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Als der kleine Bus japanischen Fabrikats die Straße Richtung Dana Village hinunter fuhr, war ich mir nicht sicher, ob ich diese jemals wieder hinauf käme, so steil war die Piste. Heute weiß ich, dass nicht die Straße, das Problem ist, sondern vielmehr das jordanische Dorf selbst. Denn wer dort im Tower Hotel eincheckt, möchte am liebsten für immer dort bleiben.
Langsam schlängelt sich die holprige Straße den steilen Abhang hinunter und gibt immer mehr von dem riesigen Canyon preis. Ein Atemberaubendes Panorama bietet sich mir am Wegesrand, während sich der Bus mit quitschenden Bremsen die Kurven hinunterquält. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich glauben, dass vor mir der Grand Canyon liegt. Doch da ich erst am morgen im Wadi Rum unter Sternen aufgewacht war, ist das auszuschließen. Das Dorf Dana ist das Ziel. Laut Reiseführer eine der Top-Destinationen zum Wandern in Jordanien. Doch was ich von den wild durcheinander gewürfelten osmanischen Bauernhäusern inmitten wilder Berge halten soll, wird mir im ersten Moment nicht so richtig klar.
Auf einem kleinen Plateau, kaum größer als zwei Fußballfelder, liegt das Geisterdorf und scheint sich an den hohen Felswänden drumherum geradezu festzuklammern. Warum die Menschen hier ihre Häuser errichtet haben, scheint geradezu paradox. Die vielen zerfallenen Häuserruinen scheinen dem recht zu geben – auf der staubigen und holprigen Piste, die die Hauptstraße zu sein scheint, ist kaum eine Menschenseele zu sehen. „Die leben wohl inzwischen alle in modernen Wohnungen in der nächst größeren Stadt, schießt es mir durch den Kopf. „Hoffentlich ist zumindest die Hotelrezeption besetzt“, denke ich weiter, während sich der Bus mit quitschenden Bremsen von einem Schlagloch ins nächste quält.
Ganz falsch kann ich jedenfalls nicht sein, denn an den bröckelnden Hausecken sind moderne Schilder zu sehen, die zu den einzelnen Hotels führen. Und es scheint tatsächlich mehrere davon zu geben. „Dana Tower Hotel“ ist der verheißungsvolle Name meiner Unterkunft. „Werde ich etwa wie Rapunzel in einem Turm wohnen?“ Wohl nicht, denn große Türme sehe ich weit und breit nicht.
Eine kleine asiatisch aussehende Frau steht schließlich vor mir. Zugegeben: Damit hatte ich hier nun auch nicht gerechnet. „You made reservation“, fragt sie lächelnd und ich bejahe, während sie das Wasser abstellt, das gerade noch in einem breiten Strahl aus dem Schlauch spritzte um den Staub aus dem steinernen Gang zu spülen. „Wo kommt nur das ganze Wasser her?, schießt es mir unwillkürlich durch den Kopf. Doch die Frau ist schon hinter der nächsten Ecke, des verschachtelten Hauses verschwunden und deutet mir, ihr zu folgen.
Ich muss aufpassen, dass ich die kleine Frau nicht verliere. Um immer noch eine Ecke biegen wir, immer noch eine verwinkelte Treppe erklimmen wir, vorbei an gemütlichen Sitzecken und asiatisch-kitschigem Blumenschmuck, bis wir plötzlich ganz oben angekommen sind. Und da erschließt sich mir plötzlich, warum die Herberge Tower Hotel heißt. Aus dem Bus heraus ist mir nicht aufgefallen, dass das Hotel das größte Haus im
Dorf ist. Das Zimmer ganz oben, genauer gesagt die Honey Moon Suite, ist also für mich reserviert.
Aber nicht nur der Blick über den Canyon ist in dem Zimmer flitterwochenverdächtig, auch das Dorfleben lässt sich von hier oben wunderbar beobachten. Es sind nämlich doch Menschen in den Gassen zu sehen.
Aber es sieht nicht so aus als würden sie dort auch leben. Der eine schleppt Wasserkanister, der andere ein Schubkarre mit Felsbrocken. Sie bauen das Dorf wieder auf. 4. Millionen Dollar hat eine amerikanische Stiftung dafür an das Dorf gezahlt und für eine eigenartige Mischung aus Geisterstadt und Hollywoodkulisse gesorgt. Auf der einen Seite: Zerfallene Häuser und Ruinen, auf der anderen Seite: Neuer Putz und neue Fenster in den alten Mauern.
Als schließlich die Sonne in einem Farbenspektakel am anderen Ende des Canyons verschwindet kehrt langsam Ruhe ein. Zumindest was die Bauarbeiten angeht, denn die Arbeiter haben sich in ihren Decken auf den Dächern der alten Häuser zusammengerollt. An schlafen ist für mich aber nicht zu denken. Denn Ruhe gibt es in dem verlassenen Tal, das nur von Sternen beleuchtet wird, entgegen aller Erwartungen nicht. Kaum dass die letzten Sonnenstrahlen hinter den Bergen verschwunden waren, haben Hunde die Herrschaft in dem Dorf übernommen. Oder besser gesagt in der nahe gelegenen Oase. Ein wildes Gebell hallt durch das Tal, wird von den Felswänden gegenüber zurückgeworfen und rollt erneut über das Dorf.
Ob das wirklich nur Hunde sind? Immerhin soll es auch Steinböcke, Füchse und sogar Wölfe in dem Naturreservat geben. Streunen die nachts etwas durch die Ruinen des Dorfes? Mir läuft ein Schauer über den Rücken. Kann es sein, dass in dem paradiesischen Garten, durch den ich am Nachmittag noch gewandelt war, solche Kreaturen gibt? Dort, wo Granatäpfel, Oliven und sogar wilder Wein wächst? Hier könnte ich für ewig bleiben hatte ich noch gedacht. Hier im Paradies. Aber jedes Paradies hat wohl seinen Haken.
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