Geschichten aus Teheran

In Tehe­ran atmen wir den Dreck der Stadt. Vol­le Dröh­nung Fein­staub. Die Stra­ßen sind ver­stopft, die Abga­se der Autos gif­tig, die Häu­ser unan­sehn­lich. Den­noch reizt uns die Stadt. Im rie­si­gen Basar­vier­tel, dem größ­ten und wich­tigs­ten Markt des Lan­des, trei­ben wir in einer gewal­ti­gen Men­ge durch die unend­lich schei­nen­den Gas­sen, spü­len durch die Per­ser­tep­pich­ab­tei­lung und lan­den auf dem tur­bu­len­ten Vor­platz des Markt­ge­bäu­des mit sei­nen mobi­len Händ­lern und Snack­ver­käu­fern.

Direkt neben dem gro­ßen Markt in Tehe­ran befin­det sich ein Gebäu­de­kom­plex, der weit­hin als Gole­stan Palast bekannt ist. Errich­tet in den Über­gangs­jah­ren vom 18. zum 19. Jahr­hun­dert, war er bis zur Isla­mi­schen Revo­lu­ti­on 1979 offi­zi­el­le Resi­denz der herr­schen­den Mon­ar­chen. Hier regel­te die Herr­scher­dy­nas­tie der Kad­scha­ren die Geschi­cke des Lan­des, bevor die Pahl­avis unter König Reza als letz­te per­si­sche Königs­fa­mi­lie über­nah­men. Die Pahl­avis, roya­le Macht­ha­ber in der kon­sti­tu­tio­nel­len Mon­ar­chie im Iran, waren es auch, die vie­le Gebäu­de des Kom­ple­xes für ein neu­es Stadt­vier­tel abrei­ßen lie­ßen. Doch auch wenn die Palast­an­la­ge einst um eini­ges grö­ßer war, so ist das Gelän­de noch immer beein­dru­ckend genug, um von der UNESCO seit 2013 als Welt­kul­tur­er­be gelis­tet zu wer­den. Die Gebäu­de, von ver­schie­de­nen Herr­schern über die Jah­re hin­zu­ge­fügt, beher­ber­gen nun meh­re­re Muse­en.

Trotz eines für Paläs­te recht jugend­li­chen Alters ist der Gole­stan Palast mit etwas mehr als 200 Jah­ren eines der ältes­ten his­to­ri­schen Monu­men­te Tehe­rans. Rich­tig ein­ord­nen lässt sich der Gebäu­de­kom­plex jedoch nicht, ist er doch stark von euro­päi­schen Bau­sti­len geprägt und wur­de immer wie­der neu gestal­tet und ergänzt.

Teheran, Iran

Gole­stan Palast in Tehe­ran

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Als wir das Gelän­de betre­ten, trabt gera­de eine Schul­klas­se an uns vor­bei, die Zehn­jäh­ri­gen sind aber erst wirk­lich begeis­tert, als sie uns zu Gesicht bekom­men. Laut durch­ein­an­der schrei­end stür­men sie auf uns zu. Ein Wort­re­gen aus „Hel­lo, how are you?“ und „What is your name?“ pras­selt auf uns nie­der. Wir wis­sen gar nicht, wem wir zuerst ant­wor­ten sol­len, was bei den gleich blei­ben­den Fra­gen aber auch kein wirk­li­ches Pro­blem ist. Die Leh­rer der etwa 30 Kin­der geben sich gro­ße Mühe ihre Schü­ler zur Ruhe zu brin­gen. Doch es gelingt erst, als wir bereits eini­ge Meter wei­ter gegan­gen und unse­re Auf­merk­sam­keit auf die Gebäu­de gelenkt haben.

Die Außen­wän­de des Palas­tes sind ein Meis­ter­werk aus Far­ben und deko­ra­ti­ven Moti­ven. Rie­si­ge Kachel­mo­ti­ve zei­gen stil­vol­le Blu­men­mus­ter. Sie refe­rie­ren auf den Namen des Palas­tes, denn Gole­stan (per­sisch: گلستان) bedeu­tet nichts ande­res als Ort der Blu­men. Dane­ben zie­ren Vogel­dar­stel­lun­gen und Jagd­sze­nen die Wän­de eben­so wie kunst­vol­le Land­schafts­dar­stel­lun­gen und Stadt­bil­der. Auch das Wap­pen­tier der Kad­scha­ren – ein Löwe, der ein Schwert über sei­nem Kopf hält, mit der dahin­ter auf­ge­hen­den Son­ne – ist ein immer wie­der­keh­ren­des Motiv. Doch die voll­brach­te Hand­werks­kunst hat nicht mehr den Glanz frü­he­rer Zei­ten. Noch inArda­bil bewun­der­ten wir die Schön­heit der Deko­ra­ti­ons­kunst der Safa­wi­den aus der Zeit zwi­schen dem 16. und 18. Jahr­hun­dert. Mit gebro­che­nen, ver­schie­den­far­bi­gen Scher­ben bann­ten sie gran­dio­se Mus­ter an die Wän­de ihrer Moscheen und Gebäu­de.

Hier im Gole­stan Palast sind Moti­ve und Dar­stel­lun­gen dage­gen nicht mehr aus Ein­zel­tei­len zusam­men­ge­setzt, son­dern ledig­lich auf die geka­chel­ten Wän­de gemalt. Doch unse­re Bewun­de­rung beein­träch­tigt das nur gering­fü­gig.

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Blu­men- und Ran­ken­de­sign im Gole­stan Palast

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das Wap­pen­tier der Kad­s­char­dy­nas­tie aus dem 18. Jahr­hun­dert

 

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kunst­vol­les Design

Im Inne­ren der Gebäu­de, in den Ein­gangs- und Emp­fangs­hal­len, pran­gen wun­der­vol­le Spie­gel­mo­sai­ke an den Wän­den und Decken, die die Räu­me um ein Viel­fa­ches grö­ßer wir­ken las­sen. Es glit­zert und fun­kelt aus allen Ecken. Der Prunk ver­gan­ge­ner Jahr­hun­der­te ist noch immer spür­bar.

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einer von vie­len Spie­gel­sä­len im Gole­stan Palast

Wir wan­dern ent­lang der schö­nen Mau­ern und Wän­de, kom­men vor­bei an ran­ken­den Blu­men und far­ben­fro­hen Vogel­mo­ti­ven, bis wir auf einem Absatz in einer der hin­te­ren Ecken des Gelän­des einem älte­ren Herrn begeg­nen. Über eine Zei­tung gebeugt, scheint er tief in sei­ne Lek­tü­re ver­sun­ken zu sein. Immer wie­der führt er einen kur­zen Blei­stift über die Zei­len, um dann ein paar Noti­zen in einen A4-Schreib­block zu über­tra­gen.

Als wir uns nähern, blickt der Mann ruck­ar­tig auf. Klu­ge, brau­ne Augen leuch­ten uns aus tie­fen Höh­len ent­ge­gen. Ob wir deutsch spre­chen könn­ten? Ja! – Ob wir fünf Minu­ten Zeit hät­ten ihm zu hel­fen? War­um nicht!?

Und schon hän­gen auch unse­re Köp­fe über der Zei­tung, die sich nun als eine Aus­ga­be des Spie­gels aus den ers­ten Jah­ren die­ses Jahr­tau­sends her­aus­stellt. Unser neu­er Freund ist eif­rig dabei Deutsch zu ler­nen. Immer und immer wie­der liest er die glei­chen Arti­kel, mar­kiert Wor­te, schreibt Über­set­zun­gen und Syn­ony­me an den Rand. Nur ein paar Sät­ze machen ihm Sor­gen, deren Bedeu­tung er sich ein­fach nicht erschlie­ßen kann. Die Tücken der deut­schen Spra­che sind für ihn weder Kasus noch Genus, son­dern Meta­pho­rik und Anschau­lich­keit. Sprach­li­che Bil­der, die nichts mit dem Inhalt des Tex­tes zu tun haben und deren Ver­ständ­nis trotz­dem uner­läss­lich ist.

 

Am Abend sind wir zurück bei Ahad. Unser Gast­ge­ber hat Freun­de und Couch­sur­fer ein­ge­la­den und so las­sen wir uns zunächst Reis, Gemü­se und Kebab schme­cken, bevor frisch gebrau­tes Bier auf den Tisch kommt. Neben einer Hand­voll Ira­ner machen wir es uns mit eini­gen Euro­pä­ern gemüt­lich. Dank Ahads klei­ner Instru­men­ten­samm­lung haben wir eine ziem­lich gute Zeit. Bald schon sind wir eine ein­ge­spiel­te Band. Mit Gitar­re, Ras­seln und Mund­trom­mel las­sen wir es kra­chen. Nur die Block­flö­te bringt ein paar schie­fe Töne in unser musi­ka­li­sches Meis­ter­werk. Aber was will man von einer Block­flö­te auch ande­res erwar­ten.

Wir musi­zie­ren bis weit nach Mit­ter­nacht und Ahad lässt es sich nicht neh­men, auf den Schul­tern eines Freun­des gestützt, das Tanz­bein zu schwin­gen.

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Couch­sur­fing in Tehe­ran

Hier in Tehe­ran bekom­men wir nur sel­ten den Ein­druck in einem der iso­lier­tes­ten und dog­ma­tischs­ten Län­der der Welt zu sein. Die Men­schen, denen wir begeg­nen sind offen, freund­lich und libe­ral. Die Haupt­stadt ist das Zen­trum der Krea­ti­ven, das Wohn­zim­mer der Künst­ler. Hier toben sie sich aus – wenn auch gezwun­ge­ner Maßen hin­ter ver­schlos­se­nen Türen und im Unter­grund. Wir besu­chen die Foto­aus­stel­lung eines schwu­len Foto­gra­fen, essen die bes­ten Bur­ger und Pom­mes der Stadt, tref­fen bär­ti­ge Stu­den­ten mit hip­pen Bril­len­ge­stel­len in coo­len Cafés und Tee­häu­sern. Wir unter­hal­ten uns viel, aber erstaun­lich wenig über Reli­gi­on. Die meis­ten Tehe­ra­ner, mit denen wir ins Gespräch kom­men, bezeich­nen sich selbst als unre­li­gi­ös, man­che sogar ganz bewusst als Athe­is­ten. Das Kopf­tuch ist allen läs­tig, aber unum­gäng­lich. Trotz­dem wol­len sie uns von ihrem Land erzäh­len, von den Men­schen, die weder Krieg noch Streit und auch kein reli­giö­ses Säbel­ras­seln mit­ma­chen wol­len. Den­noch ver­zwei­feln vie­le unse­rer Gesprächs­part­ner über die Zustän­de in ihrem Land. Flucht­ge­dan­ken wer­den mehr als ein­mal geäu­ßert.

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mit dem Foto­gra­fen in sei­ner Aus­stel­lung

Die Mise­re des Lan­des hängt eng mit dem größ­ten poli­ti­schen Wider­sa­cher, den USA und ihrem impe­ria­lis­ti­schen Wer­te­sys­tem, zusam­men. Der Iran ver­dankt die letz­ten 60 Jah­re sei­ner Geschich­te näm­lich vor­ran­gig den Bestre­bun­gen US-ame­ri­ka­ni­scher Außen­po­li­tik; sowohl der offi­zi­el­len als auch der gehei­men.

Es sind die frü­hen 1950er Jah­re, als sich die CIA im Kel­ler der US-ame­ri­ka­ni­schen Bot­schaft in Tehe­ran an die Aus­füh­rung ihres aller­ers­ten Staats­streichs macht. Noch vor Lumum­ba im Kon­go (1960), Sukar­no in Indo­ne­si­en (Mit­te der 1960er) und Allen­de in Chi­le (1973) übte sich der Aus­lands­ge­heim­dienst der USA im Put­schen und Ent­mach­ten von demo­kra­tisch gewähl­ten Regie­run­gen im Iran.

Bestimmt waren alle Akteu­re ein biss­chen auf­ge­regt. So ein aller­ers­ter Putsch ist ja auch etwas Beson­de­res. Im Iran, bereits seit 1906 eine kon­sti­tu­tio­nel­le Mon­ar­chie mit eige­ner Ver­fas­sung, herr­schen sowohl der König als auch ein gewähl­tes Par­la­ment. Nun, in den begin­nen­den 1950ern, beklei­det Moham­mad Mos­sa­degh das Amt des Pre­mier­mi­nis­ters. In sei­ner Posi­ti­on als Volks­ver­tre­ter ver­sucht Mos­sa­degh einen gerech­te­ren Ver­trag mit der Ang­lo-ira­ni­schen Ölge­sell­schaft APOC aus­zu­han­deln, die sich an den rei­chen Ölfel­dern des Lan­des bedient. Als die Bri­ten das ira­ni­sche Ange­bot ableh­nen, ver­staat­licht Mos­sa­degh die Ölge­sell­schaft und weist bri­ti­sche Diplo­ma­ten aus dem Land aus, denen er kor­rek­ter Wei­se unter­stellt, einen Umsturz zu pla­nen.

Mit die­sem Akt erlangt Mos­sa­degh inter­na­tio­na­le Berühmt­heit. Das Time Maga­zi­ne ernennt ihn zum Mann des Jah­res 1951 für sei­nen bei­spiel­haf­ten Ein­satz gegen die kolo­nia­le Unter­drü­ckung von Ent­wick­lungs­län­dern.

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Graf­fi­ti an der ehe­ma­li­gen US-Bot­schaft

Nur die Bri­ten sind not amu­sed und wol­len „ihr“ Öl  zurück. Sie errich­ten eine See­blo­cka­de, for­dern einen inter­na­tio­na­len Boy­kott für ira­ni­sches Öl und geben sich gro­ße Mühe Mos­sa­degh in Miss­kre­dit  zu brin­gen. Schließ­lich gelingt es dem bri­ti­schen Pre­mier­mi­nis­ter Chur­chill 1953 die USA, unter Prä­si­dent Eisen­hower, davon zu über­zeu­gen, dass Mos­sa­degh nicht län­ger in sei­nem Amt blei­ben sol­le. Was folgt ist die CIA-Ope­ra­ti­on Ajax.

Aus besag­tem Kel­ler unter der ame­ri­ka­ni­schen Bot­schaft in Tehe­ran her­aus macht die CIA 1953 Stim­mung gegen Mos­sa­degh. Zunächst umgarnt sie König Moham­mad Reza Pahl­avi, der bereits 1941 sei­nem Vater Reza Pahl­avi auf den Thron folg­te. Die Beweg­grün­de des Königs sind nur noch schwer zu rekon­stru­ie­ren, aber letzt­end­lich erreicht die CIA ihr Ziel: Der Mon­arch spricht sich für eine Ent­mach­tung Mos­sa­deghs aus. Doch es bedarf wei­te­rer zwei Mil­lio­nen US-Dol­lar, die an Kle­ri­ker, Offi­zie­re, Zei­tungs­ver­le­ger, Baza­ris und Schlä­ger­trupps gezahlt wer­den, um den Coup durch­zu­zie­hen.

Mos­sa­degh wird im zwei­ten Umsturz­ver­such aus dem Amt getrie­ben, unter Haus­ar­rest gestellt und spä­ter inhaf­tiert. Der­weil ernennt König Moham­mad Reza den Abge­ord­ne­ten Faz­lol­lah Zahe­di zum neu­en Pre­mier­mi­nis­ter. Die Ölver­trä­ge zwi­schen den Bri­ten und Ver­tre­tern der ira­ni­schen Regie­rung wer­den neu aus­ge­han­delt. Am Ende fal­len die wich­tigs­ten ira­ni­schen Ölfel­der an die Bri­ten zurück. Die­se müs­sen nun aller­dings 40 Pro­zent ihrer Gewin­ne an die USA als Auf­wands­ent­schä­di­gung abtre­ten.

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Iran hin­term Sta­chel­draht

Auch nach dem Putsch gegen Mos­sa­degh neh­men die USA wei­ter­hin gro­ßen Ein­fluss auf die ira­ni­sche Poli­tik; nicht nur zum Vor­teil der ira­ni­schen Bevöl­ke­rung. Eben­so wie sein Vater Reza Pahl­avi ver­sucht sich Moham­mad Reza zunächst als Refor­mer. In den begin­nen­den 1960er Jah­ren ver­spricht er eine Land­re­form und eine Gewinn­be­tei­li­gun­gen für Arbei­ter und Ange­stell­te von Unter­neh­men. Gleich­zei­tig setzt er sich für das Frau­en­wahl­recht ein und bekämpft den Analpha­be­tis­mus im Land, wofür er 1964 für den Frie­dens­no­bel­preis nomi­niert wird.

Jedoch regt sich Wider­stand, der vor allem von den Kle­ri­kern geführt wird. Sie wer­fen dem König vor, eine Regie­rung gegen den Islam zu füh­ren. Dabei ist es ein gewis­ser Ruhol­lah Kho­mei­ni, der beson­ders stark gegen König Moham­mad Reza wet­tert und des­halb 1964 ins Exil ver­bannt wird. Jener Kho­mei­ni wird Jah­re spä­ter maß­geb­lich das Schick­sal des Irans mit­be­stim­men.

Doch mit der Ver­ban­nung Kho­mei­nis ins Exil ist König Moham­mad Reza noch lan­ge nicht fer­tig mit sei­nen Kri­ti­kern. Der Refor­mer nimmt über die Jah­re tyran­ni­sche Züge an. Die Oppo­si­ti­on, vor allem lin­ke und reli­gi­ös-fun­da­men­ta­lis­ti­sche Par­tei­en und Grup­pie­run­gen, wer­den sys­te­ma­tisch der Ver­schwö­rung ver­däch­tigt und ihre Mit­glie­der ver­haf­tet, gefol­tert und hin­ge­rich­tet. Eine Unschulds­ver­mu­tung gibt es nicht mehr. Wer nicht für die Regie­rung ist, muss gegen sie sein. Amnes­ty Inter­na­tio­nal schätzt, dass sich 1977 eini­ge Tau­send poli­ti­sche Gefan­ge­ne im Iran befin­den.

Trotz zunächst erfolg­rei­cher Wirt­schafts- und Sozi­al­re­for­men wächst der Unmut in der Bevöl­ke­rung. Infla­ti­on, eine begin­nen­de Wirt­schafts­kri­se und die eiser­ne Hand des Mon­ar­chen sor­gen für sozia­le Span­nun­gen. Die Men­schen im Land leh­nen sich gegen den König auf. Isla­mis­ten, Kom­mu­nis­ten und die Bür­ger der Mit­tel­schicht ver­lei­hen ihrer Unzu­frie­den­heit auf der Stra­ße Aus­druck. Doch eint sie nichts wei­ter als die Abdan­kung des Königs. Als dies end­lich geschieht, flieht Moham­mad Reza 1979 ins Aus­land und fin­det in den USA Zuflucht. Doch damit erhit­zen sich die Gemü­ter im Iran wei­ter. Die fun­da­men­ta­lis­ti­sche Oppo­si­ti­on ver­langt die Aus­lie­fe­rung des ehe­ma­li­gen Königs und, um eine bes­se­re Ver­hand­lungs­po­si­ti­on zu schaf­fen, stür­men ira­ni­sche Stu­den­ten die US-ame­ri­ka­ni­sche Bot­schaft in Tehe­ran. Sie neh­men 52 Diplo­ma­ten für 444 Tage als Gei­seln.

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Es ist eine chao­ti­sche Zeit aus des­sen Durch­ein­an­der der Iran als Isla­mi­sche Repu­blik her­vor geht. Die ehe­ma­li­ge US-Bot­schaft gibt es nicht mehr. Das Gebäu­de ist heu­te ein Mahn­mal des Anti­ame­ri­ka­nis­mus. Die Außen­mau­ern des Gelän­des sind auf jedem frei­en Zen­ti­me­ter mit Bot­schaf­ten gegen den Impe­ria­lis­mus ver­se­hen. Da ist vom „Gre­at Satan“ die Rede und die Frei­heits­sta­tue grüßt mit einem kno­chi­gen Toten­kop­flä­cheln in die Run­de.

Den­noch ist Anti­ame­ri­ka­nis­mus im Iran eher etwas für die regie­ren­den Kle­ri­ker. In der Bevöl­ke­rung hält sich die Ver­teu­fe­lung des Wes­tens in Gren­zen. Zwar gehört es bei­na­he zum guten Ton die USA für ihre poli­ti­schen Machen­schaf­ten zu kri­ti­sie­ren, aber den­noch ist die soge­nann­te freie Welt das erklär­te Ziel der meis­ten Ira­ner.

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Mitt­ler­wei­le sind wir umge­zo­gen. Wir haben Ahads klei­ne Woh­nung gegen einen Par­ty­kel­ler getauscht. Mit­ten in Tehe­ran ist unser neu­er Host der unan­ge­foch­te­ne Couch­sur­fing-König der Stadt, der selbst über sich sagt, noch nie eine Couch-Anfra­ge abge­lehnt zu haben. Tat­säch­lich tum­meln sich in der unter­ir­di­schen Behau­sung etwa zehn wei­te­re Couch­sur­fer, als wir mit unse­rem Hab und Gut ein­tref­fen. Hier begeg­nen wir auch dem Tsche­chen Jan wie­der, den wir bereits auf Ahads klei­ner Par­ty ken­nen­lern­ten. Außer­dem tref­fen wir Nie­der­län­der, Polen, Fran­zo­sen, Korea­ner und Spa­ni­er. Es scheint dass alle, die eine Couch in Tehe­ran suchen, frü­her oder spä­ter in die­sem Kel­ler lan­den. Wer recht­zei­tig ankommt, dem steht ein Schlaf­platz in einem der vier Dop­pel­stock­bet­ten im Hin­ter­zim­mer zur Ver­fü­gung. Wir schla­fen hin­ge­gen auf unse­ren Iso­mat­ten neben der Tisch­ten­nis­plat­te im gro­ßen Vor­raum.

Die Wän­de und die Decke sind über und über mit Pos­tern, Kalen­der­blät­tern, Foto­gra­fien und Bil­dern ira­ni­scher Sehens­wür­dig­kei­ten ver­se­hen. Nicht ein Mil­li­me­ter, der nicht von einem Stück Papier bedeckt ist. In die­sem Kel­ler befin­den wir uns über­all im Iran zur glei­chen Zeit.

Von unse­rem Gast­ge­ber fehlt jedoch jede Spur. Erst als wir Tehe­ran ver­las­sen, bekom­men wir ihn kurz­zei­tig zu Gesicht. Viel Zeit inves­tiert er nicht (mehr) in sei­ne Gäs­te, aber das ist auch nicht not­wen­dig – immer ist jemand da, mit dem wir unse­re Zeit ver­brin­gen kön­nen. Am liebs­ten machen wir das mit Jan, dem Tsche­chen und Lee, einem rot­haa­ri­gen Punk aus Den Haag. Bei­de sind wie wir per Anhal­ter in den Iran gereist, und bei­de pla­nen bis nach Indi­en zu tram­pen. Doch uns ver­bin­den nicht nur eine ähn­li­che Rei­se­er­fah­rung, son­dern auch glei­cher Humor und Lebens­ein­stel­lun­gen. Wir sind uns vom ers­ten Moment an sym­pa­thisch.

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unse­re Couch in einem Kel­ler in Tehe­ran

Die bei­den Jungs leh­ren uns noch etwas mehr über den Iran und über die gesell­schaft­li­chen Eigen­ar­ten. Jan und Lee schwär­men von der ver­meint­li­chen Unbe­küm­mert­heit und Unbe­fan­gen­heit jun­ger ira­ni­scher Frau­en. Natür­lich geht es um Sex, der vor­ehe­lich unter Stra­fe steht. Doch um auf nichts ver­zich­ten zu müs­sen, flir­ten Ira­ne­rin­nen offen­sicht­lich ger­ne mit Aus­län­dern und schau­en, was sich ergibt. Vie­le von ihnen bie­ten sich sogar erschre­ckend offen an, erklä­ren uns die bei­den jun­gen, viel­ge­reis­ten Män­ner. Auch uns blei­ben die­se Anbie­de­rungs­ver­su­che nicht ver­bor­gen, die gele­gent­lich Ähn­lich­kei­ten mit einer Tro­phä­en­jagd auf­wei­sen.

Doch manch­mal schei­nen Aus­län­der nicht nur als Sex­ob­jek­te ver­stan­den zu wer­den. Sie ver­hei­ßen Erlö­sung, zei­gen sie doch einen mög­li­chen Aus­weg aus den stark reli­giö­sen Zwän­gen der ira­ni­schen Gesell­schaft und der mitt­ler­wei­le kata­stro­pha­len wirt­schaft­li­chen Situa­ti­on des Lan­des. Sowohl Frau­en als auch Män­ner bie­ten sich aus­län­di­schen Tou­ris­ten mit ein­deu­ti­gen Absich­ten an, die zunächst freund­schaft­lich sind, dann aber immer seriö­ser wer­den. Sie han­deln in der Hoff­nung nach einer Liai­son den Iran in Rich­tung eines ande­ren, ver­meint­lich bes­se­ren Lan­des ver­las­sen zu kön­nen. Mit Lie­be hat das wenig zu tun. Viel­mehr opfern Ira­ner, die sich auf sol­che Spie­le ein­las­sen, ihre Kör­per und Emo­tio­nen. Trau­rig und ver­zwei­felt fol­gen sie dem unbe­ding­ten Wunsch in die west­li­che Welt zu gelan­gen. Der inne­re Kon­flikt mit der Lebens­si­tua­ti­on im Iran drängt vie­le Ein­hei­mi­sche an ihre psy­chi­sche Belas­tungs­gren­ze.

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Stra­ßen­bild in Tehe­ran

Teheran, Iran

Als wir aus dem Couch­sur­fing-Kel­ler zurück auf die Stra­ße tre­ten, machen wir uns auf den Weg zum Natio­na­len Juwe­len­mu­se­um. Hin­ter zen­ti­me­ter­di­cken Stahl­tü­ren, Pan­zer­glas, Per­so­nen­scan­nern und Sicher­heits­per­so­nal lagern Irans könig­li­che Schät­ze. Vor allem die Safa­wi­den und Kad­scha­ren hat­ten es in ihren Wohn­zim­mern ger­ne prunk­voll. Bei so viel Glit­zer und Gla­mour, bei so viel luxu­riö­ser Deka­denz bleibt uns die Spra­che weg.

Die Samm­lung an Edel­stei­nen, Gold- und Sil­ber­ar­bei­ten und Schmuck ist so wert­voll, dass sie seit den 1930er Jah­re als Reser­ve für die natio­na­le Wäh­rung in der ira­ni­schen Natio­nal­bank lagert. Eini­ge Aus­stel­lungs­stü­cke sind unbe­schreib­lich: rie­si­ge Kro­nen, enor­me Dia­man­ten, ein mit 26.733 Juwe­len besetz­ter Thron. Ziem­lich viel Bling-Bling; doch das gewal­tigs­te, unglaub­lichs­te Stück der Samm­lung ist ein 34 Kilo schwe­rer Glo­bus aus dem Jahr 1869. Mehr als 51.000 Edel­stei­ne for­men Ozea­ne und Kon­ti­nen­te. Sma­rag­de sym­bo­li­sie­ren das Was­ser und Rubi­ne die Land­mas­sen. Nur Iran, Eng­land und Frank­reich sind mit Dia­man­ten auf den Glo­bus gesetzt. Es ist eine ganz hüb­sche Deko­ra­ti­on, die ich auch ger­ne mein Eigen nen­nen wür­de.

Tehe­ran fas­zi­niert uns. Die Stadt ist so ganz anders, als wir sie uns vor­ge­stellt hat­ten. An jeder Ecke, so scheint es, war­tet eine Geschich­te dar­auf erzählt zu wer­den. Die meis­ten von ihnen sind kei­ne Mär­chen. Tehe­ran ist kei­ne schö­ne Stadt und sie ver­spricht auch kein Hap­py End. Doch die Geschich­ten der Stadt sind zuver­sicht­lich, viel­schich­tig, von Hoff­nung beseelt und manch­mal auch ein biss­chen trau­rig. Sie spie­geln die Gesich­ter, die sie erzäh­len.

Vom Bam‑e Tehr­an, dem Dach Tehe­rans, genie­ßen wir den Blick über die Stadt. Am Fuß des Ber­ges Tochal im Elbrusge­bir­ge gele­gen, bie­tet die­ser Aus­sichts­punkt ein herr­li­ches Pan­ora­ma über eine Stadt, die dank der Smog­wol­ke über ihr in ein mys­ti­sches Licht getaucht wird.

Teheran, Iran

Aus­blick vom Bam‑e Tehr­an über die smog­be­las­te­te Stadt

Haupt­städ­ter kom­men hier her zum Pick­ni­cken, Lie­bes­paa­re suchen in ver­steck­ten Ecken etwas Abge­schie­den­heit, die meis­ten kom­men jedoch, um mit der ver­mut­lich längs­ten Gon­del der Welt zu  fah­ren. Über eine Stre­cke von 7,5 km führt sie das Gebir­ge hin­auf, bis sie im viert­höchs­ten Ski­ge­biet der Welt auf 3.740 Höhen­me­tern ange­kom­men, wie­der hin­ab glei­tet.

Wir igno­rie­ren die Gon­del, denn uns ist bereits auf 1.900 Höhen­me­tern ziem­lich kalt. Der Wind bläst ste­tig und vor uns taucht Tehe­ran zunächst in sanf­tes, abend­li­ches gelb, bevor in den Stra­ßen ein Netz aus klei­nen Lich­tern erleuch­tet. Dann wird es Nacht über einer Stadt vol­ler Ver­feh­lun­gen und zur Schau getra­ge­nen Häss­lich­keit. Es wird Nacht über einer Stadt, die nicht schön ist, aber in der man ohne Zwei­fel den Herz­schlag des Lan­des spürt.

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Mehr Geschich­ten aus der ira­ni­schen Haupt­stadt fin­det ihr hier: Geschich­ten aus Tehe­ran Teil 1

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Antworten

  1. Avatar von thomas

    Das erin­nert mich an mei­ne Rei­se nach Tehe­ran vor drei Jah­ren. Dan­ke für die Auf­fri­schung der Erin­ne­run­gen. 🙂

    1. Avatar von Morten und Rochssare
      Morten und Rochssare

      Es ist uns eine Freu­de, dei­nen Erin­ne­run­gen neu­es Leben ein­zu­hau­chen. 😉

  2. Avatar von Ute
    Ute

    Vie­len Dank für die­sen Bericht und die beein­dru­cken­den Fotos! Vie­le mei­ner Fra­gen über das Leben im Iran, spe­zi­ell in Tehe­ran wur­den mir genau­so infor­ma­tiv wie unter­halt­sam beant­wor­tet! Seit eini­gen Wochen haben wir Kon­takt zu einer Flücht­lings­fa­mi­lie aus Tehe­ran. Der Mann hat in unse­rem ehe­ma­li­gen Schwei­ne­stall sein »Para­dies« gefun­den, er arbei­tet dort an sei­nen Holz­kunst­wer­ken. Ein Frei­geist – war immer wie­der mein Gedan­ke, wenn er mir ver­such­te zu erklä­ren, dass er aus dem Islam aus­ge­tre­ten sei und Gott im Her­zen habe, wäh­rend er an einer Bud­dha-Sta­tue arbei­tet. Ich fin­de ihn in die­sem Arti­kel wie­der und freue mich, end­lich mehr erfah­ren zu haben, als die Rei­se­war­nun­gen des Aus­wär­ti­gen Amtes!

    1. Avatar von Morten und Rochssare
      Morten und Rochssare

      Lie­be Ute,

      wir freu­en uns, dass dir unser Arti­kel gefal­len hat. Tehe­ran ist eine span­nen­de Stadt und ihre Bewoh­ner erzäh­len unglaub­lich inter­es­san­te Geschich­ten. Vie­len Dank, dass du auch dei­ne Erfah­rung mit uns teilst.

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