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Wer nach Iquitos reisen möchte, hat es schwer. Es existiert nämlich keine Straße, die nach Iquitos führt. Die Stadt ist lediglich per Schiff oder Flugzeug zu erreichen – denn Iquitos liegt mitten im peruanischen Amazonas.
Dementsprechend beschwerlich ist unsere Anreise. Von Chachapoyas aus reisen wir auf der Ladefläche eines Pick Ups. Das Problem dabei ist nur, dass die Ladefläche bereits gefüllt ist; und zwar mit aufeinandergestapelten Autoreifen. Also setzen wir uns gezwungenermaßen jeder in einen Autoreifenstapel und fahren los.
Fühle ich mich am Anfang noch wie in einem großen Schwimmring auf offener See, wird die Fahrt sehr schnell sehr unangenehm. Acht Stunden lang fahren wir rückwärts Serpentinen hoch und runter, immer mit der Angst vor einer Vollbremsung im Nacken, die uns den sicheren Tod brächte. Mit der Dunkelheit kommt auch die Kälte, die uns mitsamt dem Fahrtwind unter die Kleidung kriecht. Nach einigen Stunden wird es unerträglich.
Durchgeschüttelt und immer noch wankend fallen wir in Yurimaguas, wo die Straße endet, in unsere schäbigen Betten, die wir mitten in der Nacht noch auftreiben konnten. Wenige Stunden später werde ich hektisch geweckt. Unser Schiff legt in einer Stunde ab.
Mir dreht sich noch immer der Kopf, als wir die „Eduardo X« besteigen und unsere dreitägige Reise auf dem Río Maranón antreten. Bepackt mit einigen Wasserflaschen und einer handvoll Obst, die wir in der kurzen Zeit noch auftreiben konnten, bleibt uns nur die Hoffnung, dass die Verpflegung auf dem Schiff ausreichend ist. Doch es gibt nur Reis, Bohnen und Kochbananen. Bereits nach einem halben Tag beäugen wir neidisch unsere Mitreisenden, die mit allerlei Keksen, Snacks und anderen Leckereien ausgestattet sind.
Drei Tage lang reisen wir gemächlich den Fluss hinunter, vorbei an dichtbewachsenen Ufern, in deren Mitte manchmal wie aus dem Nichts eine kleine Ansammlung von Häusern zu sehen ist, erleben monsunartige Gewitter, die alles in ein undurchdringliches Weiß tauchen, sehen atemberaubende Gewitter-Sonnenuntergänge in einem tiefen Dunkelgelb und stumme Nächte, die gefüllt sind mit lautlosen Blitzen, die in der Ferne den Himmel ununterbrochen aufleuchten lassen.
Mit wackeligen Beinen betreten wir nach der langen Reise in Iquitos endlich wieder festen Boden. Die heiße, unglaublich feuchte Luft schlägt mir ins Gesicht. Beim atmen füllen sich meine Lungen mit dampfender Hitze. Wir folgen den aus dem Schiff strömenden Menschen, hinaus aus dem Hafen, immer dem lauten Brummen hinterher.
An der Straße angekommen, halten wir erst einmal inne. Iquitos ist mit 400.000 Einwohnern die größte Stadt der Welt, die nicht auf dem Landweg zu erreichen ist. Hier gibt es natürlich kaum Autos. Die Gründe sind schnell erklärt: Es gibt keine weiten Strecken zu fahren und der Transport eines PKWs hier ist mehr als nur umständlich.
Dafür gibt es in Iquitos Roller. Und davon etwa 40.000. Die meisten von ihnen sind als Mototaxis umgebaut und bevölkern laut brummend die Straßen. Vollkommen ungeordnet jagen sie über den Asphalt, quetschen sich in jede nur erdenkliche Lücke und bestimmen so das Straßenbild der Stadt.
Von bunt bemalten alten Herrenhäusern aus der Zeit des Kautschukbooms bröckelt der Putz ab, andere erstrahlen im neuen Glanz, sind total verfallen oder bestehen nur noch aus der Häuserfassade. Wir sitzen im Zentrum der Stadt, auf der Plaza de Armas, als es zu Regnen anfängt. Gewaltig entlädt sich die aufgestaute Feuchtigkeit in einem heißen Gewitter und legt die gesamte Stadt lahm. Man sieht kaum die Hand vor den eigenen Augen, so dicht ist der Regen, so weiß sprüht es von allen Seiten. Schlagartig riecht es wie im Gewächshaus und vor meinem inneren Auge sehe ich Axel Rose, der mir mit weit aufgerissenem Mund entgegenschreit: „Welcome to the Jungle. Welcome to the Jungle“.
Auch wenn Iquitos durch seine Größe zunächst den Eindruck einer mehr oder weniger normalen Stadt macht, ist es nicht zu übersehen, wo wir uns hier befinden.
Anstatt grauer Tauben fliegen exotische, bunte Vögel auf der Plaza zwischen den Bäumen umher. Gerade erst sind hier die Faultiere, die in den Bäumen hingen und faulenzten, umgesiedelt worden. Auf der Kuchentheke beim Bäcker ums Eck besteht die Dekoration aus Schädeln von Kaimanen und Jaguaren, die aufgereiht auf der Glasvitrine stehen, als handele es sich um einfache Plastikblumen, ein kleines Mädchen trägt ihr Faultier umarmend spazieren, an jeder Ecke gibt es Schlangenhaut, Tierschädel und allerlei anderen abartigen Schmuck für Eigenheim oder Körper käuflich zu erwerben.
Aus der Ecke eines Ladens blickt mich ein kleiner, mit bunten Federn geschmückter Affenschädel an. An der Promenade des Amazonas, der kurz vor Iquitos beginnt, ist der Boden übersäht mit schwarzen Käfern. Zu hunderten liegen diese zerquetscht auf dem Boden, während riesige, anscheinend intelligentere Kakerlaken in Windeseile in die nächste Häuserritze krabbeln.
Wir verlassen das Zentrum der Dschungelstadt und machen uns auf nach Belén. Das „Venedig der Armen“, ist eine schwimmende Barackenstadt, in der tausende Menschen in einfachen Holzhütten leben. Das Besondere: Die Stadt hebt und senkt sich mit dem Pegel des Flusses. Das Leben der Menschen hier ist vollständig vom Fluss bestimmt.
Die meisten Häuser sind auf riesigen Stelzen gebaut und befinden sich so auch in der Hochwassersaison im Trockenen. Andere Häuser sind auf zahlreichen Holzplanken befestigt. Bei steigendem Wasser schwimmt das Haus mitsamt den Holzplanken einfach auf der Wasseroberfläche, wie eine Nussschale.
Jetzt in der Trockenzeit kann man die verzweigten Wasserstraßen bequem zu Fuß entlanglaufen. Vor uns eröffnet sich ein riesiges Labyrinth aus Holzhäusern, die sich hoch oben über unseren Köpfen auf langen Stelzen befinden. Die meisten sind stark von den Kräften des Wassers gezeichnet. Kaum ein Haus steht aufrecht, heruntergebrochene Bretter geben den Blick ins Innere der Häuser frei, andere sind notdurftig repariert. Die zerborstenen Schichten werden mit neuen Brettern provisorisch ausgebessert und geflickt.
Unter den Stelzenhäusern entsteht in der Trockenzeit der Aufenthaltsraum der Bewohner. Hier im Schatten ist man vor der brennenden Hitze des Tages geschützt. Die Hängematten werden an den Stelzen befestigt, der Fernseher wird raus gestellt, hier wird gegessen. Wir sehen eine Familie, die Schildkrötenpanzer zu Tellern umfunktioniert hat und im Schatten, unter ihrem eigenen Haus, ihr Mittagessen zu sich nimmt. Weiter unten am Fluss, direkt neben der Holzlatrine, wäscht eine Frau gerade Wäsche, während ihre Kinder im Fluss baden.
Wir gehen weiter auf den riesigen, aber nicht ganz legalen Markt in Belén, in dem sich die Einwohner der schwimmenden Stadt täglich versorgen. Das Erste, was ich sehe, ist eine hagere Frau, die ihre langen dunklen Haare zu einem großen Knoten am Hinterkopf gebunden hat. Routiniert greift sie immer wieder in einen großen Behälter, schlitzt lebende Fische längs auf und ordnet sie dann fein säuberlich, noch zappelnd, mit herausquellenden Innereien auf ihrem kleinen Markttisch an.
Die zahlreichen, eng aneinander stehenden Tische lassen nur einen schmalen Gang frei, durch den sich die Marktbesucher hindurch quetschen. In der Mitte des Ganges verkauft ein älterer Herr Unmengen von Medikamenten. Die Pillen liegen weiß und unbeschriftet in großen Haufen vor ihm. Es ist dunkel, denn die großen Schirme und Markisen der vielen Stände lassen kaum einen Lichtstrahl hinein. Der erdige Boden ist schlammig und uneben. In großen flachen Mulden sammeln sich Wasser, Fischinnereien und wahrscheinlich vielerlei anderes Zeug. Ein Mann kippt gerade einen Behälter voller Fischköpfe an die Seite seines eigenen Standes.
Es riecht unangenehm. Eine Mischung aus Abfall, Fischgeruch und Urin steigt mir in die Nase. Unter einem Tisch ziehen gerade zwei Geier an dem selben Stück Tiergedärm. Mit Flip-Flops hierher gekommen zu sein erscheint mit gerade völlig idiotisch. Mit einem kurzen unauffälligen Anlauf versuche ich die breite Pfütze, die sich vor mir ausbreitet, zu überspringen und … KLATSCH! Ich lande bis über den Knöchel inmitten einer Mischung aus Schlamm, Wasser, Dreck, Urin und Fischzeug. Ich schließe die Augen, versuche mich zu beruhigen, den Brechreiz zu unterdrücken, zu verdrängen – und gehe weiter, als sei nichts gewesen.
Die schummrige Atmosphäre hier auf dem Markt erhält bereits nach wenigen Metern ihre Berechtigung. Auf den ausgestellten Tischen kann man, neben den unzähligen Fischsorten, wahrscheinlich alles kaufen, was jemals in den Tiefen des Dschungels kreuchte und fleuchte: Halbierte Schildkröten liegen hier neben ausgenommenen Alligatoren in der Auslage zum Verkauf bereit, Kaimanschwänze und eine riesige Rolle aufgewickelter Anakonda-Haut neben toten Affen und Tukanen, Tierschädel jeglicher Art neben dem vom Aussterben bedrohten Gürteltier, das hier ausgenommen auf dem Verkaufstisch liegt. Auch lebende Affen und Faultiere werden, in winzige Käfige gezwängt, angeboten.
Auf dem Boden kriechen zahllose Kakerlaken und anderes Ungeziefer umher. Inmitten dieses Durcheinanders aus stinkenden Gerüchen, Müll, Dreck und toten und lebenden Tieren, nehmen die Marktbesucher in Ruhe an einem der vielen Stände Platz, um einen Teller Eintopf oder Reis mit Bohnen zu essen. Während ich einer Marktfrau dabei zusehe, wie sie geübt und kraftvoll Fische entschuppt, stolpere ich über eine tote Ratte. Eine weitere Gruppe Geier macht sich gerade lautstark über irgendwas her.
In der Schamanenabteilung des Marktes gibt es für jede Krankheit, für jedes Leid das richtige Mittel. Ob Rheuma, Haarausfall, Impotenz, Geldnot, die fehlende Frau oder einfach nur Pech. Hier finden Hilfesuchende für alles das entsprechende Mittelchen, die entsprechenden Medikamente oder die notwendigen Zutaten für einen Trank oder ein Ritual: Tierblut, Schlangenköpfe, Tierschädel, Armbänder aus Schlangenhaut, Tieröl gewonnen aus einer Boa Contrictor, Talismane, getrockenete Kräuter, pflanzliche Produkte – nichts, was es nicht gibt. Wir haben genug gesehen und machen uns auf nach Hause: Füße desinfizieren.
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Iquitos ist eine kleine Stadt Provinz von Peru, eine kleine Insel wo die Menschen ganz besonders freundlich sind sehr aufmersam und mit einem besonderen Akzem wenn sie sprechen leben das Leben immer noch mit ihrem Kultur, Tradition,exotische Gerichte und nostalgiescher Still sie zeigen dir ‚wie sie sind und sollten man keine Angs haben für alle die Naturnah und eine besondere Abenteurleben sehen und leben will wenn ich Zeit hätte ‚wäre ich da ich komme wieder Lg Milena
Hallo toller Bericht ueber Iquitos,
Ich wohne seit ueber vier Jahren hier am Amazonas und zeige nun deutschsprachigen die Stadt und Umgebung.https://christophmeyeriquitosperu.blogspot.com/2018/01/der-private-reisefuehrer-christoph-meyer.html
Hey Christoph,
wir freuen uns, dass dir unser Text gefällt. Iquitos ist eine tolle, intensive Stadt. Deinen Gästen gefällt sie sicher auch!
Hallo,
wir sind gerade auch in der Nähe von Chacha unterwegs & wollten mal fragen mit wem ihr damals die Anreise & die Schiffstour im Vorhinein gebucht habt? Ob überhaupt, direkt vor Ort oder mit localen Agenturen.
Wäre schön wenn ihr noch was wisst 😉
Grüße aus PeruHey,
wir sind damals einfach zum Hafen von Yurimaguas gegangen und haben am Anleger nach Schiffen gefragt, die in Richtung Iquitos ablegen. Wenige Stunden später waren wir an Bord und auf dem Weg nach Iquitos.
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