,

Ein Videodreh in Südostafrika

Ein dür­res Mäd­chen mit einem zer­ris­se­nen, alten Hemd klet­tert in der Mit­tags­son­ne bar­fuß auf einen der größ­ten Müll­hau­fen Mapu­tos, der Haupt­stadt von Mosam­bik. Der Gestank ist kaum aus­zu­hal­ten. Wäh­rend sie dort nach Essens­res­ten und Klei­dung wühlt, sprin­ge ich aus dem Auto und ren­ne ihr mit mei­ner Kame­ra hin­ter­her um die­sen Moment fest­zu­hal­ten.

Als sie mich ent­deckt, hal­ten wir bei­de für einen Moment inne.  Weder das Mäd­chen noch ich wis­sen wie wir reagie­ren sol­len und bei mir mel­det sich lang­sam das schlech­te Gewis­sen.

SOS-Kinderdorf_Afrika_11

Aus die­sem Grund traue ich mich anfangs nur von Wei­tem sol­che Augen­bli­cke zu fil­men. Ich füh­le mich unwohl, Men­schen in die­sen extre­men, ernied­ri­gen­den Situa­tio­nen mit der Kame­ra so nahe zu sein.

Ich habe auf die­ser Rei­se gelernt, dass ich eine Ver­bin­dung zu den Men­schen vor der Kame­ra auf­bau­en muss. Ab dem Zeit­punkt, zu dem die Kin­der mich mit mei­ner Kame­ra ent­de­cken, ist die Situa­ti­on ange­spann­ter und in gewis­ser Wei­se auch gestellt.

Mir wird bewusst, dass dann eine natür­li­che Moment­auf­nah­me nur noch gut gelin­gen kann, wenn ich begin­ne mit den Kin­dern zu kom­mu­ni­zie­ren und ihnen so die Unsi­cher­heit und Skep­sis neh­me.

SOS-Kinderdorf_Afrika_01 SOS-Kinderdorf_Afrika_13 SOS-Kinderdorf_Afrika_18

Dass die Kin­der kein Eng­lisch spre­chen, macht die ver­ba­le Kom­mu­ni­ka­ti­on unmög­lich, aber oft­mals ist schon ein ein­fa­ches Lächeln der ers­te Schritt, ihnen das unwoh­le Gefühl, beob­ach­tet zu wer­den, zu neh­men.

SOS-Kinderdorf_Afrika_21 SOS-Kinderdorf_Afrika_04

Nach­dem ich mich am zwei­ten Tag der Kame­ra­rei­se durch die Kin­der­dör­fer Süd­ost­afri­kas end­lich über­wun­den habe eine Grup­pe von Kin­dern auf ihrem Schul­weg mit der Kame­ra zu beglei­ten, ver­fliegt mei­ne Unsi­cher­heit sofort.

Die Kin­der lie­ben die Kame­ra. Ich habe Pro­ble­me, Ein­zel­por­traits auf­zu­neh­men, da immer jeder auf dem Bild sein möch­te.

SOS-Kinderdorf_Afrika_14

Immer wie­der ent­ste­hen Situa­tio­nen wie mit dem Mäd­chen, auf das ich am Müll­hau­fen getrof­fen bin. Mir fällt es schwer zu akzep­tie­ren, dass gera­de das Fest­hal­ten sol­cher Momen­te einen sehr wich­ti­gen Teil mei­nes Jobs dar­stellt. Was für mich fremd und unan­ge­nehm erscheint, ist für man­che Men­schen in Afri­ka nor­ma­ler All­tag.

Trotz­dem muss ich mir immer wie­der selbst sagen, dass ich die Men­schen durch mei­ne Auf­nah­men nicht bloß­stel­le. Ich hel­fe ihnen, indem durch das Publi­zie­ren der Bil­der mehr Spen­den gene­riert wer­den kön­nen.

SOS-Kinderdorf_Afrika_10

Nach­dem das Mäd­chen vom Müll­hau­fen und ich uns stumm für eini­ge Sekun­den lang anbli­cken, kom­me ich auf die Idee, ihr das Video, das ich zuvor von ihr auf­ge­nom­men habe, zu zei­gen. Zunächst ist sie sehr skep­tisch als ich näher kom­me, doch als sie sich ver­mut­lich das ers­te Mal in ihrem Leben selbst in einem Video sieht, beginnt sie laut zu lachen, zeigt auf­ge­regt mit ihrem Fin­ger auf das Dis­play und schaut mich mit einem brei­tem Grin­sen an.

Mein Freund, Malik, und ich waren auf einer Rei­se durch SOS Kin­der­dör­fer in Süd­afri­ka, Swa­zi­land und Mosam­bik. Die Hilfs­or­ga­ni­sa­ti­on „SOS Children’s Vil­la­ges Inter­na­tio­nal“ schick­te uns bei­de dort­hin um mög­lichst vie­le Impres­sio­nen der Kin­derd­öfer auf­zu­neh­men. Wir flo­gen von Frank­furt nach Johan­nes­burg und setz­ten unse­re Rei­se von dort aus mit dem Auto fort.

In Swa­zi­land und Mosam­bik besuch­ten wir ins­ge­samt fünf Kin­der­dör­fer. Wir kamen jeweils in deren eige­nen Gäs­te­häu­sern unter. Aus einem Teil des Film­ma­te­ri­als pro­du­zier­ten wir den Clip „We Grow With You“:

Wach­sen und ins­be­son­de­re das Erwach­sen­wer­den stellt einen Pro­zess dar, bei dem ver­schie­de­ne Erfah­run­gen gemacht und Erkennt­nis­se gesam­melt wer­den. Man durch­lebt unter­schied­li­che Pha­sen, die prä­gen oder stär­ken.

SOS-Kinderdorf_Afrika_08

Wäh­rend des Her­an­wach­sens wird man sowohl mit posi­ti­ven als auch nega­ti­ven Auf­ga­ben und Situa­tio­nen kon­fron­tiert. Es gibt her­aus­for­dern­de und erleich­tern­de Momen­te. Sie alle neh­men Ein­fluss auf die Her­aus­bil­dung einer star­ken und indi­vi­du­el­len Per­sön­lich­keit. In der Zeit die­ser prä­gen­den Pha­sen wird man von Per­so­nen beglei­tet, die einem bei­ste­hen und uns unter­stüt­zen. Nur durch sie ist es mög­lich, ein Gefühl dafür zu ent­wi­ckeln, was „wir“ bedeu­tet und mensch­li­che Wer­te, die unmit­tel­bar an das Her­an­wach­sen gekop­pelt sind, schät­zen zu ler­nen.

Zu die­sen Attri­bu­ten gehö­ren unter ande­rem auch Für­sor­ge, emo­tio­na­le Unter­stüt­zung, Lie­be und das Gefühl von Gebor­gen­heit.

SOS-Kinderdorf_Afrika_12

All die­se Wer­te, ins­be­son­de­re das Gemein­schafts­ge­fühl, kön­nen aber nicht nur durch tat­säch­lich regio­nal anwe­sen­de Per­so­nen erzeugt wer­den, son­dern auch durch Men­schen, die nicht direkt vor Ort sein kön­nen. Wir alle kön­nen dazu bei­tra­gen, die­se Kraft zu erzeu­gen, denn auch wir gehö­ren, zusam­men mit den Men­schen in Afri­ka zu einer gro­ßen Gemein­schaft. Wir alle kön­nen den Pro­zess des „Gro­wings“ durch finan­zi­el­le Unter­stüt­zung for­men und vor­an­trei­ben.

Eine gewis­se finan­zi­el­le Sicher­heit ermög­licht es, dass sich die Kin­der noch mehr selbst ver­wirk­li­chen kön­nen und das Her­an­wach­sen wird in fun­da­men­ta­ler und vor allem posi­ti­ver Wei­se unter­stützt.

Schließ­lich führt das Stär­ken der Gemein­schaft zu einer pul­sie­ren­den und wil­lens­star­ken Kraft, durch die sich die Kin­der in Afri­ka allen Her­aus­for­de­run­gen, die das Leben dort stellt, mit Lebens­freu­de und Zuver­sicht wid­men kön­nen.

SOS-Kinderdorf_Afrika_03

Erschienen am



Antworten

  1. Avatar von Kasia Oberdorf
    Kasia Oberdorf

    Groß­ar­tig, dass ihr trotz der Beden­ken, die ich gut ver­ste­hen und nach­voll­zie­hen kann, mit eurer Arbeit (Auf­ga­be?) wei­ter macht. Es braucht Men­schen wie euch.
    Lg Kasia

  2. Avatar von Christian

    Span­nen­der Arti­kel und sehr schö­ne Fotos – mein Kom­pli­ment! 🙂

  3. Avatar von Fabio Maseloni

    Sup­per Video, sup­per Bil­der und sup­per Arti­kel!
    Mach wei­da so. Sup­pa.
    Sup­pa sup­pa sup­pa!

    Ich wün­sche Dir wei­ter­hin viel Erfolg ! 🙂

  4. Avatar von Mikki

    Hal­lo Mar­ko,

    beim Lesen Dei­nes Arti­kels habe ich an den Doku­men­tar­film »white cha­ri­ty« von Caro­lin Phil­ipp und Timo Kie­sel gedacht. Falls Du ihn nicht schon kennst, kannst Du ihn Dir hier anse­hen. Er dau­ert 48 Minu­ten. http://www.whitecharity.de/index_files/Page917.htm

    Ich stel­le mir vor, dass er eine Berei­che­rung für Dich als Film­au­tor, Kame­ra­mann und Foto­graf ist. Aber auch für alle ande­ren. Er beleuch­tet die Bild­spra­che der Wer­be­pla­ka­te von ent­wick­lungs­po­li­ti­schen Orga­ni­sa­tio­nen.

  5. Avatar von Daniela

    Genua und tol­le Fotos. Schön das Du dazu auch die Gedan­ken ver­öf­fent­lichst, aber das schö­ne ist dabei das wir vor allen in ärme­ren Län­dern die wir berei­sen immer mit unse­ren Kame­ras das Eis bre­chen kön­ne. Habe dazu schon ein­mal etwas zusam­men­ge­fasst http://www.reiseknipse.de/2014/01/FotografierenaufReisenTippszumVerhalten.html

    Dan­ke sagt Danie­la

  6. Avatar von Elisaveta Schadrin-Esse via Facebook
    Elisaveta Schadrin-Esse via Facebook

    Mal wie­der gran­dio­se Arbeit, Mar­ko.

  7. Avatar von Timo

    Ein schö­ner Arti­kel! Mit beson­ders tol­len Bil­dern…

  8. Avatar von Mel

    Ein sehr bewe­gen­der Bericht. Ich kann mir vor­stel­len, dass es wirk­lich schwer war am Anfang, aber schön, dass du dich dann doch eini­ger­ma­ßen ver­stän­di­gen konn­test.
    Auch der Clip ist wirk­lich gelun­gen!

  9. Avatar von Marc Herbrechter

    Tol­les Video, schö­ne Bil­der!

    Habe in Kap­stadt einen ame­ri­ka­ni­schen Fil­me­ma­cher getrof­fen. Auch er mein­te, das direk­te Umschal­ten vom All­tag der Men­schen vor der Kame­ra zum All­tag des Men­schen dahin­ter sei der schwers­te Teil sei­nes Jobs.

    Sicher nicht ver­gleich­bar, aber der Film ›War Pho­to­grapher‹ von James Nachtwey ist in die­sem Kon­text sehens- und emp­feh­lens­wert.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert