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Seit einem Jahr reisen wir nun. Seit einem Jahr Selbstbestimmung. Seit einem Jahr immer in Bewegung. Ist eigentlich alles so gekommen, wie ich es mir vorher ausgemalt hatte? Irgendwelche Erkenntnisse? Ist das ganze Projekt grundsätzlich gelungen?
Zeit für eine Zwischenbilanz
Ach, ich sag’s gleich vorweg: Natürlich ist das Projekt gelungen! Aber sowas von. Aylin und ich haben irre Erlebnisse hinter uns, sind um eine Vielzahl an Erfahrungen reicher und haben schlichtweg eine ganze Menge Orte dieser Welt gesehen. Allerdings:
Niemand weiß vorher, was es bedeutet, so lange zu Reisen.
Warum machen wir überhaupt so eine Reise? Reisen ist ja zunächst ein recht vages Konzept. Es wird erst aus der individuellen Motivation heraus zur sinnvollen Handlung: Physische Erholung, kulturelle Bildung etc. Viele Fernreisende spüren gerne dem größtmöglichen Gegensatz zum Vertrauten nach. Was mich immer antreibt: der Abgleich der Realität mit meinen eigenen Wirklichkeitsvorstellungen: immer wieder auf dieser Reise widerlegen neue Erfahrungen die vorherrschenden Klischeebilder in meinen Kopf. Natürlich war meine Motivation auch an dieser Reise zu wachsen. Die Idee: Mich auf unbekanntem Terrain beweisen und dadurch Grenzen nach hinten verschieben.
Als wir die Reise planten, hatte ich spektakuläre Bilder vor Augen: Wir am Traumstrand, wir im Hochgebirge, wir im Dschungel. Ich war hochmotiviert, wollte einfach alles machen, alles erleben, alles aufsaugen. Das ist ja auch erstmal relativ normal: Grenzenlose Vorfreude auf diese, so dachte ich damals, Once in a Lifetime Erfahrung. Klar, ich hatte es vorher nicht vollkommen ausgeblendet, doch während der Reise wurde immer klarer: niemand schlägt sich die ganze Zeit durch den Dschungel oder stapft im Schneesturm im Gebirge umher. Viel Zeit verwenden wir auf alltägliche Dinge; besorgen uns ›was zu essen, suchen eine Wäscherei oder »gehen kurz ins Internet«.
Es liegt ja in der Natur des Reisens und ist dennoch eine erwähnenswerte Erkenntnis: die stete Fortbewegung wirft immer wieder sehr grundlegende Fragen auf. Wo schlafe ich? Was esse ich? Kombiniert mit der Tatsache, dass die rein geographische Orientierung parallel erfolgen muss, kostet das mehr Kraft als mir vorher bewusst war. Bei einigen Langzeitreisenden flammt irgendwann Sehnsucht nach Routine und Kontinuität auf. Was mir vor allem schwerfällt: weiterzuziehen, wenn gerade etwas Schönes entsteht; sei es eine Freundschaft, eine Lieblingsbar oder wenn ich einfach meinen Rhythmus in einer neuen Umgebung gefunden habe.
Was allerdings beeindruckend ist: der Kopf wird frei. Ich war im Berufsleben sehr engagiert, bekam jedoch blöderweise oft, auch in der Freizeit, die Themen nicht aus dem Kopf. Komplett loszulassen, sozusagen im Moment zu leben, fiel mir schwer. Diese Fähigkeit ist während der Reise zurückgekehrt. Als hätte sich ein Pfropfen gelöst. Ich kann mich voll und ganz auf neue Themen einlassen, gehe befreit auf Menschen zu und bin sehr geduldig geworden. Die Rastlosigkeit, dieses ständig getrieben sein, ist verschwunden. Dies war ein gradueller Prozess. Der Anfang der Reise fühlte sich noch an wie ein Urlaub, der einfach immer weitergeht. Als wir gerade ein paar Wochen verreist waren, erhielt ich über Xing ein Stellenangebot. Ich wurde unruhig, fühlte mich irgendwie verpflichtet zu prüfen, ob das für mich machbar wäre. Das änderte sich jedoch, das Reisen wurde bald zum Selbstverständnis.
Praktische Erkenntnisse
Vor der Reise habe ich mir zu viel Gedanken über die richtige Ausrüstung gemacht. Wollte für jede Situation das passende Outfit dabei haben. Da spielte wohl auch der Respekt vor dem gesamten Vorhaben Weltreise eine Rolle. Nicht nötig! Wichtig ist, dass man beim Packen seinen Menschenverstand benutzt und sich nicht die Packliste von der Outdoorindustrie diktieren lässt. Wenn ich weiß, dass es kalt wird, muss ich eben eine warme Jacke dabeihaben. Wenn ich ins Gebirge will, muss ich neben den Flip Flops halt noch feste Schuhe mitnehmen. Als ich zuletzt mit einer Gruppe wandern war, hatte ich den Eindruck, die sähen vor lauter Diskussion über die richtige Federung bei Wanderstöcken die prachtvolle Umgebung nicht mehr.
Eine weitere Reiseerkenntnis, so als Randnotiz: die übertriebene Vorsicht vieler Reisender beim Essen ist nicht notwendig. Ich esse seit einem Jahr alles was lecker aussieht. Am liebsten Streetfood. Natürlich hat mir auch schon der Magen gebrummelt, aber in erster Linie habe ich sensationelle Gerichte gehabt. Man kann da seinem Gefühl vertrauen, wenn etwas eklig aussieht, lässt man eben die Finger davon. Aber dieses grundsätzliche Misstrauen gegenüber Essen in exotischen Ländern ist meiner Meinung nach unbegründet.
Die Welt ist ein friedlicher Ort
Ich ahnte es. Ich habe es sogar vorher gewusst: die Welt ist ein friedlicher Ort. Aylin und ich sind nach einem Jahr Reise in keine auch nur annähernd gefährliche Situation geraten. Wir haben das allerdings auch nie herausgefordert. Natürlich hatten wir auch mal Angst. Im Nachhinein stellte sich immer raus, dass die Furcht daher rührte, dass wir in eine für uns unübersichtliche und unbekannte Situation geraten sind. Hausgemachte Angst, hinter der keine reale Bedrohung steckte. In Kambodscha hat uns einmal ein Busfahrer den Ausstieg am Busterminal verweigert. Alle Einheimischen waren fort, wir saßen protestierend auf den leeren Sitzen, der Fahrer fuhr wortlos weiter. Letztlich hielt er ein paar Straßen weiter vor einem Fahrradverleih seines Kumpels, damit wir uns schon mal ein Fahrrad holen können.
Viele Menschen sind außergewöhnliche Umwege für uns gegangen. Zuletzt hat uns in Medellin ein junger Mann mit seinem Wagen durch die halbe Stadt gefahren, um uns zu unserer Unterkunft zu bringen. Ehe wir uns bedanken konnten war er weg, mit dem Hinweis, dass das zur Pflicht eines guten Gastgebers gehöre. Ein Beispiel von vielen. Ein grundsätzliches Vertrauen in den Menschen vorausgesetzt, widerfährt einem unheimlich viel Gutes. Klar, blindes Vertrauen in jedermann ist naiv bis töricht. Wenn mir eine Person windig vorkommt, bedanke ich mich eben und gehe weiter. Doch in der Regel lohnt es sich, fremden Menschen die Chance zu lassen, ihre gute Seite zu zeigen. Meistens wird man belohnt.
Das größte Privileg: Zeit!
Es klingt fahrlässig eine Langzeitreise nur sehr grob zu planen, hat sich aber als absolutes Erfolgsrezept herausgestellt. Wir haben häufig spontan unsere Reiseroute recht stark verändert. Dazu kommt, dass unser Reisetempo variiert und wir immer wieder Phasen haben, in denen wir sehr langsam reisen. Wir hätten viel Freiheit abgegeben, hätten wir uns vorher auf Flüge oder starre Routen festgelegt.
Die Reise allein ist ja schon Selbstverwirklichung pur. Das Beste ist aber, dass wir immer noch genug Zeit finden, all die Dinge zu tun, die wir vorher aus Zeitmangel zu selten gemacht haben. Lesen, Filme schauen, schreiben. Natürlich ist es viel lohnender, Steinbecks Grapes of Wrath stundenlang in einer Hängematte zu lesen, als halbtot nach der Arbeit, wenn der Kopf den Input verweigert. Ich liebe Sport, gehe an den wildesten Stellen joggen oder mache abends ein Workout im 6qm Hostelzimmer. Wir können praktisch parallel zur Reise einen zweiten Selbstverwirklichungsfilm fahren.
»Lebst du immer noch deinen Traum?«
… lautete die Nachricht meines Kumpels vor ein paar Tagen. Das sagt viel darüber aus, wie unsere Reise im eigenen Umfeld wahrgenommen wird. Bewundernd, anerkennend, in jedem Fall durchweg positiv. Das beflügelt unheimlich, wirkt wie Wind in unseren Segeln. Dafür bin ich unendlich dankbar!
Die Formulierung, »den Traum leben« geht mir allerdings etwas zu weit. Das klingt, als realisierten wir etwas Irreales, einer Fantasie entsprungenes. Tatsächlich ist so eine Langzeitreise ein machbares Unterfangen. Das größte Hemmnis ist wohl, den ersten Schritt zu tun. Ich verrate auch kein Geheimnis mehr: nicht das Geld, das Haus, der Job oder irgendwelche anderen Verpflichtungen halten uns vor Veränderungen ab, sondern die eigene Courage. Wir mussten eben unsere Jobs kündigen. Davor haben viele Angst, was ich nie ganz nachvollziehen kann: in Deutschland sind 2% der Akademiker arbeitslos. Ich müsste ja den Pessimismus nahezu zelebrieren, würde ich drohende Arbeitslosigkeit fürchten. Der Traumjob wird mir sicherlich nicht direkt auf dem Silbertablett angeboten. Aber ich habe wieder etwas, wonach ich streben kann: eine sinnvolle Aufgabe. Damit lebe ich keinen Traum, sondern probiere meine Realität so gut es geht zu gestalten. Das tue ich heute genauso wie nach der Reise.
Antworten
Toll!! Ich wünsche Euch noch eine spannende Zeit, es macht Lust auf meeehr! Verratet Ihr mir, was Ihr für ein Geheimrezept gegen wütende Hunde habt:-)?! Ist oft meine größe Angst, schon oft erlebt, doch immer Glück gehabt..und Ihr müsst nach Kuba, ein Muß!
Jedenfalls habe ich jetzt noch mehr Lust und Mut unsere kleine eigene Auszeit zu machen!
Viele Grüße aus Berlin
SandraHey Sandra,
wäre schön, wenn wir ein Geheimrezept hätten 😉 Wir hatten in Indonesien ein paar Mal die Situation, dass wir eine enge Straße wegen der Hunde nicht weitergegangen sind. Wir haben aber auch gelernt, dass man echt laut brüllen und Dominanz ausstrahlen sollte, wenn wilde Hunde auf einen zu rennen – aber es ist trotzdem immer unangenehm.
Naja, aber auf die ganze Reise gesehen sind solche Hunde zum Glück ziemlich selten.
Liebe Grüße,
Stefan
Sehr schön geschrieben! Und ich bewundere euch dafür, dass ihr diesen Schritt gegangen seid (und immer noch geht), denn da gehört auch eine Portion Mut dazu.
Wüsnche euch weiterhin eine friedliche Reise 🙂
Viele Grüße, AnnaVielen Dank Anna,
Irgendwann kommt man an den Punkt, an dem man es als mutig empfindet wieder heimzukehren – aber auch das werden wir schaffen 🙂
Liebe Grüße!
Ich freue mich immer, wenn ich neues von euch lese. Wirklich toll geschrieben, man kann richtig teilhaben an der Reise. Ich sollte mir den Traum einer Weltreise auf jeden Fall auch noch erfüllen!
VIele Grüße aus Obermais!Vielen lieben Dank!
Den Traum solltest du dir unbedingt erfüllen, kann ich nur empfehlen 🙂
Sehr interessant! Ich habe meinen Traum vom unbegrenzten Reisen vor rund 23 Jahren verwirklicht. Da erkenne ich mich in vielem, was du schreibst wieder. Nur: rund um die Welt habe ich nicht geschafft. Eine der größten Herausforderungen war, das, was ich unbedingt sehen wollte, mit meiner Zeit (18 Monate) zu vereinbaren…
Hallo Ulrike,
genauso geht es uns auch: je länger wir unterwegs sind, desto mehr fällt uns auf, was wir noch alles NICHT gesehen haben.…
Was für ein Text! Jeder Paragraph eine neues Aha-Erlebnis… =)
Ich finde, beim Reisen, wie auch generell im Leben, geht es auch darum, die goldene Mitte zu finden. Also zwischen sich zu viele Sorgen machen und alle möglichen Absicherungen vorzunehmen und loslassen; sketisch und offen sein…Leider kann diese Mitte individuell recht unterschiedlich sein und man findet die eigene erst nach genügend Erfahrung. Und was das Essen angeht: Grundsätzlich ist der Mensch ja als Alles-Esser konzipiert (sonst hätte er ja auch nicht in den unterschiedlichsten Ecken der Erde überlebt), daher sehe ich das mit dem Essen auf Reisen im Prinzip genauso. Das Problem ist nur, dass unser westliches, industriell hergestelltes Essen sich grundsätzlich von den »natürlichen« Speisen in der restlichen Welt unterscheidet und dass unsere Mägen/Geschmacksrezeptoren anders auf die unbekannten Speisen reagieren, als wir es wollen 😉
LG, Dana
Hey Dana,
vielen Dank für das Lob!
Das ist ja das Tolle, dass jeder immer alles individuell unterschiedlich wahrnimmt.
Zum Glück kann man auch im Westen frische Dinge zubereiten und ist nicht nur auf »industriell« hergestelltes Essen angewiesen. Aber klar, genauso wie sich der Kopf an die ganzen neuen Eindrücke gewöhnen muss, gewöhnt sich der Magen eben an die fremde Nahrung.
Sehr schön geschrieben, vermittelt sehr gut den Geist des Reisens.
Vielen Dank!
Ach, Stefan (oder doch Aylin?!). Ihr sprecht mir irgendwie aus dem Herzen.
Gerade das mit dem Berufsleben ging mit auf meinen bisherigen reisen auch immer so. Leider waren sie zu kurz oder ich bin zu schnell in alte Muster verfallen, um an diesem Gefühl der Unbeschwertheit dauerhaft festhalten zu können. Jedes mal auf Reisen würde ich diese Fähigkeit »im Moment zu leben« gerne in ein Gefäss packen, um es zuhause wieder nach und nach heraus zu lassen. Doch viel zu schnell war ich immer wieder im Alltag – auch wenn die Erinnerungen an die Reisen bleiben.
Das Fotografieren und das Schreiben über diese Reisen ist vielleicht eine Art und Weise sich dessen wieder bewusst zu werden…Ich wünsch euch beiden noch ein schönes Weiterreisen!
Hey Patrick,
ja, sehr nachvollziehbare Gedanken. Dieses Vorhaben ein gewisses Verhalten oder einen »State of Mind« aus einer Reise nach Hause mitzunehmen ist, glaube ich, dennoch schwer umzusetzen. Trotzdem reift man und nimmt unbewusst möglicherweise Dinge anders war als vorher.
Und wenn du an einem stressigen Arbeitstag Erinnerungen an eine legendäre Reise abrufen kannst, hilft das ja vielleicht schon 🙂
Mach’s gut, liebe Grüße!
Ihr habt ja so recht, man muss nur diesen einen Schritt machen, danach lernt man immer dazu. Sei es »packen des Rucksackes« oder »will mich der Typ da ausnehmen«. Auch diese Überempfindlichkeit gegenüber Essen habe ich nie verstanden. Kein Wasser trinken in denen Eiswürfel sind. Kein Essen kaufen das es auf der Straße gibt.
Ich hatte einmal eine Lebensmittelvergiftung durch Leitungswasser, aber die geht nach 2–4 Tagen auch vorbei.
Matthias
Hey Matthias,
durch überzogenes Sicherheitsdenken beim Thema Essen kann einem echt viel entgehen. Ich finde auch, dass man sich einfach mal auf Sachen einlassen muss.
Dass man viel lernt auf Reisen sehe ich genauso. Zum einen lernt man viele praktische Dinge. So Sachen wie: was tue ich, wenn mich ein Hund anfällt? Darüber hinaus, und das ist noch interessanter: wie reagiere ich auf Rückschläge? In Stresssituationen? Wie organisiere ich mich im Unbekannten?
Danke für deinen Beitrag!
Toller Artikel! Werde Euch gerne weiter verfolgen … zumal ich in absehbarer Zeit ähnliches vorhabe. Bin mir nur noch nicht sicher, ob am Stück, also ein komplettes Jahr oder in drei Etappen aufgeteilt, mit kurzen Heimauenthalten…LG und viel Spaß! Monika
Vielen Dank, Monika!
Beide Varianten haben ihren Charme, finde ich. Je nachdem, was sich für dich »richtiger« anfühlt ist wohl das Beste.
Ich würde wohl zu der Variante am Stück tendieren, dann ist man komplett raus und wird nicht von Themen aus Deutschland eingeholt, die eventuell auf der nächsten Reiseetappe im Kopf präsenter sind als einem lieb ist.
Wie dem auch sei: dass du so eine große Reise planst finde ich sensationell. Da wünsche ich jetzt schonmal viel Spaß!
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