24 Stunden

Mexiko, Juli 2011.

Ich bin mit einem Freund verabredet. Er lässt auf sich warten, was mich nicht sonderlich überrascht, da es in Mexiko durchaus üblich ist, ausgemachte Zeiten nicht auf die Minute genau einzuhalten. Also warte ich geduldig in einem Café in der Nähe der Avenida Revolución einer nordmexikanischen Stadt direkt an der Grenze zu den USA.Es ist beinahe eine halbe Stunde vergangen, als mein Telefon klingelt. Es ist der Freund, auf den ich warte. Hastig sagt er mir, ich solle an eine Kreuzung der Avenida Revolución kommen, er wäre hier mit der Polizei und bräuchte mich. Seine Stimme verrät nicht, was vorgefallen war, dennoch mache ich mich auf den Weg zu dem Ort, den er mir genannt hat. Aus der Ferne sehe ich bereits ein Polizeiauto, daneben steht mein Freund, die Hände hinter dem Rücken in Handschellen, sein Inline-Board am Boden, drei Polizisten neben ihm. Ich muss zugeben, dass mich dieses Bild nicht wirklich verwundert, ist mein Freund doch jemand, der staatliche Autoritäten gerne etwas provoziert und gerade auch die mexikanische Polizei stark kritisiert. Ein rebellischer 21-Jähriger, der sich über die Konsequenzen seines Handelns vielleicht noch nicht wirklich im Klaren ist.Ich nähere mich der Szene und frage einen der Polizisten, was geschehen wäre. Dieser antwortet, dass mein Freund auf seinem Inline-Board unterwegs war, sich an einem Pickup festgehalten und mitziehen hat lassen – dies wäre verboten. Außerdem hätte man ein bisschen Marihuana bei ihm gefunden, weshalb er jetzt einem Richter vorgeführt werde. Mein Freund bittet mich, sein Inline-Board mit zu mir nach Hause zu nehmen, weil ich gleich in der Nähe der Kreuzung bei einer Freundin wohnte. Außerdem sollte ich sein gesamtes Geld, sein Handy und sonstige Wertgegenstände mitnehmen – die Polizisten hätten diese Sachen sonst selbst eingesteckt, erzählt er mir später.

Es ist eine etwas skurile Situation, als ich anfange, die Hosentaschen meines Freundes auszuräumen, der mir dabei nicht helfen kann, weil seine Hände in Handschellen liegen. Ich packe alles in meine Tasche. Dann will der Polizist meine Personalien aufnehmen, um zu wissen, bei wem die Privatgegenstände des Festgenommenen verwahrt sind. Zufällig habe ich meinen Pass dabei, gebe ihm diesen. Der Polizist fragt mich, weshalb ich in der nordmexikanischen Stadt wäre, wie lange ich schon in Mexiko bin. Ich erkläre ihm, ich würde Freunde besuchen. Ob es mir hier gefalle. Ich bejahe. Dann ist die Prozedur vorbei, ich schreibe dem Freund noch schnell meine Handy-Nummer auf einen Zettel und stecke ihm diesen in die Hosentasche. Bevor ihn die Polizisten ins Polizeiauto schieben, sagt er mir noch, ich solle seinem Vater Bescheid geben, die Nummer hätte er in seinem Handy gespeichert.

Dann stehe ich da, das Inline-Board vor mir am Boden. Ich nehme es und mache mich auf den Weg zum Haus meiner Freundin. Dort rufe ich den Vater des Freundes an, erkläre, was vorgefallen war. Der Freund wird die Nacht im Gefängnis verbringen, bis zu 36 Stunden in Polizeigewahrsam. Wann er freikommen wird, kann man nicht so genau sagen. Am Nachmittag des nächsten Tages ruft er mich an. Er ist wieder frei: 24 Stunden Gefängnis hat ihm der Richter für sein Vergehen aufgebrummt.

Die mexikanische Polizei muss im Zuge des Drogenkrieges Quoten an Festgenommenen vorweisen, deshalb kommen oft Menschen aufgrund kleiner Delikte in den “Genuss”, ein Gefängnis von Innen kennenzulernen. Das bestätigen mir viele Freunde: Jeder kennt jemanden, dem schon einmal etwas Ähnliches passiert ist – die begangenen “Verbrechen” sind oft Banalitäten, in europäischen Ländern ist die Sache meistens mit einer kleinen Verwaltungsstrafe erledigt. Mein Freund ist froh, wieder in Freiheit zu sein – die Nacht war anstrengend, es gab kein Essen, kaum etwas zu trinken und zum Schlafen musste man sich irgendwo am kalten Betonboden zusammenkauern.

Was mich an der ganzen Geschichte erstaunt: Als ich einige Tage nach dem Vorfall gemeinsam mit dem Freund in die USA einreisen will, werden wir an der Grenze beide zu einer zweiten Revision gebeten, obwohl wir unabhängig voneinander unsere Pässe herzeigen. Es ist, als wüssten die US-amerikanischen Grenzbeamten über die Festnahme meines Freundes Bescheid und auch, dass ich indirekt in den Fall verwickelt war.

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Antworten

  1. Avatar von Ingrid

    Nach über 12 Jah­ren in Mexi­ko kann ich bei­steu­ern, dass weder ich, noch irgend­ei­ne mei­ner vie­len Freund­schaf­ten im Land, jemals in einem Gefäng­nis war. Es ist nicht so, dass die Poli­zei jeman­den wahl­los von der Stras­se schnappt und ins Gefäng­nis steckt, dazu muss man schon etwas getan haben. Wür­de man sich in Deutsch­land an ein Auto hän­gen und dann noch Mari­hua­na in der Tasche haben, so müss­te man sich sicher­lich genau­so ver­ant­wor­ten. 🙂

    Mexi­ko ist ein wun­der­schö­nes Land, reich an Kul­tur und Geschich­te, Hei­mat eines über­aus herz­li­chen Vol­kes und ein paar Mies­ma­chern, wie man sie über­all fin­det. Eines stimmt aller­dings, ein Mexi­ka­ner kommt grund­sätz­lich zu spät. Ein pünkt­li­ches Erschei­nen bei einer etwa­igen Ein­la­dung kann sogar sehr unpas­send sein, da der Gast­ge­ber zu der ver­ein­bar­ten Zeit ganz sicher noch unter der Dusche steht! 😛

    1. Avatar von Hanna
      Hanna

      Ich habe tat­säch­lich eini­ge Freun­de, die wegen Klei­nig­kei­ten fest­ge­nom­men wur­den. Das hier ist ein Bei­spiel, ein ande­res ist die Schwes­ter einer Freun­din, die Bauch­t­an­zen betreibt und mit einem »Schwert« zu einer Vor­füh­rung woll­te. Blö­der­wei­se sah die Poli­zei das Teil als Waf­fe und nahm sie mit auf die Wache. Ich weiß nicht, wie es in Can­cún ist, in Tijua­na scheint man aber tat­säch­lich schnell mal eine Zel­le von Innen zu sehen.

  2. Avatar von Speedy Meyer

    be hap­py you left Mexi­co ali­ve, sin­ce your lack of expe­ri­ence, wis­dom and judgment makes you a gre­at tar­get.

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