Snowboarden mit Mönchen

Die Son­ne ver­schwin­det lang­sam im Schnee­ge­stö­ber, der Berg­grat ist noch lan­ge nicht in Sicht. In der Fer­ne, hin­ter dem Vor­hang aus dicken Flo­cken, kommt ein stei­ner­nes Kreuz her­vor – und ver­schwin­det gleich wie­der im Weiß, durch das wir nun schon seit Stun­den wan­deln.

Mit Lawi­nen­piep­sern und geschul­ter­ten Snow­boards schnau­fen wir den stei­len Berg­hang hin­auf, jeder blickt ange­strengt auf die Schnee­schu­he des Vor­der­manns. Wir, das sind fünf Teil­neh­mer, wir zwei aus Deutsch­land, zwei aus Polen, einer aus den USA und drei Tour­gui­des, die die meter­ho­hen Schnee­de­cken nach Lawi­nen­ge­fahr abtas­ten.

Seit ein paar Wochen befin­den wir uns schon im geor­gi­schen Kau­ka­sus und sin­ken immer tie­fer dar­in ein. Auch, wenn das nie unse­re Absicht war. Eigent­lich soll­te es nur ein kur­zer Abste­cher sein, doch dann ließ uns das rie­si­ge Fal­ten­ge­bir­ge nicht mehr los. Grund dafür sind die Men­schen hier, die Schnee­mas­sen, die gigan­ti­schen Gip­fel und das sagen­um­wo­be­ne Klos­ter, das sich irgend­wo, ganz dicht unterm Him­mel ver­steckt.

Wir machen kurz Rast auf einem eisi­gen Fels­vor­sprung und bli­cken ein letz­tes Mal auf die Drei­tau­sen­der von Gudau­ri, ehe­mals sowje­ti­sches Ski­re­sort, das mitt­ler­wei­le weit hin­ter uns liegt. Einen Kilo­me­ter haben wir schon hin­ter und zwei vor uns, ins­ge­samt 900 Höhen­me­ter sind zu bewäl­ti­gen, um zu den Mön­chen von »Lomi­si« zu gelan­gen. Wir stap­fen ser­pen­ti­nen­wei­se hin­auf, erst durch den Wald, dann über wei­te Tief­schnee­fel­der.

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Plötz­lich, in der eisi­gen Fer­ne des immer stei­ler wer­den­den Berg­mas­sivs, ein­ge­hüllt von einem lan­gen schwar­zen Gewand, erscheint ein jun­ger Mönch, der, nicht wie wir, hef­tig atmet, son­dern mit Schnee­schu­hen und Mili­tär­ruck­sack eher fröh­lich an uns vor­bei tän­zelt, für ein paar kur­ze Erle­di­gun­gen im nächs­ten Ort. Er ist einer der fünf ortho­do­xen Mön­che, die auf dem eisi­gen Grat leben. Nata­lia, die Lei­te­rin der Tour und eine begna­de­te Snow­boar­de­rin, nimmt den jun­gen Mönch in den Arm. Die bei­den sind seit Jah­ren Freun­de. Tour­gui­des und Mön­che tei­len schließ­lich auch eine Lei­den­schaft: sie nut­zen die Schnee­hän­ge des Klos­ters ger­ne für einen Freeri­de mit Snow­board oder Ski­ern. »Die haben es auch ziem­lich drauf«, sagt Tour­gui­de Sebas­ti­an, der mehr­mals im Jahr den Berg hin­auf wan­dert.

Wer das abge­schie­de­ne Klos­ter besucht, soll­te eine klei­ne Gabe mit­brin­gen, dafür schen­ken die Mön­che den Besu­chern ihren hei­ßen, geor­gi­schen Kräu­ter­tee ein, damit sie sich nach dem fros­ti­gen Auf­stieg auf­wär­men kön­nen.

Nach vier Stun­den haben auch wir es zum Tee geschafft. Der Wind pfeift um das vom Schnee ein­ge­schlos­se­ne Klos­ter, drin­nen ist es warm und hei­me­lig, wir sit­zen am Feu­er­ofen im Wohn­raum der Mön­che und schwei­gen andäch­tig, wäh­rend Müt­zen, Hand­schu­he und Bär­te auf­tau­en. Gera­de ist nur einer der Mön­che zu gegen, ein recht stil­ler Genos­se, der wie der Berg auch, in sich ruht. Wort­los berei­tet er die Kräu­ter­mi­schung für die Tee­kan­ne vor und ver­teilt ein paar Papp­be­cher. Die Tour­gui­des hat­ten zuvor die klei­ne Gabe ein­ge­kauft: eine Tüte »Gebäck Mischung« aus Deutsch­land. Wir krie­gen sie gleich zum Tee ange­bo­ten. Schmeckt ganz anders, wenn man einen vier­stün­di­gen Auf­stieg hin­ter sich hat.

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Neben der Mönchs­hüt­te führt der Berg­grat noch höher hin­auf, vor­bei an dem ein­fa­chen Toi­let­ten­häus­chen, extrem steil am Berg­rü­cken gele­gen, zu einer wei­te­ren noch klei­ne­ren Mönchs­hüt­te – für die­je­ni­gen, die noch mehr Ruhe und Abge­schie­den­heit suchen als sie sowie­so schon haben. Nach­dem jeder sei­nen Tee genos­sen hat, zeigt uns der Mönch die anlie­gen­de Kir­che »Lomi­sa«, die nach dem Stier Loma benannt ist. Der Legen­de nach soll Loma das Abbild des St. Geor­gi­us aus einem Feu­er geret­tet und damit die geor­gi­schen Hoch­län­der aus der per­si­schen Herr­schaft befreit haben. Man­che sagen, es sei ein Löwe gewe­sen. Ande­re mei­nen sich sicher zu sein, es war ein Löwe mit Stier­hör­nen. Eine Legen­de eben.

Bis heu­te fei­ern die Geor­gi­er im Früh­ling das »Lomiso­ba Fes­ti­val«, ver­an­stal­ten tags­über ein blu­ti­ges Schlacht­fest, als Opfer­ga­be, und erleuch­ten abends den gesam­ten Berg­hang mit ihren Lich­tern. Dem Stier­lö­wen zu Ehren, denn der starb auf dem Berg­grat, wo nun die recht ein­drucks­vol­le Basi­li­ka steht. Schlicht, aus mas­si­ven Stei­nen gehau­en mit einer gro­ßen Kup­pel, deren Fens­ter­bo­gen einen Licht­spalt her­ein­lässt. In Geor­gi­schen Kir­chen zün­det man eine der stro­halm­dün­nen Honig­ker­zen an, für die man einen Lari spen­det. In der „Lomi­sa“ hängt außer­dem noch eine zehn Kilo schwe­re Eisen­ket­te für die schwer­wie­gen­de­ren Gebe­te. Wer dran glaubt, hängt sie sich um den Hals, umrun­det den Haupt­pfei­ler der Kir­che, und wünscht sich dabei etwas für sei­nen Nächs­ten. Auch unse­re Tour­gui­des schwö­ren dar­auf. Wir bevor­zu­gen lie­ber die etwas leich­te­ren Honig­ker­zen­stän­gel.

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Die Sicht drau­ßen am Gip­fel ist immer noch trüb, der nächs­te Schnee­fall setzt ein. Von Wei­tem, ganz ver­ne­belt, ist ein Stück Süd­os­se­ti­en zu erken­nen. Der Berg­kamm von Lomi­si war schon immer die Linie zwi­schen zwei Kon­flikt­par­tei­en. Frü­her mar­kier­te das Klos­ter die Gren­ze zwi­schen Geor­gi­en und Per­si­en, heu­te ist es die so genann­te »Admin­stra­ti­ve Boun­da­ry Line« (ALB), eine Gren­ze, die seit dem Kau­ka­sus­krieg 2008 umstrit­ten ist. Das Lomiso­ba Fes­ti­val hat aber bis­lang durch­set­zen kön­nen, dass Pil­ger bei­der Berg­sei­ten teil­neh­men dür­fen – auch die von Geor­gi­en und Russ­land umklam­mer­ten Süd­os­se­tier.

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Der Freeri­de hin­un­ter führt über wei­te Fel­der, stei­le Hän­ge, durch den zucke­ri­gen Schnee, zur unte­ren Basi­li­ka der Mönchs­ge­mein­schaft. Dort steht auch schon die gemie­te­te Marsch­rut­ka, die uns zurück zum »Hap­py Yeti« Hos­tel bringt, wo sich alle Gäs­te, die meis­ten aus Geor­gi­en, Polen, der Ukrai­ne und Russ­land, nach einem pul­veri­gen Tag zusam­men­fin­den.

Nachts kann das Gebiet bis zu minus 30° Grad errei­chen, was die Warm­was­ser­ver­sor­gung schon mal ins Sto­cken gera­ten lässt. Das lässt pas­sio­nier­te Ski­fah­rer aber kalt. Der Kau­ka­sus ist ein­fach zu schön, um sich über sei­ne Eises­käl­te den Kopf zu zer­bre­chen. Vor allem ist es schön leer: 2015 kamen 30.000 Gäs­te nach Gudau­ri – ver­teilt auf die gesam­te Sai­son. Das ist nicht viel, wenn man bedenkt, dass die gro­ßen Alpen Resorts bis zu 200.000 in der Woche beher­ber­gen.

Das Ski­ge­biet Gudau­ri ist noch ziem­lich jung, wie uns wie uns Mamu­ka Bur­du­li (60) erklärt, der hier gebo­ren und auf­ge­wach­sen ist. Bud­ur­li, sagen die Locals ehr­fürch­tig, ist der Snow­board-Guru Geor­gi­ens. Er ist auf Ski­ern groß­ge­wor­den und war einer der ers­ten Snow­boar­der der Nati­on. Mit einer »Cra­zy Bana­na«, heu­te gehan­delt als Old­ti­mer Snow­board, fing er an, die Hän­ge run­ter zu bret­tern. »Die Leu­te dach­ten, wir sind irgend­wel­che Spin­ner«, lacht Bud­ur­li. Ver­gnügt sit­zen wir in der Hos­tel Bar und schlür­fen Schwarz­tee aus Maß­krü­gen. In den 80er Jah­ren koope­rier­te die Sowjet­uni­on mit öster­rei­chi­schen Inves­to­ren und ließ das Dorf, das Jahr­hun­der­te lang nur ein Post­kut­schen­stopp war, zu einem Ski Resort aus­bau­en – mit Hil­fe von öster­rei­chi­schen Inves­to­ren und deut­schen Ski-Pro­fis, den »Cra­zy Ger­mans«, wie Bur­du­li sie nennt. Er kann sich noch gut an sei­ne ers­te Begeg­nung mit den Extrem-Ski­fah­rern Lutz Hein­rich und Klaus Zar­re erin­nern, die im Jahr 1989 ein Heli-Ski-Unter­neh­men in Gudau­ri star­te­ten. »Klaus hat­te die­se dün­nen Ski­er, die damals noch 2,07 Meter lang waren, damit stürz­te er wie ein Gott die Hän­ge hin­un­ter«, erzählt Bud­ur­li.

Heli-Ski im Kau­ka­sus bot sich damals beson­ders an. Ein Flug mit dem Heli­ko­pter war über­aus erschwing­lich. »Manch­mal haben wir ein­fach nur ein paar Fla­schen Wein von einem Ort in den ande­ren flie­gen las­sen – so güns­tig war es«, sagt Bud­ur­li. Bis heu­te ist »Heli-Ski­ing« hier der Ren­ner: Extrem-Ski­fah­rer und Snow­boar­der las­sen sich mit moder­nen Heli­ko­ptern auf die bis zu 3700 Meter hohen Chaukhi-Ber­ge oder auf die Steil­hän­ge rund um den 5047 hohen »Kas­bek« brin­gen, um anschlie­ßend durch den irren Tief­schnee zu pow­dern.

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Auf Wie­der­se­hen, schnee­wei­ßer Pla­net

Nach vier Wochen müs­sen wir uns doch ver­ab­schie­den, dank­bar, für die vie­len Höhen und wun­der­schö­nen Tie­fen. Dar­un­ter der Gip­fel des 3006 Meter hohen »Kude­bi«, von dem aus das gigan­ti­sche Kau­ka­sus-Pan­ora­ma zu sehen ist. Oder die Spit­ze des 3279 Meter hohen »Sad­ze­le«, wo geüb­te Freeri­der mei­len­weit hin­un­ter pow­dern, über rie­si­ge Schnee­fel­der, durch tie­fe Can­yons, bis ins Tal zur ver­eis­ten Geor­gi­schen Heer­stra­ße, als wäre es ein ande­rer, schnee­wei­ßer Pla­net. Nicht zu ver­ges­sen die Aben­de im Hüt­ten­hos­tel, wo die lus­ti­ge Meu­te zusam­men Abend isst: rus­si­scher Bortsch mit gereif­tem Speck, Vare­niky-Teig­ta­schen oder Schasch­lik-Spie­ße vom ein­ge­schnei­ten Grill, dazu ein, zwei Gläs­chen hoch­pro­zen­ti­ger Tschat­scha. »Gau­mard­schoss!« wird geru­fen. Dann wer­den Toasts aus­ge­spro­chen – für den Frie­den, die Frau­en, die Kin­der – wie es sich in der geor­gi­schen Trink­kul­tur »Tama­da« gehört. Das ist Geor­gi­en, eis­kalt und warm­her­zig, wie wir es ken­nen und lie­ben gelernt haben. In jedem Fall ein Wie­der­se­hen wert.

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Antworten

  1. Avatar von Ben
    Ben

    Sehr schö­ner Arti­kel, dan­ke. Da bekommt man gleich Lust nach Geor­gi­en auf­zu­bre­chen. Könnt ihr viel­leicht ein paar Tipps geben, wenn man solch eine Rei­se pla­nen möch­te?

    Vie­le Grü­ße

  2. Avatar von Michaela

    Das fin­de ich eine total net­te Idee und man bekommt direkt auch Lust zum Snow­boar­den, obwohl ich ehr­lich gesagt die wär­me­re Jah­res­zeit schon bevor­zu­ge. Aber man weiß ja nie 🙂

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