In Palo­mi­no befin­den wir uns fast am nörd­lichs­ten Punkt Süd­ame­ri­kas. Super­märk­te und Geld­au­to­ma­ten gibt’s kei­ne mehr, doch die kari­bi­sche Abge­schie­den­heit ist Palo­mi­nos feins­tes Attri­but.

»El Sol!«, ruft Arman­do hoch­zu­frie­den von sei­ner Frei­luft-Rezep­ti­on zu uns her­über. Aylin und ich schau­en von unse­ren Lap­tops hoch. »El Sol, miren!« Jetzt begrei­fen wir: die Son­ne geht unter, spek­ta­ku­lär, in Form eines glut­ro­ten Feu­er­balls. Wir fol­gen dem Schau­spiel gedul­dig, bis der letz­te Zip­fel ver­schwun­den ist. Das Licht ist jetzt irre­al gelb. Wir machen eine Men­ge Fotos und freu­en uns wie Retro die­se aus­se­hen, obwohl wir kei­ne Insta­gram-ähn­li­chen Fil­ter dar­über legen. Ein biss­chen begeis­tern wir uns auch, weil das gera­de so nett ist, wie Arman­do sich freut, dass er uns etwas Schö­nes zei­gen kann. Dass wir jetzt einen schö­nen Son­nen­un­ter­gang sehen und die­ses Spek­ta­kel auf ewig mit dem Auf­ent­halt in sei­nen Strand­hüt­ten in Ver­bin­dung brin­gen wer­den.

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Damit trifft Arman­do einen Nerv. Sei­ne Gäs­te kom­men in den Som­mer­mo­na­ten haupt­säch­lich aus Euro­pa, den USA, eben aus der »pri­mer mun­do«, wie er sagt. Sie kom­men der Natur wegen nach Palo­mi­no. Der spek­ta­ku­lä­re Tay­ro­na Natio­nal­park ist nur einen Stein­wurf ent­fernt. Die kari­bi­sche See, die hier so kraft­voll und laut­stark ist, hat man direkt vor der Haus­tür. Die Rei­sen­den eint das Gefühl ein eher rohes Fleck­chen Erde zu bege­hen, in wel­ches der Mensch erst sehr zurück­hal­tend ein­ge­grif­fen hat. Egal, wo man sich in dem klei­nen Dorf auf­hält, das tosen­de Meer ist in der Fer­ne hör­bar. Dazu kom­men die Rufe eini­ger mut­maß­lich exo­ti­scher Vogel­ar­ten und es freut mich, dass die­se ange­neh­me Geräusch­ku­lis­se so sel­ten durch mensch­ge­mach­ten Lärm unter­bro­chen wird.

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Ja, Men­schen und ins­be­son­de­re deren all­ge­mei­ne Errun­gen­schaf­ten sind wenig prä­sent: Als uns das Geld aus­geht, muss ich um einen Geld­au­to­mat auf­zu­su­chen ein Moto­ta­xi mie­ten und 20 Minu­ten in den nächs­ten Ort fah­ren. Doch die kari­bi­sche Abge­schie­den­heit ist Palo­mi­nos feins­tes Attri­but. Schon der dich­te Ster­nen­him­mel signa­li­siert dem Stadt­men­schen aus der »pri­mer mun­do«, dass er jetzt weit ent­fernt ist. Dass er eine räum­li­che Distanz geschaf­fen hat, zur Licht­ver­schmut­zung und zu all den ande­ren arti­fi­zi­el­len Din­gen, die sein urba­nes Leben kenn­zeich­nen. Dazu passt, dass man in Bam­bus­hüt­ten schläft, es abends fri­schen Fisch gibt und man etwas bedröp­pelt dasitzt, wenn für einen Moment der Strom aus­fällt.

Als wir am Abend recht unauf­ge­regt Bil­lard spie­len, erhöht sich Aylins Puls­schlag für einen Moment, als sich eine Schlan­ge in der Nähe ihrer Füße vor­bei­schlei­chen will. Schnell eilen Men­schen aus allen Him­mels­rich­tun­gen her­bei. Der Koch des Hau­ses nimmt sich der Situa­ti­on an. Nach ein­ge­hen­der Betrach­tung stuft er das Rep­til kur­zer­hand als gefähr­lich ein, man möge ihm die Mache­te brin­gen. Die Schlan­ge tut das ein­zig Ver­nünf­ti­ge: Sie zieht sich ins Gebüsch zurück. Die Auf­re­gung ist vor­bei. Rasch kehrt wie­der Ruhe ein. Die­se wird ein­zig vom Ruf der Sing­zi­ka­den und dem Anschlag der Bil­lard­ku­geln gebro­chen.

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Palo­mi­no mar­kiert die Gren­ze zur Pro­vinz La Gua­ji­ra, wel­che wie­der­um im Süd­os­ten an Vene­zue­la grenzt. Der Rei­sen­de merkt das dar­an, dass hier kei­ne öffent­li­chen Nah­ver­kehrs­bus­se mehr ver­keh­ren. Wer trotz­dem wei­ter gen Osten rei­sen möch­te, muss auf Pri­vat­per­so­nen ach­ten, die den Namen ihres Ziel­or­tes in die Wind­schutz­schei­be ihres Autos hän­gen und unter­wegs Fahr­gäs­te auf­le­sen. Oben, an der Haupt­stra­ße, erin­nert noch nichts an einen kari­bi­schen Öko-Zufluchts­ort. Ein paar Män­ner sit­zen bereits Mit­tags auf den Plas­tik­stüh­len der Bars, zutiefst melan­cho­li­sche Lie­bes­lie­der schep­pern aus den Boxen und die, die schon ein Bier intus haben, sin­gen tief ergrif­fen: »due­le mi cora­zooooon!« Klei­ne Loka­le bie­ten ein üppi­ges Almuer­zo (Mit­tags­me­nü) an: immer fleisch­las­tig, immer vie­le Koh­len­hy­dra­te, immer ein guter Deal in Kolum­bi­en.

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Es lohnt sich immer wie­der, auf der Rei­se ein paar Tage an solch abge­schie­de­nen Orten ein­zu­bau­en. Zum Einen kom­men wir dazu, die schwe­ren Bücher zu lesen, die wir schon solan­ge mit uns her­um­tra­gen, zum Ande­ren reflek­tie­ren wir über Ver­gan­ge­nes und Kom­men­des und mer­ken als­bald wie der Taten­drang in uns auf­steigt. In der Abge­schie­den­heit gefällt es uns nur befris­tet. Aus Man­gel an Inspi­ra­ti­on, nähert sich der Geist in sei­ner Träg­heit dem Kör­per an. An dem Punkt unter­schei­den sich Men­schen oft: ande­re berich­ten mir, dass sie die Abge­schie­den­heit suchen um sich zu krea­ti­ven Höhen­flü­gen auf­zu­schwin­gen.

Fast bei­läu­fig fällt uns auf, dass Pun­to Gal­li­nas, der nörd­lichs­te Punkt Süd­ame­ri­kas, nur weni­ge Kilo­me­ter ent­fernt liegt. Unse­re Rei­se wol­len wir im süd­lichs­ten Teil des Kon­ti­nents, im Feu­er­land, been­den. Das sind wie­der die­se Extre­me. Fak­ten, die die Men­schen Zuhau­se inter­es­sie­ren könn­ten, den­ke ich. Fakt ist auch: es ist noch ein wei­ter Weg. ¡Vamos!

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Antworten

  1. Avatar von Manfred
    Manfred

    Um die idyl­li­schen Vor­stel­lun­gen der Leser etwas zu rela­ti­vie­ren : wer mit den Sti­chen der Sand­flie­gen am Strand von Palo­mi­no Bekannt­schaft gemacht hat, wie wir im Febru­ar 2015, fin­det P. nicht mehr ganz so para­di­sisch. Und die jucken auch noch eine Woche spä­ter. Auf­grund der Strö­mung im Meer ist auch außer Hop­sen in der Bran­dung nur Schwim­men in der Fluß­la­gu­ne mög­lich.
    Grü­ße M.

    1. Avatar von Aylin

      Moin Man­fred, dann hat­ten wir ja Glück, dass es zu der Zeit kei­ne fie­sen Flie­gen gab 🙂 Hof­fent­lich hat­test Du den­noch eine schö­ne Zeit dort.

      Vie­le Grü­ße

      Aylin

  2. Avatar von Christina

    Hi,

    Super Bericht!!

    Ich kom­me gera­de aus Palo­mi­no, bin eben­falls zufäl­lig dar­auf gekom­men und ein­fach »hän­gen geblie­ben«. Aus zwei Näch­te wur­den fast zwei Wochen und es war herr­lich, in die­ser Ruhe zu sich zu kom­men und ein biss­chen Hip­pie Dasein zu genie­ßen. Tiki Hut ist ein echt net­tes Hos­tel… 😉
    Fein, dass es euch auch so gefal­len hat!

    Viel Spaß beim wei­te­ren Erkun­den auf eurer Rei­se!!!
    Ganz lie­be Grü­ße,
    Chris­ti­na

  3. Avatar von Traveling Shapy

    Muss mich anschlie­ßen noch ein Ort auf mei­ner Lis­te dazu­ge­kom­men. Und nächs­tes Jahr wer­de ich eh nach Kolum­bi­en rei­sen. Fra­ge mich nur war­um Ihr die­sen Bericht nicht auch auf eue­rer Web­sei­te habt ? Noch eine gute Zeit in Kolum­bi­en.

    Vie­le Grü­ße

    Mat­thi­as

    1. Avatar von Stefan

      Hey Mat­thi­as,

      wenn du unter dem Arti­kel auf ›Ori­gi­nal­post‹ klickst, fin­dest du den Arti­kel auch auf unse­rem Blog.

      Schön, dass du Palo­mi­no in dei­nen Kolum­bi­en-Trip ein­bau­en willst!

      Lie­be Grü­ße zurück!

  4. Avatar von PetersTravel via Facebook

    Und es gibt zwei schö­ne Back­pa­cker + eine gute Piz­ze­ria am Orts­an­fang!

    1. Avatar von Stefan

      Mmmmh Piiiiz­za!

  5. Avatar von Patrick

    Und wie­der ein Ort mehr auf mei­ner Lis­te – Dan­ke dafür 😉
    Wie seid ihr gera­de auf Palo­mi­no gekom­men?

    1. Avatar von Stefan

      Hey Patrick,

      ich glau­be wir haben auch irgend­wo im Inter­net etwas dar­über gele­sen – genau­so wie du jetzt 🙂

      Viel Spaß dort!

  6. Avatar von puriy

    Palo­mi­no ist wirk­lich ein schö­nes Fleck­chen Kolum­bi­en und ide­al, um sich nach der mehr­tä­gi­gen Wan­de­rung zur Ciu­dad Per­di­da ein wenig zu erho­len. Wor­an man auch erkennt, dass die vene­zo­la­ni­sche Gren­ze nicht mehr weit ist? Man klin­gelt an Haus­tü­ren, um sein Fahr­zeug auf­zu­tan­ken, anstatt eine »offi­zi­el­le Tank­stel­le« auf­zu­su­chen. Das Erd­öl­land Vene­zue­la streckt sei­ne Füh­ler zumin­dest in die­ser Hin­sicht weit aus und lässt den Schwarz­markt boo­men. Euch eine gute Wei­ter­rei­se in den Süden! LG, Mad­len

    1. Avatar von Stefan

      Hey Mad­len,

      sehr inter­es­sant, das mit dem Ben­zin hat­ten wir als »unmo­to­ri­siert« Rei­sen­de gar nicht mit­be­kom­men.

      Mein Moto­ta­xi­fah­rer hat­te an einem Laden ange­hal­ten um Mau­se­fal­len zu kau­fen. Am nächs­ten Tag beka­men wir zu spü­ren, war­um das Sinn mach­te. Ein beson­ders hung­ri­ges Exem­plar hat ein Loch in unse­ren Ruck­sack gefres­sen um an Kek­se zu kom­men, die zusätz­lich sogar noch in eine Tüte gewi­ckelt waren…

      Vie­len Dank und ganz lie­be Grü­ße!

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