Von heißen Quellen, holprigen Straßen und neugierigen Blicken nach Afghanistan

Es sind 30 Grad und die Son­ne brennt erbar­mungs­los vom Him­mel. Obwohl ich schon jetzt schwit­ze, las­se ich mich lang­sam in das hei­ße Was­ser glei­ten. „Hot Springs im Som­mer sind doch ein Quatsch“, geht es mir durch den Kopf. Das Was­ser hat gut 40 Grad, in der bren­nen­den Son­ne hal­te ich es kaum aus. Lang­sam wate ich durch das Becken in Rich­tung der klei­nen Schat­ten­ecke, in der noch wei­te­re Frau­en ste­hen und sich unter­hal­ten. Wir alle sind nackt. Es ist ein him­mel­wei­ter Unter­schied zu denen in der Öffent­lich­keit so ein­ge­pack­ten Men­schen, die sich vor Son­ne und Staub schüt­zen. Hier, in den hei­ßen Quel­len von Garm Chash­ma, was über­setzt pas­sen­der­wei­se „hei­ßes Was­ser“ heißt, sind die Frau­en mit einer bemer­kens­wer­ten Gelas­sen­heit nackt. Kei­ne ver­steckt sich, kei­ne springt ganz schnell ins Was­ser, um nicht gese­hen zu wer­den. Die Frau­en, von sehr jung bis sehr alt, ste­hen bei­sam­men, unter­hal­ten sich oder rei­ben sich mit wei­ßem Schlamm ein, den sie vom Bas­sin-Boden hoch­ge­holt haben.

Lang­sam habe ich mich an die Tem­pe­ra­tu­ren gewöhnt und kann begin­nen, den Besuch in die­ser hei­ßen Quel­le zu genie­ßen. Mei­ne Gedan­ken schwei­fen ab zu unse­rer Rei­se auf dem Pamir High­way.

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Heu­te ist unser elf­ter Tag „on the road“ und wir haben die ers­te gro­ße Etap­pe schon geschafft. Von Duschan­be aus fuh­ren wir einen gro­ßen Schlen­ker Rich­tung Süden nach Kulob, bogen dann aber nach Osten, Rich­tung Panj-Fluss ab, den wir kurz vor Khirm­an­jo erreich­ten. Der kür­ze­re Weg war wegen eines Brü­cken­zu­sam­men­bruchs gesperrt, sodass wir uns für die­se Rou­te ent­schie­den hat­ten.

Tage­lang folg­ten wir nun den Win­dun­gen des wil­den, aber schma­len Grenz­flus­ses zu Afgha­ni­stan. Die­ses schien nur eine Hand­breit von uns ent­fernt zu sein und des Öfte­ren ertapp­ten wir uns, viel mehr nach Afgha­ni­stan als auf das vor uns lie­gen­de Tadschi­ki­stan zu bli­cken. Stän­dig ging unser Blick nach rechts durch das Fens­ter, über den Fluss hin­weg. Dort sahen wir klei­ne Orte, Fel­der, Tie­re, Motor­rä­der, Schul­kin­der auf dem Heim­weg, Stra­ßen­bau­ar­bei­ter bei wohl einem der gefähr­lichs­ten Arbeits­plät­ze der Welt – dem Spren­gen einer neu­en Stra­ßen­tras­se direkt in den Fels ober­halb des wil­den Flus­ses. Ohne Siche­rung, dafür mit schwe­rem Gerät. Ab und an war ein Wink-Kon­takt auf die ande­re Sei­te des Flus­ses mög­lich. „Kommt zu uns rüber geschwom­men“, bedeu­te­ten uns die afgha­ni­schen Kin­der mit ihrer Ges­tik. Wir trau­ten uns nicht.

Doch auch auf tadschi­ki­scher Sei­te war Eini­ges zu sehen: wil­de Fluss­tä­ler spa­zier­ten wir ent­lang, bei einer Fami­lie durf­ten wir spon­tan im Gar­ten unser Zelt auf­schla­gen und wur­den herz­lich zum Ift­ar, dem abend­li­chen Fas­ten­bre­chen im Rama­dan, ein­ge­la­den. Mit uns schie­nen alle Män­ner des Dor­fes auf den unter den Bäu­men ste­hen­den Tap­chans, gro­ßen gepols­ter­ten Bett­ge­stel­len, ver­sam­melt zu sein. Es herrsch­te eine andäch­ti­ge und fest­li­che Atmo­sphä­re. Lei­der hol­te mich am nächs­ten Mor­gen mei­ne ers­te rich­ti­ge Krank­heit die­ser Rei­se ein – Über­ge­ben, Durch­fall und Fie­ber. Es dau­er­te vier Tage, bis ich mich wie­der erholt hat­te.

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Spek­ta­ku­lä­re Stra­ßen­ab­schnit­te hiel­ten uns in Atem. Auf­grund eines Stein­rutschs war die ein­zi­ge Stra­ße an einem Tag plötz­lich gesperrt – es blieb uns nichts ande­res übrig, als eine Über­nach­tungs­mög­lich­keit zu suchen und es am nächs­ten Tag erneut zu pro­bie­ren. Es gab Tages­etap­pen, an denen wir nur mit 20 km/​h vor­an­ka­men und an denen ich nicht drei Sekun­den ruhig auf mei­nem Platz sit­zen konn­te. Hoch und run­ter, vor und zurück, stän­dig in Bewe­gung waren wir auf den Sit­zen des roten Vans.

Wir stopp­ten in der Pro­vinz­haupt­stadt Khorog; ein klei­ner Schock nach so vie­len win­zi­gen Orten am Stra­ßen­rand. Hier gab es Restau­rants, sogar ein indi­sches, ein gro­ßes Kran­ken­haus, Geschäf­te, Cafés und vie­le ande­re Rei­sen­de! Khorog war unse­re Infor­ma­ti­ons­bör­se des Pamir High­ways und kein Gespräch begann ohne „Wo kommt ihr her, wo fahrt ihr hin?“ und das Aus­tau­schen von net­ten Homestay-Adres­sen, Infor­ma­tio­nen zur Stra­ßen­si­tua­ti­on und Stopps, die man unbe­dingt ein­le­gen soll­te. In Khorog tra­fen wir Rei­sen­de, die wir vor­ab schon auf der Stra­ße getrof­fen hat­ten, ein zwei­tes oder sogar drit­tes Mal. Es war ein gro­ßes Dorf, in dem es nett war, in dem es irgend­wann aber auch wie­der reich­te.

Es ging zurück auf die Stra­ße, zurück auf die Hol­per­pis­ten. Zurück zu den Homestays bei Fami­li­en, die uns ein Zim­mer mit Matrat­zen­la­ger ver­mie­te­ten, zurück zur Shor­ba, der im gan­zen Land ver­brei­te­ten kla­ren Brü­he mit Fleisch und etwas Kar­tof­fel- und Karot­ten­ein­la­ge, die es fast täg­lich zu essen gab. Und zurück zum Panj, dem sich win­den­den Wild­fluss und unse­ren Aus­bli­cken auf den Nach­barn Afgha­ni­stan.

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Eine der Frau­en bewegt sich durch das Was­ser lang­sam auf mich zu, sie lächelt mich an. „Kak teb­já savut?“ fragt sie mich auf Rus­sisch. „Men­já savut Leo“, ant­wor­te ich ihr. Sie fragt wei­ter, ich kann nur das Wort „let“ erken­nen – Alter. „Tri­zet-dwa“ kann ich ihr ant­wor­ten. „Musch?“ ist das nächs­te Wort, das ich erken­ne – „da!“, ja, einen Mann gibt es. Sie lächelt und macht eine Ges­te, die nach „und wo ist er?“ aus­sieht. Ich zei­ge mit mei­ner Hand in Rich­tung der sich in einem klei­nen Häus­chen befin­den­den Pools – dem Män­ner­be­reich im aktu­el­len Zeit­fens­ter. „Die­ti jest?“ fragt sie wei­ter, „Habt ihr Kin­der?“. Ich muss lächeln. Ein Paar ohne Kin­der scheint hier undenk­bar zu sein, eine bewuss­te Ent­schei­dung gegen Kin­der scheint es ein­fach nicht zu geben. Wie es hier wohl für Paa­re ist, die ein­fach kei­ne Kin­der bekom­men kön­nen? Als Ant­wort auf ihre Fra­ge schüt­te­le ich den Kopf. „But ‚ins­hal­lah‘ in the future!“ – wir müs­sen bei­de lachen. Sie selbst hat bereits eine Toch­ter, gut für sie.

Sie zieht mich zu einer klei­nen Höh­le in der rie­si­gen Kalk­wand, die zur Hälf­te mit Was­ser gefüllt ist. Mir fällt ein Absatz aus dem Rei­se­füh­rer ein, der Rei­sen­de warnt, sich in das Becken zu zwän­gen. Für klei­ne und schlan­ke Tadschi­kin­nen sei der Ein- und Aus­stieg in das Becken pro­blem­los zu schaf­fen, es hät­te aber schon die ein oder ande­re Mit­tel­eu­ro­päe­rin gege­ben, die drin ste­cken geblie­ben wäre. Frucht­bar­keits­be­cken hin oder her – auch mit gutem Zure­den mei­ner neu­en Freun­din las­se ich mich in das Becken nicht hin­ein­schie­ben. Ins­hal­lah – so Gott will – das mit den Kin­dern wird schon klap­pen, wenn es sein soll.

Plötz­lich kommt Bewe­gung in die nack­ten Damen im hei­ßen Was­ser, fast alle stre­ben in Rich­tung Becken­rand und in Rich­tung der Umklei­de­ver­schlä­ge. Ich den­ke mir nichts dabei, fol­ge ihnen aber, es reicht mit hei­ßer Quel­le für heu­te. Auf ein­mal sind sie wie­der da, die Frau­en, die ich von der Stra­ße ken­ne, in bun­ter Klei­dung, Kopf­tü­chern, teils Tüchern vor dem Mund und so ein­ge­packt, als hät­te es 15 Grad weni­ger. „War­um habt ihr so viel an?“, fra­ge ich mit Hän­den und Füßen. „Son­ne und Staub«, sind ihre Ant­wor­ten, bevor wir gemein­sam den Bade­be­reich ver­las­sen. Das Zeit­fens­ter der Frau­en im Natur­pool ist um.

Außer­halb der Quel­le war­ten bereits Sebas­ti­an und Tho­mas auf mich, die Pech hat­ten und wäh­rend unse­rer Besuchs­zeit im weni­ger schö­nen über­dach­ten und künst­li­chen Bereich baden muss­ten. Weni­ge Minu­ten spä­ter sind wir zurück auf der stau­bi­gen und holp­ri­gen Stra­ße, wei­ter ent­lang dem Panj in Rich­tung Ish­kas­him, dem süd­lichs­ten Punkt des Pamir High­ways, wo wir heu­te Abend über­nach­ten wol­len…

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