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Fünf Augenpaare ruhen auf uns. Fünf bärtige Köpfe neigen sich zur Seite, um uns besser beobachten zu können. Neugierige Blicke treffen uns. Es dauert nicht lange und fünf schmutzige, von Motorenöl und Staub befleckte Kanduras, lange arabische Gewänder, schwingen gleichmäßig auf uns zu. Fünf Arme weisen in die Richtung eines Taxistandes.
Die Sonne ist schon lange hinter dem Horizont verschwunden. Das künstliche Licht einer Straßenlaterne drängt die Dunkelheit der Nacht zurück. Abgase und Staub schwängern die noch immer heiße Luft. Wir sind müde. Die 350 Kilometer von Schiras bis hierher nach Lar haben uns geschlaucht. Nicht, weil die Strecke besonders schlecht ist, sondern weil man beim Trampen manchmal an Gesprächspartner gerät, die nicht leicht zu ertragen sind. Wenn es um die Deutung der deutschen Geschichte geht, dann treffen gelegentlich ganz gegensätzliche Ansichten aufeinander. Je weiter wir uns von unserem Heimatland entfernen, desto diffuser erscheint das Wissen über all die Tragik der Vergangenheit. Stattdessen wächst die unreflektierte Euphorie gegenüber obsessiven Persönlichkeiten. Es ist schwer solche Gespräche auszuhalten und so nutzen wir die erste Möglichkeit zum voreiligen Abschied. Als unser Gesprächspartner seinen Wagen an einer Moschee an der Schnellstraße parkt, um sich seinem Gebet zu widmen, halten wir kurzerhand eine weitere Mitfahrgelegenheit an, die uns bis nach Lar fährt.
Doch nun ist es Nacht. Noch immer liegen 250 Kilometer zwischen uns und Bandar Abbas am Persischen Golf. Natürlich hält niemand. Stattdessen versuchen die fünf Bärtigen uns noch immer an einen Taxistand zu verweisen. Neugierig umringen sie uns so nah, dass wir kaum noch von vorbeifahrenden Autos wahrgenommen werden können. Also versuchen wir uns in Erklärungen und drängen weiter auf die Straße ins Blickfeld der Autofahrer, nur um von den fünf Männern belehrt zu werden, dass es auf der Straße gefährlich ist und wir doch weiter am Rand stehen sollten.
Doch irgendwann lassen sie uns in Ruhe. Wir warten und tatsächlich hält ein PKW. Drinnen sitzen zwei junge Männer ausgestattet mit Jogginganzug und Anglerhut. Sie hätten uns hier bereits länger stehen sehen, erzählen sie euphorisch, und möchten uns nun gerne nach Bandar Abbas fahren. Etwas zögerlich verfrachten wir unsere Rucksäcke in den Kofferraum. Beim Einsteigen stocken wir kurz. Dort wo sich eigentlich die Rückbank befinden sollte, klafft eine Lücke. Lediglich die mit Auslegware bestückte Karosserie dient uns als Sitzfläche. Anschnallgurte suchen wir vergebens. Wäre es helllichter Tag, würden wir niemals einsteigen. Doch in der Nacht sind Mitfahrgelegenheiten rar und so fügen wir uns unserem Schicksal.
Die beiden Jungs sind so aufgeschlossen und redselig, dass wir unser Gewissen schnell beruhigen. Es dauert auch nicht lange und wir erfahren warum die beiden so spät noch auf dem Weg nach Bandar Abbas sind. Eine Schiffsladung Handys aus Dubai ist unterwegs und muss heute Nacht noch bis nach Schiras gelangen. Wir trampen mit Schmugglern.
Wir verlassen Lar, biegen auf den Highway und plötzlich fühle ich mich wie auf dem Beifahrersitz von Tarantinos Stuntman Mike. Mit beinahe 200 h/km schießen wir über den Asphalt, drängen uns durch jede Lücke, überholen im Gegenverkehr, bis schließlich ein weißer Hyundai vor uns auftaucht. Schelmisches Grinsen schleicht sich auf das Gesicht unseres Fahrers, als er mit Tempo 140 nur noch wenige Zentimeter vom Heck des Hyundais entfernt ist. Unsere Gesichtszüge sind dagegen von einer aufkommenden Panik geprägt. Dann berühren sich die Stoßstangen beider Autos. Während unser Fahrer vor Freude lacht, möchten wir am liebsten Schreien. Zwei weitere Male schupsen wir den Hyundai an, bevor dieser in den Gegenverkehr ausschert und beide Fahrer ein Rennen über die Fernstraße beginnen.
Ich rechne jeden Moment mit dem Tod, als eine Stimme neben mir mit dem Fahrer meckert. „Weiß du was ich mir von meiner Mama anhören muss, wenn ich wegen so einer Scheiße drauf gehe?“ – Zack, das hat gesessen. Augenblicklich verlangsamt der Fahrer das Tempo auf eine Geschwindigkeit, die noch immer weit über dem Limit liegt, uns aber nicht mehr den Angstschweiß auf die Stirn treibt.
Dann klingelt das Telefon. Der Fahrer des weißen Hyundais will wissen, was passiert sei? Warum wir das Rennen abgebrochen hätten? Unser Fahrer gibt sich alle Mühe, aber es bleibt dem anderen unbegreiflich.
Den Rest der Strecke versuchen wir unsere Nerven wieder zu beruhigen, was vor allem gelingt, als uns unser Fahrer an einer Tankstelle ein Eis spendiert. Zu viert sitzen wir im Wagen und verputzen Schokoladeneis am Stiel. Danach ist alles vergessen.
Spät erreichen wir Bandar Abbas, wo sich unsere Wege trennen. Wir gehen zu unserem Gastgeber Omid und die beiden Schmuggler fahren zum Strand und warten auf ihre Fracht.
Als wir Omids Wohnung betreten, ist diese bereits voll. Couchsurfer aus Deutschland und Portugal lümmeln überall herum. Wir gesellen uns dazu, erzählen von unseren Schmugglerfreunden, die uns soeben hierher brachten und erfahren mehr über Bandar Abbas und das Schmuggeln. Als größter Hafen des Irans und in unmittelbarer Nähe zu Dubai und den Arabischen Emiraten blüht das Schiebergeschäft in und um der Stadt. In jeder Nacht kreuzen dunkelgraue Schnellboote den Persischen Golf, warten PKWs an Stränden, geben Lichtzeichen hinauf aufs Meer. Vor allem Elektronik wird hier verschoben. Bandar Abbas ist wohl die einzige Stadt weltweit, in der ein LCD-Händler am Strand seine Waren verkauft. Heimlichtuerei scheint nicht von Nöten zu sein. Die Schaufenster des geräumigen Ladens sind voll bepackt und hell erleuchtet.
Doch der Strand ist mehr als nur Schmugglergebiet. Im Schutz der Dunkelheit werden hier Gesetze zu Richtlinien degradiert. Jugendliche rauchen Marihuana, Liebespaare treffen sich – alles was bei Tageslicht unmöglich scheint, wird in der Nacht verwirklicht. Das nächtliche Sozialleben profitiert dabei von den Schmugglern, die mit etwas Schmiergeld die Polizei vom Strand fern hält.
Doch darüber hinaus bietet Bandar Abbas, benannt nach dem persischen König Shah Abbas I, nicht mehr besonders viel. Allein der bunte quirlige Markt in Ufernähe ist einen Besuch wert. In den engen Gassen wird von Obst und Gemüse über traditionelle Kleidung bis zu Parfum und Duftwasser alles verkauft. Einige der Marktfrauen tragen die für die Region typische, farbenfrohe Tracht und verdecken ihr Gesicht mit der Burka, einer ebenso farbenfrohen Stoffmaske. Es sind Bandari, Bewohner der Golfregion – die einzigen Farbtupfer im sonst dunklen, farblosen Hijab-Sumpf des Irans.
Ganz in der Nähe des Marktes befindet sich der Fischmarkt. Als wir am Abend hier eintreffen, ist die große, gekachelte Halle bereits geschlossen. Doch rund um den offiziellen Fischmarkt reihen sich hölzerne Tische und Stände an denen bis spät in die Nacht noch der letzte Fang verkauft wird. In der Auslage befinden sich Schrimps und Fische, die ein Körpergewicht von bis zu mehreren Kilogramm aufweisen. Selbst Kopffüßer mit glibberigen Körpern und großen Augen werden angeboten. Fischgeruch hängt schwer über Kunden und Verkäufern. Der Boden ist dreckig. Schuppen und abgetrennte Köpfe liegen überall herum. Müll und Unrat sammeln sich in Wasserlachen.
Von Bandar Abbas aus besuchen wir Hormus, eine kleine vorgelagerte Insel. Es sind nur 40 Minuten mit dem Boot, aber Bandar Abbas und Hormus trennen Welten. Dort die große Stadt mit all ihrer Geschäftigkeit, dem Hafen, den Schmugglern und hier die Insel mit gerademal 7.000 Einwohner in einem einzigen Dorf.
Zusammen mit Aaron, Till und Alfons – drei Couchsurfern aus Deutschland – betreten wir Hormus. Die Insel präsentiert sich ganz entspannt. Außer ein paar Taxifahrern scheint niemand von uns fünf Neuankömmlingen Kenntnis zu nehmen. Wir spazieren entlang der Ufermauer. Ein paar Alte sitzen vor ihren Haustüren, folgen uns mit ihren Blicken, um sich dann wieder ganz sich selbst zu widmen. Kinder spielen Fußball am Strand.
Es dauert nicht lange und wir stehen vor einer alten Festung. Die Portugiesen, einst mächtige Kolonisatoren am Persischen Golf, bewachten von hier den Eingang zum Gewässer. Viel ist nicht mehr übrig, doch die massiven Mauern um den weiten Innenhof und ein paar rostende Kanonen zeugen heute noch von der früheren Bedeutung Portugals in dieser Region. Als sehenswert gelten aber vermutlich nur noch die unterirdische Kirche im Innenhof und eine riesige Zisterne mit integriertem Rundgang.
Wir haben schnell alles gesehen und machen es uns oben auf der Festungsmauer gemütlich. Die Sonne geht langsam unter und eine kühle Brise weht vom Meer zu uns herüber.
Als es dunkel wird, machen wir uns auf den Weg zum Strand. Wir haben von einer kleinen Künstlerkolonie gehört, die es sich zum Projekt gemacht hat, aus unterschiedlich farbigem Sand ein Bild zu erschaffen. Versteckt zwischen Dünen und Sträuchern finden wir die Kolonie. Mehrere Zelte und Holzkonstruktionen, Lagerfeuer, eine Schaukel am Baum, Wasserpfeifen, Marihuanageruch und das Rauschen des Meeres. Ein kleines Paradies, so scheint es. Etwa 30 Personen, Männer, Frauen, Kinder leben hier bereits seit einem Monat zusammen. Stolz erzählen sie von ihrer Vision, vom Projekt aus farbigem Sand. Das Areal sei bereits abgesteckt, berichten sie uns. Dann geht ein weiterer Joint durch die Runde. Eine Gitarre erklingt und jemand beginnt zu singen – mal melancholisch, mal fröhlich, mal albern. Alle sind sich einig: „Morgen fangen wir an – vielleicht“.
Wir zelten etwas abseits der „Künstler“-Kolonie. Unter einem sternenklaren Himmel sitzen wir in schwarz glitzerndem Sand und schauen hinaus auf den Golf. Das Rauschen des Meeres wiegt uns, macht uns schläfrig. Ein, zwei Mal taucht Scheinwerferlicht weit draußen auf dem Golf auf, ohne dass wir den Umriss eines Schiffes erkennen können. Vielleicht Fischer, vielleicht Schmuggler. Auch Hormus ist als Umschlagsplatz für Hehlerware bekannt.
Der nächste Morgen beginnt mit einem Sprung in den Persischen Golf. Schon am frühen Vormittag brennt die Sonne ohne Gnade auf uns herab. Wir packen unsere Sachen zusammen und marschieren zurück ins Dorf. Sonne und Rucksack machen uns zu schaffen. Schweiß rinnt uns in dicken Tropfen über die Stirn. Wir haben kaum eine andere Wahl: Im Dorf gönnen wir uns das größte Eis, das wir auftreiben können. Dann geht es auf die Nachbarinsel Qeshm.
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