Der Rausch des Reisens

Es ist erstaun­lich. Manch­mal über­kommt mich ein ganz spe­zi­el­les, fast rausch­haf­tes Glücks­ge­fühl beim Rei­sen. Opti­mis­mus, der plötz­lich so furi­os in mir auf­steigt, wie die spru­deln­den Bläs­chen in einem frisch ser­vier­ten Sekt­glas. Als wäre ein Kanal auf­ge­gan­gen, der alle vor­han­de­nen Glücks­hor­mo­ne auf ein­mal aus­schüt­tet. Es pas­siert ein­fach. Die Trä­nen der rohen Emo­ti­on drü­cken von hin­ten auf die Augen und ein ver­le­ge­nes Lachen zeigt letzt­lich nur an, dass man den Umgang mit die­ser Emo­ti­on nie erlernt hat. Es ist, als set­ze man das letz­te Teil in ein gro­ßes Puz­zle, an dem man schon lan­ge gear­bei­tet hat. Und jedes­mal erlie­ge ich dem Trug­schluss, die­ser Zustand sei nun dau­er­haft – als hät­te ich gera­de etwas erlernt und könn­te das ab jetzt immer anwen­den. Wie ein Cha­rak­ter im Com­pu­ter­spiel, dem eine neue Super­power frei­ge­schal­tet wird, nach­dem er ein Level bezwun­gen hat.

Dann scheint auf ein­mal jedes Vor­ha­ben rea­li­sier­bar und sei es noch so ver­we­gen. Als hät­te ich einen Gene­ral­schlüs­sel für jede Tür in der Hosen­ta­sche.

Ste­fan, jetzt musst du „groß den­ken“, beschlie­ße ich dann immer.

Als sei die­ses irre Momen­tum ein life-chan­ger, ein Schlüs­sel­mo­ment, der die Neu­jus­tie­rung sämt­li­cher Lebens­zie­le prak­tisch unum­gäng­lich macht.

Zuge­ge­be­ner­ma­ßen, ein gran­dio­ses Gefühl. Momen­te, die wohl so inten­siv sind, dass sie sich ganz tief in die Erin­ne­rung bren­nen. Aber was hat es mit die­sem unver­hoff­ten Sin­nes­rau­schen auf sich? Wie­so trifft er mich gera­de auf den aben­teu­er­lichs­ten Rei­sen?

Erfolg auf Reisen

Viel­leicht ist die Ant­wort dar­auf gar nicht so kom­pli­ziert: ich den­ke, dass sich beim Rei­sen im Grun­de vie­le wahr­haf­ti­ge Erfolgs­er­leb­nis­se anein­an­der­rei­hen. Man freut sich, dass man in der Frem­de ange­lä­chelt wird, dass man nach einem stra­pa­ziö­sen Rei­se­tag eine halb­wegs anstän­di­ge Mahl­zeit bekommt, oder man schwer bepackt durch die Dun­kel­heit stap­fend, unver­hofft in die ersehn­te Unter­kunft stol­pert. Mal etwas über­spitzt for­mu­liert: hier wer­den exis­ten­ti­el­le Bedürf­nis­se befrie­digt. Ich den­ke, dass auch unser neu­zeit­lich ent­wi­ckel­tes Gehirn gera­de sol­che Erfah­run­gen als Erfolgs­er­leb­nis­se ein­stuft und folg­lich voll­kom­men zurecht ein paar Glücks­hor­mo­ne extra sprin­gen lässt.

Natür­lich hat der ange­streb­te Glücks­rausch auch einen Preis: so zu rei­sen kann anstren­gend sein. Man selbst, als han­deln­des Sub­jekt sozu­sa­gen, ist viel inten­si­ver invol­viert. Das tat­säch­li­che Rei­sen wird zum Selbst­zweck, zur Tätig­keit, die sich selbst genügt – deren Ver­lauf man aller­dings selbst ver­ant­wor­ten muss. Wie bei einer Schnit­zel­jagd han­gelt man sich von einer Etap­pe zur nächs­ten: man recher­chiert, spricht mit ver­schie­de­nen Men­schen, greift Hin­wei­se auf, geht ihnen nach und wenn man ins Lee­re läuft, fängt man eben wie­der von vor­ne an. Das birgt sicher Frus­tra­ti­ons­po­ten­ti­al, weil im Nor­mal­fall nicht immer alles glatt läuft. Dafür ste­hen am ande­ren Ende des Spek­trums, bei mir zumin­dest, jene unbe­zahl­ba­ren Momen­te gren­zen­lo­ser Zuver­sicht.

Reisen als Worthülse

Schon irre, wel­ches Bedeu­tungs­spek­trum der Begriff »Rei­sen« abdeckt: reist der Hedo­nist doch unter gänz­lich umge­kehr­ten Vor­zei­chen: mal an nichts den­ken müs­sen, sich »ein­fach mal ver­wöh­nen las­sen«. Er nutzt die Rei­se um sich vor­über­ge­hend im ganz obe­ren Bereich der Bedürf­nis­py­ra­mi­de zu bewe­gen. Abso­lut nach­voll­zieh­bar, liegt dar­in doch etwas Ver­füh­re­ri­sches.

Des­halb lie­be ich das Rei­sen: man kann die­se Wort­hül­se mit einer pas­sen­den Bedeu­tung für sich aus­fül­len. »Ich lie­be das Rei­sen«, eine Aus­sa­ge, die so all­ge­mein­gül­tig auf­ge­sagt wird, birgt eine herr­li­che Vag­heit. Die unaus­ge­spro­che­nen Kon­zep­te dahin­ter kön­nen sich so grund­sätz­lich unter­schei­den.

Es ist also ganz wie im ech­ten Leben: häu­fig lie­gen die wahr­haft bedeut­sa­men Momen­te im Zwi­schen­raum- ent­lang des Weges zum anvi­sier­ten Ziel. Beim Rei­sen fas­zi­nie­ren mich vor allem die­se Momen­te. Wie wur­de gereist? Wel­che Men­schen sind einem begeg­net? Wel­ches Gefühl kam rüber? Im All­ge­mei­nen: Wie sah das Leben im Tran­sit­raum zwi­schen den eigent­li­chen Eck­pfei­lern der Rei­se aus? Rei­se­fo­tos, die nur die offi­zi­el­len Sehens­wür­dig­kei­ten eines Rei­se­ziels abbil­den, kön­nen daher ziem­lich lang­wei­lig sein, da man nichts über das rei­sen­de Sub­jekt und sei­nen Bezug zur Außen­welt erfährt.

Die klei­nen, wahr­haf­ti­gen Erfolgs­er­leb­nis­se beim Rei­sen. Die bedeut­sa­men Momen­te im Tran­sit­raum der Ereig­nis­se. Kön­nen das wirk­lich Aus­lö­ser für einen der­ar­ti­gen Glücks­rausch sein?

Schwer zu sagen. Letzt­lich ist das ja gera­de das Magi­sche an der mensch­li­chen Natur – vie­les an ihr ist kaum erklär­bar oder zumin­dest schwer zugäng­lich. Doch eins ist klar. Ich wer­de dem nächs­ten unver­gleich­li­chen Rei­se­mo­ment nach­spü­ren, das scheint mir ein berau­schen­des Vor­ha­ben.

Erschienen am



Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert