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Das Licht im Clube de Fado wird gedämpft. Die Gäste verstummen und legen ihr Besteck beiseite. Mário Pacheco betritt den Raum. Er ist der Chef des Hauses und ein bekannter Fadomusiker in Lissabon. Während der elegant gekleidete 60-Jährige mit seinen Musikern gegenüber unseres Tisches Platz nimmt, versuche ich die Schmutzränder auf meiner Kordhose zu verbergen.
Nach allem was ich im Fado-Museum gelernt habe, ist das nicht die klassische Besetzung. Neben Pacheco an der portugiesischen Gitarre, Diogo Clemente an der spanischen Gitarre und dem Sänger Miguel Capucho ist ein Kontrabassist dabei. Der groß gewachsene Paulo Paz sieht allerdings aus, als würde er besser in eine norwegische Jazzband passen. Während alle anderen Gäste nur Augen für die Musiker haben, schiele ich auf meinen Octopussalat mit Tomate. Allerdings wage ich nicht zur Gabel zu greifen. Mittlerweile ist es so dunkel im Club, dass ich wohl versehentlich die Tischdeko essen würde.
Pacheco nickt seinen Musikern zu – und schon fliegen seine Finger über die zwölf Saiten der Guitarra. Doch der schnelle, freundliche Rhythmus bekommt durch den sanften, dunklen Klang der einsetzenden spanischen Gitarre einen nostalgischen Unterton. Urplötzlich bricht zwischen den Lippen des Sängers ein solch wehklagender Laut hervor, dass fast mein Octopus vom Teller hüpft. Ich blinzele verschreckt und starre den Mann an. Seine weit aufgerissenen Augen offenbaren einen mehr als leichten Silberblick, aber er scheint keine Hilfe zu benötigen. Ich verstehe kein Wort Portugiesisch, aber vermutlich handelt dieses gesungene Lamento von der Unfähigkeit seines Augenarztes.
Nach wenigen Liedern ist der Auftritt vorbei. Während ich endlich essen kann, sehe ich mich in dem alten Steingewölbe um, in dem schon Woody Allen, Neil Armstrong, Isabel Allende und viele weitere Berühmtheiten zu Gast waren, um dem Fado zu lauschen. Dieser musikalische Ausdruck der portugiesischen Volksseele hat seinen Ursprung in den armen Vierteln Lissabons, er war die Musik der Seemänner, Zuhälter und leichten Mädchen, der einfachen Leute und sehnsuchtsvoll Leidenden, die nicht nur die verflossene Liebe, sondern auch soziale Missstände besangen.
Ich schiebe meinen leeren Teller weg und trinke noch einen Rotwein. In meinem Kopf wird es warm und neblig und ich schließe schwermütig die Augen. Schon wird das Licht wieder gedämpft, Pacheco und Band kommen zurück. Dieses Mal singt Clemente, der Gitarrist mit Krawatte und Turnschuhen, der Mann mit der kaum gebändigten schwarzen Mähne und den dunklen Glutaugen.
Ich beobachte ein junges Pärchen, das schräg gegenüber von mir sitzt: Während er ihr zärtlich ins Ohr flüstert, wischt sie sich lächelnd eine Träne weg. Clemente singt mit geschlossenen Augen, seine modulierende Stimme hüllt mich ein. Schon packen mich die Melancholie und das Leid des Fadistas mit aller Macht, eine wilde Sehnsucht durchströmt mein Herz. Das einzige Wort, das ich verstehen kann, ist Saudade – der berühmte portugiesische Weltschmerz, geboren aus Verlust, Nostalgie und Sehnsucht, dessen Lockruf der Fado ist.
Ich seufze, ein klagendes Aufstöhnen kommt aus meiner Kehle. Ich verzehre mich. Tränen strömen meine Wangen hinab. Während Clementes Gesang immer dramatischer wird, greife ich mir an die Brust und springe auf. Ich reisse mir die Kleidung vom Leib und renne nach draußen in den strömenden Regen dieser Lissabonner Winternacht. Nackt laufe ich durch die alten Gassen der Alfama, hinab bis zur Tejobucht. Ich stürze mich ins Wasser und lasse mich von den Wellen davontragen – oh Welt, oh Fado, oh Saudade…
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Was eine geile Stadt . Wollte schon immer mal hin, aber jetzt muss ich sofort los:)
Ich hätte gerne den Newsletter, weil ich die Beiträge heute erst entdeckt habe und sehr interessant finde.
Lissabon ist einfach DIE Stadt in Europa.
Meiner Meinung nach unvergleichbar schön und absolut einzigartig!Hi Alexandra,
Danke für diesen sehr schönen Artikel. Wir leben seit nun fast neun Monaten in Lissabon (in Alfama) und genießen diese sagenhafte Stadt jeden Tag. Fado schwingt hier jeden Abend durch die engen Gasen … mal tragisch schön, mal einfach etwas zu … naja … vehement. ;o) Wir halten unsere Erfahrungen in unserem Blog »Lissabon4insider« fest. Schau doch einfach mal vorbei. Wir würden uns freuen.
Sonnige Grüße vom Tejo
Daniel & AngelicaHallo Alexandra, vielen Dank für diesen exzellenten Beitrag!
Wie schön, dass Dich der Abend und vor allem der Fado so für sich einnehmen konnte! Die portugiesische Kultur ist überreich: Musik, Literatur, Malerei,.. Und bedauerlicherweise sind viele dieser wunderbaren, sehr vielfältigen Facetten der portugiesischen Seele in Mitteleuropa kaum bekannt. Grund für uns, darüber zu schreiben.Lissabon ist so herrlich wehmütig – ich mag es. Schau mal hier: http://geschriebenmitlicht.wordpress.com/
Beste Grüße
geschrieben mit licht
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