Kapstadt ist anderswo

Wer zum ers­ten Mal nach Kap­stadt kommt, wun­dert sich über den Gla­mour und die gute Lau­ne. Doch die meis­ten Kap­städ­ter woh­nen nicht in der mon­dä­nen City, son­dern in den Town­ships drum­her­um. Zum Bei­spiel in Lan­ga. Hier gibt es sogar noch mehr zu stau­nen.

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Die Frau sitzt am Stra­ßen­rand und sto­chert in einem Feu­er her­um. Ich kann nicht erken­nen, was sie dort brut­zelt. Sie hat ihr Gesicht mit Far­be gegen die Hit­ze geschützt, trägt schwar­ze Klei­der und bürs­tet den Ruß von irgend­wel­chen Bro­cken. Es sind ver­kohl­te Köp­fe. Schafs­köp­fe.

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Auf Bret­tern neben dem Feu­er lie­gen die rohen Köp­fe, umschwirrt von Flie­gen. “Smi­leys” nennt man die­se Town­ship-Spe­zia­li­tät, weil es so aus­sieht, als begin­ne der Schafs­kopf wäh­rend des Garens zu grin­sen. Wir radeln durch Lan­ga, das ältes­te Town­ship der Kap-Regi­on, etwa zwölf Kilo­me­ter vom Stadt­zen­trum ent­fernt. Hier leben unge­fähr 100 000 Men­schen, vie­le spre­chen weder Eng­lisch noch Afri­kaans, son­dern isiX­ho­sa, eine der elf offi­zi­el­len Lan­des­spra­chen Süd­afri­kas und das selt­sams­te Idi­om, das ich je gehört habe.

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Sivi­we Mbin­da ist unser Gui­de, ein enthu­si­as­ti­scher Xho­sa, der in Lan­ga auf­ge­wach­sen ist und nie­mals dort weg­zie­hen wür­de. Er zeigt uns drei ver­schie­de­ne Wohn­ge­gen­den: Bret­ter­bu­den für die ganz Armen, Hüt­ten für die Mit­tel­ar­men und Häus­chen für die­je­ni­gen, die es geschafft haben. “Unser Bever­ly Hills” nennt er die Stra­ße mit ver­git­ter­ten Bun­ga­lows. In fünf Jah­ren will er es auch geschafft haben.

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Sivi­we liebt Lan­ga. Er preist sein Vier­tel, die Atmo­sphä­re, den Zusam­men­halt der Men­schen. Wo er hin­kommt, wird er begrüßt. Wenn er von den Pro­ble­men im Town­ship spricht, wählt er sei­ne Wor­te wie ein Poli­ti­ker: Aids, Dro­gen, Gewalt sind “Her­aus­for­de­run­gen”. Sei­ne Gene­ra­ti­on wis­se, dass Bil­dung das Aller­wich­tigs­te sei. Die Jun­gen müss­ten sich um die Alten küm­mern, denn die hät­ten zu Apart­heid-Zei­ten kei­ne Chan­cen gehabt. Er fühlt sich als Ver­tre­ter des neu­en Süd­afri­kas.

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Ich hat­te Elend und Nie­der­ge­schla­gen­heit erwar­tet und traf auf Stolz, Aus­ge­las­sen­heit und Auf­bruch­stim­mung. Klingt wie Sozi­al­ro­man­tik, aber wir sehen tat­säch­lich sin­gen­de Mäd­chen und tan­zen­de Män­ner auf der Stra­ße. Eine Gas­se mit offe­nen Feu­er­stel­len und Musik­be­schal­lung wirkt fast wie der Cam­ping­platz eines Open-Air-Fes­ti­vals nach einem Wol­ken­bruch. Aber viel­leicht liegt es auch nur an Sivi­we, der die­sen Opti­mis­mus aus­strahlt. So depri­mie­rend die meis­ten Nach­rich­ten und Sta­tis­ti­ken aus Süd­afri­ka sind: Für Leu­te wie ihn scheint ein schnel­ler Auf­stieg mög­lich zu sein.

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Er zeigt uns die­se Hüt­te von Ver­wand­ten, in der er eine Zeit­lang gelebt hat. Zwei win­zi­ge Räu­me aus Bret­tern, Well­blech und Plas­tik­pla­nen, drin­nen zwei Bet­ten für eine vier­köp­fi­ge Fami­lie, ein Kühl­schrank, ein Kocher, ein Plas­tik­stuhl und Schrän­ke. Das Plas­tik­dach hängt ein paar Hand­breit über mei­nem Kopf und ist an einer Stel­le undicht, der Boden besteht aus Mat­ten. Regen ist ein Pro­blem, sag­te Sivi­we. Doch das größ­te Pro­blem im Town­ship sei die Elek­tri­zi­tät, denn die Lei­tun­gen sei­en selbst gebas­telt. Immer wie­der kommt es zu Groß­brän­den.

An einem Nagel links von der Tür bau­melt ein Schlüs­sel­an­hän­ger. Ein glit­zern­der Fremd­kör­per in die­ser Umge­bung. In den Plas­tik­an­hän­ger ein­ge­las­sen ist das Foto eines unge­fähr zwölf­jäh­ri­gen Jun­gen, ein Sohn die­ser Frau. Er trägt einen Dok­tor­hut, hat offen­bar einen ers­ten Schul­ab­schluss geschafft. Ich habe die Zah­len ver­ges­sen, aber laut Sivi­we ver­langt schon die Grund­schu­le Gebüh­ren, und eine vier­köp­fi­ge Fami­lie hat meist weni­ger als 100 Euro im Monat zum Leben. Die Aus­bil­dung der Kin­der sei der gan­ze Stolz und der ein­zi­ge Aus­weg für die­se Fami­li­en.

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So sieht es gegen­über der Hüt­te aus. Autos sind wich­ti­ger als Häu­ser – das gilt wohl über­all in Süd­afri­ka. Hin­ter der Hüt­te geht unser Weg wei­ter an einem Kanal ent­lang. Der Kanal ist eine Kloa­ke, ent­lang des Ufers ste­hen bestimmt 50 Klo­häus­chen aus Beton. Ein bes­tia­li­scher Gestank direkt neben den Hüt­ten.

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Die­ser tra­di­tio­nel­le Hei­ler küm­mert sich um Lie­bes­kum­mer, Gerichts­ver­fah­ren, Job­su­che, ver­hex­te Men­schen, Sex­pro­ble­me und Dia­be­tes. Kei­ne sechs Kilo­me­ter ent­fernt von hier arbei­te­te übri­gens vor 45 Jah­ren Chris­tia­an Bar­nard. Im Groo­te Schuur Hos­pi­tal von Kap­stadt trans­plan­tier­te er zum ers­ten Mal erfolg­reich ein mensch­li­ches Herz. Eine sol­che räum­li­che Nähe von Über­fluss und Armut, von kos­mo­po­li­ti­scher Lebens­art und Stam­mes­kul­tur, von tech­ni­schem Fort­schritt und Aber­glau­ben habe ich noch nir­gends erlebt.

Sivi­we erzählt von einem Ini­ta­ti­ons­ri­tus, dem sich jeder 18-jäh­ri­ge Xho­sa unter­zieht. Die Jun­gen gehen einen Monat lang in die Wild­nis, die sich im Fal­le des Lan­ga Town­ships in einem umzäun­ten Gelän­de befin­det, an dem wir vor­bei­fah­ren. Was dort geschieht, ist streng geheim. Als kürz­lich ein Film über die Här­ten die­ses Ritus im Fern­se­hen lief, habe es mas­si­ve Pro­tes­te gege­ben, bis der Film nicht mehr gezeigt wer­den durf­te, sagt Sivi­we. Jeden­falls wür­den man­che Jun­gen die­se Zeit nicht über­le­ben. Die ande­ren wären fürs Leben gewapp­net. Als wir durch das benach­bar­te Town­ship Bon­te­heu­wel fah­ren, in dem alle Häu­ser mit Git­tern ver­ram­melt und die Kri­mi­na­li­täts­ra­ten hoch sind, sagt er, hier wür­den die Tra­di­tio­nen nicht gepflegt: “They go to pri­son, we go to wil­der­ness.”

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Antworten

  1. Avatar von Lynn

    Sehr tol­le Bericht, der mich dazu anregt das nächs­te Mal Kap­stadt mit ande­ren Augen zu berei­sen. Auch die Fotos gefal­len mir beson­ders gut! Dan­ke dafür.

  2. Avatar von Annika Ziehen

    Super Bericht – schön zu hören, das Du was ande­res als den nor­ma­len Tou­ris­ten Kram gemacht hast. Aus­ser­dem macht es mich als ehe­ma­li­ge Kap­städ­te­rin glück­lich, wenn ich so balan­cier­te Berich­te über das Leben in den Town­ships lese – dan­ke!

  3. Avatar von Genuss Touren

    Was für ein ein­drück­li­cher Bericht. Beson­ders inter­es­sant fin­de ich, dass Du einen wirk­lich authen­ti­schen Ein­blick in das Leben in Squat­ter Camps bekom­men hast. Oft erschei­nen mir die Füh­run­gen durch Town­ships Tou­ren zu sein, die sehr an der Ober­flä­che krat­zen und das wirk­lich Leben dort nicht zei­gen.

    Vie­le Grü­ße

    Danie­la

  4. Avatar von Morten und Rochssare

    Vie­len Dank für den inter­es­san­ten Bericht. Auch wir haben schon oft erle­ben dür­fen, dass Lebens­freu­de unab­hän­gig von mate­ri­el­lem Reich­tum ist.

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