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Ich liege faul in der Hängematte und zähle Finger. Kommen Mann und Kind herbei. „Liegst du schon wieder in der Hängematte?“, fragt der Mann.
„Keineswegs“, sage ich und schnipse ein Fussel von meinem Shirt (immer noch).
„Du bist noch nicht einmal aus deinem Schlafanzug raus“, sagt mein Mann.
„Ist es dir aufgefallen, dass es manchen Leuten ein Bedürfnis zu sein scheint, das Offensichtliche auch noch in Worte zu fassen?“, frage ich.
„Ich wollte dich fragen …“, fängt der Mann an.
„Ich habe mir vorgenommen, heute nichts zu machen“, sage ich. „Ah“, sagt mein Mann, „und ich Dummerchen dachte, das sei gestern dein Plan gewesen.“ „Nee“, sage ich, „gestern habe ich nur nichts gemacht. Ich hatte mir aber nicht vorgenommen, nichts zu machen. Deswegen war ich dann am Ende des Tages unzufrieden, weil ich nichts gemacht hatte. Heute Abend aber werde ich zufrieden sein, weil ich erreicht haben werde, was ich mir vorgenommen hatte.“
„Nichts?“, fragt mein Mann.
„Genau!“
„Du hast also Zeit?“
„Im Prinzip… ja“
„Dann könntest du mit uns jetzt zum Leuchtturm (zu den Dünen/am Strand entlang/ zu den Seelöwen unterhalb des Leuchtturms/Kaffeetrinken/Wohinauchimmer) gehen“, sagt mein Mann.
„Eigentlich gerne, aber das passt nicht in mein Konzept“, sage ich. „Wenn ich jetzt mit Euch losziehe, werde ich etwas gemacht haben, und dann werde ich am Abend nicht zufrieden sein, weil ich nicht erreicht habe, was ich habe erreichen wollen.“
„Nichts?“
„Genau!“
„Es ist gut, sich Ziele zu stecken“, lobt mein Mann nickend, „sonst wird man noch zum Taugenichts und hängt die ganze Zeit noch faul rum.“ (…..)
Ganz genau so, zumindest aber so ähnlich, könnte sich die Situation hier in Cabo Polonio Uruguay, Nähe der brasilianischen Grenze, abgespielt haben. Daher danke ich an dieser Stelle Mark Uwe Kling und seinem kommunistischsten Känguru für die Steilvorlage, derer ich mich hier bedient habe. (Die Känguru Chroniken – empfehlenswert als Bücher oder Hörbuch. Warnhinweis: Die Benutzung kann zu unkontrollierten Lachkrämpfen in aller Öffentlichkeit führen.)
Das Känguru im Dialog habe ich unverfroren durch meinen Mann ersetzt, der ansonsten wenig mit der Sache gemeinsam hat. Er war weder beim Vietkong, noch mag er Nirwana, Schnapspralinen oder ist ein Schnorrer vor dem Herren.
Tatsache ist jedoch, heute muss ich nichts. Das einzige Ziel: Nichts tun. Mehr muss man in Cabo Polonio auch nicht, denn hier gibt es genau genommen auch nichts zu tun. Ich wage zu behaupten, selbst ein Känguru kann sich hier locker machen und den Kapitalismus kurzzeitig Kapitalismus sein lassen.
Natürlich könnte man wie erwähnt zum Leuchtturm wandern, nach Seehunden Ausschau halten, den Strand links entlang zu den Dünen oder rechts entlang zum windigen, bis zum Horizont reichenden, Nordstrand spazieren. Man kann aber einfach auch rundum zufrieden in der Hängematte baumeln, nichts tun und genau darin sein Tagwerk begründen.
Capo Polonio – Das muss Freiheit sein.
Was hat es also auf sich, mit diesem, zum Müßiggang einladenden, Örtchen?
Auf einer Landzunge, scheinbar am Ende der Welt, steht ein recht pittoresker Leuchtturm. Auf den warmen Felsen davor lümmeln sich träge die Seelöwen. Dahinter liegt weitläufig in die Dünen gekleckert ein Dorf mit Hippie-Charme, in dem es keine Straßen, keine Autos und elektrischen Strom nur aus Sonnenkollektoren gibt. Riesige Wanderdünen trennen Cabo Polonio, das nur zu Fuß, auf dem Pferderücken oder per Truck erreichbar ist vom Rest der Welt. Auf den Hütten und Baracken wehen bunte Fahnen, hier und da ein Peace-Zeichen, ein Marihuana Blatt oder selbiger Duft, der uns um die Nase weht.
Nachts, wenn nur noch Kerzen in den Fenstern flackern, beginnt manchmal das Meer zu leuchten. Fluoreszierende Mikroorganismen, die in der Finsternis ihre aktive Phase haben, sorgen für diese Lightshow. Auch die kilometerlangen Wanderdünen sind ein Naturhighlight allererster Sahne in diesem Fata-Morgana-Land. Und im Winter kommt Besuch von Walen.
Cabo Polonio ist mit Fug und Recht ein Naturschutzgebiet. Man kann nicht so ohne weiteres mit dem Auto dorthin fahren. Nur zugelassene, offene Gelände Trucks bringen Gäste in den Ort. Drei pro Tag in der Nebensaison. Die Fahrt durch die Dünen ins Dorf hat durchaus Abenteuercharakter. Die Neuankömmlinge werden freudig mit Salut und Beifall von den Balkonen der wildromantischen, zusammengeschusterten Backpackerhostels begrüßt. Schließlich passiert hier sonst nichts. Man bleibt einen Tag, eine Woche, manch einer für immer.
Unsere Rückfahrt im Sonnenuntergang bei dramatischem Gewitterhimmel treibt mir Tränen in die Augen vor Wehmut gehen zu müssen und einer Schönheit, die fast schmerzt. Die letzten Sonnenstrahlen im Nacken, Wind im Haar, Salz auf der Haut, keine Straßen, keine Autos, kein Strom, nichts tun, keine Entscheidungen. So muss sich Freiheit anfühlen. Cabo Polonio ist ein Stück Freiheit.
Quelle Zitat: Känguru Chroniken Kapitel 15: Ziele
Zum reinhören: https://www.youtube.com/watch?v=lAsS57jEYi4
Antworten
Ahhh… herrlich. Dein Schreibstil gefällt mir sehr. Lesen vom Nichtstun macht so richtig drauf Nichts zu tun. Danke für den Hinweis, das muss ich nächstes Mal bei Nichtstun auch tun – ganz bewusst. So hat man am Ende des Tages wenigstens kein schlechtes Gefühl.
Na, so freue ich mich jetzt umso mehr auf Uruguay.… nächstes Frühjahr ist es soweit.
Gefällt mir ja mal richtig gut dein kurzer Bericht über Cabo Polonio ! Ich denke das werde ich mir merken und wer weiß, vielleicht verschlägt es mich ja bald auch einmal dort hin.
Herzlichen Gruß,
Michael
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