Wie ich beinahe aus Kasachstan deportiert wurde

Wenn Nur­sul­tan Nas­ar­ba­jew eine gute Idee hat­te, außer sich mit nicht ganz demo­kra­ti­schen Mit­teln seit mitt­ler­wei­le 25 Jah­ren als ers­ter und ein­zi­ger Prä­si­dent Kasach­stans im Amt zu hal­ten, dann war es, einen wun­der­schö­nen Park am Süd­rand von Alma­ty zu errich­ten. Der »Park des ers­ten Prä­si­den­ten« ist ein belieb­ter Erho­lungs­ort für die von Smog geplag­ten Groß­städ­ter. Zum Grei­fen nah erschei­nen dort die Aus­läu­fer des Tian Shan Gebir­ges, das von Kasach­stan und Kir­gi­si­en bis nach Chi­na reicht.

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An einem war­men Spät­som­mer­tag hat­te ich mich vor die­sem Park mit Ben zum Wan­dern ver­ab­re­det. Mei­ne zucker­sü­ße kasa­chi­sche Couch­sur­fing-Gast­ge­be­rin Kami­la hat­te sich am Abend zuvor durch alle Hos­tels von Alma­ty tele­fo­niert, um mir einen Wan­der­kum­pa­nen zu orga­ni­sie­ren. Ben mel­de­te sich dar­auf­hin und wir beschlos­sen, um 7:30 zum Big Alma­ty Lake auf­zu­bre­chen. Glück­li­cher­wei­se ver­stan­den wir uns auf Anhieb und war­te­ten erst mal gedul­dig den Bus, der uns vom Park zum Start­punkt der Wan­de­rung brin­gen soll­te. Als die­ser nach über einer Stun­de immer noch nicht auf­tauch­te, lie­ßen wir uns für 1500 Ten­ge pro Nase, also etwa 6 Euro, mit dem Taxi zur »tru­ba« (Pipe­line) brin­gen.

Die Wan­de­rung zum Big Alma­ty Lake ist ori­en­tie­rungs­tech­nisch kin­der­leicht, denn man folgt ein­fach nur der Pipe­line, die vom See zum Tal führt und zur Trink­was­ser­ver­sor­gung von Alma­ty dient. Wir erklom­men die Eisen­lei­ter, die direkt neben der Pipe­line ver­läuft und eigent­lich der War­tung der Anla­ge dient. Der Anstieg wur­de zum Ende hin bru­tal, doch nach 40 Minu­ten hat­ten wir damit den schlimms­ten Teil der Wan­de­rung geschafft.

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Auf ein­mal befan­den wir uns auf einer Wei­de in einem Meer von pin­ken Pflan­zen. Die Luft war durch­zo­gen von wei­ßen Puscheln, die sich wie fei­ne Wat­te­bau­schen an unse­ren Kla­mot­ten fest­kleb­ten. Schmet­ter­lin­ge kreuz­ten unse­ren Weg. Ein herr­li­ches Plätz­chen für die ers­te Brot­zeit.

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Von hier aus konn­ten wir direkt auf der Pipe­line wei­ter­mar­schie­ren. Abge­se­hen von ein paar Manö­vern, bei denen wir auf allen Vie­ren unter Unter­füh­run­gen durch­krab­beln muss­ten, war der Rest der Wan­de­rung ziem­lich ent­spannt. Ich war sehr froh, dass Ben mit dabei war, denn wir tra­fen auf dem Weg kei­ne ande­re Men­schen­see­le.

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Nach ins­ge­samt drei recht gemüt­lich gewan­der­ten Stun­den lag er end­lich vor uns: der Big Alma­ty Lake mit sei­nem unwirk­lich blass-tür­kis schim­mern­dem Was­ser. Wir mach­ten es uns auf dem ein­sa­men Damm gemüt­lich und ver­putz­ten den Rest unse­rer kasa­chi­schen Brot­zeit – Äpfel, Melo­ne, Trau­ben und Chips mit Schasch­lik-Geschmack. Kurz dar­auf stieß eine Rad­le­rin aus der fran­zö­si­schen Schweiz zu uns, die uns von ihrer span­nen­den Rei­se durch Zen­tral­asi­en erzähl­te.

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Doch die Idyl­le währ­te nicht lan­ge. Wir sahen plötz­lich vom ande­ren Ende des Dam­mes ein schwarz-blau­es pum­me­li­ges Etwas auf uns zuschrei­ten, das sich als kasa­chi­scher Poli­zist mit einer fet­ten AK-47 um den Hals ent­pupp­te. Wir dürf­ten uns nicht auf dem Damm auf­hal­ten, so viel konn­ten wir uns von sei­ner rus­si­schen Beleh­rung zusam­men­rei­men.

Als nächs­tes woll­te der Poli­zist unse­re Päs­se sehen. Ben und die Schwei­ze­rin hat­ten ihre Päs­se vor­bild­li­cher­wei­se dabei, Schus­sel-Stef­fi natür­lich nicht. Und in einem Land wie Kasach­stan bedeu­tet das Ärger! Tou­ris­ten wur­den hier durch­aus schon wegen Lap­pa­li­en wie einem abge­lau­fe­nen Visum inhaf­tiert.

Die Schwei­ze­rin mach­te dem Gen­darm klar, dass sie mit Ben und mir nichts am Hut hat und gehen will. »Es tut mir sähr laid, abär isch kann jetzt nischt soli­da­risch sain!“ flö­te­te sie und mach­te sich vom Acker. Ben und ich blie­ben zurück und wuss­ten nicht, wie wir wei­ter mit unse­rem neu­en Freund kom­mu­ni­zie­ren sol­len, der sich bereits vor lau­ter Erschöp­fung auf dem Damm nie­der­ließ.

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Plötz­lich kam eine jun­ge Tou­ris­tin auf uns zu, die wohl mit etwas Abstand hin­ter uns gewan­dert war. Die quir­li­ge Rus­sin stell­te sich als Olga vor und sprach per­fek­tes Eng­lisch. Ein Geschenk des Him­mels! Sie dol­metsch­te und erklär­te, dass wir uns hier im Grenz­ge­biet zu Kir­gi­si­stan befän­den und es dewe­gen ver­bo­ten sei, sich hier ohne Rei­se­pass auf­zu­hal­ten.

Pff, als ob jemand von uns ernst­haft vor­hät­te, noch 27 Kilo­me­ter durch die Ber­ge zur kir­gi­si­schen Gren­ze zu wan­dern. Der Typ ist sicher auf etwas ande­res aus! Ich über­le­ge, was ich dem Poli­zis­ten als Schmier­geld bie­ten könn­te, doch mein ein­zi­ges Geld­stück ist ein 10.000 Ten­ge-Schein. Das wären fast 40 Euro. Um Rück­geld bit­ten kann ich ihn ja wohl schlecht. Und wie über­gibt man über­haupt Schmier­geld, ohne dass es komisch rüber­kommt? Einen Pass, in den ich es schön hin­ein­le­gen könn­te, hab ich ja nicht. Oh Gott, ich lass es lie­ber.

»Aber ich nicht wol­len nach Gren­ze von Kir­gi­si­stan gehen!« fleh­te ich den Poli­zist mehr­mals in mei­nem grot­ti­gen Rus­sisch an, doch er igno­rier­te mein Bit­ten völ­lig: »Dje­votsch­ka, wir müs­sen dich nach Alma­ty brin­gen und der Migra­ti­ons­po­li­zei über­ge­ben. Dort wirst du wegen des Ver­sto­ßes gegen das Migra­ti­ons­ge­setz drei Tage ins Gefäng­nis gehen und anschlie­ßend depor­tiert!«

Der Poli­zist begann zu tele­fo­nie­ren und wink­te einen Typ im Jog­ging­an­zug her­bei (»Mein Kol­le­ge. Er mach­te gera­de Mit­tags­pau­se!«). Olga dis­ku­tier­te minu­ten­lang mit den bei­den Poli­zis­ten wei­ter, die mich schon lang­sam Rich­tung Wäch­ter­häus­chen brin­gen woll­ten. Ich stell­te mich bereits men­tal auf mei­ne Depor­ta­ti­on ein ich frag­te mich, wie wohl ein kasa­chi­sches Gefäng­nis aus­sieht. Wenigs­tens bekom­me ich eine kos­ten­lo­se Rück­fahrt nach Alma­ty und wer­de dann hof­fent­lich direkt ins nahe Kir­gi­si­stan aus­ge­wie­sen – da woll­te ich ja sowie­so hin! Immer das Posi­ti­ve sehen!

Als ich mich mei­nem Schick­sal schon völ­lig erge­ben hat­te, kam die erlö­sen­de Nach­richt. »Ihr könnt gehen!« sag­te Olga. »Ich blei­be dafür hier.« Ich woll­te das Ange­bot erst nicht anneh­men, denn ich könn­te es mir nie ver­zei­hen, wenn Olga an mei­ner Stel­le für irgend­et­was büßen müss­te. »Mach dir kei­ne Sor­gen, ich wer­de alles regeln. Wir tref­fen uns wei­ter oben auf dem Berg!«

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Mit einem unwoh­len Gefühl lie­ßen wir Olga zurück und ver­lie­ßen schnellst­mög­lich den ver­bo­te­nen Damm. Wir wan­der­ten den Ost­hang wei­ter hin­auf und ver­such­ten, den Pan­arom­ablick auf den See zu genie­ßen. Mir fiel ein Stein vom Her­zen, als Olga zwan­zig Minu­ten spä­ter auf­tauch­te. Wie um alles in der Welt konn­te sie den Poli­zis­ten dazu umstim­men, mich gehen zu las­sen?

„Ach, das war ganz ein­fach! Ich hab’s Dir zwar vor­her nicht gesagt, aber er hat­te mich natür­lich gefragt, ob du was zah­len wirst. Ich erklär­te ihm, dass ihr Stu­den­ten seid und kein Geld bei euch habt. Als ihr dann weg wart, habe ich ein­fach so lan­ge wei­ter auf ihn ein­ge­re­det, bis ande­re Tou­ris­ten auf dem Damm auf­tauch­ten. Bei denen sah er wohl mehr Chan­cen, an Bak­schisch zu kom­men, und ließ mich gehen!«

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Die Erleich­te­rung steht uns bei­den beim anschlie­ßen­den Erin­ne­rungs­fo­to ins Gesicht geschrie­ben. Wir wan­der­ten gemein­sam die Stra­ße wei­ter hin­auf bis zum Kon­troll­pos­ten der ehe­ma­li­gen For­schungs­sta­ti­on Kos­mostan­zia. Hier war dann ohne Pass für mich end­gül­tig Schluss.

Just in dem Moment, als ich mich von Olga und Ben ver­ab­schie­de­te, kam aus dem Nichts ein alter Mer­ce­des mit zwei jun­gen Kasa­chen vor­bei, die mir eine Mit­fahr­ge­le­gen­heit zurück nach Alma­ty gaben. Trotz mei­ner nur rudi­men­tä­ren Rus­sisch-Kennt­nis­se hat­ten wir viel zu Lachen, und ich wur­de sogar noch von den bei­den zu einem Melo­nen-Pick­nick am Fluss­bett ein­ge­la­den. Das war jetzt irgend­wie doch das bes­se­re Ende, als aus Kasach­stan depor­tiert zu wer­den.

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Melo­ne gut, alles gut!

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Antworten

  1. Avatar von Daniel @Madiba

    Eine span­nen­de Geschich­te, die du da schil­derst. Wie viel Schmier­geld wäre den »kor­rekt« gewe­sen?

    Weißt du das? Hast du das even­tu­ell Olga gefragt?

    1. Avatar von Stefanie Schwarz

      Hi Dani­el,
      Olga hat glück­li­cher­wei­se nichts gezahlt, aber ich habe irgend­wo auf Tri­p­ad­vi­sor gele­sen (erst im Nach­hin­ein) dass sich der Poli­zist mit 2000 Ten­ge (weni­ger als 10€) zufrie­den­ge­ge­ben hat.
      LG Stef­fi

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