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»Unglaublich«, »lebensgefährlich«, »Der pure Wahnsinn«. Mit solchen Floskeln werben Clickbaiting-Webseiten um die Aufmerksamkeit ihrer Leser. Ist alles immer und überall ein Superlativ?
Wir Reiseblogger sind dafür bekannt aufmerksamkeitsheischend zu schreiben. Aber von Clickbaiting-Plattformen sind die meisten von uns weit entfernt:
»Hier siehst du den gruseligsten Wanderweg der Welt. Doch wohin er führt, würdest du NIEMALS erraten. Unglaublich.«
(heftig.de)
»Hier riskieren einige für eine Tasse Tee ihr Leben«
(travelbook.de)
»Lebensgefahr! Der wohl gefährlichste Wanderweg der Welt«
(erlebnisgeschenke.de)
»Extrem gefährlicher Weg zum Teehaus am Gipfel des Huashan«
(suras-weblog.at)
»Offizielle Statistiken über Todesfälle gibt es nicht, was womöglich auch mit der starken Einschränkung der Pressefreiheit zusammenhängt, es wird jedoch von jährlich 100 Menschen gesprochen, die dort ihr Leben lassen.«
(luxusleben.info)
Klingt ein bißchen unglaubwürdig, oder? Das liegt daran, dass fast alles davon erfunden und erlogen ist.
Der »tödliche Gegenverkehr« macht ein Selfie mit mir
Die Geschichte vom gruseligen Wanderweg
Die Geschichte hört sich etwa so an:
- Du ersteigst stundenlang extremst steile Treppen.
- Du nimmst eine Seilbahn noch viel weiter den Berg hinauf.
- Du kletterst schließlich auf wackligen Holzbrettern um den Gipfel herum.
- Gegenverkehr ist quasi der sichere Tod, weil kein Platz zum Ausweichen ist.
- Du erreichst ein Teehaus, wo Du zur Belohnung eine Tasse Tee trinkst.
- Hunderte Wanderer stürzen dabei ab, nur für diese Tasse Tee.
Gute Geschichte, oder? Lies ruhig auch einmal eine der oben verlinkten »gruseligen« Versionen, bevor es mit meiner Erfahrung am Hua Shan weitergeht.
Das »Teehaus« steht am Anfang des Klettersteigs, nicht am Ende
Meine Geschichte vom Hua Shan
Ich bin vor 5 Jahren selbst zum Südgipfel des Hua Shan gewandert und habe als Via Ferrata Junkie auch den Klettersteig gemacht:
2 Stunden anstehen für die Bahn oder in 3 Stunden selbst laufen?
Am Eingang erwartet Dich eine lange Schlange und Du darfst 180 Yuan (25 Euro) Eintritt bezahlen. Wenn Du die Seilbahn nimmst, zahlst Du das Dreifache und die Schlange ist dreimal so lang.
Ein krasser Lastenträger am Hua Shan
Zu Fuß brauchst Du für die 1100 Höhenmeter zum Nordgipfel rund 3–4 Stunden. Ein trainierter Bergsteiger läuft das ohne Anstrengung in 2 Stunden. Noch krasser sind die Lastenträger, die Helden dieses Berges.
Red Bull Pause am Berg
Die Chinesen am Berg brauchen eher 5+ Stunden. Den Aufstieg zu einem der 5 großartigen heiligen Berge Chinas macht man einmal im Leben, egal ob man fit ist und zur Not hilft das chinesische Red Bull. Das gibt es bei den vielen Pausenstationen zu Mondpreisen.
So kommt man auch nach oben.
Der Weg ist komplett betoniert oder in den Fels gehauen, von unten bis ganz oben. Jede Stufe, jeder Schritt ist künstlich. Du steigst quasi eine lange Treppe hinauf. Das macht man so in China, auch an anderen heiligen Bergen. Das schmälert das Naturerlebnis, aber Du kannst auch im Dunkeln gehen um den Sonnenaufgang zu sehen.
Zubetonierter Berg
Weiter oben wird es steil und dann extrem steil. Es ist zwar nicht besonders ausgesetzt oder gefährlich, aber sehr anstrengend so direkt bergauf zu laufen. Einige Wanderer mit wenig Bergerfahrung klammern sich an die Geländer.
Blick zurück auf den Nordgipfel
Es wird ruhiger. Je höher Du kommst, desto weniger Leute triffst Du. Gerade als Du Dich an die Ruhe gewöhnt hast, herrscht plötzlich wieder Jahrmarktstimmung. Am Nordgipfel angekommen siehst Du die Bergstation der Seilbahn und die Menschenmengen sind unfassbar groß.
Warten an der Steiltreppe
Vom Nordgipfel weiter bergan musst Du erstmal viel warten. Viele der Seilbahnfahrer haben schlechtes Schuhwerk und sind unfit. An Engpässen mit steilen Treppen stehst Du auch mal 10 Minuten und es gibt keine Ausweichmöglichkeit.
Selfies mit Anstieg im Hintergrund
Das Spiel vom Vormittag wiederholt sich: Richtung Goldschloss-Pass dünnt sich die Menschenmenge langsam aus. Viele Menschen steigen bis zu einer fotogenen Position, machen Selfies und drehen dann um.
Warum heißt der Goldschloss-Pass wohl Goldschloss-Pass? 😉
Zum Goldschloss-Pass dauert es etwa eine Stunde. Hier scheint für viele das Ziel zu sein. Auf dem Weiterweg Richtung Südgipfel hast Du den Berg quasi für Dich allein. Der Großteil des Anstiegs ist nun geschafft.
Leiter am Anfang des Klettersteigs
Unterhalb des Südgipfel triffst Du wieder mehr Menschen. Hier befindet sich der Klettersteig, einer von nur wenigen in Asien. Er scheint sehr beliebt zu sein, für Klettersteiggeher und für Schaulustige. Eine große Gruppe verlässt den Steig gerade.
Klettersteigset Verleih am Südgipfel
Für 30 Yuan (4 Euro) kannst Du ein Klettersteigset leihen. Die Marken Klettersteigsets machen einen neuen Eindruck, kommen aber nur mit einem Brustgurt und ohne Bremse. Für eine echte Ferrata wäre das nicht geeignet. Die Ferrata hier verläuft fast nur horizontal, also sind die Fallhöhen gering genug.
Der Plankenpfad Aufpasser liest sicher die chinesische »Praline«
Nach einem kurzen Leiterabstieg kommst Du an einen Plankenpfad mit Holzbohlen. Das Holz macht einen sehr soliden Eindruck. Es gibt ein festes doppeltes Sicherungsseil zum einfachen Ausweichen und mehr als genug Platz. Ein Aufpasser langweilt sich auf halbem Weg.
Daoistischer Höhlenschrein am Ende der Ferrata
Der Plankenpfad ist nach nur 5 Minuten vorbei. Am Ende steht kein Teehaus, sondern eine kleine Höhle. Darin ist ein Schrein mit einer daoistischen Gottheit, vielleicht einer der 9 Kaisergötter oder einer der 8 Unsterblichen. Tee gibts keinen, nur Ruhe und den Duft von Räucherstäbchen.
Westgipfel aus der Ferne
Das wars. Du gehst den gleichen Weg zurück und stehst nach nicht einmal 30 Minuten wieder am Eingang. Eigentlich hattest Du viel mehr Zeit eingeplant und kannst jetzt noch schnell zum Westgipfel schauen. Der ist vom Südgipfel nicht mehr weit und sieht aus der Ferne ziemlich cool aus
Wünsch Dir Was Pool nahe Westgipfel
Nach dem Westgipfel wird es dringend Zeit zurückzukehren. Der letzte Bus zurück nach Xi’an fährt in 2 Stunden. Am besten Du nimmst die Seilbahn, sonst verpasst Du den Bus noch und sitzt hier über Nacht fest.
Menschenmenge auf dem Rückweg
Je näher Du der Seilbahn kommst, desto zäher werden die Menschenmengen. Vor der Bergstation ist Endstation. Eine endlose Menschenschlange steht hier und alle wollen zurückfahren. Du willst nur den Bus nicht zu verpassen, der in einer Stunde fährt.
Wer rennt denn da so?
3 Stunden betonierte Treppe bergauf schafft man in 1 Stunde bergab, oder? Es gibt nur einen Weg das herauszufinden. Du fängst an zu rennen, immer bergab. Als Du mit überstrapazierten Oberschenkeln unten ankommst, läuft der Motor vom Bus schon – geschafft.
Die Dame ging den Klettersteig mit diesen Schuhen
In Klettersteig-Speak wird die Geschichte noch kürzer: Kurze unschwierige Leiter K1, dann ausgesetzte Wandquerung auf durchgehenden Holzbohlen K1. Gut für Einsteiger geeignet. Mit 10 Minuten sehr kurz für den langen Zu- und Abstieg. Klassischer Familienklettersteig.
Alles easy am Plankenpfad
Das gruseligste am Hua Shan ist nicht der Klettersteig, sondern die Berichterstattung! In den Alpen gibt es ganz andere Klettersteig Kaliber. Mittlerweile wurde außerdem eine zweite Seilbahn zum höheren Westgipfel gebaut, wodurch der Nordgipfel und die Engstellen zum Goldschloss-Pass entlastet werden.
Hier steht auf Mandarin: »top Bergerlebnis voraus« 😉
Jetzt möchte ich aber auch einmal zu Superlativen greifen: Der Hua Shan ist eines meiner Highlights aus 3 Monaten China Reise und ein wunderschönes Bergerlebnis. Wenn Du in der alten Hauptstadt Xi’an bist, vergiss die wenig authentischen Terrakotta-Krieger und steige lieber auf den heiligen Berg.
Geschafft aber glücklich: der Autor am Hua Shan
Tipp: Als Tagesausflug von Xi’an würde ich den Hua Shan nicht mehr machen – viel zu stressig. Der Bus braucht ja schon 2 Stunden. Es gibt auch Guesthouses am Berg und im Tal zum Übernachten. So hast Du genug Zeit für alles und Du spürst Deine Oberschenkel nicht noch 3 Tage später…
Allabendliche Wassershow an der Pagode in Xi’an
Es gibt noch viel mehr heilige Berge in China. Hua Shan ist einer der 5 großartigen Berge, außerdem gibt es 4 heilige Berge des Daoismus und 4 heilige Berge des Buddhismus. Jeder einzelne ist sicher ein tolles Erlebnis.
Hängendes Kloster am Heng Shan, ein heiliger Berg bei Peking
Beim Sinographen gibt es einen ehrlichen Bericht über den heiligen Tai Shan bei Peking.
Es ist nicht einfach so ehrlich zu sein, und ich muss mich da auch an die eigene Nase fassen. Wenn Du im flocblog einen Superlativ zu viel findest, mecker ruhig. Ehrlich währt am längsten…
Welche Geschichte fandest Du besser? Clickbaiting oder wirklichkeitsnah?
Lust bekommen auf Klettersteige? Du musst nicht nach China fahren. Die meisten Klettersteige gibt es in Europa.
Antworten
Der Taishan liegt wie das Hängende Kloster bei Peking und die Terrakotta-Armee ist wenig authentisch: Aussagen, die ich nicht unterschreiben kann. Der Taishan ist rund 500km von Peking entfernt. Aber, naja, bei den Entfernungen in China kann man das ja mal »nahe« nennen. Aber warum die Terrakotta-Armee nicht authentisch sein soll, erschließt sich mir gar nicht. Der Huashan sit jedenfalls bei dem etwas unheimlich ausssehenden Pfad ziemlich überlaufen.
Hab mich sehr über diesen Bericht amüsiert. Vor allem, weil ich ja alle diese Orte schon kenne.
Ich wünsche weiterhin shcöne Reisen!
LG
UlrikeDu meinst dass etwas in China authentisch ist? Ich dachte du kennst dich dort aus 😉
Sicher gab es eine Terrakotta-Armee und vielleicht stecken sogar Reste davon in den perfekten Reproduktionen, die heute ausgestellt werden. Aber ist das authentisch?
Das gleiche ist ja in Bagan passiert. Aber die Tempel dort sind wenigstens sehenswert, sogar mit WOW-Faktor. Unter diesen Umständen ist mir die Authentizität egal.
Hier ein Link für dich: https://tripologist.com/asia/worlds-most-overrated-tourist-attractio-xians-terracotta-warriors/
Servus Florian,
Wahnsinns Artikel! Macht direkt Lust auf mehr.. Ich lebe für solche Abenteuer und kann mich nur dafür begeistern. Nervenkitzel pur und definitiv eine Reise wert.
Danke dir für den informativen Beitrag.
Pfiat di,
Chris
Danke für diesen authentischen Bericht, bei dem ganzen Clickbaiting und den »10 Gründen warum du unbedingt XY machen solltest« ist irgendwann einfach nur noch Reizüberflutung angesagt. Nichts destot rotz sieht das für mich höchst spektakulär aus und ich habe spontan die Hosen voll…das werde ich auf keinen Fall machen! :p
Viele GrüßeBin vor 2 Tagen dort gewesen und stimme dem Artikel zu.
Es ist ein schöner Tagesausflug bzw. eine nette Wanderung aber das war es dann auch schon.
Vor allem der Plank-Walk war ein wenig enttäuschend, zumal man ca. 1,5h Wartezeit einplanen sollte.
Wenn man die unzähligen chinesischen Touristen für einen Moment ausblenden kann, wird man auch die Schönheit dieser Berggegend realisieren.
Ich bevorzuge die Via Terrata am Mt. Torq in Malaysia 😉Von der Via Ferrata auf Borneo habe ich gehört. Ist gut, hm?
Hättest Du Lust darüber was zu schreiben? 😉
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