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La Paz – ein Häusermeer. Ein in dem Tal der Königskordillere eingebetteter Kessel, ausgelegt mit roten Backsteinhäusern. Rote Häuser, so weit das Auge reicht. Oben, unten, rechts und links. Einfach überall. Chaotisch möchte man meinen, sind die kleinen Häuser hier und da planlos in jede beliebige freie Lücke gesetzt worden. So erscheint es, wenn man die roten, direkt an den steilen Abhängen gebauten Häuschen sieht. Doch das ganze hat offenbar System. Jeder freie Zentimeter dieser Stadt, gelegen auf 3650 Metern, ist zugebaut.
Eine riesige Stadt ohne Parks, ohne Grünflächen. Nichts, als rote Backsteinhäuser. Die einzigen Grünflächen – das was man hier auf knapp 4000 Metern als Grünfläche bezeichnen kann, sind grau-grüne steil abfallende Rasenflächen, auf denen sich auch der kühnste Einwohner nicht traute, sein Heim zu bauen. Hier, über dem verdorrten Grün, ist nur eine steil aufsteigende graue, nach Urin stinkende Betontreppe zu finden. Einst als Abkürzung gedacht, wird sie nun von alten Männern oder ein paar Jugendlichen genutzt, um in Ruhe ihre roten Dosen Bier zu trinken. Doch auch Straßenhunde, mit den Fähigkeiten von Bergziegen ausgestattet, nutzen diese grau-grüne Rasenwand, als einzigen natürlichen Raum, wenn sie nicht in den riesigen Müllbergen der Stadt nach etwas Essbarem suchen.
In der Innenstadt verschwindet die rote Farbe plötzlich. Es wird grau. Unansehnliche Hochhäuser aus den 70er Jahren vermischen sich mit verfallenen, grauen Häusern aus der Kolonialzeit, von denen schon lange der Putz abbröckelt. Der morbide Charme der Innenstadt steht im Gegensatz zu dem winzigen Regierungsviertel, eigentlich nur ein kleiner Platz, der Plaza Murillo, auf dem der Kongress und das Regierungsgebäude, umsorgte Häuser aus der Kolonialzeit, in leuchtendem Gelb und Rot erstrahlen.
Die Bürgersteige der Stadt werden bevölkert von den Marktfrauen. Auf dem Hexenmarkt gibt es Lamaföten, als Glücksbringer beim Hausbau unter dem Haus zu vergraben, Utensilien für die Geisterbeschwörung, Talismane und Amulette. Auf dem Schwarzmarkt, ganz offiziell und unverdeckt in die Straßenkarte der Stadt eingezeichnet, gibt es alles für den täglichen Bedarf – nur um einiges billiger. Unzählige andere Märkte überwuchern die Stadt. Marktfrauen, mit mehreren Wolldecken über den Schultern vor der eisigen Kälte der Stadt geschützt, sitzen an kleinen Tischen oder gar nur auf einer kleinen Plastikplane auf dem eisigen Boden und bieten eine Handvoll Tomaten oder Äpfel an. Sind am Ende des Tages noch ein oder zwei Äpfel übrig, sitzen sie auch noch in der Dunkelheit, in kaum auszuhaltender Kälte, auf dem Boden und warten geduldig – strickend, essend oder sich mit der Nachbarsfrau unterhaltend.
Meist verkauft jede Marktfrau nur ein Produkt. Man sieht Tische voller aufgestapeltem Toilettenpapier, Tische voller aufgetürmter Wollsocken, Tische voller aufgeschichteter Bücher, Tische voll mit aufgehäuften Gewürzen. Die Produkte und Dienstleistungen sind geordnet – nach Straßen. Straßenstriche voller Frisöre, Straßenstriche voller Fleisch, Straßenstriche voller mobiler Schuhmacher, die mit ihren Geräten auf dem Bürgersteig stehen und in wenigen Minuten alte Schuhe wie Neue glänzen lassen, Straßenstriche voller Schneider, die mit Nähmaschinen ausgerüstet auf der Straße auf Kundschaft warten, Straßenstriche voller Kleidung, Straßenstriche, die Baumärkten gleichen, Straßenstriche voller Kfz-Utensilien, Straßenstriche voller Toilettenpapier, Straßenstriche voller Möbel und Straßenstriche voller Blumen (übrigens immer vor dem Friedhof).
Auch gibt es Straßenstriche voller Touristen. In der Calle Sagárnaga reiht sich ein Geschäft mit den immergleichen günstigen Pullovern, Socken, Mützen, Handschuhen und Ponchos aus Alpaka- oder Lamawolle an das nächste. Unterbrochen von Tourismusagenturen, die unvergessliche Klettererlebnisse auf dem Nevado Illimani, der mit knapp 6400 Metern über der Stadt thront, versprechen, Trekking Abenteuer in den umliegenden Yungas, den immerfeuchten Regenwäldern, anbieten oder aber eine sichere Mountainbike-Fahrt auf der gefährlichsten Straße der Welt organisieren.
Um 8 Uhr morgens ist die Hektik, wie in jeder anderen Großstadt, nicht zu übersehen. Riesige stockende Autokolonnen, die man getrost zu Fuß überholen kann, versinken in einem entnervten Hupkonzert, arme reiche Menschen mit Aktentasche unter dem Arm hetzen im Laufschritt über die Bürgersteige, keine Zeit sich für die Anrempler zu entschuldigen. Aus den Kleinbussen, ausgelegt für 10 Personen, lugt ein Kopf – Ein Marktschreier, nur für den öffentlichen Verkehr. In übereifrigem Tempo schreit dieser die sechs Haltestellen des Busses, nahtlos aneinandergereiht, in Endlosschleife den Passanten lauthals im Singsang entgegen. Bemüht die übrigen fünf Schreier der sich in unmittelbarer Nähe befinden Busse zu übertönen.
Die Busse sind im Inneren zugepflastert mit Aufklebern, die das Beschädigen der Sitze, das Rotzen auf den Boden des Busses und das Liegenlassen von Müll im Bus verbieten. Ein weiterer Aufkleber bestätigt den Reisenden, dass Jesus sie liebt. Aufklappbare Sitze in den Gängen der Busse sichern die Nutzung der gesamten Kapazität, führen aber auch dazu, dass alle Insassen des Busses aussteigen müssen, wenn einer aussteigt. Und dies passiert alle paar Meter, auf Zuruf, je nach Wunsch.
Dazwischen unzählige Schuhputzer, aus Scham ihr Gesicht mit Skimasken bedeckend, die den eilenden Geschäftsmännern noch schnell die Schuhe auf Hochglanz polieren und Straßenkehrer, die sich mit Mundschutz und riesigen Hüten vor der brennenden Höhensonne und Straßensmog schützen.
Inmitten dieses Wirrwarrs aus hupenden Autos, schreienden Bussen, laufenden Menschen und genervten Mengen, sehe ich zwei Zebras. Zwei Zebras, die mit einer Zebrafahne ausgestattet, den Verkehr dort regeln, wo eigentlich ein Zebrastreifen hätte sein sollen. Doch nicht nur das: Die Zebras helfen Verwirrten bei der Suche nach dem Weg, wissen wo die nächste Bank, der nächste Supermarkt ist, winken freundlich jedem vorbeihetzenden Passanten zu und quietschen ihnen ein „Buen día“ entgegen.
Alte, dicke Frauen stören in aller Seelenruhe den eilenden Verkehr auf den Bürgersteigen. In gigantischen Töpfen verkaufen sie das, was sie über Nacht zuhause zusammengebraut haben. ›To Go‹ gibt es aufgrund des fehlenden Plastikgeschirrs nicht. Doch es finden sich immer einige, mit der notwendigen inneren Ruhe ausgestattet, die auch in den hektischen Morgenstunden die Zeit finden, aus altem Geschirr, auf dem Bürgersteig sitzend, das zu frühstücken, was es auch als Mittag- und Abendessen geben wird: Reis mit Hühnchen.
400 Meter hoch über La Paz befindet sich „El Alto“. Der frühere Stadtteil La Paz‹ bot in den Zeiten der Neuansiedlung Raum für die Armen der Gesellschaft, für die Aymara-Indianer aus den umliegenden Dörfern des Hochlandes, die in La Paz ihr Glück, aber vor allem Arbeit suchten.
Hier oben ist die Luft noch dünner als im Talkessel La Paz‹. Unten im Zentrum geraten wir bereits, aufgrund des geringen Sauerstoffgehalts der Luft, bei der kleinsten Bewegung ins Schnaufen. In El Alto wird jedoch jeder Schritt zur Qual. Mehr als gemütliches Schlendern ist nicht drin. Die Temperaturen liegen im Durchschnitt um 10 Grad unter denen des vor den eisigen Winden geschützten Tals.
Inzwischen gehört die Vorstadt El Alto nicht mehr zu La Paz. El Alto, eine Ansammlung aus Backsteinbauten und Wellblechdächern, ist eine eigenständige Stadt. Eine der größten und am schnellsten wachsenden Städte des Landes. Niemand weiß genau, wie viele Menschen inzwischen in El Alto leben. Schätzungsweise mehr als 900 000, damit zöge El Alto mit La Paz gleich.
Wir statten der Stadt in der Höhe einen Besuch ab. Doch wir finden nicht das vor, was wir erwarten. Die Einwohner El Altos sind stolz auf ihre Herkunft und ihre Identität, wollen gar nicht in der Stadt wohnen, auf die sie ihr Leben lang herabschauten. Ohne sich der abfälligen Bezeichnung bewusst zu sein, sagen sie nur „da unten“ oder „die da unten“, wenn sie über ihre Hauptstadt sprechen. Andere machen es deutlicher und nennen La Paz „La Hoyada – das Loch“. Hier oben werden die Traditionen noch hoch gehalten. Moderne Jeans gibt es hier nicht. Das neue Selbstbewusstsein in der größten indianischen Stadt Boliviens bietet bewusst mehr Raum für althergebrachte Sitten, Bräuche und Traditionen.
El Alto ist vielleicht die authentischste Großstadt des Landes. Auch weil der große Touristenstrom bisher ausgeblieben ist. Der Sonntagsmarkt in El Alto wird vor allem von Paceños, den Bewohnern La Paz‹, besucht. Sie finden ein Angebot, das an Vielfalt und Menge weit über ihre eigenen ausufernden Märkte im Zentrum hinaus ragt. Ganze Stadtviertel verwandeln sich hier in einen schier gigantischen Markt, Straßen werden gesperrt, sogar der Verkehr wird umgeleitet.
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Hallo Morton, wirklich ein Klasse Artikel über La Paz. Was ich zusätzlich noch empfehlen kann ist das Valle de la Luna. Aus dem Nichts stehst du plötzlich inmitten eine bizarren Landschaft, die am besten in Fotos wiedergegeben kann:
http://www.flickr.com/search/?q=valle%20de%20la%20luna%20la%20paz
Sehr empfehlenswert!Hallo Andre,
schön, dass dir unser Beitrag gefällt. La Paz ist eine Stadt, die man erleben muss.
Ins Valle de la Luna haben wir es nicht geschafft, aber die Fotos sind wirklich atemberaubend.
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