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Bungeejumping, gefährliche Tiere und ein Roadtrip in Australien.
Erinnerungen an frühere Reisen sind immer ein wenig verzwickt. Man erinnert sich nur bruchstückhaft, wie durch einen Schleier tauchen hier und dort konkrete Bilder wieder auf. Bungeejumping… Australien… Anderes bleibt im Nebel der Vergangenheit verborgen. Sich an eine Reise, die nun sieben Jahre her ist, zu erinnern – und darüber zu schreiben – ist nun sicher kein Ding der Unmöglichkeit. Aber die vergangene Zwischenzeit, in meinem Fall sieben Jahre, ist nun auch nicht unbedingt ereignislos verlaufen. Neuere Erinnerungen überlappen die alten, das bleibt nicht aus.
Und doch will ich es versuchen. Im November 2007 brach ich auf zu meiner ersten richtig großen Reise. Ein halbes Jahr nach Australien. Nervös werde ich wohl gewesen sein, allerdings ist mir auch deutlich in Erinnerung, dass diese Aufregung sich bereits in der Boeing 747 der Qantas legte. Es gab einfach genug zu tun, genug Gegenwart, auf die ich mich konzentrieren musste. Das sollte in den nachfolgenden Monaten so bleiben. Bis schließlich ein guter Freund aus Deutschland zu mir nach Cairns geflogen kam, um die letzten drei Wochen meiner Reise mit mir gemeinsam Queensland in einem Camper zu erkunden.
Man erinnert sich nahezu immer leichter an böse Momente als an die guten. Der Moment, als ich an jenem Märzmorgen 2008 in meinem Hostel in Cairns erwachte, gehörte zu den ganz bösen in Australien. Am Vorabend war ich gemeinsam mit einem anderen Freund und einem kanadischen Mädchen – das so hübsch war, dass ich sie kaum anzusprechen wagte – böse versackt. Wir hatten mit Bier begonnen und mit goon, billigem Rotwein aus dem Tetrapack, weiter gemacht und dementsprechend war der Abend für mich zu Ende gegangen.
Ich kann mich nur noch Bewegungsabläufen, oder besser gesagt, dem Mangel an solchen, entsinnen. Zunächst trat ich dem im Bett unter mir liegenden Iren auf die Hand, dann war ich nicht mehr in der Lage, meine Hose auszuziehen. Den Gürtel löste ich noch, selbst den Knopf hatten meine Finger öffnen können, doch sofort hierauf schlummerte ich selig ein. Als ich erwachte, hatte ich noch eine Stunde, um meinen Freund am Flughafen von Cairns abzuholen und zugleich den schlimmsten Kater seit Jahren.
Abgewrackt und mit Übelkeit empfang ich ihn in der tropischen Luft Queenslands, ich nach fünf Monaten im Land rot und teils sogar braun gebrannt. Er aber kam geradewegs aus dem nordhessischen Winter und war blass wie ein Bettlaken. Es gab also für uns einiges zu tun.
Einen Tag darauf durften wir unseren Wicked Camper in Empfang nehmen. Die Straßen Australiens sind voll von diesen japanischen Minivans, meistens ach-so-lustig bemalt. Wir durften die Stockcar-Variante nutzen. Die ersten Kilometer zeigten mir bereits zum dritten Mal, wie viel Umgewöhnung es braucht, auf der linken Seite zu fahren und mit links zu schalten. So rutschte ich dann auf der Gangschaltung gerne beim Beschleunigen vom vierten in den dritten – anstatt in den fünften – Gang.
Obwohl unser fernes Ziel Sydney im Süden auf uns wartete, bewegten wir uns anfangs nach Norden. Der Daintree Nationalpark ist ein tropischer Dschungel, vorgelagert liegen die Ausläufer des Great Barrier Reefs im Pazifik. Ich hatte mir etwas in den Kopf gesetzt, was nun unbedingt in die Tat umgesetzt werden musste. Ein Bungeesprung musste mit auf die Liste meiner Reiseerlebnisse. Ich war damals sehr von dem Wunsch getrieben, möglichst alles mitzunehmen, was sich mir am Wegesrand darbot. Einige Frauen können da auch ein Lied von singen. Nun lenkte ich unser Schiff auf den Parkplatz des AJ Hackett Bungee Towers und mein Freund sagte nur: “Marius, nein. Das kannst du jetzt alleine tun”.
Bungeejumping in Australien
Mir schlotterten bereits am Eingangstor des Areals die Knie, als ich den ca. 60 Meter hohen Turm erblickte. Doch ich hatte es mir nun mal in den Kopf gesetzt, und nun würde ich keinen Rückzieher machen. Nachdem ich die 120 A$ bezahlt hatte, galt es noch einen Schein auszufüllen, der ein wenig an die Vordrucke bei Herzchirurgen erinnerte. Dort stand schwarz auf weiß, dass ich die netten Leute von AJ Hackett nicht zur Verantwortung ziehen dürfe, falls ich meinen Rücken zerstören, einen Herzinfarkt erleiden oder ganz einfach nach dem ersten freien Fall nicht wieder hochgezogen, sondern im unter dem Turm gelegenen See landen würde.
Während ich leicht schwitzend meine Kreuzchen machte und meine Unterschrift drunter setzte, tigerte mein Freund hinter mir durch den Raum. Sah auf mich, auf die Bilder an der Wand, auf denen von Adrenalin gepeitschte junge Menschen den Daumen erhoben und in die Kamera grinsten. Er durchmaß nochmals den Raum, dann stand er neben mir, nahm sich einen der bereitliegenden Zettel und sagte: “Scheiß drauf, jetzt bin ich auch einmal hier.”
Ich war ihm unendlich dankbar, dass ich nicht allein die Stufen des Turmes hochsteigen musste. Oben angekommen war ich innerlich ein Häufchen Elend, versuchte, gegenüber den coolen Jungs von AJ Hackett die Attitüde zu bewahren – gottseidank ging dann alles ganz schnell. Das Seil wurde befestigt, der Mann zählte von fünf abwärts und bei NULL ließ ich mich fallen.
Der erste freie Fall war erschreckend, ich spürte das Seil an meinen Beinen nicht im geringsten, doch ab dem Moment, in dem es zog und mich relativ sachte abbremste, ich wieder nach oben geschleudert wurde und mir klar war, dass diese Sache glimpflich ausgeht, machte es viel Spaß. Als ich wenig später auf ein Boot auf dem See gezogen wurde, spürte ich den größten Adrenalinausstoß, den ich mir denken kann. Es hatte sich gelohnt, mein Freund sah es zum Glück genauso.
Die Straße selbst war es, die uns am meisten in Besitz nahm. Wir wechselten uns am Steuer ab, der Fahrer bestimmte auch stets die Musik. Zu Cyndi Laupers “Girls just wanna have fun” rasten wir über die A1 nach Süden, durch ganz Queensland. Genau der richtige Song für zwei Männer, die unter sich sind. Zudem machten uns die zweieinhalb Wochen im Camper mit einigen der interessantesten Eigenschaften unserer australischen Gastgeber vertraut.
Es gibt wohl kaum ein anderes Volk, das so gesund, so kerngesund scheint, wie die Australier. Die Kinder fangen gern mit drei oder vier das Surfen an, Rugby ist nicht umsonst in Queenslands so populär: Männlichkeit wird groß geschrieben. Aber dann ist da auch jene Verrücktheit, die der Rest des Landes den Bewohnern von Queensland zuschreibt. Ihr Humor ist staubtrocken, aber herzlich. Nur über eine Sache kamen wir kaum hinweg. Die Eigenart der Australier, riesige Gebäude in Form eines… zu bauen. Die dann am Wegesrand stehen und die vorbeiströmende Touristen, oft sind es Landsleute, dazu verführen, Fotos zu schießen und jenes Gebäude in Form eines Plastik-Souvenirs zu kaufen. Allein in unseren etwas mehr als zwei Wochen bestaunten wir die große Ananas; die große Banane; den großen Hummer und, als Anpassung an der vor der Küste lauernden Gefahr des Meeres, den großen Hai.
Überhaupt, Australiens Tierwelt. Seit Monaten war ich immer wieder auf einzelne Exemplare der gefährlichen Sorte gestoßen, für die der Kontinent zu Recht so berühmt ist. Als Höhepunkt muss ich sicher die Anekdote meiner Zeit auf einer Melonenfarm im Südwesten des Landes, nahe Perth, erzählen. Wochenlang schuftete ich mit anderen Backpackern auf den Feldern und erntete Melonen, leichte Arbeitshandschuhe über den Händen. Eines Morgens bemerkte ich eine merkwürdige, relativ kleine Spinne, die vom Feldboden auf meine Hand krabbelte. Sie wirkte nervös und hatte einen interessanten, roten Fleck auf dem pechschwarzen Rücken. Folgender Dialog zwischen meinem Supervisor Alex und mir entspann sich:
Ich: “Look, Alex. A spider.”
Alex: “Yeah. If I was you, I’d throw it away. It’s a redback.”
Was wie eine gemütliche Plauderei zwischen Feldarbeitern anmutet, machte mir Panik. Die Rotrückenspinne ist, wenn es um die Weibchen geht, eine der gefährlichsten Spinnen der Welt. Ihr Gift kann recht unangenehme Auswirkungen auf den Organismus haben. Ich erlaube mir, kurz aus Wikipedia zu zitieren:
“Der Biss selbst ist kaum zu spüren, der darauf folgende charakteristische Abdominalschmerz wird als „unerträglich“ beschrieben. Die Hauptkomponente des Giftes, das Alpha-Latrotoxin, führt zu Krämpfen und Schmerzen. Die Symptome dauern etwa zwölf Stunden an und klingen dann ab. Lebensgefahr besteht, wenn durch die auftretenden Lähmungserscheinungen das Atemzentrum betroffen ist.”
Dafür war die Reaktion von Alex ein gutes Beispiel für die nonchalante Art, mit der die Australier ihrer Natur gegenübertreten.
Auf unserem Roadtrip trafen wir es besser. Eine Schlange, wenn auch recht groß, ein Frosch auf dem Billardtisch eines Campingplatzes bei Brisbane sowie ein paar Spinnen waren alles, was uns über den Weg lief. Plus die Känguruhs, die man aber nun wirklich kaum mehr wahrnimmt, sobald man längere Zeit im Land ist. Wie mit den Rehen in Deutschland, so fühlt es sich an.
Als nächstes Ziel steuerten wir die größte Sandinsel des Planeten an, Fraser Island. Genau wie im Norden des Bundesstaates auch hier drückende Schwüle. Die Regenfälle der Nacht hatten nichts gelöst. Mit einem Tourbus gelangten wir auf die Insel, normalerweise bin ich kein Freund von so Massenabfertigungen. Der einfachen Tatsache geschuldet, dass man sich seine Zeit nie selbst einteilen darf. So auch heute.
Wir donnerten erst über den langen Strandhighway der Insel, laut unserem Fahrer “die einzige offizielle Straße der Welt, die über einen Strand verläuft”. Am Nachmittag dann besuchten wir den wahrhaft paradiesischen Lake McKenzie. Selten würden wir in unserem Leben klareres Wasser zu Gesicht bekommen. Dieser Süßwassersee ist sehr nährstoffarm, daher leben kaum Fische oder Kleinstlebewesen in ihm. Optimal, um sich abzukühlen. Das Farbenspiel, das sich durch die Sonnenstrahlen ergibt, in weiß bis dunkelblau, war vollkommen. Doch als wir gerade ein wenig entspannen wollten, ein wenig baden, den Anblick auskosten – da ertönte das Signal unseres Tourguides. Wir mussten weiter. Sollte ich jemals wieder Fraser Island besuchen, dann niemals in einem Tourbus.
Unsere Fahrt neigte sich allmählich dem Ende entgegen. Byron Bay, der östlichste Punkt des australischen Festlands, war einer unserer letzten Zwischenstopps auf dem Weg nach Sydney. Es gibt ein Foto von jenem Tag, das bis heute an der Wand über meinem Bett haftet. Mein Freund und ich stehen vor dem weißen Leuchtturm, wir strahlen in die Kamera. Eine Sekunde festgehalten.
Seit unserer Rückkehr nach Deutschland hat sich vieles verändert. Heute leben mein Freund und ich weit voneinander entfernt, führen relativ unterschiedliche Leben. Aber erst vor Kurzem trafen wir uns endlich einmal wieder. Nach wenigen Minuten war es wie früher, es klickte und wir verstanden uns sofort. Und wie zwei alte Kriegskameraden kamen wir auf die alten Zeiten zu sprechen, und recht bald auch auf unseren Roadtrip durch das verblüffende Queensland. Ein Trip, der uns bleiben wird, egal wie lange es her ist.
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