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Ein sonniger Nachmittag im Spätsommer 2002: Gerade hatte ich mich zum Wintersemester an der Uni Rostock eingeschrieben, Hauptfach: Germanistik, Nebenfach: Anglistik/Amerikanistik, nun saß ich auf einer der breiten Bänke, die den Platz vor dem Uni-Hauptgebäude säumen und schaute mich um. Die Stadt war voll, Passanten schlenderten die Kröpeliner Straße entlang, in der sich bunte Giebelhäuser aneinanderschmiegen, zu meiner Rechten sprudelte ein Brunnen, irgendwo spielte jemand Akkordeon. Da ergriff mich eine leise Ahnung: In Rostock zu studieren, ist die richtige Entscheidung.
Und dabei war ich noch nicht mal am Meer.
Bald lernte ich: Die Kröpeliner Straße – „Kröpi“ genannt – ist hier die Haupteinkaufsstraße, der „Brunnen der Lebensfreude“ wegen seiner nackten Bronzefiguren besser als „Pornobrunnen“ bekannt und die Akkordeonklänge stammten von Spielmannopa, dem hutzeligen Straßenmusiker mit den lieben Augen, den jeder Rostocker kennt.
Was es heißt, in Rostock zu studieren
Und meine Ahnung? Wurde Gewissheit. Rostock ist ein Ort, dessen Vorzüge ich sofort zu schätzen wusste, nicht erst nach monatelangem Eingewöhnen, nicht erst im Rückblick, als ich längst weggezogen war. Mecklenburg-Vorpommerns einzige Großstadt hat es mir leicht gemacht.
Dort zu leben und zu studieren, das hieß, in der Innenstadt Möwen schreien zu hören. Immer wieder den Anblick der Giebel am Neuen Markt und anderswo im Zentrum zu bewundern. Fast überall zu Fuß hinlaufen zu können, auch nachts, von Club zu Club, denn es gab viele gute Clubs in dieser Stadt mit ihren kaum mehr als 200.000 Einwohnern.
Die Kröpeliner-Tor-Vorstadt, kurz KTV, ist das Studentenviertel der Hansestadt
Es hieß, regelmäßig in der Südstadt-Mensa zu versacken, die im bundesweiten „Mensa des Jahres“-Ranking oft ganz vorn mit dabei war. Im Sommer mit der Aussicht auf Kräne und Schiffe am Stadthafen zu grillen und jeden Winkel der KTV zu kennen – die Kröpeliner-Tor-Vorstadt, das Viertel, in dessen pastellfarbenen Mietshäusern die meisten Studenten wohnen, in dessen Straßen sich die meisten Cafés, Kneipen und kreative Läden befinden.
In Rostock liegt die Ostsee vor der Haustür
In Rostock zu leben, das hieß zu guter Letzt, die Ostsee vor der Haustür zu haben – nicht bloß einen Bodden, nicht bloß eine Bucht, nein, das weite, das offene Meer erstreckt sich vor einem im Stadtteil Warnemünde. Und das wiederum hieß, unzählige Nachmittage mit Freunden am Wasser zu verbringen. Und anzubaden bis spätestens Ende Mai.
Ach, dieses Meer! Keine zwanzig Minuten braucht die S‑Bahn von der KTV nach Warnemünde, keine weitere Viertelstunde läuft man vom Bahnhof zum Strand. Der ist mit bis zu 80 Metern der breiteste der Ostseeküste und kann es aufnehmen mit den Traumstränden am Mittelmeer. Der Sand ist so hell und fein wie Strandsand nur sein kann, und vorne, nahe den Leuchttürmen, stehen im Sommer die weißen Möbel einer Beach-Bar im Sand und am Himmel kreisen fast immer ein paar Drachen. In den Ferien ist jeder Fleck hier belegt, und wem das zu viel ist, der kann zum Beispiel am Wasser entlang in Richtung Westen fahren, dahin, wo der Wald beginnt, wo die Küste steil und der Strand steinig wird, da ist es noch immer schön ruhig.
Und doch genießt diese Stadt kein allzu hohes Ansehen. Krawalle von Fußballfans haben damit zu tun, vor allem aber die rassistischen Anschläge im Stadtteil Lichtenhagen 1992. Sie haben ihr nachhaltig geschadet.
Rostocks Ruf: irgendwas zwischen grau und braun
Kürzlich erschien eine Merian-Ausgabe über Rostock mit einem Interview mit Marteria. Der Rapper ist in der Hansestadt aufgewachsen und hat seiner Heimat vor ein paar Jahren einen Song gewidmet. „Ich fand immer merkwürdig, was für einen schlechten Ruf die Stadt hatte“, sagt er darin. Seit Lichtenhagen gelte sie als „Ossi-Stadt, Neubau-Platten und so“, viele hätten danach ein Problem gehabt zu sagen: „Ich bin aus Rostock.“
Ähnlich ging es mir sogar noch 2009, als ich nach Hamburg zog. Erzählte ich, wo ich studiert hatte, war die Reaktion meist verhalten – und ich sofort im Rechtfertigungsmodus. „Es ist dort nicht so schlimm, wie du denkst“, hörte ich mich sagen, „Rostock ist eigentlich sehr schön!“
Das ist es bis heute, ganz uneigentlich. Das habe ich bisher noch bei jedem Besuch gedacht.
Okay, man glaubt das vielleicht nicht gleich, wenn man den Hauptbahnhof auf der Südseite verlässt und von Plattenbauten begrüßt wird. Und, ja, es stimmt: Auf der S‑Bahn-Fahrt nach Warnemünde ziehen wirklich ziemlich lange nichts als Hochhausreihen vorüber. Aber das ist hier eben nicht alles, und es tut mir in der Seele weh, dass diese Stadt noch heute als grau und grimmig gilt, trotz all ihrer Farben, all ihrer weltoffenen Menschen.
Bei meinem letzten Besuch vor zwei Wochen ging ich vorm „Hotel Neptun“ am Strandaufgang 11 ans Meer. Vorm „Supremesurf“, der Surfschule mit Beach-Bar, saß eine Möwe auf einem der Holztische und schrie, von der Hütte drang eine Cover-Version von „Time after Time“ an mein Ohr. „If you’re lost you can look and you will find me, time after time“, sang eine warme Männerstimme, und der Refrain ging mir den ganzen Tag nicht aus dem Kopf.
Vielleicht weil er so gut passt zu meinem Rostock-Gefühl. Weil ich mich hier wohl fühle, ein ums andere Mal.
Zu guter Letzt: Meine besten Rostock-Tipps
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- Törtchenlokal Waldenberger – Hier halten sagenhafte Törtchen, was sie optisch versprechen. Besucher nehmen sie sich selbst aus der Vitrine am Eingang des liebevoll eingerichteten Cafés. Dem Inhaber kann man in der offenen Küche beim Kreieren seiner süßen Sünden zuschauen.
- Veis – Veganes Eiscafé in der KTV mit ausgefallenen Sorten wie „Tonkabohne.“ Wichtig: Ihr müsst unbedingt mit Sahne bestellen, die Sahne ist der Knaller!
- Heumond – Urig und gemütlich, mit Bücherregalen und Kerzenschein. Hier werden Vegetarier und Veganer glücklich.
- Pesto-Peter – An einem ehemaligen klassischen Kiosk im Rosengarten gibt es, wenn es nicht zu kalt draußen ist, Burger (auch vegetarische), Curry-Wurst mit Spezialsoßen und natürlich: Nudeln mit einzigartigen Pesti.
- Peter-Weiss-Haus – Ein Kulturzentrum im Herzen der KTV, in dem Konzerte, Partys Lesungen, Workshops stattfinden. Im Sommer trifft man sich im großen Biergarten.
- Literaturhaus Rostock – Man staunt, was dieses Haus alles auf die Beine stellt und wen es zu Lesungen so an die Ostseeküste holt!
- Mau-Club – Der tradtionsreiche Club mit viel Platz steht direkt am Stadthafen und lockt mit Konzerten, Lesungen und Partys. (Lieblingserinnerung: ein ausverkauftes Konzert von „The Wailers“!)
- Andere Buchhandlung – Liebevoll und persönlich: Hier schreiben alle Mitarbeiter regelmäßig ihre Empfehlungen auf kleine Zettel und legen sie zu ihren Favoriten.
- Buchhandlung Krakow Nachf. – Der Charme alter Buchhandlungen ist in dem Laden am Kirchenplatz in Warnemünde noch spürbar. Er hat viel Stammkundschaft aus der Umgebung. Geht mal rein und sagt Hallo, ich habe dort als Studentin eine Weile gearbeitet!
- Coaast – In dem Schallplattencafé in Warnemünde gibt es eine große Auswahl vor allem an Rock-Musik, ’nen Kaffee bekommt man hier tatsächlich auch.
- Café Panorama im Neptun-Hotel – Vom 19. Stockwerk des berühmten Neptun-Hotels kann man ganz Warnemünde überblicken. Und: Die Torten sind ein Traum! Öffnet um 13 Uhr, am Wochenende bildet sich vorm Eingang gern schon vorher eine Schlange.
- Li.Wu. – An zwei Spielstätten bringt das „Lichtspieltheater Wundervoll“ Filme aus Europa und dem Rest der Welt auf die Leinwand, die im Mainstream-Kino nie laufen würden.
- FISH-Festival – Hat nix mit Fisch zu tun. Der Name steht für „Filmfestival im Stadthafen“. Jedes Jahr im Frühling stellen Nachwuchs-Filmemacher aus Deutschland und einem jährlich wechselnden Partnerland aus dem Ostseeraum ihre Werke vor.
Antworten
Als gebürtige Rostockerin schreibst Du mir aus der Seele. Auch wenn ich schon viele Jahre in Berlin wohne, hängt mein Herz an Rostock, Warnemünde und der Umgebung. Mir war gar nicht klar, dass man Rostock nicht schön finden kann. Das Zentrum, die nördliche und östliche Vorstadt sind doch toll und überall ist Wasser. 🙂
Vielen Dank auch fürs Mitnehmen in meine Jugend: Mensa, Mau, Studentenkeller usw. das waren tolle Zeiten.
In ein paar Tagen bin ich wieder in Rostock und freue mich riesig darauf. Liebe Grüße, InesLiebe Ines, das freut mich riesig! Mich freut auch, dass Du das nicht erlebt hast, dass Menschen Rostock gegenüber eher skeptisch sind. Mag sein, dass sich das inzwischen geändert hat. Das wäre schön. Wie beschrieben, schien mir die Stadt aber vor einigen Jahren noch keinen so besonders tollen Ruf zu haben. Stimmt, den Studentenkeller ließ ich unerwähnt, aber da habe ich auch den ein oder anderen Abend verbracht 🙂 Ich wünsche Dir eine gute Zeit in Rostock! Grüße zurück, Susanne
Danke für die tolle Bewertung auf Rostock. Ich bin ein amerikanischer Student, und ich lerne Deutsch.
Ich möchte Rostock besuchen denn es klingt sehr schön. Ich liebe den Strand und das Essen klingt toll.Hi Felix, großartig! Ja, fahr unbedingt mal hin, wenn Du in Deutschland bist und lass mich hier wissen, was Du für einen Eindruck hattest. Liebe Grüße!
Als Nordlicht seit den Kindheitstagen und nun seit 17 Jahren auch Rostocker weiß ich, dass der Sand in Warnemünde leider nicht das Gelbe vom Ei ist und es weiter nordöstlich (bspw. in Zingst) noch viel schönere Strände und feineren Sand gibt … trotzdem Danke für Deinen schwelgerischen Bericht. LG
Hi, vielen Dank! Na ja, klar: Ein relativ einsamer Strand auf einer Insel mit Wald im Hintergrund ist natürlich NOCH toller. Der Darß ist wunderschön, da geb ich Dir völlig Recht. Aber als Stadtstrand empfinde ich persönlich den in Warnemünde schon als das Gelbe vom Ei.
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