Eine Weltreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln

Nachhaltig die Welt bereisen? Ja, das geht!

Seit einem Jahr rei­sen wir bereits nach und durch Asi­en, immer auf dem Land­weg. Wir star­te­ten die­se Rei­se mit vie­len Fra­gen: Lässt sich immer ein Trans­port fin­den? Wie lan­ge wird es dau­ern, von A nach B zu kom­men? Was kos­tet es? Und was ist mit der Sicher­heit? Bald schon merk­ten wir, ja, das Rei­sen über Land funk­tio­niert! Schnel­ler als gedacht, net­ter als erwar­tet und sicher haben wir uns bis­lang auch immer gefühlt.

Nach mitt­ler­wei­le 12 Mona­ten on the road sind wir durch Län­der gekom­men, die leich­ter zu berei­sen sind und durch ande­re, in denen das Rei­sen mit öffent­li­chen Ver­kehrs­mit­teln kom­pli­zier­ter und anstren­gen­der ist. Im Iran freu­ten wir uns über ein her­vor­ra­gen­des Netz kom­for­ta­bler Über­land­bus­se sowie über gute und schnel­le Zug­ver­bin­dun­gen. In Tadschi­ki­stan hin­ge­gen war dar­an nicht mehr zu den­ken – ein­zig Jeeps, voll­ge­stopft bis unter die Decke, fuh­ren auf holp­ri­gen Stra­ßen die grö­ße­ren Ort­schaf­ten des Pamir-Gebir­ges an.

Was mitt­ler­wei­le nor­mal gewor­den ist beim Rei­sen über Land: es dau­ert! Sechs Stun­den im Zug durch Deutsch­land? Da sind wir von Augs­burg nach Ham­burg oder Ber­lin gefah­ren und haben das Land bereits fast zur Gän­ze durch­quert. Sechs Stun­den in einem indi­schen Zug? Eine ent­spann­te Halb­ta­ges­fahrt, da müs­sen wir noch nicht mal den Nacht­zug neh­men. Unse­re Wahr­neh­mung von Zeit und Distan­zen hat sich im Lau­fe unse­rer Rei­se und mit den ört­li­chen Gege­ben­hei­ten ver­än­dert.

Erst letz­tens, da fuh­ren wir mit einem indi­schen Nacht­zug von Ham­pi nach Hyde­r­a­bad. 530 Kilo­me­ter, für die der Zug 11 ½ Stun­den brauch­te. Wir hat­ten uns für die Kate­go­rie „AC 3“ ent­schie­den, bei der sich sechs Per­so­nen ihr Abteil tei­len, wie bei den alten Schlaf­wa­gen der Deut­schen Bahn. Mit dem Unter­schied, dass es sich um kei­ne geschlos­se­nen Abtei­le han­delt, son­dern sie zum Gang hin offen sind und sich seit­lich nur durch Trenn­wän­de von den nächs­ten Abtei­len abgren­zen.

Im Zug oder Bus gibt es kein Entrinnen

Mit uns im Abteil war Bhar­ti, 39 Jah­re alt, auf dem Weg zurück nach Hau­se. Sie freu­te sich so, end­lich weib­li­che Ver­stär­kung in unse­rem män­ner­do­mi­nier­ten Sech­ser­ab­teil zu bekom­men, dass sie sich zu uns aufs Bett setz­te. Der Zug rat­ter­te durch die anbre­chen­de indi­sche Nacht und wir hat­ten viel Zeit, uns nett zu unter­hal­ten. Bhar­ti erzähl­te von einem auf­re­gen­den Spa­zier­gang durch den indi­schen Dschun­gel und ich konn­te spü­ren, dass das Adre­na­lin noch durch ihre Adern pul­sier­te, so auf­ge­regt war sie immer noch.

Neben der Sto­ry bekam ich vie­le inter­es­san­te Fotos von ihrem Aben­teu­er zu sehen. Doch die Schla­fens­zeit rück­te immer näher und ich konn­te trotz span­nen­der Unter­hal­tung ein Gäh­nen nicht mehr unter­drü­cken. Am nächs­ten Mor­gen um 5 Uhr ver­ab­schie­de­te Bhar­ti sich von mir, sie stieg aus. Glück­li­cher­wei­se hat­ten wir am Abend vor­her bereits Num­mern aus­ge­tauscht.

Ange­kom­men in unse­rer Unter­kunft in Hyde­r­a­bad bekam ich eine Nach­richt von Bhar­ti. Sie lud uns zu sich nach Hau­se zum Essen ein, Mann und Sohn wären eben­falls da. Am Tag unse­rer Abrei­se tra­fen wir sie und ver­brach­ten gemein­sam einen tol­len Nach­mit­tag. Bhar­ti hat­te sich vie­le Gedan­ken gemacht, was die zwei Aus­län­der wohl ger­ne essen wür­den und so gab es Pas­ta ohne eine ein­zi­ge Chi­li­scho­te, sogar auf Chi­li­flo­cken hat­te sie ver­zich­tet! Wir waren gerührt. Bhar­ti und ihr Mann brach­ten uns nach­mit­tags zum Bahn­hof, denn mit einem wei­te­ren Nacht­zug setz­ten wir unse­re Rei­se von Hyde­r­a­bad in Rich­tung der indi­schen Ost­küs­te fort.

Dort im Zug saß kei­ne Bhar­ti und so gab es genü­gend Zeit, die­se net­te Begeg­nung noch ein­mal Revue pas­sie­ren zu las­sen. Sebas­ti­an und ich sind uns mitt­ler­wei­le einig, dass wir vie­le tol­le Begeg­nun­gen nur machen, da wir mit den Men­schen gemein­sam für Stun­den zusam­men im Zug oder Bus sit­zen. Auch in der Stadt tref­fen wir net­te Men­schen und kom­men mit ihnen ins Gespräch. Aber meist muss bald wie­der einer los und das Gespräch ist damit been­det. Im Zug oder Bus gibt es kein Ent­rin­nen. Und bei den lan­gen Fahrt­zei­ten ist es mög­lich, das Gespräch für ein Schläf­chen zu unter­bre­chen und spä­ter wie­der auf­zu­neh­men.

Wir erin­nern uns an vie­le sol­cher net­ten Gege­ben­hei­ten: Zum Bei­spiel Mr. und Mrs. Basu, die uns im Zug durch Indi­ens Nor­den mit ihrem lecke­ren selbst­ge­koch­ten Mit­tag­essen ver­kös­tig­ten, obwohl wir selbst eine gan­ze Tüte Pro­vi­ant dabei­hat­ten. Oder Nian, der tol­le chi­ne­si­sche Jun­ge, der mit sei­nem Vater und Opa die glei­che Stre­cke wie wir im Zug reis­te, und mit dem wir ein lus­ti­ges Spra­chen­lern­spiel spiel­ten, bei dem er das Wort auf Chi­ne­sisch sag­te und wir auf Eng­lisch. Der jeweils ande­re muss­te das ihm frem­de Wort wie­der­ho­len.

Dann war da noch Mashro­of, der Fah­rer eines „Shared Taxis“ in Paki­stan, der uns bat, kurz zu war­ten und in die­ser Zeit eine rie­si­ge Tüte Wal­nüs­se für uns als Geschenk hol­te. Oder die net­ten Mit­fah­rer im bis unter die Decke voll­ge­stopf­ten chi­ne­si­schen Zug. Wir fan­den kei­ne gemein­sa­me Spra­che, aber sie pro­bier­ten unse­re Salz­stan­gen und wir im Gegen­zug ihre son­der­ba­ren chi­ne­si­schen Snacks. Obwohl wir uns ver­bal nicht ver­stän­di­gen konn­ten, war es eine Zug­fahrt geprägt von Lachen und ange­neh­mer Stim­mung.

Auf 2 ½ Sitzen durchs Gebirge

Und im Pamir-Gebir­ge in Tadschi­ki­stan? Haben wir uns dort für die Jeeps auf holp­ri­gen Stra­ßen ent­schie­den? Nein. Hier hat­ten wir Glück und fan­den in einem ande­ren Rei­sen­den und sei­nem Toyo­ta-Van eine Mit­fahr­ge­le­gen­heit. Mit Tho­mas aus Liech­ten­stein fuh­ren wir vier Wochen lang durch den Pamir, teil­ten uns von mor­gens bis abends die enge Füh­rer­ka­bi­ne sei­nes 2 ½‑Sitzers und schlos­sen täg­lich Kom­pro­mis­se. Ins Bartang Val­ley? Oder doch auf der Haupt­pis­te blei­ben?

Dafür wur­den wir mit der Frei­heit belohnt, über­all am Weges­rand Stopps ein­le­gen zu kön­nen, denn das ist das Ein­zi­ge, was beim Über­land-Rei­sen mit öffent­li­chen Ver­kehrs­mit­teln manch­mal auf der Stre­cke bleibt: Der Bus­fah­rer folgt einem Fahr­plan und das Sys­tem brä­che zusam­men, wenn wir an den vie­len Plät­zen hal­ten wür­den, die für die unter­schied­li­chen Fahr­gäs­te inter­es­sant sind. So pas­siert es uns manch­mal, dass wir ger­ne stop­pen wür­den, es aber nicht kön­nen, da der Bus, Zug oder das “Shared Taxi“ ein­fach wei­ter­fährt. Das ging uns auf dem Pamir High­way zum Glück anders und von die­ser Frei­heit mach­ten wir regen Gebrauch.

Weshalb also nicht mit eigenem Fahrzeug reisen?

Für uns kommt das Rei­sen mit eige­nem Fahr­zeug trotz­dem nicht in Fra­ge. Bei unse­rer Mit­fahr­ge­le­gen­heit im Pamir-Gebir­ge muss­ten wir immer mal wie­der Zwangs­pau­sen auf­grund von Rei­fen­pan­nen oder klei­ne­ren Repa­ra­tu­ren ein­le­gen und fuh­ren in Usbe­ki­stan lan­ge Umwe­ge, um irgend­wo Die­sel auf­zu­trei­ben. Für jede Über­nach­tung oder jeden Tages­aus­flug ohne Auto muss ein siche­rer Platz für das Fahr­zeug gefun­den wer­den. Und der Anschaf­fungs­preis bereits vor Rei­se­be­ginn ist mehr, als wir bis­lang für unse­re gan­ze Rei­se zu zweit aus­ge­ge­ben haben.

Neben die­sen Über­le­gun­gen zu Prak­ti­ka­bi­li­tät, Kos­ten und Zeit­er­spar­nis ist uns auch wich­tig, mit einem mög­lichst gerin­gen öko­lo­gi­schen Fuß­ab­druck unter­wegs zu sein. Denn natür­lich ist unser anteils­mä­ßi­ger Sprit­ver­brauch in einem öffent­li­chen Bus, den wir uns mit vie­len ande­ren Men­schen tei­len, im Ver­gleich zum eige­nen Fahr­zeug wesent­lich gerin­ger.

Statt mit einem voll­ge­pack­ten Auto, sind wir daher mit je zwei Ruck­sä­cken – einem gro­ßen und einem klei­nen – fle­xi­bel unter­wegs und kön­nen unse­re Ver­kehrs­mit­tel für jede Stre­cke neu aus­wäh­len. Wir rei­sen mit klei­nem Gepäck und müs­sen uns des­halb um viel weni­ger küm­mern als um ein Auto samt Inhalt. Vor allem aber dür­fen wir wäh­rend der Fahrt ent­spannt aus dem Fens­ter schau­en, anstatt uns fah­rend durch den Innen­stadt­ver­kehr Mum­bais zu quä­len oder im Sla­lom rei­fen­gro­ßen Schlag­lö­chern aus­zu­wei­chen.

Das Rei­sen mit öffent­li­chen Ver­kehrs­mit­teln von A nach B funk­tio­niert also meis­tens gut. In einem Jahr pas­sier­te es nur ein, zwei­mal, dass wir uns auf einen Bus ver­las­sen hat­ten und er über­ra­schend dann doch nicht fuhr. Wir muss­ten umdis­po­nie­ren. Aber ande­rer­seits – auch Flü­ge kön­nen ohne Vor­ankün­di­gung gestri­chen wer­den.

Anfangs dach­ten wir noch, wenn es mit dem Rei­sen über Land so gar nicht geht, dann flie­gen wir zur Not eben. Nach mitt­ler­wei­le 31.316 Kilo­me­tern auf Stra­ße und Schie­nen wis­sen wir: Es geht her­vor­ra­gend mit dem Rei­sen über Land. Das Flug­zeug ist kei­ne Opti­on mehr für uns. Wir wol­len es nicht mehr mis­sen, immer von einem Land ins nächs­te zu rei­sen, die Lan­des­gren­zen zu pas­sie­ren, uns auf neue Wäh­run­gen und neue Spra­chen ein­zu­stel­len. Es wür­de sich nicht gut anfüh­len, ins Flug­zeug zu stei­gen und weni­ge Stun­den spä­ter in Hong­kong zu lan­den. Nein, wir rei­sen lang­sam, bewusst und mit Spaß. Und das ist für die­se Rei­se genau das Rich­ti­ge für uns!


Antworten

  1. Avatar von Martin Erzfeld
    Martin Erzfeld

    Lie­be Leo, lie­ber Seba­ti­an,

    in den letz­ten Tagen hat sich bei mir so ein Wunsch ent­wi­ckelt, mit öffent­li­chen Ver­kehrs­mit­teln um die Welt zu rei­sen. So habe ich heu­te (im Büro;-)) mal schnell recher­chiert und mich sehr gefreut, auf Euren Blog zu sto­ßen. Schon beim Über­flie­gen Eurer Ein­trä­ge war ich begeis­tert und wer­de heu­te Abend mal in Ruhe alles lesen. Wün­sche Euch auf jeden Fall wei­ter­hin eine gute Rei­se und mel­de mich viel­leicht irgend­wann noch­mal. Vie­le Grü­ße von Mar­tin aus Bam­berg 🙂

    1. Avatar von Leo Sibeth & Sebastian Ohlert

      Lie­ber Mar­tin,

      dei­nen Wunsch, mit öffent­li­chen Ver­kehrs­mit­teln die Welt zu berei­sen, kön­nen wir sehr gut nach­voll­zie­hen 😉 Wir drü­cken dir alle Dau­men, dass es für dich mög­lichst bald Wirk­lich­keit wird und freu­en uns sehr, wenn dich unser Blog und unse­re Rei­se­be­rich­te inspi­rie­ren.

      Seit fast einem Monat sind wir nun wie­der zu Hau­se und haben Weih­nach­ten mit der Fami­lie gefei­ert. Das war sehr schön nach fast 3 Jah­ren in der Fer­ne.

      Lie­be Grü­ße aus Tübin­gen
      Sebas­ti­an und Leo

  2. Avatar von Phylipi Leal
    Phylipi Leal

    « Lang­sam, bewusst und mit Spaß. « Sehr gut!
    Glück­wünsch für die­se tol­le Geschich­te. Ich hof­fe die Leu­te einer Tag in Deutsch­land, in dem offent­li­chen Ver­kehrs­mit­teln, auch sich mit ein­an­der unter­hal­ten wer­den!

    Lie­be Grüs­se und keep going!

    1. Avatar von Leo Sibeth & Sebastian Ohlert

      Lie­ber Phy­li­pi,
      dan­ke dir für dei­nen Kom­men­tar! Ja stimmt, in der Deut­schen Bahn kann man manch­mal eine Steck­na­del fal­len hören, so lei­se ist es… 😉
      Wir drü­cken dir dir Dau­men, dass du in den Öffis Deutsch­lands bald mal einen gesprä­chi­gen Neben­sit­zer fin­den wirst und sen­den dir vie­le Grü­ße aus Tibet
      Leo & Sebas­ti­an

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