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Mein Neuer heißt Sunny. Sunny ist ein solides Nissan-Mittelklassemodell in Rentner-Gold, innen ausgekleidet in mattem Stützstrumpf-Beige mit Kassettendeck. Klassisch. Sunny eignet sich perfekt, um an Sonntagnachmittagen alte Frauen mit silbervioletter Dauerwelle sicher bei 20km/h zum Bingo zu befördern. Er eignet sich weniger, um auf Schotterpisten, für die die Bezeichnung „etwas holprig“ ein Euphemismus ist, stundenlang Serpentine rauf, Serpentine runter, zu einsamen Buchten zu fahren. Ich mach‘s trotzdem. Sunny verzeiht.
In Sunny schlafe ich auf dem Beifahrersitz, denn die Rückbank ist zu schmal. In Sunny esse ich Haferflocken zum Frühstück, die ich vor dem Rad hinten links (bzw. rechts, je nach Windrichtung) auf meinem Gaskocher zubereite. In Sunny arbeite ich auf dem Laptop, solange der Akku hält, und mogle mich vom sicheren Inneren aus in ungeschützte WLAN-Netze. Mit Sunny mach ich Morgengymnastik, wenn sich meine einmetersiebenundsiebzig auf zwei Quadratmetern umziehen.
Ich verstecke mich mit Sunny nachts im Wald, weil alle anderen Parkplätze Geld kosten. Ich wache in Sunny mit kalter Nasenspitze auf, wenn sich die ersten Sonnenstrahlen zwischen den Blättern der Riesenfarne hindurchzwängen. Ich halte mit Sunny an jeder verdammten Parkbucht, nur um zu schauen, ob die Inseln von sechs Höhenmeter weiter oben aufgenommen nicht doch das spektakulärere Motiv abgeben. Sunny meckert nicht. Sunny ist geduldig.
Dabei muss Sunny ganz schön was einstecken. Zu Beginn meines Roadtrips hab ich die Innenseite seiner Fahrertür geschlagen. Mehrfach. Mit meiner rechten Faust. Immer dann, wenn ich einen Gang hoch oder runter schalten wollte. Denn: Im Linksverkehr ist der Schaltknüppel zwar immer noch in der Mitte aber man selbst sitzt plötzlich rechts davon. Das ist aber auch verwirrend.
Und Sunny hat Fehler. Verlasse ich mit Sunny den Pacific-Coast-Highway 25, der sich fast um die ganze Halbinsel schlingt, wage ich mich also in die „Wildnis“, dann tut er mir unendlich leid. Für Schotter ist er doch gar nicht gemacht! Kein Allrad, die Karosserie zu tief und er schaut offroad einfach so albern fehl am Platz aus, wie Mutter Beimer beim Iron Man.
Und Sunny mieft, gerade morgens nach zehn Stunden Lufttransfer durch meine Atemwege. Oder nach dem Genuss der „Maggi Fusian Mi Goreng Hot & Spicy“-Nudelsuppe. Blame it to the E‑Nummern. Ich mag Sunny trotzdem. Denn Sunny schenkt mir Freiheit.
Warum ich mir nicht, wie alle anderen, gleich zu Beginn meiner Zeit in Neuseeland ein Auto gekauft habe? Nun, ich wollte mir kein Fahrzeug mit Papierkrams ans Bein binden. Wollte den Stress nicht, die Mühle nach dem Jahr einem anderen andrehen zu müssen. Wollte kein Sklave der Benzinuhr sein. Ja, ich wollte meine Freiheit nicht aufgeben. Jetzt merk ich: Mit Auto ist man in Neuseeland so viel freier als ohne.
Wir fahren zusammen in den Sonnenuntergang, Sunny und ich. Wir sind das Duo Infernale, sind wie Knight Rider und K.I.T.T., wie Marty McFly und DeLorean, wie Magnum und der Ferrari 308. Ja, wir sind ein bisschen wie James Bond und sein Aston Martin DB5. Pia und ihr Nissan Sunny. Das, was wir haben, ist etwas ganz Besonderes.
Dann kommt der Moment, den wir beide zwei Wochen lang gefürchtet aber verdrängt haben. Zumindest ich, aber ich weiß, Sunny fühlt genauso.
Ich biege auf den Parkplatz in der 75 Beach Road in Auckland ein, drehe den Zündschlüssel ein letztes Mal und Sunny wird stumm. Ich steige aus, werfe den Schlüssel in die blaue Box an einem schmucklosen Garagentor. Ich drehe mich um und – vielleicht irre ich mich – aber ich sehe eine Träne von Sunnys rechtem Scheinwerfer hinabkullern.
Muss wohl so sein. Es hat aufgehört zu regnen. In Neuseeland ist jetzt Frühling. Die Sonne scheint.
Antworten
Ich habe bei deinem Bericht gelacht und ein wenig Herzschmerz gefühlt, als du Sunny wieder abgegeben hast. Ich selbst werde auch bald nach Neuseeland verreisen und hatte eigentlich nicht geplant ein Auto zu kaufen. Vielleicht werde ich es doch noch einmal überlegen.
Dein Schreibstil gefällt mir sehr gut. Ich werde nun noch ein paar tolle Berichte hier lesen.Schönes Wochenende wünsche ich.
Hallo Pia,
Respekt, du hast eine sehr schönen Schreibstil, gefällt mir. Ich habe deinen Blog zwar erst jetzt durch Zufall entdeckt, aber ich freue mich über diesen Zufall. 2014 war ich auch unten auf der Südinsel und über meinen Mietwagen könnte ich ähnliches berichten. Es war ein roter Toyota Camry, Altise. Zehn Jahre alt und über 250000 Kilometer auf dem Buckel hat er mir in drei Wochen, ohne Probleme, über 5000 Kilometer von der Südinsel gezeigt. Die Stoßstange vorn ist ihm zwar gegen Ende der Reise fast runtergefallen, die hab ich ihm aber liebevoll wieder festgebunden.
Danke für den schönen Artikel die anderen werde ich auch noch lesen und teilen, versprochen.Viele Grüße
SteffenHi Steffen,
das is ja ein netter Kommentar. Danke dir 🙂 Jaa… Neuseeland is immer eine Reise wert im eigenen Gefährt. Hab gerade mal deine Seite angeschaut. Bist ja auch ein großer Kiwi-Fan.
Immer schön weiterreisen, gibt noch so viel zu entdecken!
LG
Pia
Lol. Die Verbundenheit mit dem Auto. Schöner Artikel.
Meins hieß Millenium Falcon, war ein grauer Mitsubishi für 400$ und brauchte alle 30 Minuten neues Kühlwasser.
Autokauf war gar kein Stress. Muss man in NZ doch nur zur Post gehen.
Naja, habs jedenfalls für 350$ nach 9 Monaten wieder verkauft.
Super geschrieben und erinnert mich an unsere Zeit, ebenfalls mit dem Nissan Sunny, unserer war silber, die »Probleme« und Gefühle die selben.
http://www.traumweh.de/seite259.htmlHaben schon immer gesagt, dass auch japanische Reiskocher Gefühle haben.
Schön geschrieben!
Interessant geschrieben, vermisst Sunny anscheinend schon ganz schön. Bin gespannt ob es dich nochmal zurückzieht zur Autovermietung und du dir Sunny nochmal holst 😀
Viele Grüße
Matthias
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