Wir da draussen, ihr da drinnen

Eini­ge Kilo­me­ter vor Jose Igna­cio an der Küs­te Uru­gu­ays spuckt mich der Bus aus wie unter­kühl­tes Gemü­se. Die Air­kon­di­ti­on im moder­nen Rei­se­bus hat mir Müt­ze, Schal und Jacke auf­ge­nö­tigt. Ich bin total durch­ge­fro­ren und blei­be erst mal im gleis­sen­den Licht der Son­ne am Stras­sen­rand ste­hen, um auf­zu­tau­en. Rechts das Meer, unfass­bar blau. Auf der gegen­über­lie­gen­den Stras­sen­sei­te die Lagu­ne Jose Igna­cio und an sei­nem Ufer ein paar Häu­ser.

rechts der Strasse das Meer...IMG_7788

Da soll laut GPS mein Hos­tel sein, das ein­zi­ge im Umkreis von 50 Kilo­me­tern, das auch nur annä­hernd bezahl­bar ist. Das Ört­chen Jose Igna­cio selbst, einst ein klei­nes Fischer­dorf, ist noch gut acht Kilo­me­ter wei­ter nörd­lich. Es ist immer noch ein klei­nes Dorf, aber ohne Fischer.  Denen ist es zu teu­er gewor­den. Der Ort scheint fest in Hän­den einer Eli­te zu sein. Einer sehr, sehr rei­chen Eli­te. Ein Zim­mer unter 350 Euro pro Nacht ist da kaum zu haben. Des­halb machen es die weni­ger betuch­ten Besu­cher so wie die Fischer: Sie blei­ben draus­sen, suchen sich ein Plätz­chen zum schla­fen in der Umge­bung, brin­gen ihr Essen mit zum Strand.

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Und der ist auch acht km vor Jose Igna­cio traum­schön. Men­schen­leer und kilo­me­ter­lang schlän­gelt sich der weis­se Sand von hier bis zur bra­si­lia­ni­schen Gren­ze. Heu­te gibt es ein biss­chen Nord­see­flair dazu, weil kal­te Luft mit Stär­ke 5 aus Süden weht. Die sal­zi­ge, kla­re Luft bläst die Lun­gen auf wie Luft­bal­lons und der Wind zaust an Haar und Ohren. Ich gehe den Strand nord­wärts und las­se mich vom Rücken­wind trei­ben. Ein Rie­sen­spaß. Die Bay­wat­cher win­ken mir zu. Zwei Din­ge fal­len mir auf: 1. in Uru­gu­ay sind fast alle Strän­de bewacht, obwohl man­che wirk­lich sehr leer sind. 2. Es gibt sel­ten Ser­vice am Strand. Kei­ne Restau­rants, kein Imbiss, kei­ne Lie­ge­stüh­le, kei­ne Son­nen­schir­me. Strand ist ein­fach Strand. Nur die Strand­bi­blio­thek, zum kos­ten­lo­sen Aus­lei­hen von Büchern, die gibt es fast über­all. Das gefällt mir. Nach einer guten hal­ben Stun­de immer an der tosen­den Bran­dung ent­lang errei­che ich das Ört­chen Jose Igna­cio.

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Es gibt: einen Leucht­turm, ein klei­nes Gemein­de­haus, Poli­zei, ein paar Bou­tique-Hotels, die sich hin­ter Bäu­men ver­ste­cken, eini­ge Restau­rants (nur vom Feins­ten) und Cafés mit fran­zö­si­schen Namen, Bou­ti­quen mit teu­ren Mar­ken­ar­ti­keln sowie erstaun­lich vie­le Immo­bi­li­en­mak­ler. Aus­ser­dem: eine fran­zö­si­sche Patis­se­rie mit knack-fri­schen Baguettes zu Prei­sen, die einem die Spu­cke gefrie­ren las­sen. Aber so lecker wie in Paris. Das muss ich neid­los aner­ken­nen. Nur, wo sind die Gäs­te, die Rei­chen und Schö­nen, die hier Urlaub machen oder ein Wochen­end­do­mi­zil haben? Ich nip­pe vor­sich­tig an mei­nem 5 Euro Cap­pu­ci­no (bloß nix ver­schüt­ten) und lang­wei­le mich. Der Ort ist alles in allem eher unspek­ta­ku­lä­re aber in einer wun­der­schö­nen Lage, etwas erhöht auf einem Hügel, ober­halb des Leucht­turms mit Rund­um­blick auf das Meer.

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Vor einem Yoga­stu­dio steht eine Kolon­ne von last­wa­gen­ähn­li­chen SUV’s und Jeeps. Einer grö­ßer als der ande­re. Auf den Fah­rer­sit­zen war­ten (meist) jun­ge Män­ner. Einer schö­ner als der ande­re. Sind es die Gelieb­ten, die Ehe­män­ner oder die Chauf­feu­re? Ich weiß es nicht. Sie war­ten auf die Damen, die drin­nen ihr Bes­tes geben damit ihre Kör­per so blei­ben wie es sich für die Besit­zer eines dicken Bankkonto’s gehört: schlank, jung und schön. Spä­ter wer­den sie ihn aus­stel­len, mit­samt der gemach­ten Brüs­te, Nasen und Lip­pen. Am Pool und am Strand.

In den nächs­ten Tagen wer­de ich noch ein paar Mal vor­bei kom­men, mit einem alten, klapp­ri­gen Fahr­rad, das mir Jai­me, der Besit­zer des Hos­tels gelie­hen hat. Und es wird mir wie­der ein­mal klar, dass es durch­aus Vor­tei­le haben kann, nicht im Geld zu schwim­men. Die Fahrt vom Hos­tel zum Dorf führt auf erdi­gen Wegen durch klei­ne Euka­lyp­tus­wäl­der. Der Duft ver­mischt sich mit der sal­zi­gen Feuch­te des Oze­ans und wirkt wie eine Inha­la­ti­on.

der Hotelbesitzer leiht mir ein klappriges Fahrrad

Der Him­mel ist stahl­blau und ich kom­me vor­bei an klei­nen Häu­sern und beschei­de­nen Hüt­ten, mal aus Holz, mal aus Lehm, mit Vor­gär­ten, in denen sich Kin­der tum­meln und Müt­ter Gemü­se ern­ten. Das ganz nor­ma­le Leben eben.

Die eins­ti­gen Bewoh­ner von Jose Igna­cio fin­de ich unter­halb des Leucht­turms am Strand wo sie Fisch ver­kau­fen.

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Maria hat ihren Stand mit fang­fri­schem Fisch unter einem Zelt aus blau­er Plas­tik­fo­lie. Eini­ge alte Fischer­boo­te lie­gen gleich neben­an, ein alter Fischer flickt ein Netz. Aber so idyl­lisch wie es aus­sieht ist es nicht. Maria erzählt, dass die Fischer von explo­die­ren­den Immo­bi­li­en- und Lebens­mit­tel­prei­se  ver­trie­ben wur­den. Jetzt leben sie land­ein­wärts, an der Lagu­ne oder an der Küs­te wei­ter süd­wärts. Die, die ihre Boo­te noch hier haben müs­sen lan­ge Anrei­sen in Kauf neh­men. Dafür bekom­men sie in Jose Igna­cio aber etwas mehr Geld für ihren Fisch. Trotz­dem rei­che es nicht. Es gebe nicht mehr viel zu fan­gen. Die Jun­gen, sagt Maria, haben kei­ne Lust mehr auf ein Fischer­da­sein. Sie zie­hen in die Städ­te oder nach Argen­ti­ni­en auf der Suche nach dem gro­ßen Glück.

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An der Lagu­ne tref­fe ich Pedro. Auch er war frü­her in San Igna­cio zu Hau­se. Jetzt hat er sei­nen klei­nen Stand an der Lagu­na de San Igna­cio. Um 2 Uhr mor­gens läuft er aus. Jedes Aus­lau­fen kos­tet ihr rund 5000 Pesos, sagt er. Für Ben­zin, für Net­ze. Um die Kos­ten wie­der rein zu krie­gen muss er min­des­tens zwei Kis­ten Fisch ver­kau­fen. Aber die­ses Jahr gibt es ein­fach nicht so viel Fisch. Und dann die lan­gen Anfahr­ten. Als die Rei­chen kamen durf­ten die Fischer in den ers­ten Jah­ren noch in Zel­ten bei ihren Boo­ten über­nach­ten. Aber damit ist längst Schluss. Die bun­ten Boo­te dür­fen blei­ben. Die Fischer nicht. Man will unter sich sein.IMG_7811IMG_7818IMG_7812

Drü­ben auf der ande­ren Sei­te der Lagu­ne habe er heu­te mor­gen ein Luxus­ho­tel belie­fert, sagt Don Pedro – und will, dass ich rate für wen. ??? »Bill Gates?« fra­ge ich lachend weil es der ein­zi­ge Rei­che ist, der mir ein­fällt. »Fast getrof­fen« sagt Pedro. »Der Fisch ist für Rocke­fel­ler, der ist gera­de zu Gast dort. Und da drü­ben, auf der ande­ren Sei­te der Lagu­ne, hat Shaki­ra ein Anwe­sen« fügt Don Pedro hin­zu. Wie ist das, von Stein­rei­chen umzin­gelt zu sein in einem sozia­lis­ti­schen Land, fra­ge ich. Der Fischer zuckt mit den Schul­tern. »Hat Vor-und Nach­tei­le«, sagt er, »man muss sich aus­ken­nen um über­le­ben zu kön­nen. Die Prei­se sind stark gestie­gen. Aber es gibt ein paar klei­ne Läden, ver­steckt im Euka­lyp­tus­wald, die ver­kau­fen an uns zu nor­ma­len Prei­sen. Wenn die Rei­chen das wüss­ten«, lacht er, »wür­den sie die Läd­chen leer kau­fen. Die meis­ten sind näm­lich gei­zig.«

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Nach ein paar Tagen mache ich mich auf Rich­tung Nor­den. Da soll es einen ganz beson­de­ren Hot­spot geben: ein Ort wo die Bewoh­ner strom­los glück­lich sind. Da will ich hin.

 

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Antworten

  1. Avatar von Sabrina (todayis)

    Ein wun­der­schö­ner Schreib­stil. Es macht rich­tig Freu­de die­sen Post zu lesen. Ein tol­ler Ort. Ich bin gespannt, wie es beim Hot­spot zugeht 🙂

    1. Avatar von gitti

      Hal­lo Sabri­na, dan­ke für die Blu­men! Hot­spot kommt bald.

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