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Für diese Momente lebt der Backpacker: ausgetretene Pfade verlassen. Sein eigenes Ding machen. Unser Trip in den krisengeschüttelten Norden Sri Lankas scheint alle Voraussetzungen dafür zu erfüllen. Abgeschiedenheit. Kaum Touristen. Finden wir hier das wahre Sri Lanka?
»He has lost too much«
…unser Guide umarmt den hageren Familienvater Tanu kumpelhaft, während er in der dritten Person über ihn spricht: 2004 kam der Tsunami und nahm ihm alles. 3 Familienmitglieder tot, vom Haus ist auch nicht viel übrig geblieben. Tanu nickt, wir nicken zurück. Wir murmeln noch »so sorry«, wünschen alles Gute und dackeln bedröppelt zum Auto zurück. Was für ein plötzlicher Stimmungswandel: zufälligerweise waren wir hier angehalten, weil ein Chamäleon fotogen auf einer Palme saß. Nun lernen wir Tanu und dessen traurige Geschichte kennen. Tsunami und mehrere Jahre zermürbender Bürgerkrieg: Das Schicksal meinte es zuletzt nicht gut mit den Einwohnern Jaffnas.
Jaffna ist nämlich erst seit Ende des Bürgerkriegs 2009 überhaupt bereisbar. Im Prinzip gilt das für die gesamte Halbinsel nördlich des Elefantenpasses. Dieser war zu Zeiten des Krieges die einzige Zufahrtsstraße in den Norden und wurde von den Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) kontrolliert. Nun ist die Reise in den Norden möglich. Eine »touristische Infrastruktur«, wie man so schön sagt, ist jedoch noch kaum etabliert: also nicht überall diese Wohlfühloasen für den westlichen Touristen mit Free-Wifi, Bananenpfannkuchen, Fußmassagen und Western Breakfast.
Was erwarten wir von Jaffna? Authentizität? Fremdheit?
Natürlich birgt die Abgeschiedenheit dieser Peninsula einen gewissen Reiz. Man ist jetzt versucht zu schreiben, dass die Hoffnung auf eine »authentischere« Reiseerfahrung aufkeimte. Doch dazu ist der Begriff zu verschlissen. Zu offensichtlich werden Backpacker, die beim Homestay oder beim Besuch von Minoritätengemeinden besonders »ursprüngliche« Erfahrungen machen wollen, selbst auf eine sogenannte Hinterbühne geführt, die nicht weniger inszeniert ist, als die offensichtlich folkloristischen Abziehbilder des Massentourismus, denen sie sich entsagen möchten.
Trotzdem: Vorfreude als wir gen Norden aufbrechen. Wir halten die Kamera aus dem Fenster als wir besagten Elefantenpass entlang fahren, einen asphaltierten Streifen, der die Lagune mittig spaltet. Ein paar Fischer, die fotogen ihr Netz auswerfen, stehen bis zum Bauchnabel im glänzenden Wasser. Die Klimaanlage unseres Wagens pustet tapfer im ungleichen Kampf gegen die tropische Hitze.
Ein Puya Wochenende in Jaffna
Wenn die Motivation zur Reise die größtmögliche Fremdheitserfahrung ist, war es sicher lohnend sich zum Vollmond-Wochenende am hinduistischen Nallur Kandaswamy Tempel einzufinden. Reisebusse von Pilgern aus allen Teilen des Landes parken hier. Schuhe sind am Eingang abzulegen, Männer müssen außerdem oben ohne eintreten. Natürlich ist man sofort sichtbar als Fremder markiert, wenn man dann arg unrund mit käseweißem Oberkörper über den heißen Sand des Vorplatzes hüpft. Im Inneren des Tempels werden Opfergaben niedergelegt, diverse Gottheiten angerufen und lodernde Flammen entzündet. Einige Gläubige liegen am Boden und verlesen lautstark hinduistische Schriften. Ein Mann tritt an uns heran und öffnet sich ganz unvermittelt: sein Sohn sei seit dem Krieg verschwunden. Nur Bestnoten habe er vorher an der Medicine-School gehabt. Seitdem sei ihm das Lachen abhanden gekommen.
Die Wunden eines jungen Krieges: in Jaffna liegen sie noch ganz weit offen.
Trotz dieser intensiven Begegnungen mit gezeichneten Menschen – unseren Aufenthalt in Jaffna prägen vor allem positive, unterhaltsame, manchmal sogar etwas schräge Begegnungen.
Als wir vergeblich unser Besteck in einem traditionellen Curry-Restaurant suchen, wird die Traube um unseren Tisch immer größer. Zu lustig muss der Anblick sein, diesen zwei hilflosen Westernern beim erstmaligen Essen mit den Händen zuzusehen (wie das bei den flüssigen Currys funktionieren soll ist mir immer noch nicht ganz klar – obwohl einige Schaulustige die richtige Handhaltung pantomimisch vorführten).
Was empfiehlt sich zu tun?
Für diejenigen, die etwas Handfestes aus diesem Artikel mitnehmen möchten, etwa eine Antwort auf die berüchtigte Frage, ob es sich »lohnt« nach Jaffna zu kommen und was man dort tun »sollte«: Ja, es lohnt sich echt. Es gibt so viele beeindruckende Tempel hier, die kann man sich gar nicht alle anschauen. Wenn man nur einen sehen will, sollte es der oben erwähnte Nallur Kandaswamy sein. Und wer nicht genug kriegt: Eine der vorgelagerten Inseln Jaffnas gilt als heilig: Nainativu. Sie ist recht klein und beherbergt sowohl buddhistische als auch hinduistische Tempel und ist gleichermaßen Pilgerstätte für viele Gläubige. Der Tagesausflug dorthin ist allein wegen der aufregenden Fahrt mit der Fähre lohnenswert (dieser Moment, wenn du merkst, keiner außer dir hat die Schwimmweste an).
Den Abstecher ans Stadtufer genießen wir nicht nur wegen der erfrischenden Brise. Wir werfen einen Blick in die Jaffna Library: diese galt bis zu ihrer Verbrennung 1981 durch einen singhalesischen Mob als die größte Bibliothek Asiens. Sie wurde allerdings restauriert und 2003 neu eröffnet. Nur einen Spaziergang entfernt steht das Dutch Fort – von den Portugiesen im 17. Jahrhundert erbaut, wurde es bald von den Holländern erobert. Am Ende des 18. Jahrhundert waren es die Briten, die es für sich beanspruchten. Wir klettern auf die Mauern und freuen uns über super Aussichten über die Küste.
Eher symbolisch ist unser Besuch am Point Pedro, dem nördlichsten Punkt Sri Lankas – Indien ist von hier nur noch ein paar Kilometer entfernt. Weil das offensichtlich dazugehört, posieren wir am Schild für ein Beweisfoto, wenden uns dann aber den Fischern zu, die gerade ein paar Prachtexemplare verladen.
Am Casiruna Beach mischen wir uns unter die Wochenendausflügler doch verzichten auf den Sprung ins Wasser. Viele Einheimische baden komplett verhüllt- ein Auftritt in Bikini und Badehose erscheint uns etwas unsensibel. Außerdem: wer wirklich am Strand liegen will, sollte abwägen, ob er dafür extra bis nach Jaffna reisen will.
Man kommt auch nicht unbedingt wegen der Sehenswürdigkeiten: mir ging es eher darum, ein bisschen reinzuschnuppern in diesen vernachlässigten Teil der Insel. Zu beobachten, was die Menschen umtreibt, wie sie ihr soziales Leben gestalten und wie sie auf Fremde reagieren. Immer hilfreich beim Reisen: sich offen und zugänglich geben, und die Begegnungen mit Einheimischen auf sich wirken lassen.
Ist dieser Teil Sri Lankas wirklich authentischer?
Nun, vielleicht sollte man in Zukunft einfach aufhören, diese Frage zu stellen. Wieso? Weil im Backpacker-Kontext bei authentisch oft die Konnotation von unterentwickelt, wild und vielleicht sogar zurückgeblieben mitschwingt. Man findet es super »ursprünglich«, in einem Dorf im Homestay Einheimischen bei ihren Ritualen zusieht. Natürlich ist die Idee, den Tourismus so nachhaltiger zu gestalten, super.
Was ich aber nicht verstehe: warum ist das authentischer, als der anzugtragende Banker im Sportwagen in Colombo? Warum sind im Reisekontext diejenigen, die sich Traditionen verschreiben, authentischer, als die Progressiven und Modernen? Das rurale Leben spiegelt dann das »wahre« Sri Lanka wieder, während man den urbanen Fortschritt arrogant unter »westlich beeinflußt« verbucht – wenn man als Traveller überhaupt ein Auge dafür hat. Im eigenen Land wendet man diese Logik doch auch nicht an.
Es gehört offenbar zur Selbstinszenierung vieler Reisender, das Zielland als möglichst schwer bereisbar und die Einwohner als maximal anders zu beschreiben- um den Kontrast zur eigenen Lebenswelt so groß wie möglich erscheinen zu lassen.
Jaffna überrascht immer wieder, es zeigt uns eine Palette voller Emotionen. Der Krieg. Er ist präsent im Straßenbild und in der Sprache der Menschen. Am anderen Ende des Spektrums die Leichtigkeit der Anbahnung eines Gesprächs. Blicke in freundliche Gesichter. Eine Gastfreundschaft, die fast zu weit geht. Das Handtuch im Hotelzimmer, liebevoll zu einem Elefantenrüssel drapiert.
Welch passender Vorbote: Wir ziehen nämlich weiter in Richtung Minneriya Nationalpark.
Vielen Dank an Erlebe-Fernreisen, die dieses Erlebnis möglich machten.
Antworten
Sehr schön zu lesen, gerade der Teil über die ganz echten Backpacker. Ich muss immer wieder schmunzeln, wenn ich höre, »Thailand gehe ich nicht, ist mir zu ausgelutscht«, »Laos macht doch jeder«, »Na du musst schon mit dem Bus fahren, das ist local«. Mir sind ehrlich gesagt die rundumzufriedenen Pauschaltouris lieber als diese Art von Backpackern. Lieber »real« auf Malle als anderen vorschreiben wollen, was Reisen bedeutet bzw was denn echt und was unnecht ist 🙂
P.S. Sorry für OT – Jaffna kommt nächste Woche. Der Teil soll nämlich noch so untouristisch sein. haha
Hey Oliver,
volle Zustimmung meinerseits zu deinem Kommentar! Mir kommen solche Aussagen auch immer total kindisch vor.
Dir erstmal ’ne gute Zeit in Jaffna!
Hallo Stefan,
ich bin aus etwas anderen Gründen auf diesen Beitrag gestoßen und habe gleich mal eine Frage. Ich wurde gerade einer katholischen Jungen Schule in Jaffna zugeteilt und habe nach erster (zugegebenermaßen sehr kurzer) Recherche das Gefühl, dass ich als westliche junge Frau vielleicht Probleme bei einem 3‑monatigen Aufenthalt haben könnte. Ich habe nicht vor Urlaub zu machen, sondern an der Schule zu unterrichten, doch möchte ich mich dort natürlich auch sicher fühlen.
Mit wem warst du denn in Jaffna und denkst du, dass es dort für Frauen »sicher« ist? Die Berichte des Auswärtigen Amtes, dass es vermehrt zu Übergriffen auf Sri Lanka kommt bezieht sich ja auf das gesamte Land.Ich weiß, das ist wahrscheinlich eine ziemlich spezielle und vielleicht auch etwas extreme Frage, aber man macht sich halt so seine Gedanken. Wäre schön, wenn du mir deine mitteilen könntest.
Danke und viele GrüßeHey,
ich war mit meiner Frau in Sri Lanka unterwegs. Wir hatten in Jaffna auch einen Fahrer, der uns auf der Reise begleitet hat. Natürlich erregt man dort aufgrund der hellen Hautfarbe Aufmerksamkeit, wir haben uns jedoch zu keiner Zeit unsicher gefühlt, auch als wir »allein« unterwegs waren. Ich weiß, als Frau ganz alleine, ist es immer nochmal anders. Grundsätzlich ist die Gegend jedoch subjektiv ziemlich sicher gewesen.
Die Informationen des Auswärtigen Amts wirken immer etwas abschreckend, davon würde ich mich an deiner Stelle nicht entmutigen lassen. Du triffst dort sicher auf nette Menschen, die dich in Empfang nehmen und dir dann auch genau sagen können, was du tun kannst und was du lieber vermeiden solltest. Wenn du dich daran hältst sollte es kein Problem sein.
Ich rate dir also hinzugehen, du wirst auf viel Gastfreundlichkeit stoßen.
LG,
StefanLieber Stefan,
vielen Dank, das hilft mir sehr! Ich bin einfach etwas verunsichtert, hole mir aber jetzt einfach noch mehr Informationen und entscheide dann. Es wäre sicherlich eine Erfahrung, die die Persönlichkeit weiterbildet. Bin mal gespannt.
Danke!LG
Hey Hey, ich dachte, ich meld mich auch nochmal dazu (bin die Frau vom Stefan) :-). Aus meiner Sicht ist Sri Lanka kein besonders gefährliches Land für Frauen. Sicherlich wirst Du als europäische Frau Aufmerksamkeit erhalten, in Jaffna sind noch nicht viele Touristen, so dass Du dort natürlich auch mehr auffällst. Wir wurden oft angesprochen, Menschen wollten Fotos mit uns machen… Das ist zwar erstmal irritierend, aber andererseits
empfanden wir die Leute immer als sehr freundlich, neugierig etc.Ich habe mich ehrlich gesagt etwas bedeckter angezogen, da die sri lankanischen Frauen nicht mit Hot Pants (Ausnahmen bestätigen die Regel, aber so mein allg. Eindruck) und engen Tops rumlaufen. Darum hab ich eben auch nicht so viel Haut gezeigt, außer an Stränden oder Orten, wo viele Touris rumlaufen. Du kannst auch vor Ort landestypische Kleidung kaufen, wenn Du weniger auffallen möchtest in deinem Alltag. Ansonsten werden dir die Locals/ Kollegen sicher Rat geben bzw. vlt. unternimmst Du dann ja auch was mit Deinen Kollegen.
Es wird sicher eine tolle Erfahrung werden 🙂
LG Aylin
Nainativu war eines unserer Sri Lanka Highlights, authentisch oder nicht 😉
Wir haben in Jaffna 2 ältere Damen im Saree in nem neuen Einkaufszentrum gesehen, die wohl zum ersten Mal in ihrem Leben auf ne Rolltreppe stiegen. Das war authentisch – glaub ich…
Haha!
Ich glaube, ich weiß welches Einkaufszentrum du meinst. Dort gab es auch einen Aufzug und einen Jungen, der darin auf einem Stuhl saß und für uns die Knöpfe drückte.
By the way, tolle stimmungsvolle Fotos!
Das geht an Aylin 🙂
Tja, das liebe Wort »authentisch«. Eine sehr schwierige Kategorie. Als Fremder kaum zu beurteilen. Wenn ich nach Hessen fahre, kann ich dir vielleicht nicht mal sagen, ob ein Gericht im Wirtshaus nun authentische Küche der Region ist oder nicht. Und dann soll das in einem asiatischen Land funktionieren? So hoppla hopp. Authentisch mit ursprünglich gleichzusetzen, ist noch problematischer. Der Begriff setzt voraus, dass es einen Urzustand gibt, was ignoriert, dass sich alles immer wandelt. Eigentlich braucht man das Wort nicht.
Wäre echt interessant, rein hypothetisch, was so geschrieben würde, wenn es das Wort »ursprünglich« einfach nicht mehr existierte. Ich bin mir sicher, dass es jeden Reisebericht aufwerten würde, weil man gezwungen wäre, genauer zu definieren was nun wirklich dahinter steckt.
Schön geschrieben, vor allem die Kontroverse um Authentizität. Das nimmt dem Individualreisen am Schluss den Reiz, wenn alles nur noch Wettkampf ist. Wenn man mal ehrlich ist, wird man als Außenstehender nie mehr als einen (mit Glück ausgiebigen) Blick hinter die Kulissen erhaschen. Egal, was manch Weitgereister behauptet. Ihr tut das sehr reflektiert, gefällt mir.
Vielen Dank für den netten Kommentar!
Mir fiel bei der Reise durch Sri Lanka auch auf, dass viele Backpacker einen gewisser Hang zur Selbstinszenierung haben.
Mitunter muss man seine eigenen Reiseberichte einem kritischen Blick unterziehen, ob man nicht bewusst ein gewisses Bild vom Reiseziel (und sich selbst) verbreitet, dass spektakulärer rüberkommt, als es tatsächlich ist. Auf der anderen Seite lohnt sich der Versuch im »Gewöhnlichen das Ungewöhnliche aufzuspüren« immer…
Naja, viele Grüße!
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