Zurück in die Natur

Manch einem ist sie viel­leicht schon mal als Huemul Cir­cuit, Cir­cui­to Cer­ro Huemul oder als Huemul Trek über den Weg gelau­fen. Alle Titel haben eins gemein­sam: sie beschrei­ben einen Vier-Tage-Trek rund um den Huemul. Und der hat es in sich!

Huemul Circuit – Spannung pur

Nach dem ers­ten gro­ßen Span­nungs­feld bis zum dem Peri­to Moreno Glet­scher und eini­gen unschö­nen Plan­än­de­run­gen, einer Magen­ver­stim­mung und leich­tem Bus-Hick-Hack, haben wir es doch tat­säch­lich nach El Chal­tén geschafft, um uns end­lich in der Wild­nis abre­agie­ren zu kön­nen. In unse­ren Augen haben wir im Ver­gleich zum Tor­res del Pai­ne Natio­nal­park sogar die span­nen­de­re Alter­na­ti­ve gewählt, den Huemul Trek. Es wird kein ein­fa­cher Start in unse­re Zwei-Mona­te-Wan­dern-Tour, das ist uns klar.

Schon von Deutsch­land aus haben wir mit dürf­ti­gen Infor­ma­tio­nen die wich­tigs­ten Din­ge ein­ge­packt und vor­aus geplant. In Pun­ta Are­nas haben wir dann vor eini­gen Tagen unse­re Ruck­sä­cke bis zum Bers­ten mit Nah­rungs­mit­teln, Gas und spon­ta­nem Zube­hör voll gepackt. Das schien uns am schon­ends­ten für unse­ren Geld­beu­tel. Wie wir fest­stel­len, bekom­men wir alles wich­ti­ge auch in El Chal­tén. Nicht im Über­fluss, aber aus­rei­chend. Aber so wie wir, ist die gan­ze Grund­aus­stat­tung auch meh­re­re hun­dert Kilo­me­ter nach El Chal­tén unter­wegs und somit unver­schämt teu­er. Alter­na­ti­ven gibt es hier kaum.

Christian vorm Fitz Roy

Die Vor­freu­de steigt mit jeder Minu­te. So ganz sicher, was uns erwar­tet sind wir zu kei­ner Minu­te. Noch am Vor­abend der Wan­de­rung dis­ku­tie­ren wir hef­tig, was und wie viel wir in unse­re Ruck­sä­cke packen sol­len. Wie schon in Pun­ta Are­nas las­sen wir am Ende wie­der einen Sack voll mit »unnüt­zen« und »sau­be­ren« Sachen zurück. Wie sich nach der Wan­de­rung her­aus­stel­len soll­te immer noch zu wenig. Die Leh­ren hier­aus wer­den uns dafür die gan­ze Rei­se beglei­ten und uns leich­te­re Ruck­sä­cke besche­ren.

Viel zu spät für mei­nen Geschmack gehen wir ein letz­tes Mal in unse­rem Apart­ment in ein ordent­li­ches Bett. Die Span­nung auf den nächs­ten Tag ist uns bei­den sicht­lich anzu­mer­ken. Chris­ti­an macht sich höl­lisch Sor­gen, da der Huemul Trek als »der schwie­rigs­te Trek in Pata­go­ni­en« ange­kün­digt wird. Was zeich­net nun den Huemul Trek aus? Huemul wird der Anden­hirsch genannt, aber auch ein Glet­scher in der Regi­on. Bei­des ist hier nicht gemeint. Mit Huemul ist hier ein Berg. Um genau­er zu sein, ein Berg mit 2677 Metern, süd­lich des Fitz Roy und nörd­lich des Lago Vied­ma. Der Berg ist eher unbe­kannt und es ist auch nicht unser Ziel, ihn zu bestei­gen. Unser Ziel ist es, ihn zu umrun­den mit allem was dazu gehört: Glet­scher­flüs­se durch­que­ren und über­que­ren, Feucht­ge­bie­te tro­cke­nen Fußes über­schrei­ten, Glet­scher und Geröll­fel­der meis­tern und stei­le Abhän­ge über­le­ben.

Start des Huemul Trek am Besucherzentrum

Ich kann ver­ste­hen, war­um Chris­ti­an sich Sor­gen macht. Bis­her haben wir nur einen Pfad auf dem GPS und einer Kar­te gese­hen und vie­le gemisch­te Gefüh­le im Inter­net gele­sen. Auch der Fakt, dass man im Besu­cher­zen­trum des Natio­nal­parks vor­spre­chen muss, eine halb­stün­di­ge Beleh­rung bekommt und die Aus­rüs­tung begut­ach­tet wird, macht das gan­ze nicht min­der auf­re­gend, aber für mich auch irgend­wie attrak­tiv.

Tag 1 – und die Hüften schmerzen

Die Nacht ist unheim­lich kom­for­ta­bel; das Bett ein Traum, die Hei­zung see­len-wär­mend und lei­der zu kurz, für mich zumin­dest. Unser Früh­stück erwar­tet uns schon seit unse­rer Ankunft auf dem Küchen­tisch. Nicht gera­de der bes­te Start in den Tag, aber der Pul­ver­kaf­fee gibt immer­hin sein bes­tes, uns wach zu bekom­men. Wir schul­tern unse­re Ruck­sä­cke und schlen­dern die ers­ten 500 Meter noch ent­spannt durch die Stra­ßen von El Chal­tén. Und schon beginnt der Ruck­sack auf mei­nem Rücken leicht zu drü­cken. Am Buch­la­den mache ich einen kur­zen Stopp, kau­fe die obli­ga­to­ri­sche Kar­te und Chris­ti­an kauft im Super­markt eini­ge Meter wei­ter unser Mit­tag­essen für die nächs­ten vier Tage. Brot und Käse. Mehr soll­te auch wirk­lich nicht mehr in den Ruck­sack. Er drückt immer noch und wird heu­te auch nicht mehr damit auf­hö­ren.

Christian am ersten Tag

Wir wan­dern vor­bei an der Bus­hal­te­stel­le, über die Brü­cke des Río Fitz Roy und dann kurz rechts zum Besu­cher­zen­trum des Natio­nal­parks. Dort müs­sen wir uns eine Prä­sen­ta­ti­on mit Sicher­heits­hin­wei­sen, Weg­be­schrei­bun­gen und den Park­re­geln anschau­en, bevor wir uns für die Alu-Kara­bi­ner im Gepäck recht­fer­ti­gen müs­sen. Die bei­den Ran­ger sind nicht glück­lich, dass wir den vor­ge­schrie­ben Stahl­ka­ra­bi­ner nicht dabei haben. Erst etwas Über­re­dungs­kunst und das Ange­bot zwei Alu-Kara­bi­ner bei der Que­rung der Tiro­le­sa zu nut­zen, besänf­ti­gen die Gemü­ter. Die Kar­te, der Klet­ter­gurt und ein 20 Meter Seil wer­den nur ganz kurz betrach­tet – eher ein Voll­stän­dig­keits­test. Bonus bekom­men wir für ein GPS mit dem ein­ge­zeich­ne­ten Weg. Danach unter­schrei­ben wir noch den Dis­clai­mer und hin­ter­las­sen auf dem For­mu­lar unse­re Daten für den Fall einer nöti­gen Ret­tung. Einen klei­nen Schnip­sel bekom­men wir mit auf den Weg. Ihn müs­sen wir am Ende wie­der zurück­brin­gen, um unse­re siche­re Rück­kehr zu bestä­ti­gen. Die Ran­ger ver­ab­schie­den uns herz­lich und wün­schen viel Erfolg.

Ein letz­ter Blick auf die Wet­ter­vor­her­sa­ge am Mor­gen sag­te bes­te Bedin­gun­gen für die nächs­ten Tage vor­aus. Was wir auch hof­fen. Nichts wäre schlim­mer, wenn wir im Nebel oder Regen auf rut­schi­gen und teil­wei­se unmar­kier­ten Pfa­den unser Glück ver­su­chen müs­sen. Der Him­mel und die Son­ne sagen uns zumin­dest für heu­te auch bes­tes Wet­ter vor­aus. Etwas zu viel für unse­re win­ter­wei­ße Haut­far­be aus Deutsch­land und so packen wir schon zum zwei­ten Mal heu­te die Son­nen­creme aus. Es ist gera­de Anfang Novem­ber, Start der Sai­son und noch Früh­ling, aber die Son­ne knallt und heizt uns lang­sam ein.

Hochmoor und Blick auf den Lago Viedma

Uns erwar­tet uns ein ste­ti­ger Anstieg über die nächs­ten 10 bis 12 Kilo­me­ter. Fast 700 Meter geht es hin­auf. Ein meist sanf­ter Anstieg durch anfangs tro­cke­ne kar­ge Land­schaf­ten, spä­ter durch Wäl­der und Hoch­moo­re. Kurz vor dem höchs­ten Punkt kom­men wir ordent­lich ins Schwit­zen. Es geht steil hin­auf und die Ruck­sä­cke sind bis­her nur mini­mal leich­ter gewor­den.

Was uns bis­her erstaunt, ist die Abwe­sen­heit von ande­ren Wan­de­rern. Bis auf eine Grup­pe Stu­den­ten und ihrem Pro­fes­sor, die zum Aus­sichts­punkt und Gip­fel »Loma del Plie­gue Tum­ba­do« sich einen Teil des Weges mit uns tei­len, einer ein­sa­men Wan­de­rin mit Tages­ge­päck und einem wenig gesprä­chi­gen Wan­de­rer mit nur Koch­töp­fen im Gepäck begeg­nen wir nie­man­den. Erst kurz bevor wir auf dem Zelt­platz »Lagu­na Toro« ankom­men, begeg­net uns eine Grup­pe von Kana­di­ern, die von der 9‑Ta­ges-Tour über das Eis­feld nach El Chal­tén zurück­keh­ren. Und als wir nach sechs Stun­den Wan­de­rung gegen 17:30 Uhr im Camp ankom­men, tref­fen wir auf ein ver­las­se­nes Zelt. Zuerst fällt uns das Zelt gar nicht auf. Ver­steckt in einem klei­nen Wäld­chen in einer klei­nen Fels­bucht ver­ste­cken sich die ein­zel­nen Zelt­plät­ze hin­ter Holz­bar­ri­ka­den als Wind­schutz. Erst als sich unse­re Augen an den dunk­len Wald ange­passt haben, sehen wir das Zelt und fin­den auch einen pas­sen­den Zelt­platz für uns.

Tal des Río Tunel

Wie sich bald her­aus­stellt, sind es Rai­ner und Con­ny aus Deutsch­land. Sie sind mit dem glei­chen Zeit­plan auf dem Huemul Cir­cuit unter­wegs und ab hier unse­re Weg­ge­fähr­ten. Chris­ti­an opfert sich noch ‚für kla­res Berg­was­ser zu sor­gen und durch­quert den eis­kal­ten Río Túnel zwei Mal. Danach genie­ßen wir ein­fach nur den Abend, essen Spa­ghet­ti und krie­chen bei küh­len 5°C nach dem Son­nen­un­ter­gang in unse­re Schlaf­sä­cke.

Tag 2 – und es rutscht

Die Nacht bleibt ruhig. Den­noch treibt uns der bevor­ste­hen­de Tag und die drü­cken­de Bla­se um 7 Uhr aus dem Zelt. Wir früh­stü­cken Hafer­flo­cken mit Mar­me­la­de, trin­ken einen Kaf­fee und Tee und – naja mehr ist nicht vor­ge­se­hen. Mehr haben wir nicht dabei. Mein Magen bleibt leicht hung­rig auf der Stre­cke und knurrt noch ein letz­tes Mal aus Pro­test, als wir das Zelt abbau­en und den Ruck­sack wie­der ein­pa­cken. Wir lau­fen uns noch die ers­ten ein-ein-halb Kilo­me­ter warm, bevor es wie­der rich­tig kalt wird. Der Was­ser­spie­gel des Río Túnel lässt es zu, ihn zu Fuß zu durch­que­ren. Wir spa­ren so nicht nur etwas Zeit an der Tiro­le­sa, son­dern erspa­ren Chris­ti­an mit sei­ner Höhen­angst auch die Seil­fahrt über eine tie­fe Schlucht.

Tirolesa über den Río Túnel

So ger­ne hät­te ich es gemacht, aber so ist es auf alle Fäl­le ein­fa­cher. Ich zie­he die Schu­he aus, die Socken fol­gen und auch die Hose muss weg. In Unter­ho­se und ohne San­da­len wage ich den ers­ten Schritt. »Schei­ße! Schei­ße, ist das kalt!« Ich wür­de lie­bend ger­ne rück­wärts wie­der aus dem Fluss sprin­gen, aber der Weg führt nach vor­ne. Vor­sich­tig und lang­sam, um mir die Füße nicht an den gro­ßen Kie­sel­stei­nen zu sto­ßen, que­re ich. In der Mit­te zieht die Strö­mung kräf­tig, mit den Stö­cken fin­de ich aber gut halt. Es ist fast uner­träg­lich und die Kneipp­kur for­dert mehr als nur leich­te Schmerz­re­sis­tenz. Am ande­ren Ufer kann ich mich kaum noch auf den Füßen hal­ten. Erst die Socken und dann schnell auch wie­der die Schu­he brin­gen schnel­le Erleich­te­rung.

Río Tunel Durchquerung

Am fol­gen­den Anstieg sind die Füße auch schon wie­der warm. Wir pas­sie­ren das gespann­te Stahl­seil und sind irgend­wie doch froh nicht den Klet­ter­gurt und die Aus­rüs­tung aus dem Ruck­sack her­vor­zau­bern zu müs­sen. Spaß hät­te es gemacht, aber auch viel Kraft gekos­tet, die wir an den Schutt­hän­gen auf der gegen­über­lie­gen­den Sei­te des unte­ren Río Túnel Glet­schers drin­gend brau­chen. Jeder Schritt in Rich­tung Glet­scher lässt den Hang mit uns rut­schen. Manch­mal rut­schen nur wir, manch­mal rutscht gleich die Umge­bung mit. Es kos­tet uns unglaub­lich viel Kraft, die knapp 1000 Meter und 150 Höhen­me­ter zum Glet­scher abzu­stei­gen.

Erst als wir Fuß auf den unte­ren Rand des Glet­schers set­zen, kom­men wir wie­der gut vor­an. Noch am Glet­scher beginnt wie­der unse­rer Auf­stieg zum Paso del Vien­to. Lan­ge drei Kilo­me­ter und 550 Höhen­me­ter spä­ter sind wir immer noch nicht am Pass ange­langt. Der stei­ni­ge, fast san­di­ge Unter­grund macht jeden Schritt anstren­gen­der als er sein muss. Zum Glück drückt der Ruck­sack heu­te nicht mehr so sehr wie ges­tern. Aber anstren­gend bleibt es trotz­dem. Und so kommt es auch, dass ich eini­ge hun­dert Meter vor dem eigent­li­chen Ziel fürs Mit­tag­essen eine Pau­se bean­tra­ge und Chris­ti­an sie ger­ne annimmt. An einem wind­ge­schütz­ten Ort mit aus­ge­zeich­ne­ten Aus­blick auf die bei­den Glet­scher Río Túnel, das wei­te Tal des Río Túnel selbst und die umge­ben­den Ber­ge inklu­si­ve des Huemuls.

Panorama über die Gletscher Río Túnel

Knapp eine Stun­de spä­ter stei­gen wir wei­ter auf. Es ist noch nicht über­all abge­taut und so müs­sen wir lan­ge Schnee­fel­der am Hang que­ren und im Schnee teil­wei­se selbst neu spu­ren. Die Kraft ver­si­ckert heu­te im Geröll unter unse­ren Wan­der­schu­hen. Erst als wir sicht­lich ange­schla­gen den »Pass des Win­des« auf 1422 Metern errei­chen, belohnt die Aus­sicht auf den Pata­go­ni­schen Eis­schild alle Mühen. Wir lie­gen aus­ge­zeich­net in der Zeit.

Panorama über das Campo de Hielo Sur vom Paso del Viento

Es sind »nur« noch vier Kilo­me­ter zum nächs­ten Zelt­platz und das 485 Höhen­me­ter berg­ab. Das soll­te in unter 1,5 Stun­den zu schaf­fen sein und so setz­ten wir zur zwei­ten gro­ßen Pau­se des Tages an. Das Beloh­nungs­zen­trum im Gehirn schüt­tet für die­sen Aus­blick so vie­le Glücks­hor­mo­ne aus, dass die Kraft lang­sam wie­der zurück kommt. Vor uns lie­gen 13.000 Qua­drat­ki­lo­me­ter Eis­flä­che. Nicht alles des »Cam­po de Hie­lo Sur« sehen wir. 350 Kilo­me­ter von Nor­den nach Süden und 30 bis 40 Kilo­me­ter in Brei­te. Ein­fach nur enor­me Aus­deh­nun­gen. Rie­si­ge Spal­ten durch­zie­hen die Eis­flä­che. Über­que­rung? Sicher mög­lich, aber etwas für ziem­lich Lebens­mü­de. Wir genie­ßen die Land­schaft, die Ruhe, die Natur. Jede Sekun­de hier ist ein Genuss! Nach dem Peri­to Moreno Glet­scher bzw. sei­ner Eis­front ist der Respekt für die rie­si­gen Eis­mas­sen ein­fach nur enorm.

Zelt in der Nacht

Nach 7:15 Stun­den rei­ner Lauf­zeit und über zwei Stun­den Pau­se errei­chen wir das Camp »Paso del Vien­to« gegen 17:15 Uhr. Die Son­ne steht noch hoch genug und so legen wir uns erst mal in die Son­ne. Aus­ru­hen, Son­ne tan­ken und die Stil­le genie­ßen.
Unse­re Schu­he genie­ßen die trock­nen­de Son­ne wäh­rend wir unse­re Füße noch schnell in den küh­len­den Bach ste­cken. Unser Zelt bau­en wir an dem klei­nen See direkt am Cam­ping­platz auf. Rai­ner und Con­ny tun es uns gleich und wir ver­brin­gen den Abend genuss­voll am »Gas­ko­cher«. Schö­ner wäre hier natür­lich das Wort »Lager­feu­er« gewe­sen, aber die sind nicht nur ver­bo­ten, son­dern auf­grund des Holz­man­gels auch ziem­lich beschwer­lich.

Tag 3 – und es fehlt der Whisky

Chris­ti­an beti­tel­te die­sen Tag mit »Trek­ker on the Rocks«. So vie­le Bedeu­tun­gen in einem so klei­nen Satz­fet­zen. Aber dazu müs­sen wir wie­der kräf­tig wan­dern. Der Tag 3 beginnt also wie­der mit Früh­stück, Zelt­ab­bau und dem etwas unge­lieb­ten Packen und Schul­tern des Ruck­sacks. Und zurück auf den Huemul Cir­cuit!

Tag 3 in der Nähe des Camp Paso del Viento

Anfangs schlän­geln wir uns fast höhen­neu­tral durch die Ber­ge. Klei­ne­re Anstie­ge glei­chen sich schnell wie­der berg­ab aus. Ent­lang von klei­ne­ren und grö­ße­ren Find­lin­gen, durch moo­si­ge Fluss­tä­ler und über gra­si­ge Ebe­nen. Immer wie­der taucht der Vied­ma Glet­scher und das Eis­feld zu unse­rer Rech­ten auf und jedes Mal blei­ben wir ste­hen und stau­nen. Immer kla­rer zeich­nen sich fast par­al­le­le dunk­le Lini­en auf dem Eis ab, die dem Glet­scher sein ein­zig­ar­ti­ges, fast künst­le­ri­sches Aus­se­hen geben.
Nach 11 Kilo­me­tern errei­chen wir den »Paso Huemul«. Der Pass liegt eigent­lich nur 100 Höhen­me­ter über dem Camp »Paso del Vien­to« auf 1004 Metern, aber über die Zeit haben wir seit dem Camp ordent­lich an Höhe ver­lo­ren und kom­men an dem stei­len Anstieg mit teil­wei­se aus­ge­setz­ten Stel­len ordent­lich ins Schwit­zen.

Die Shirts trocknen im Wind am Paso Huemul

Als wir dann den Pass errei­chen, sind wir kom­plett durch­ge­schwitzt und frie­ren. Der Wind zieht bis in die Kno­chen. Chris­ti­an war vom letz­ten Stück des Weges nicht so begeis­tert und so machen wir erst mal hin­ter einer Fels­wand mit Blick auf den Lago Vied­ma Mit­tags­pau­se. Wie­der Käse­sand­wich. Es wird zwar lang­sam lang­wei­lig, aber sie tun ihren Job und machen satt. Uns über­ho­len hier ein fran­zö­si­sches Pär­chen, das den Huemul Trek in drei Tagen durch­zieht. Echt sport­lich! Nach einem kur­zen ange­neh­men Abstieg, führt der Weg in klei­ne Wäld­chen oder soll ich eher sagen Sträu­cher? Wur­zeln über­all, der Ruck­sack bleibt an jeder Ecke an den har­ten Ästen hän­gen und zu allem Über­fluss wird es plötz­lich rich­tig steil.

Unterhalb des Paso Huemul

Es fühlt sich fast so an als wol­le der Weg einen direkt in den See mit sei­nen Eis­ber­gen ver­frach­ten. San­dig, rut­schig und mit dem Gepäck eine Qual. Fast 700 Höhen­me­ter geht es ins­ge­samt run­ter und nach eini­gen Klet­ter­pas­sa­gen und Rutsch­par­tien ist die Sät­ti­gung von Adre­na­lin im Blut bei mir fast erreicht. Als der Weg dann end­lich wie­der fla­cher wird, schlot­tern die Bei­ne und ver­frach­ten mich erst mal in einen Dor­nen­strauch. Noch Stun­den spä­ter zie­he ich mir die klei­nen fie­sen Sta­cheln aus dem Hin­tern. Die ande­ren amü­sie­ren sich präch­tig und ich habe den Tag ziem­lich satt. So steil und elend muss­te ich, glau­be ich, noch nie abstei­gen. Wahr­lich – Kein Spaß!

Steiler Abstieg zum Lago Viedma

Dafür belohnt der Zelt­platz »Cam­pa­men­to Bahia de los Tém­pa­nos« direkt am See. Der Aus­blick führt direkt auf den Vied­ma Glet­scher und zu den Eis­ber­gen im See. Wir kön­nen es uns nicht ver­knei­fen einen Sprung in den See zu wagen. Es bleibt bei einer kur­zen Akti­on. Wir hal­ten alle nicht lan­ge im Was­ser durch. Zum nächs­ten Eis­berg schaf­fen wir es defi­ni­tiv nicht, zu schwim­men. So kommt es uns ganz recht, das ein klei­nes Stück Eis ange­schwemmt wird. Lei­der fehlt uns der Whis­ky für einen ordent­li­chen Schluck auf die­sen Tag. Denn die­ser Tag hat­te es wirk­lich in sich!

Baden vor Eisbergen
Campamento Bahia de los Témpanos
Sonnenuntergang am Lago Viedma

Tag 4 – und der Spaß ist zurück

Schon den vier­ten Tag in Fol­ge haben wir aus­ge­zeich­ne­tes Wet­ter. Die Son­ne ist uns wohl­ge­son­nen, der Wind noch mehr und Regen ist nicht in Sicht. Bes­te Vor­aus­set­zun­gen für einen letz­ten Tag am Huemul Cir­cuit. Heu­te erwar­ten uns etwas mehr als 15 Kilo­me­ter und eini­ge Höhen­me­ter. Mit etwas Weh­mut ver­las­sen wir den Zelt­platz mit der gran­dio­sen Aus­sicht auf den Vied­ma Glet­scher. Wir fol­gen dem Pfad ent­lang der Bucht und ver­lie­ren den direk­ten Weg an einem der vie­len Kuh-Tram­pel­pfa­de. Erst der Blick auf das GPS holt mich und Chris­ti­an zurück auf den rich­ti­gen Weg, wäh­rend Rai­ner und Con­ny, die kurz für ein Foto gehal­ten haben, noch eine klei­ne extra Rund­tour auf der nahen Halb­in­sel machen, bevor sie auch wie­der am stei­ni­gen Strand auf der ande­ren Sei­te lan­den. Wir haben eini­ge hun­dert Meter bis hier hin Vor­sprung, den wir mit Weg­su­chen und Flüs­se auf der Kar­te zäh­len schnell wie­der ver­lie­ren. Am Ende fin­den wir den rich­ti­gen Abzweig ins Hin­ter­land. Er ist sogar mit einem Mar­kie­rungs­pfos­ten mar­kiert und führt uns von nun an berg­an.

Panorama des Huemul

Unse­re Papier­kar­te ist mitt­ler­wei­le so unge­nau, dass wir den Weg und die Umge­bung fast nicht mehr zusam­men­füh­ren kön­nen. Der Pfad im GPS stimmt nach einer Wei­le auch nicht mehr mit dem vom Natio­nal­park abge­steck­ten Pfad über­ein. Wir fol­gen somit ein­fach nur dem Weg in der Hoff­nung, dass es irgend­wann wie­der passt. Mit etwas zu viel Unge­duld in den Bei­nen und etwas gutem Glau­ben bie­gen wir mit­ten in der Pam­pa rechts ab. Wie sich spä­ter her­aus­stellt, unge­fähr einen Kilo­me­ter zu früh. So genau kön­nen wir es nicht sagen. Wir sind nun ohne Pfad und ohne Mar­kie­run­gen und lau­fen ste­tig hoch und wie­der run­ter. Ver­lau­fen haben wir uns nicht, auch wenn Chris­ti­an da ande­rer Mei­nung ist. Das geht an die­sem schö­nen Tag fast gar nicht. Die Rich­tung stimmt, der See immer im Blick nur geht die Kraft auf dem geröl­li­gen und gra­si­gen Ter­rain schnell ver­lo­ren. Wir suchen ein­fach nur den Weg, der laut Kar­te hier sein müss­te. Nach einer Stun­de fin­den wir ihn wie­der. End­lich wie­der Mar­kie­run­gen. Aber das wich­tigs­te ist ein­fach nur, auf dem Weg kom­men wir viel bes­ser vor­wärts.

Zweite Tirolesa über den Río Túnel

Die­ser Erfolg nach unse­rer Unge­duld beloh­nen wir mit unse­rem Mit­tag­essen. Mir brennt es etwas unter den Fin­ger­nä­geln, wei­ter zu lau­fen. Das GPS zeigt noch fast neun Kilo­me­ter an und es ist 13:30 Uhr. Um 17 Uhr sol­len wir laut Ran­ger am Anle­ger sein, um noch eine Mit­fahr­ge­le­gen­heit nach El Chal­tén zu fin­den. Ich und Rai­ner ent­schei­den uns ‚noch die Seil­bahn zu nut­zen. Nach etwas hin und her, einem zu kur­zen Seil und Pro­ble­men die schwe­ren Ruck­sä­cke an das Seil zu hef­ten und der erschwer­ten Kom­mu­ni­ka­ti­on durch das lau­te Tosen des Flus­ses, ste­hen wir bei­de auf der ande­ren Sei­te. Chris­ti­an und Con­ny war­ten schon eine gan­ze Wei­le auf uns einen Kilo­me­ter wei­ter. Sie muss­ten nur einen Fluss­arm que­ren. Bei mehr Was­ser kön­nen es bis zu vier sein.

Um 16:30 Uhr errei­chen wir nach einem fast schon gemüt­li­chen Aus­klang und einem guten Weg den Anle­ger für die Boots­aus­flü­ge auf dem Lago Vied­ma.

Wifi – Was ist das?

Am Anle­ger zei­gen sich ers­te Lebens­zei­chen von Zivi­li­sa­ti­on. Wir tref­fen auf zwei Mit­ar­bei­ter, die gera­de ein Boot aus­gie­big put­zen und bekom­men auch eine Mit­fahr­ge­le­gen­heit ange­bo­ten. Aber wir müs­sen erst mal noch ein biss­chen war­ten. In mei­nem Ruck­sack fin­de ich eine Tafel Scho­ko­la­de. Wir genie­ßen sie unheim­lich.

Zurück in El Chal­tén kom­men wir an einer Bar vor­bei: »Pis­co Sour« zur Hap­py Hour. Wir kön­nen ein­fach nicht wie­der­ste­hen. Als dann ein ande­rer Gast nach dem Wifi-Pass­wort fragt, schau­en wir uns nur lachend an und schmun­zeln. Denn auch in der Schutz­hüt­te »Paso del Vien­to« gab es einen Wifi-Code. Ein klei­ner Witz für Wan­de­rer, die sich ein­mal um den Huemul quä­len!

Wir sto­ßen auf unse­re gelun­ge­ne Tour an!

Expedition 6000+

Die­ser Arti­kel ist Teil mei­ner Serie „Expe­di­ti­on 6000+. Sie führt zwei Mona­te durch die schöns­ten Wan­der­re­gio­nen Süd­ame­ri­kas von Pata­gio­nen, Boli­vi­en bis zum höchs­ten Punkt der Rei­se, dem Acon­ca­gua in Argen­ti­nen. Fol­ge der Rei­se und genie­ße die wei­ten Land­schaf­ten, hohe Ber­ge und die abwechs­lungs­rei­che Kul­tu­ren Süd­ame­ri­kas.

Schuhe trocknen

Wichtige Hinweise zum Huemul Trek

Der Rund­weg um dem Huemul ist anstren­gend und lang. Auf­grund der Seil- und Fluss­que­run­gen, der Abge­schie­den­heit und somit der Zugang zu Hil­fe, der Anstie­ge und der stei­len und geröl­li­gen Abstie­ge nur für erfah­re­ne Wan­de­rer zu emp­feh­len. Es gibt kei­nen Han­dy­emp­fang und auch der Funk der Ran­ger kommt angeb­lich nicht an jede Stel­le.

Wer Erfah­run­gen dar­in hat und auch schlech­tes Wet­ter und schnel­le Wet­ter­wech­sel ab kann, der wird durch Ein­sam­keit und atem­be­rau­ben­de Natur belohnt. Unser High­light in ganz Pata­go­ni­en.

Mehr Infor­ma­tio­nen zum Weg, den Etap­pen und der nöti­gen Aus­rüs­tung fin­det ihr hier.

Paso del Viento

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