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Unser Besuch in der Hauptstadt der Vereinigten Staaten wird zur Hitzeschlacht. Trotzdem erlangen wir wieder einmal ein paar überraschende Erkenntnisse über unser Reiseziel. Und über uns selbst.
Die Oase des Wohlfühlens
»This is literally the most awesome thing ever!« Die Teenies in der Washington Subway sind begeistert. Sie schießen eine Frage nach der anderen raus, Aylin und ich beantworten diese, in schnellen kurzen Sätzen. »Where do you go next?« »Colombia!« »Niiiice, and then?«… Am Pentagon steigen wir um. Kurzer Smalltalk mit einem Angehörigen der Navy, »I love Hamburg, especially the Naval Museum. Thank you for visiting«, sagt er und wechselt uns Kleingeld für das Busticket. Zuletzt sitzt ein stark Angetrunkener im Bus neben uns und zeigt stolz seine Samurai Schwerter, was in der Kombination einen Moment des Unbehagens bei uns auslöst. Ja, die Washingtonians unterhalten sich offensichtlich gern, fünf Kurzgespräche führen wir ehe wir bei unserer Unterkunft in Arlington ankommen.
Die Unterkunft ist für uns wie eine Oase des Wohlfühlens. Wir haben ein Zimmer im Haus einer Familie gemietet. July, die Gastgeberin, hat sich viel Mühe gegeben. Das Zimmer ist voller Informationen über Washington, es liegen Karten und Reiseführer aus. Restaurantguides auf dem Nachttisch. Neben der Kaffeemaschine steht ein Karussell voller unterschiedlicher Kaffeekapseln. Wie eine Tapete ziert eine riesige Karte des Metro-Netzes die Wand. »Do you guys like your room?« »Totally!« Wir konsumieren das Zimmer förmlich.
Was in diesem Moment klar wird: es ist überhaupt kein Zufall, dass wir dieses gemütliche Zimmer vorübergehend bewohnen werden. Es ist noch weniger ein Zufall, dass wir gerade jetzt entlang der Ostküste der USA reisen. Die Umstände haben wir selbst herbeigeführt. Die Zeit in Asien hat uns viel abverlangt, die Intensität des Unbekannten war allzu oft spürbar. Nur was man sich hart erarbeitet, hat man richtig bereist, lautete unsere unausgesprochene Grundannahme. Doch monatelang die grundlegenden Bedürfnisse des Lebens täglich neu zu organisieren hat seine Spuren hinterlassen: rein geistig sind wir schlichtweg müde. Dass wir uns dann auf den Bus um 9:38 nach Washington verlassen können, ein gemütliches Zimmer auf uns wartet und wir uns sogar an der Kapselkaffeemaschine bedienen können löst ein irres Glücksgefühl in uns aus. Als hätte man uns Hinkelsteine aus dem Rucksack genommen.
Die National Mall
Von Reisen nach Washington im Hochsommer ist grundsätzlich abzuraten. Es ist einfach zu heiß. Wir laufen von der Smithsonian-Haltestelle in Richtung der National Mall und mein hochroter Kopf droht jeden Moment zu explodieren. Der Euphemismus eines vorbeilaufenden Passanten: »It’s really warm.« Noch bevor wir richtig ankommen, gehen wir für knapp zwei Stunden ins National Museum of Natural History. Einfach, weil wir die Gegenwart einer Klimaanlage in diesem Moment unheimlich schätzen. Und weil sie lebensgroße Tiere ausgestellt haben.
Nichtsdestotrotz sollte jeder ernst gemeinte Washington Besuch einmal am frühen Abend zur National Mall führen. Wenn man am Washington Monument steht, kann man in allen Himmelsrichtungen ein monumentales Bauwerk entdecken. Im Norden sieht man das White House, im Süden das Thomas Jefferson Memorial. Im Westen, hinter dem Reflecting Pool, durch den bereits Forrest Gump trotz Vogelkacke gestapft ist, befindet sich das Lincoln Memorial. Im Osten liegt schließlich das Herz der amerikanischen Politik, das Kapitol. Obwohl ich noch nie vorher hier war, erscheint es sofort vertraut. Zu oft hat man einen TV-Korrespondenten davor gesehen, zu oft ist es in Roland Emmerichs Filmen spektakulär explodiert. Als wir durch das Gebäude geführt werden, erfahren wir, dass die 6 Tonnen schwere Figur auf der Kuppel Freedom heißt. Die tragische Paradoxie: Das Gebäude wurde hauptsächlich von Sklaven erbaut.
Was die National Mall so faszinierend macht: Man erkennt sie als Kulisse geschichtsträchtiger Ereignisse wieder. Hier hielt Martin Luther King seine legendäre I Have a Dream Rede. 2009 fanden sich hier 2 Millionen Menschen zur Amtseinführung von Barack Obama ein.
E pluribus unum?
Die abendliche Heimfahrt im öffentlichen Bus entlang der Hauptader Colombia Pike. Arlington fühlt sich wie ein Stadtteil Washingtons an, liegt allerdings in Virginia. Warum sie hier rausgezogen sind, fragen wir nachher unsere Gastgeberin. »Schools in D.C. are crap«, sagt sie und deutet auf ihre dreijährige Tochter.
Einmal nimmt sie uns mit dem Auto mit zum Supermarkt. Aufkleber der Demokraten prangen auf ihrer Stoßstange. Sie redet rastlos, wechselt häufig abrupt die Themen. Doch ein Thema kommt immer wieder hoch: die Einwanderer. Es seien immer mehr geworden in den letzten Jahren. Immer respektvoll, immer liberal, zeigt sie uns den ethnischen Wandel ihrer »Pike«. Doch man merkt, es nagt irgendwo an ihr. Den Zugang zu den hauptsächlich mittelamerikanischen Einwanderern hat sie noch nicht gefunden. Wir fahren an einem mexikanischen Restaurant vorbei. War sie schon dort? »Yes, but they don’t speak English at this place.«
Wenn man sich mit einem Thema intensiv beschäftigt, kommt einem dieses Neuerlernte so präsent vor, so allgegenwärtig, und man fragt sich, wie man das vorher nicht sehen konnte. Schärft sich der Blick oder presst man nur bekannte Eindrücke in ein neues Muster? Ich habe vorher América von T.C. Boyle gelesen. Es geht um das Schicksal illegaler mexikanischer Einwanderer und die Angst der Amerikaner der oberen Mittelschicht. Amerikaner, die sich eigentlich als liberal bezeichnen, fordern mehr Härte gegenüber den Mexikanern, ziehen hohe Zäune um ihre Häuser. Es ist auch eine Geschichte von Misstrauen und Ignoranz. Der Plot verknüpft sich so wunderbar mit der Gegenwart. Ist das zutreffend oder tue ich der netten July unrecht?
In Washington gilt es als verkaufsfördernd, wenn die Wohnung in einer Gated Community liegt. Abgeschottet. Eingezäunt. Unter 1000$ Miete im Monat muss man gar nicht anfangen zu suchen. Tagsüber sieht man hauptsächlich Lateinamerikaner. Als Gärtner, als Bauarbeiter und als Passanten auf der Straße. Wo wohnen die?
Auf nach Südamerika
Von Washington aus fliegen wir nach Kolumbien. Die Zeit in den USA war wie Balsam auf der Traveller-Seele. Obwohl wir ständig auf Achse waren, fühle ich mich ausgeruht. Viele Menschen sind sehr offen auf uns zugegangen, immer extrem nett. Der allgemeine Komfort war natürlich, wie eingangs angedeutet, höher als auf unserer Asien Tour.
Die USA haben mich schon immer fasziniert. Möglicherweise weil mich meine erste große Reise hierher geführt hat. Nach dem Zivildienst ein Jahr in Orlando arbeiten. Vielleicht ist ein ganz großes Gefühl der Freiheit hängengeblieben, als ich mit 20 Jahren und gefälschtem Führerschein in die Disko gegangen bin: »Hey, I’m Chris from Miami.« »Hey, I’m Stefan from Stuttgart!« Das war die Zeit, als alles neu war, alles intensiv. Seitdem zieht es mich immer wieder weg.
Wir fliegen am 4th of July, am Independence Day, raus aus Washington. July bringt uns zum Flughafen. Ihre Tochter hat sie, dem Anlass entsprechend, patriotisch gekleidet. Wir verabschieden uns herzlich, bringen zum Ausdruck, dass wir eine »Great Time« hatten. Später wird July im Internet über uns schreiben: »the most adventurous and inspiring couple I’ve ever met.« Das hört sich gut an.
Antworten
Sehr schöner Bericht und nicht so typisch wie andere D.C. Reiseberichte! 🙂
Vielen Dank!
Ich liebe den Himmel in den USA, der ist irgendwie ganz anders! Danke für den tollen Beitrag!
Stimmt, das ist mir dort auch immer aufgefallen – und beim »Breaking Bad« schauen, werde ich regelmäßig daran erinnert 🙂
Sehr cooler und interessanter Artikel! War selbst auch schon in D.C., die Stadt ist wirlich toll (und echt sauber!)
Liebe Grüße, AnnaVielen Dank, Anna! Und auf zu neuen Abenteuern 🙂
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