Analoge Nomaden

Immer mehr (jun­ge) Men­schen wol­len als so genann­te digi­ta­le Noma­den leben. Auf Blogs wird dar­über berich­tet, auf Kon­fe­ren­zen dis­ku­tiert, in eBooks dar­über geschrie­ben, Erfah­run­gen wer­den geteilt… Sie alle eint der Wunsch, orts­un­ab­hän­gig zu arbei­ten, frei und selbst­be­stimmt zu leben. Das Busi­ness aus­schließ­lich über den Lap­top steu­ern – und zwar von jedem Platz auf der Welt aus. Klingt ver­lo­ckend! Doch was vie­le ver­ges­sen: Es geht dabei nicht nur um die maxi­ma­le Frei­heit durch Digi­ta­li­sie­rung, son­dern es geht eben auch um ein Noma­den­le­ben – und was das heißt, machen sich die wenigs­ten bewusst: Denn die­ser Lebens­stil bedeu­tet vor allem Ent­beh­rung und Rast­lo­sig­keit.

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Unter­wegs in Marok­ko haben wir noch ech­te Noma­den getrof­fen. Men­schen, die bis heu­te nicht sess­haft gewor­den sind. Am Ran­de der Saha­ra bau­en sie täg­lich ihre Zel­te auf und wie­der ab, leben in ein­fachs­ten Ver­hält­nis­sen. Wie mag sich das anfüh­len, stän­dig unter­wegs zu sein? Wie hoch ist der Preis die­ser Frei­heit? Wir wag­ten den Selbst­ver­such: Für eini­ge Tage tauch­ten wir ein in das ursprüng­li­che Noma­den­le­ben – ohne WiFi, Strom­an­schluss und flie­ßend Was­ser. Meh­re­re Tage und Näch­te leb­ten wir als “ana­lo­ge Noma­den” in der Saha­ra und wir lern­ten: Vor allem muss man sich selbst aus­hal­ten kön­nen.

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Wir Wüs­ten­kin­der

Es ist bald halb eins, die Son­ne brennt vom Him­mel und wir errei­chen nach knapp fünf Stun­den Wan­de­rung durch fei­nen Sand und über tro­cke­ne Lehm­bö­den unser Lager. Wir sind pri­vi­le­giert, denn wir haben ein Dro­me­dar dabei, das unse­re Was­ser­vor­rä­te trägt und sechs wei­te­re Tie­re, die mit unse­rem Gepäck bereits vor­aus gegan­gen sind. Das schat­ten­spen­den­de Essens­zelt haben die Ber­ber-Jungs, die uns eben­falls beglei­ten, bereits auf­ge­baut. Alles wei­te­re liegt nun an uns.

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Wie ges­tern und die Tage davor fol­gen wir einer fes­ten Rou­ti­ne. Auf­ste­hen um sechs Uhr in der Früh, Packen, Zelt abbau­en, kur­zes Früh­stück und dann los mar­schie­ren – je frü­her, des­to bes­ser, denn am Mor­gen ist der Sand und die Luft noch ange­nehm kühl. Um die Mit­tags­zeit errei­chen wir dann den Rast­platz für die nächs­te Nacht, bau­en die Zel­te wie­der auf, stär­ken uns und suchen die kom­men­den Stun­den Schutz vor der erbar­mungs­lo­sen Son­ne.

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Ab etwa vier Uhr nach­mit­tags wird die Hit­ze wie­der erträg­lich. Zeit, zum nächs­ten Brun­nen zu wan­dern (wenn denn einer in der Nähe ist) – das kann auch schon mal ein paar Kilo­me­ter Fuß­marsch bedeu­ten. Aber egal – Was­ser ist Luxus! Sich den Sand aus dem Gesicht waschen, die erhitz­ten Kör­per etwas abküh­len, eine Ahnung von Sau­ber­keit, zumin­dest für einen Moment… Wir sind nun seit fünf Tagen unter­wegs: ohne Dusche, ohne flie­ßend Was­ser, ohne Toi­let­te (ein Loch im Boden tut es auch). Und natür­lich auch ohne Strom, ohne Han­dy­emp­fang oder gar WiFi. Aber es funk­tio­niert. Bes­ser, als erwar­tet.

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Der Preis der Frei­heit

Es geht um Ent­beh­rung und Ver­zicht – aber auch dar­um, das Bes­te dar­aus zu machen. Unser Koch zum Bei­spiel, ist ein Zau­be­rer. Natür­lich sind wir sehr beschränkt bei der Wahl der Spei­sen. Gemü­se, Gemü­se, Gemü­se – dazu fri­schen Minz­tee und selbst geba­cke­nes Fla­den­brot. Es gibt Taji­ne mit Möh­ren und Zuc­chi­ni, Cous­cous mit Zuc­chi­ni und Möh­ren, Reis, Kar­tof­feln, aber auch klei­ne Pfann­ku­chen, fri­sche Oran­gen und Quit­ten und sogar Thun­fisch aus der Dose, der uns schier in Ver­zü­ckung ver­setzt. Unser Ber­ber-Koch kennt alle Tricks, wie man durch Gewür­ze, Zusam­men­stel­lung und wei­te­re klei­ne Raf­fi­nes­sen aus den immer glei­chen Zuta­ten ganz unter­schied­li­che Gerich­te zau­bert. Und die­se Stär­kung tut gut – dem Kör­per und der See­le!

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Was in der Welt los ist, erfah­ren wir in die­sen Tagen nicht. Emails unse­rer Fami­li­en oder von Busi­ness­part­nern errei­chen uns genau­so wenig. Aber das tut auch mal gut. Wenn wir tags­über auf die majes­tä­ti­schen Dünen klet­tern und in die Unend­lich­keit der kilo­me­ter­wei­ten roten Sand­wüs­te bli­cken füh­len wir sie dann: Die Frei­heit der Noma­den. Wei­te, Gren­zen­lo­sig­keit und auch ein wenig Ehr­furcht.

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Wir schla­fen unter dem Ster­nen­him­mel – so klar, so reich an Stern­bil­dern, so zau­ber­haft. Wir schau­en in die Nacht und lau­schen, was uns die­se neue Welt erzäh­len will. Um uns her­um herrscht Stil­le – und die ist unend­lich. Die Wüs­te ist ein lei­ser Ort. Kein Vogel, kein Mensch – kein Geräusch.

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Noma­den im Her­zen

Nach sechs Tagen als ana­lo­ge Noma­den fühlt sie die Zivi­li­sa­ti­on bei­na­he fremd an. Es fällt uns nicht leicht, Abschied zu neh­men von der Ein­fach­heit und der Wei­te der Saha­ra. Der Ver­band von Ber­bern und Mit­rei­sen­den, die mit uns als Kara­wa­ne unter­wegs waren, hat mit jedem Tag an Bedeu­tung gewon­nen. Die Grup­pe hat uns halt gege­ben. Noma­den brau­chen Gesell­schaft!

Zurück in der Stadt füh­len füh­len wir uns reich – reich an Erfah­run­gen, Gedan­ken und Begeg­nun­gen. Das Was­ser aus dem Was­ser­hahn ist nicht län­ger selbst­ver­ständ­lich, wir gehen nun bewuss­ter mit die­ser Res­sour­ce um. Neue Geschmä­cker erle­ben wir inten­si­ver – Essen im Restau­rant, auch das kei­ne Selbst­ver­ständ­lich­keit. Wir schau­en in die Gesich­ter um uns her­um auf den Stra­ßen und wür­den ger­ne jede ein­zel­ne Geschich­te hören, die die­se Men­schen zu erzäh­len haben. Wir sind auf­merk­sa­mer gewor­den.

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Die digi­ta­len Noma­den wer­den wei­ter aus­schwir­ren, in die Welt. Digi­tal ist es sicher leich­ter, Kon­tak­te zu pfle­gen, sich der Fami­lie und der Hei­mat näher zu füh­len. Will man aber das wah­re Noma­den­tum erle­ben, muss man auch Stil­le ertra­gen und die Momen­te, in denen kei­ne Mails ein­ge­hen, Tage, in denen Face­book und Twit­ter schwei­gen. Distanz zulas­sen und Frem­de anneh­men.

Wir sind gespannt, wie sich die­ser Trend des digi­ta­len Noma­den­tums in Zukunft ent­wi­ckeln wird. Wenn man ehr­lich ist, haben fast alle, die sich schon heu­te digi­ta­le Noma­den nen­nen, irgend­wo eine Basis, zu der sie immer wie­der zurück­keh­ren. Jeder braucht ein Hei­mat­ha­fen, in dem man bei­zei­ten auch mal für län­ge­re Zeit ando­cken kann. Auch wir keh­ren nun erst ein­mal zurück nach Ber­lin. Zurück aus der Saha­ra und zurück von einem Jahr vol­ler Rei­sen. Aber im Her­zen blei­ben auch wir Noma­den. Egal, ob ana­log oder digi­tal. Wir atmen durch… und freu­en uns, die Zel­te dann wie­der abzu­bre­chen, um neu­es Land zu ent­de­cken. Und das eher frü­her, als spä­ter!

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Wir bedan­ken uns bei Wikin­ger Rei­sen für die Ein­la­dung zu die­ser ein­zig­ar­ti­gen Noma­den-Erfah­rung in der Saha­ra.  

Erschienen am



Antworten

  1. Avatar von Tacu Andrei
    Tacu Andrei

    Vie­len lie­ben Dank für die­sen Bericht. Ich fin­de es bedenk­lich, dass es heu­te anschei­nend so schwie­rig ist, sich in der Ein­sam­keit, abseits von all dem (digi­ta­len) Tru­bel zurecht­zu­fin­den. Die Ruhe ist doch was schö­nes? Viel­leicht irre ich mich ja und ich soll­te auch so eine Erfah­rung machen. Da ich gleich 5 Wochen allei­ne in Marok­ko ver­brin­gen wer­de wür­de ich mich freu­en wenn ihr mir Tipps geben könn­tet, wo ihr die­se Noma­de­n­er­fah­rung gebucht habt bzw. wie genau die Rou­te war. Eine gros­se Lust über­fällt mich, es euch gleich­zu­tun.

    alles lie­be aus dem kal­ten Wien
    And­rei

  2. Avatar von Tacu Andrei
    Tacu Andrei

    Vie­len lie­ben Dank für die­sen Bericht. Ich fin­de es bedenk­lich, dass es heu­te anschei­nend so schwie­rig ist, sich in der Ein­sam­keit, abseits von all dem (digi­ta­len) Tru­bel zurecht­zu­fin­den. Die Ruhe ist doch was schö­nes? Viel­leicht irre ich mich ja und ich soll­te auch so eine Erfah­rung machen. Da ich gleich 5 Wochen allei­ne in Marok­ko ver­brin­gen wer­de wür­de ich mich freu­en wenn ihr mir Tipps geben könn­tet, wo ihr die­se Noma­de­n­er­fah­rung gebucht habt bzw. wie genau die Rou­te war. Eine gros­se Lust über­fällt mich, es euch gleich­zu­tun.

    alles lie­be aus Wien
    And­rei

  3. Avatar von Philipp Laage

    Sehr inter­es­san­te Schil­de­rung, »man muss sich selbst aus­hal­ten kön­nen«, das wird mir in Erin­ne­rung blei­ben.

  4. Avatar von Sebastian

    Ein tol­ler Bericht und ein schö­ner Ver­gleich zwi­schen den ech­ten und den digi­ta­len Noma­den. Ich den­ke in allen Berei­chen des Lebens füh­ren Ver­zicht und Ent­beh­rung zu einer grö­ße­ren Frei­heit, zumin­dest einer men­ta­len Frei­heit.

    Belas­ten­der Besitz und ande­rer Bal­last füh­ren genau­so wenig zur Frei­heit wie finan­zi­el­ler Über­fluss. Vie­le digi­ta­le Noma­den wol­len da wohl eher die Frei­heit der fle­xi­blen Orts­wahl, der selbst­be­stimm­ten Arbeit und des gene­rel­len unab­hän­gig-seins. Dafür eig­net sich die­ser Life­style mei­ner Mei­nung nach bes­tens.

    Ob man dann 10 von 12 Mona­ten im Jahr auf Rei­sen ist oder den größ­ten Teil in der Home­ba­se bleibt und die theo­re­ti­sche Unge­bun­den­heit nur im Kopf genießt, kann am Ende ja jeder selbst ent­schei­den.

    Bes­te Grü­ße,
    Sebas­ti­an

  5. Avatar von Frau K.

    Sehr schö­ner Bericht. Wir waren letz­tes Jahr zwi­schen Weih­nach­ten und Sil­ves­ter in Mar­ra­kesch. Zu kurz für eine Rei­se mit einer Kara­wa­ne. Viel­leicht beim nächs­ten Mal.

    Lie­be Grü­ße von Frau K.

  6. Avatar von Michael

    Hal­lo ihr,

    sehr schö­ner Bericht aus einer Regi­on die­ser Welt, in der ich noch nicht unter­wegs war. Dan­ke dafür. Über die Sache mit den digi­ta­len Noma­den muss ich immer ein wenig schmun­zeln (aber nicht böse gemeint), weil ich bereits ein digi­ta­ler Noma­de war, bevor es den Begriff über­haupt gab. 2004 kün­dig­te ich mei­ne Woh­nung und zog in ein Wohn­mo­bil. In den fol­gen­den drei Jah­ren arbei­te­te ich dann fast nur noch von unter­wegs aus. Ich arbei­te­te an einem grie­chi­schen Strand an einem Buch über das Bal­ti­kum, ver­fass­te in Por­tu­gal Tex­te über das Ruhr­ge­biet und schrieb Arti­kel für eine Zei­tung in Polen. Es war eine sehr schö­ne und ereig­nis­rei­che Zeit – mit vie­len Ent­beh­run­gen und Erfah­run­gen, die mich bis heu­te prä­gen. Aber heu­te habe ich eine Basis und bin immer wie­der froh, nach einer Rei­se »nach Hau­se« zurück­keh­ren zu kön­nen. Aber das nur am Ran­de.
    Vie­le Grü­ße
    Micha­el

    1. Avatar von Henryk

      Hey Micha­el,

      schön dass dir unser Bei­trag gefällt und ich kann nur sagen, dass sich ein Trip nach Marok­ko auf jeden Fall lohnt.
      Aber dei­ne Vita klingt ja auch echt span­nend!

      Bes­te Grü­ße,
      Hen­ryk

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