hier her gekommen ist. Er baut gerade an einem Holzhaus für den Winter. „Alle Materialien, die ich verwende, kommen aus der Natur. Kein Plastik. Keine Chemie. Das ist mir sehr wichtig!“, erklärt er mit eindringlichem Blick.
Im Land der Utopisten
In den nächsten Tagen tauchen wir voll in das bunte Leben der kleinen, anarchistisch organisierten, Gemeinschaft ein. Hier wird ein freies und offenes Miteinander gelebt. Alles kann, nichts muss. Die einzige „Regel“ ist der gegenseitige Respekt. „Ich habe meine Bedürfnisse, ja klar. Aber die Bedürfnisse unterscheiden sich von Individuum zu Individuum. Wir müssen lernen, aufeinander einzugehen, um ein gegenseitiges Verständnis und ein harmonisches Miteinander zu erlangen“ erzählt uns Monchi, der seit ein paar Jahren in der Gemeinschaft lebt.
Es gibt keine festen Häuser oder Schlafplätze. „So wie es gerade passt. Wir haben das große Gemeinschaftshaus, die Jurte und in den Ruinen gibt es hier und da auch eine Matratze zum schlafen…mit Panoramablick auf den Sternenhimmel“, fügt er mit einem Grinsen hinzu. »Geduscht und gewaschen wird draußen. Wenn es kalt ist, nutzen wir auch mal das Gewächshaus zum duschen, da ist es wärmer.«
Die Tür zum Gemeinschaftshaus knarrt laut, als wir sie öffnen um herein zu gehen. Dazu ist kein Schlüssel nötig- es gibt kein Schloss. Die Wände im Flur sind bunt bemalt. Blumen, Feen und allerlei Muster leuchten uns in grellen Farben entgegen. Links in der Ecke, neben der Couch, hängen Gitarren, Trommeln, und Flöten.
Kaum eingetreten, steigt uns der Geruch von frisch gekochtem Gemüseeintopf in die Nase, der durch das ganze Haus zieht. Wir folgen dem verlockenden Duft und treffen auf Christina, die in der Küche das gemeinsame Mittagessen zubereitet. „Draußen hängt eine große Glocke. Kannst du mal richtig lauten Krach damit machen, damit alle wissen, dass das Essen fertig ist?“
Mit vereinten Kräften
Nach dem Mittagessen helfen wir Hugo bei seinem Hausbauprojekt, der mit seiner Partnerin ein Baby plant. „Das soll es warm und gemütlich haben, wenn es auf die Welt kommt!“, sagt er mit einem verträumten Lächeln. Für sein Projekt hat er Kieferbalken zurechtgeschnitten, die wir zu Viert mit Seilen aus dem Wald zur Baustelle ziehen. Langsam, Schritt für Schritt schleifen wir die schweren Balken über den Waldboden.
Die Sonne verschwindet schon fast hinter den Bergen, als Rachel mit einer Packung Bier zur Baustelle gelaufen kommt, die sie gerade frisch aus dem Brunnen – dem Kühlschrank der Gemeinschaft – geangelt hat. Erschöpft und glücklich genießen wir das kalte Bier und schauen zufrieden auf unser Tageswerk. Genug gearbeitet für heute.
Am Abend versammeln sich wieder alle in der Küche. An einer Ecke des Tisches sitzen Theo und Filippe mit konzentrierter Miene an einem Schachspiel, Lisa und Hugo malen das Portrait des jeweilig anderen, Rachel schreibt an ihrem Tagebuch und eine kleine Gruppe diskutiert gerade über die Pro und Contras von Traktorennutzung, als wir ein lautes Hupen hören.
Abendessen aus der Supermarkttonne
Das ist Manu, der mit seinem Bus in in der Stadt war, um ein paar Lebensmittel zu containern. Freudig springen alle auf und tragen das Gut in die Küche. Auf dem Tisch türmen sich jetzt kistenweise Brot, Käse, Joghurt und Torten. „Alles aus der Supermarkttonne gefischt.“ sagt er stolz. Daraufhin holt Monchi die Gitarre aus dem Flur und hüpft laut singend um den Tisch herum..„Oooolaaa FIESTAAA!!“ schallt es laut durch das Haus. Während die einen sich aus dem Flur noch ein paar Instrumente dazunehmen, bereiten die anderen ein wahres Festmahl zu. Der Abend endet in einem ausgelassenen bunten Treiben mit Musik, Tanz uns Schlemmerei.
Noch als wir ins Bett gehen, vernehmen wir von unten die leisen Klänge der Gitarre…
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Antwort
Wow, der Beitrag ist wirklich ganz großartig geschrieben und macht Lust, selbst direkt hinzufliegen. Aber so romantisch das auch klingt und aussieht, leben möchte ich so eher nicht. Danke für die tollen Einblicke!
Liebe Grüße,
Anni
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