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Schiffsreisen? Dafür bin ich viel zu jung! Dachte ich bis vor einem Jahr. Dann verliebte ich mich in diese Art zu reisen. Der Winter ist nur dann schön, wenn man ihn auf Skiern erlebt. Dachte ich ebenfalls bis vor einem Jahr. Dann erlag ich dem Zauber der norwegischen Winterlandschaft. Humpelnd.
Es ist schon verrückt. Manchmal muss das Schicksal einen zu seinem Glück zwingen. Ich dachte ja bis vor einem Jahr Schiffsreisen seien nix für mich. Nur alte Leute, Captains Dinner, feiner Zwirn, null Bewegung, keine Rückszugs- oder Fluchtmöglichkeiten. Dann verletzte ich mich böse beim Skifahren und musste zehn Wochen lang mit Krücken laufen. Mir fiel die Decke auf den Kopf. Ich war nicht nur eingeschränkt, sondern fühlte mich eingesperrt und isoliert. So eine Schiffsreise wäre sogar humpelnd machbar! Um endlich wieder Farbe und Abwechslung in meinen Alltag zu bringen, buche ich a) einen Flug nach Nordnorwegen und b) eine Kabine für vier Tage auf der MS Nordkapp. Im Anflug auf die Stadt Bodø, die bereits weit nördlich des Polarkreises liegt, weiß ich, dass meine Entscheidung richtig ist. Seit Wochen spüre ich erstmals wieder so etwas wie Vorfreude. Ich bin – zwar langsam – aber wieder unterwegs. Ich könnte schreien vor Glück. In Bodø werde ich am Flughafen abgeholt und zum Hafen gebracht, wo die MS Nordkapp an der Pier liegt.
Voila, mein mobiles Zuhause für die kommenden vier Tage! Meine Kabine auf der MS Nordkapp ist nicht groß, aber irgendwie gemütlich. Ich habe alles, was ich brauche: ein Bett, eine kleine Dusche, Toilette, einen Schreibtisch und vor allem einen sagenhaften Ausblick durch das Bullauge. Die Wege sind kurz, was in meinem angeschlagen Zustand von Vorteil ist. Insgesamt 600 Passagiere, wenig im Vergleich zu anderen Schiffen, könnten auf der MS Nordkapp reisen. Da ich im Winter unterwegs bin, sind nur 300 Passagiere an Bord, was ich als sehr angenehm empfinde. An das tolle Essen gewöhne ich mich schnell. Zum Frühstück und mittags gibt es ein Buffet, abends wird ein Viergänge-Menü serviert. Ich bin erst ein paar Stunden an Bord und bereits restlos begeistert. Außerdem bin ich täglich an einem anderen Ort, ganz ohne Kofferpacken.
Den ersten Sonnenuntergang erlebe ich in einer zauberhaften Atmosphäre an Deck. Die MS Nordkapp steuert auf die so genannte „Lofoten Wall“ zu. Weil es draußen bitterkalt ist, bin ich eine der wenigen, die stundenlang draußen steht. Nach den vielen Wochen, die ich verletzt mehr oder weniger ausschließlich in meiner Wohnung verbracht habe, erscheint mir die Natur noch spektakulärer, reicher und schöner als je zuvor. Was für ein Geschenk! Ich schaue, ich staune, ich verfalle angesichts dieser Schönheit in eine Art Trance. Wir schippern Richtung Vesterålen, einer Inselgruppe 300 Kilometer nördlich des Polarkreises. Morgen früh werden wir dort anlegen. Es ist mittlerweile stockfinster. Ich ziehe mich mit einem Buch in meine Kabine zurück.
Gegen 22.30 Uhr höre ich über Bordfunk die wohl begehrteste Durchsage überhaupt: „Nordlichter am Himmel. Ziehen Sie sich warm an und begeben Sie sich rasch an Steuerbord.“ Darf das wahr sein? Nordlichter am ersten Tag? Ihr ahnt, wie schnell ich angezogen war. In den Folgetagen gehe ich vorsorglich immer in Skiunterwäsche ins Bett, habe die warme Jacke, die Handschuhe, die Wollmütze stets griffbereit und meine Pelzstiefel am Bett stehen. Ich bin also keine 24 Stunden an Bord und erlebe etwas, wovon viele Menschen ein Leben lang träumen: Mein erstes Nordlicht live. An Deck geht’s richtig rund. Zahlreiche Fotografen und Naturfilmer haben ihre Stative aufgebaut. Trotz aller Geschäftigkeit ist es still. Die Stimmung ist andächtig wie in einer Kirche. Etwas Heiliges umströmt uns alle während wir mit offenem Mund in den Himmel starren. Die grünen Lichter tanzen für uns. Ich bin zu Tränen gerührt. So plötzlich wie es kam, ist es auch wieder fort: Das Polarlicht hat sich uns etwa 15 Minuten lang gezeigt. Völlig berauscht gehe ich ins Bett.
Gegen 11 Uhr am Folgetag legen wir in Finnsnes, einer kleinen Stadt mit ca. 4.000 Einwohnern an. Für heute habe ich eine Exkursion ins Tamok Tal gebucht. Mit einem Bus werden wir am Hafen abgeholt. Drei Stunden später, man glaubt es kaum, steuere ich einen Hundeschlitten. Vorher haben wir natürlich eine fachkundige Einweisung eines Guides erhalten, der für „Lyngsfjord Adventure“ arbeitet. Mit Jens aus Berlin habe ich mich mittlerweile angefreundet. Wir teilen uns einen Schlitten. Über eine Stunde lang darf ich den Schlitten durch die weiße Wunderlandschaft im Tamok Tal lenken. Um die Hunde zu unterstützen, legen wir uns richtig gut in die Kurven, verlagern das Gewicht, wenn das nötig ist. In Flachpassagen gehe ich natürlich von der Krallenbremse, die man mit beiden Beinen betätigt. Geht es steil bergauf, muss ich als guter Musher zum Laufschritt ansetzen und die Hunde entlasten. Die erste steile Abfahrt wird spannend. Man muss den richtigen Zeitpunkt finden, um zu bremsen, sonst könnte der Schlitten das Hundegespann überrollen. Nach ein paar Manövern finde ich enormen Gefallen am Hundeschlittenfahren. Wir kreischen vor Freude.
Wesentlich gemütlicher geht es auf dem Rentierschlitten zu. Jeweils zu viert nehmen wir auf auf dem Gespann, das mit kuscheligen Fellen ausgelegt ist, Platz und genießen den langsamen Trott durch die atemberaubende Landschaft im Tamok Tal. Mein gebrochenes Sprunggelenk habe ich vor lauter Freude und Aufregung beinahe vergessen. Ich bin wieder outdoor, zwar noch nicht auf Skitour (das könnte man hier auch ganz wunderbar genießen), aber immerhin: Ich bin wieder draußen. Nachdem es gegen 17 Uhr nicht nur dunkel, sondern auch bedrohlich kalt wird, ziehen wir uns gerne in eine Jurte, die zum Camp gehört, zurück und genießen „Malash“, eine Art Rentiergulasch und „Lefser“, die norwegische Variante von Pfannkuchen. Später bringt uns ein Bus nach Tromsø, wo wir wieder an Bord der MS Nordkapp gehen.
Am nächsten Morgen spazieren wir durch Skarsvåg, einem kleinen Fischerdörfchen, das weniger als 20 Kilometer vom berühmten Nordkap entfernt ist. Keine 100 Menschen leben hier am gefühlten Ende der Welt. In der örtlichen Fischfabrik geht es aber ziemlich geschäftig zu. Hauptsächlich wird hier Kabeljau gefangen, der später auf Holzgestellen getrocknet und als Stockfisch in die ganze Welt, hauptsächlich nach Italien, Portugal Spanien und Japan exportiert wird. In die verschneite, hügelige Landschaft der Finnmark verliebe ich mich beim ersten Anblick. Als mir ein Bewohner von Skarsvåg erzählt, dass man hier wegen massiver Abwanderung Häuser für ungefähr € 20.000 kaufen kann, gerate ich ins Träumen.
Meine winterliche Traumreise endet in Kirkenes. Die Stadt, in der knapp 3.500 Einwohner leben, ist nur noch 13 Kilometer von der russischen Grenze entfernt. Kirkenes ist der nördlichste Hafen, in dem Hurtigrutenschiffe anlegen. Die Sonne steht tief am Nachmittag. Auf Schneemobilen fahren wir über einen zugefrorenen Fjord, auf dem wir später ein Eisloch ausheben, um darin Königskrabben in Reusen zu fangen. Dazu hat unser Guide Michael, ein Auswanderer aus Deutschland, schweres Gerät mitgebracht. Bohrer, überdimensionale Sägen und Schaufeln. Als wir die Fangkörbe ins Wasser lassen, füllen sie sich innerhalb von Minuten mit wahren Schätzen. Königskrabben, sie haben sich aus der Barentsee kommend hier angesiedelt, vermehren sich in Ermangelung an natürlichen Feinden wie verrückt. Man darf sie daher ungeniert fangen.
Unsere Beute verzehren wir auch gleich. In einer zauberhaften Hütte, die am Fjord steht, kochen wir die King Crabs in heißem Wasser. Dazu serviert Michael Mayonnaise, Zitrone und Weißbrot. Königskrabben satt! Ich fass’ es nicht. Zu Hause in Deutschland kosten die bis zu 40 Zentimeter großen, köstlichen Monster ein kleines Vermögen. Hier esse ich davon bis ich nicht mehr kann. Bevor es morgen ab Kirkenes per Flugzeug über Oslo wieder nach München geht, steht aber noch ein letztes Highlight an. Oder besser gesagt eine kleine Challenge. Von den zugesagten 15 Personen kneifen allerdings jetzt schon acht.
Wie man unschwer erkennen kann, verbringe ich die letzte Nacht in Norwegen im Eishotel. Weil etliche aus der Gruppe abgesprungen sind und dann doch eine Nacht im kuscheligen Hotelbett vorziehen, wird mir eine ganze Vierersuite aus Eis alleine zugeteilt. Ich schlafe in einem Expeditionsschlafsack, der auch noch bei minus 35 Grad warm hält. An der Decke meines „Zimmers“ haben Schneeskulpturenkünstler, die jedes Jahr vor Beginn der Saison extra aus Harbin/China eingeflogen werden, Schneewittchen und die sieben Zwerge ins Firmament gemeißelt. Die ersten Stunden schlafe ich tief und fest auf den weichen Matratzen. Gegen 4 Uhr morgens allerdings ist mir trotz Mütze, Schal, Handschuhen, Thermoschlafsack und Skiunterwäsche irgendwie kalt. Alles ist klamm und ich zähle die Stunden bis zum Frühstück, welches ab 6.30 Uhr serviert wird. Vorher dusche ich gefühlt 30 Minuten lang mit 40 Grad heißem Wasser. Als wir am Flughafen auf die Hotelschläfer, also „Luschen“ treffen, schwärmen wir natürlich von unserem einmaligen Erlebnis. Das darf man in dem Fall ruhig wörtlich nehmen: Ich mach’s nicht mehr. Einmal reicht …
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Antworten
danke fürs Teilen 🙂
Ein super schöner Bericht, der bei mir schon wieder die Sehnsucht nach dem Norden weckt! Ich mag Strände, Meer und warmes Wetter, wirklich, aber die Arktis, das ist eine ganz andere Leidenschaft, die irgendwie tiefer geht. Ich kann deine Beschreibung der Nordlichter so gut nachvollziehen, bei mir war es beim ersten mal auch so. Ach was, jedes Mal 🙂
Wow, ein wundervoller Bericht!
WOW. was für tolle Fotos. Glück hattest du wahrlich mit den Nordlichtern. Als ich noch im Norden gearbeitet habe, ahtten wir teilweise mehrere Wochen ohne überhaupt ewtas zu sehen.
Klasse!
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