Plädoyer für den skifreien Skitag

Ich bin kei­ne Sports­ka­no­ne. Trotz­dem lau­fe ich ger­ne Ski. Vor allem in den Dolo­mi­ten. Ich weiß wohl, dass das umwelt­po­li­tisch nicht kor­rekt ist, öko­lo­gisch ein Desas­ter. Aber erzähl das mal einem Bau­ern, der Gäs­te­bet­ten ver­mie­tet. Oder einem Gast­ar­bei­ter aus Rumä­ni­en, der mit der Ski­sai­son den Lebens­un­ter­halt für ein gan­zes Jahr ver­dient. Aber dazu spä­ter mehr. Jetzt erst mal Ski lau­fen und dann mal ohne Ski Spaß haben.

Was ich mag

oben auf dem Berg ste­hen und zum Hori­zont schau­en. Je höher ich kom­me, des­to wei­ter schei­nen mei­ne Gedan­ken zu schwei­fen. Die Luft ist glas­klar. Ich ste­he da, läs­sig auf die Ski­stö­cker gestützt, gucke Löcher in den Schnee und stau­ne. Unglaub­lich, dass das hier alles mal ein Meer war und die Spit­zen der Dolo­mi­ten Rif­fe im Was­ser! Es dau­er­te 280 Mil­lio­nen Jah­re, bis die­ses Gestein auf dem Mee­res­bo­den ent­ste­hen konn­te. Koral­len, Kalk­al­gen und Muscheln hat­ten ihren Anteil dar­an. Vor 80 Mil­lio­nen Jah­ren schob sich die Afri­ka­ni­sche Kon­ti­nen­tal­plat­te gegen die Eura­si­sche und die Erde fal­te­te sich auf. Koral­len­rif­fe und Mee­res­bo­den tauch­ten auf: die Dolo­mi­ten. Irgend­wie ist es sehr beru­hi­gend zu wis­sen wie viel Zeit und wel­che Natur­ge­wal­ten die­se Fel­sen geformt haben. Die­se Bestän­dig­keit, der Aus­druck von Sicher­heit und Kraft ist etwas was mir fehlt in unse­rer schnell­le­bi­gen Zeit wo alles anders ist, kaum hat man sich an etwas gewöhnt. Und die­se uralte, fel­sen­fes­te Berg­ku­lis­se in zar­ten Schnee gepu­dert ist ein­fach groß­ar­tig.

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Was ich nicht mag

Wenn ich von links und rechts geschnit­ten wer­den, wenn mir jemand über die Ski fährt, wenn Men­schen vor Lif­ten drän­geln, lau­te Musik auf Hüt­ten und betrun­ke­ne Row­dys auf der Pis­te. Das gibt es Gott­lob kaum in den Dolo­mi­ten. Aber den ein oder ande­re Pis­ten­dep­pen, vor allem in der Hoch­sai­son, fin­det man hier auch, klar. Das Ski­lau­fen war für mich immer die Begeg­nung mit der Natur. Hier an einer Bie­gung ste­hen und schau­en, dort den Schlepp­lift neh­men und durch die stil­le Land­schaft lei­se den Berg hin­auf gezo­gen wer­den. Und dann wie­der ein­keh­ren, sich Zeit neh­men für eine Mahl­zeit im Lie­ge­stuhl. Aber wo gibt es heu­te noch Schlepp­lif­te. Wo die Stil­le? Wo die Zeit? Immer schnel­le­re, grö­ße­re Kabi­nen beför­dern den Ski­läu­fer nach oben. Schließ­lich bezahlt er teu­er für den Ski­pass, da will man nicht war­ten son­dern fah­ren, fah­ren, fah­ren. Und zwar schnell. Die Ski­er wer­den immer bes­ser, die Fah­rer immer ver­we­ge­ner, mit Go-Pro’s auf den Hel­men, Köni­ge der Pis­ten. Noch toll­küh­ner, noch unge­brems­ter wol­len sie den Hang hin­un­ter schie­ßen, wo doch alles gefilmt wird. Am Ende schaut nie­mand all die­se lang­wei­li­gen wei­ßen Wackel­bil­der , umsonst alles gewagt, die Kno­chen gebro­chen, den Lang­sa­me­ren nie­der­ge­mäht.

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Ist Ist mir alles zu ner­vig. Echt. Ich las­se mei­ne Ski­er am nächs­ten Tag ste­hen und stap­fe hin­aus in den Schnee, einen klei­nen Weg, der am Fluss ent­lang das Fas­sa­tal hin­ab führt von Cana­zei, wo ich mich ein­quar­tiert habe, nach Cam­pi­tel­lo. Der Schnee knirscht unter mei­nen Füs­sen. Ansons­ten ist es still. Stil­le ist eigent­lich das, was ich mit Win­ter, mit Eis und Schnee ver­bin­de.

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Schnee ist ein Zustand

Bevor Feuch­tig­keit zu einem Schnee­kris­tall wird müs­sen vie­le ver­schie­de­ne Bedin­gun­gen ein­ge­tre­ten sein. Bil­lio­nen von Was­ser­mo­le­kü­len in der Luft braucht es bei einer ganz bestimm­ten Tem­pe­ra­tur und Luft­feuch­tig­keit bis eine Schnee­flo­cke ent­ste­hen kann. Wil­son Bent­ley, den man auch den Schnee­flo­cken-Bent­ley nann­te , ein jun­ger Far­mer aus Ver­mont, hat Ende des 18. Jahr­hun­derts sein gan­zes Leben damit ver­bracht den Schnee zu ergrün­den. Er bau­te ein spe­zi­el­les Mikro­skop mit dem er ein­zel­ne Flo­cken dar­stel­len konn­te und abzeich­ne­te. Mehr als 5000 Flo­cken hat er gezeich­net. Und kei­ne war wie die ande­re.

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Auf dem Wei­de­zaun glit­zert der Neu­schnee in der Son­ne. Die Vor­stel­lung, dass kei­ne Flo­cke wie die ande­re ist macht mich ganz wuschig. Dabei sieht doch alles so gleich aus. Ich gehe ein biss­chen näher dran und fah­re lang­sam mit der Hand durch die Schnee­hau­be eines Zaun­pos­tens. Ich fra­ge mich, ob die Men­schen, die hier mona­te­lang im Schnee leben, eine ande­re Bezie­hung dazu haben. Ob sie, wie die Inu­it, ver­schie­de­ne Wör­ter für weiß haben und unter­schied­li­che Begrif­fe für Schnee, je nach Beschaf­fen­heit.

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Tren­ti­no ist heu­te die reichs­te Regi­on in Ita­li­en

Es gibt genug zu tun im Fas­sa­tal, dank der Tou­ris­ten. So viel, dass heu­te Sai­son­ar­bei­ter aus ande­ren Län­dern hier­her kom­men, vor allem aus dem Osten, aus Rumä­ni­en. Pavel zum Bei­spiel. Jeden Win­ter kommt er und arbei­tet in einem Hotel. Mor­gens fegt er den Schnee weg, dann arbei­tet er im Früh­stücks-Ser­vice, fährt die Gäs­te zum Lift, schnib­belt Gemü­se in der Küche und so geht es den gan­zen Tag, zwölf Stun­den und mehr. Sei­ne Frau arbei­tet in einem ande­ren Hotel. Im Som­mer das glei­che Spiel an der Adria. Seit Jahr­zehn­ten geht das nun so. Nur zwei Mona­te im Jahr sind sie zu Hau­se. Ihre Kin­der sind bei den Groß­el­tern in Rumä­ni­en auf­ge­wach­sen und haben dank der Ein­künf­te aus dem Fas­sa­tal stu­die­ren kön­nen. Heu­te arbei­tet die Toch­ter als Inge­nieu­rin in Rumä­ni­en, erzählt Pavel stolz. Um wel­chen Preis! den­ke ich. Über­all auf der Welt gibt es gan­ze Regio­nen wo eine kom­plet­te Gene­ra­ti­on fehlt: sie ist unter­wegs als Wan­der-und Sai­son- und Schwarz­bei­ter, als moder­ne Skla­ven und Pro­sti­tu­ier­te. Weil sie zu Hau­se ihren Lebens­un­ter­halt nicht bestrei­ten kön­nen müs­sen sie die Kin­der bei den Groß­el­tern zurück las­sen. Das ist trau­rig, fin­de ich. Ich schaue hin­aus in das Schnee­ge­stö­ber und stel­le mir vor wie es frü­her hier für die Ladi­ner war.

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Im Win­ter erstarr­te das Leben

Bevor die Turis­ten in den fünf­zi­ger Jah­ren kamen, war die­ses Tal eine der ärms­ten Regio­nen Ita­li­ens. Und im Win­ter erstarr­te das Leben. Die Män­ner, Bau­ern und Hir­ten, ver­lie­ßen ihre Fami­li­en, um in den Städ­ten Arbeit zu fin­den. Zurück blie­ben die Frau­en, Kin­der und die Alten. Und die erzäh­len an lan­gen Win­ter­aben­den von bösen und guten Geis­tern die es zu besänf­ti­gen galt. Kein Wun­der: in einer Umge­bung wo plötz­li­cher Hagel die Ern­te zer­stö­ren kann, wo Erd­rut­sche gan­ze Dör­fer unter sich begra­ben und wo Gewit­ter die Erde erzit­tern las­sen, da ist der Glau­be an Hexen und Geis­ter nicht weit. Und so erzäh­len sich die Ladi­ner noch heu­te Mär­chen und Sagen aus dem Val die Vas­sa. Ali­ce, 29 Jah­re alt, dunk­les Haar und Som­mer­spros­sen auch im Win­ter, ist hier gebo­ren und auf­ge­wach­sen. Sie spricht ladi­nisch, also ist sie so etwas wie eine „Ein­ge­bo­re­ne“. Über zwei Jahr­tau­sen­de hat das Berg­volk sei­ne Spra­che bewahrt. Das Val di Fas­sa war dank sei­ner hohen Gip­fel und der unweg­sa­men Päs­se vor den Angrif­fen von Außen geschützt. Und Ski­er waren ein rei­nes Fort­be­we­gungs­mit­tel. Hin­auf ging es mit Fel­len unter den Ski­ern und hin­ab in Schwün­gen.

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Die Frau­en, erzählt Ali­ce, näh­ten Klei­dung, brach­ten das Haus auf Vor­der­mann, bemal­ten Möbel­stü­cke. Die Alten erzähl­ten Geschich­ten, vom König Lau­rin und sei­ner Toch­ter Ladi­na. Dabei schnitz­ten sie Figu­ren, mit denen die Kin­der spiel­ten und die Geschich­ten der Groß­el­tern wei­ter erzähl­ten.

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Ali­ce, Ladi­ne­rin, zeigt mir das Fas­sa­tal

Der Win­ter war Still­stand. Der Frost lässt die Seen erstar­ren, sogar die Zeit friert ein.

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Ganz ent­spannt nach einem ski­frei­en Tag

Einen ski­frei­en Tag lang hat die Win­ter­zeit auch für mich still gestan­den. Nicht, dass man im Fas­sa­tal nicht gut Ski lau­fen könn­te! Im Gegen­teil. Das Ski­ge­biet reicht bis auf 2600 MüM, hat über 110 bes­tens gepfleg­te Pis­ten­ki­lo­me­ter und ist an ande­re Ski­ge­bie­te, ins­be­son­de­re an die Col Rodel­la, ange­bun­den. Aber das Tol­le ist ja, das man auch ein­fach mal aus­stei­gen kann, zurück zu den Wur­zeln von Schnee und Eis. Als ich nach­mit­tags in mei­ne Pen­si­on zurück kom­me bin ich doch irgend­wie ent­spann­ter als an Ski­ta­gen und muss herz­haft lachen als mei­ne Zim­mer­nach­barn im Mega-Spor­t­out­fit den Lift neh­men, um in die ers­te Eta­ge zu fah­ren. Ich hin­ge­gen neh­me zwei Stu­fen auf ein­mal.

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Antworten

  1. Avatar von Julia

    Ich habe bis­her nur ein­mal Urlaub in Schen­na gemacht. In den Dolo­mi­ten war ich bis­her lei­der noch nicht. Die Bil­der sehen aber echt toll aus und über­zeu­gen mich auf jeden Fall dies zu ändern 🙂

  2. Avatar von Marius

    Ich woll­te schon immer mal Ski­fah­ren in Süd­ti­rol. Kennt dort jemand noch ande­re schö­ne Pis­ten oder ein tol­les Well­ness­ho­tel? 🙂

  3. Avatar von Marius

    Ich weiß gar nicht, ob ich mich das in mei­nem Alter noch trau­en soll­te 😀 Alle schwär­men immer so vom Ski­fah­ren und ich habe das noch nie aus­pro­biert. Dabei mache ich auch fast jedes Jahr einen Kurz­ur­laub in Süd­ti­rol 🙂

    1. Avatar von gitti

      Ein Bekann­ter von mir ist noch mit 84 Ski gelau­fen (-; Ich weiß ja nicht wie alt du bist aber wenn du es noch nie pro­biert hast und du hast Bock drauf: mach doch. Aber gön­ne dir auf jeden Fall ein paar STun­den mit Ski­leh­rer! Viel Spaß

  4. Avatar von Julia

    Bis­her war ich immer nur im Som­mer in Süd­ti­rol. Etwas Abwechs­lung wäre viel­leicht gar nicht mal schlecht und ich soll­te statt Wan­dern und Rad­fah­ren ein­fach mal Ski­fah­ren aus­pro­bie­ren 😉 Das Rid­naun Hotel, in dem ich oft bin, hat da bestimmt etwas pas­sen­des zu bie­ten 🙂

    1. Avatar von gitti

      Ver­suchs mal auf der ita­lie­ni­schen Sei­te. Ist auch schön!

  5. Avatar von Leonie

    Auf die stei­len Pis­ten Süd­ti­rols habe ich mich bis­her lei­der noch nicht getraut! Das Win­ter­pa­ra­dies rund um unser Hotel Schoss­blick woll­te ich mir den­noch nicht ent­ge­hen las­sen und habe mich daher oft mit Schnee­schuh­wan­dern und Ski­lang­lauf begnügt 🙂

    1. Avatar von gitti

      Süd­ti­rol hat zwar auch ein paar rasan­te schwar­ze Pis­ten, aber auch vie­le, sehr brei­te blaue. Aber beschau­li­cher ist es mit Schnee­schu­hen alle­mal. Viel Spaß wei­ter­hin dort

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