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24 Stunden auf den Beinen – und das alles für Bücher

Der Wecker klin­gelt 3:30 Uhr. Mor­gens. Was habe ich mir dabei noch­mal gedacht?

Eine gan­ze Men­ge offen­bar. Am Vor­tag hat­te ich eine klei­ne Ewig­keit dar­auf ver­wen­det, mit Hil­fe einer guten Freun­din ein Out­fit raus­zu­su­chen, das mir boo­ki­sh genug war. Außer­dem führ­te ich schon seit Tagen immer wie­der spon­tan klei­ne Tänz­chen auf, wenn mir ein­fiel, wohin ich an die­sem Sams­tag zu nacht­schla­fen­der Zeit auf­bre­chen wür­de.

Ein­mal Frank­fur­ter Buch­mes­se und zurück, bit­te. Ja, rich­tig gele­sen – von Frank­furt an der Oder nach Frank­furt am Main und zurück, am sel­ben Tag.

Um zum Bahn­hof zu kom­men, muss ich noch den Nacht­bus neh­men. In Frank­furt Oder fah­ren um die­se Zeit noch nicht mal Stra­ßen­bah­nen. Die Anzahl an Men­schen, die um die­se Zeit bereits nach Ber­lin wol­len, erstaunt mich ein wenig. Ich bin bei wei­tem nicht die ein­zi­ge, die um die­se unchrist­li­che Zeit schon in die Haupt­stadt will.

Die Zug­fahrt an sich ist stres­sig aus einem Grund: ich weiß, dass jede Minu­te, die der Zug zu spät kom­men wird, mir mei­ne mög­li­che Zeit auf der Buch­mes­se ver­kürzt. Beson­ders schön wird die­ses Stress­ge­fühl durch die Ansa­gen, die mir per Mail mit­tei­len, dass der Zug fünf­und­zwan­zig Minu­ten zu spät sei, um mir zwei Minu­ten spä­ter zu schrei­ben, dass er wie­der pünkt­lich sei, und wei­te­re zwei Minu­ten spä­ter ist er wie­der eine vier­tel Stun­de zu spät. Es lebe die deut­sche Bahn.

Trotz des stän­di­gen Hin-und-Hers kommt der ICE dann aber doch tat­säch­lich in Ber­lin an. Die Fahrt ver­läuft ohne gro­ße Zwi­schen­fäl­le. Ich habe Glück und erwi­sche gleich zwei­mal einen Fens­ter­platz (vom ers­ten wur­de ich ziem­lich unhöf­lich ver­scheucht, aber ist ja nicht mei­ne Schuld, wenn kein Reser­viert-Zei­chen am Sitz ist). Mit Aga­tha Chris­tie auf den Ohren stimmt es sich gut auf den Buch­ma­ra­thon ein, der am Ziel der Rei­se liegt, wäh­rend die rot-gelb getupf­te Land­schaft am Fens­ter vor­bei­zieht. Was ist der Herbst doch für eine schö­ne Jah­res­zeit.

Wie groß der Unter­schied zwi­schen zwei Orten sein kann – deut­li­cher als durch den Umstieg vom ICE in die Mes­se­hal­len Frank­furts kann einem das nicht vor Augen geführt wer­den. Aus der Ruhe des abge­schlos­se­nen Rau­mes, der sich mit rasan­ter Geschwin­dig­keit fort­be­wegt, wird ein Gedrän­ge, in dem mir auch die drit­te Gar­de­ro­be wegen Über­fül­lung den Ruck­sack nicht mehr abneh­men möch­te. Wo bin ich denn da rein­ge­ra­ten?! 

Ich tref­fe die (wie sich bald her­aus­stel­len wird rich­ti­ge) Ent­schei­dung, mei­ne Sachen ein­fach bei mir zu behal­ten, anstatt noch eine Gar­de­ro­be zu suchen. Bes­ser so – denn wie­der­ge­fun­den hät­te ich die garan­tiert nicht. Vom Ein­gang bis zur ers­ten Mes­se­hal­le braucht man ewig. 

Was mir aber gleich zu Anfang auf­fällt, ist die Atmo­sphä­re. Bis­her ken­ne ich nur die Buch­mes­sen in Leip­zig und Ber­lin. Ich erin­ne­re mich an die war­me Stim­mung, die einen gleich am Ein­gang begrüßt hat. Das fehlt mir hier. Irgend­wie wirkt alles sehr unper­sön­lich. Sehr auf Busi­ness aus­ge­rich­tet. Könn­te aber natür­lich auch dar­an lie­gen, dass ich als ers­tes in der Hal­le lan­de, in der die inter­na­tio­na­len Aus­stel­ler sich prä­sen­tie­ren. Wohl­ge­merkt nicht die Ver­la­ge, son­dern Agen­tu­ren und Dru­cke­rei­en. Was beson­ders auf­fällt, ist die wirk­lich über­wäl­ti­gen­de Prä­senz Chi­nas. Im ers­ten Moment fra­ge ich mich, ob die gesam­te Hal­le 6.0 die­sem Land gewid­met ist, und was denn aus dem ange­kün­dig­ten Gast­land Slo­we­ni­en gewor­den sei. Dem lau­fe ich tat­säch­lich den gan­zen Tag nicht ein ein­zi­ges Mal über den Weg. Also, wenn jemand Fra­gen zu slo­we­ni­scher Lite­ra­tur hat, fragt bit­te jemand ande­ren, ich habe auf der Buch­mes­se nichts dar­über gelernt.

Nach gefühlt end­lo­sen Wegen und Trep­pen – end­lich, die Hal­len 3., in denen die meis­ten Ver­la­ge auf­ge­stellt sind. Und, hei­li­ge Buch­pres­se und bedruck­te Sei­ten – das nen­ne ich mal eine Men­ge Men­schen. Hal­le 3 gleicht einer Sar­di­nen­büch­se, nur, dass die Sar­di­nen noch von A nach B wol­len. In man­chen Gän­gen gibt es kein Durch­kom­men. Sich fort­zu­be­we­gen, wird zum Ding der Unmög­lich­keit. An Stän­den ste­hen blei­ben und Sor­ti­men­te betrach­ten? Hehe. Viel Glück beim Platz erkämp­fen. Am schlimms­ten ist es bei Lyx. Mit dem Ver­lag an sich bin ich nicht ver­traut und kann nicht her­aus­fin­den, was den Auf­lauf aus­löst, aber die Schlan­ge blo­ckiert den kom­plet­ten vor­de­ren Ein­gangs­be­reich.

Da sich in die­ser Hal­le aber nun­mal der Ver­lag befin­det, den ich besu­chen woll­te, bleibt mir nichts ande­res übrig, als mich ins Getüm­mel zu stür­zen. Für Men­schen mit Platz­angst ist das hier wirk­lich nichts. Ich gehö­re nor­ma­ler­wei­se nicht zu den Leu­ten, die schie­ben, aber hier bleibt mir gar nichts ande­res übrig, wenn ich nicht in irgend­ei­ne Ecke gedrückt wer­den will, auch ohne, dass ich ein bestimm­tes Ziel habe.

Am Stand ange­kom­men stel­le ich dann gleich noch fest, dass eines der Bücher, die ich mir hier kau­fen und signie­ren las­sen woll­te, bereits aus­ver­kauft ist. Mist. Dabei ist doch erst Sams­tag, kurz nach Mit­tag. Die ande­ren Bücher gibt es glück­li­cher­wei­se noch, und allein die Tat­sa­che, dass ich mei­ne Lieb­lings­au­torin per­sön­lich tref­fen konn­te, macht jeden Stress wett. Noch dazu sind die Bücher, die ich letzt­lich ergat­tern konn­te abso­lu­te Schön­hei­ten mit unglaub­li­chen Farb­schnit­ten, sodass alles ande­re sowie­so egal ist.

Nichts des­to trotz schie­be ich mich wei­ter durch die Men­schen­mas­sen, denn ich habe mir vor­ge­nom­men, nach Bücher­din­gen zu suchen, die selbst kei­ne Bücher sind. Was ich statt­des­sen fin­de, als ich mich durch eine der sel­te­nen Lücken schie­ben will, ist eine gigan­ti­sche Vogel­spin­ne, in deren Hal­ter ich bei­na­he hin­ein­lau­fe. Auweia, das war knapp. Den Mut des Mäd­chens neben mir, sie auf die Hand zu neh­men, brin­ge ich nicht auf. Rück­bli­ckend bereue ich das ein wenig, denn wer weiß, wann ich noch­mal die Gele­gen­heit habe. 

Der Rest des Tages wech­selt zwi­schen den Hal­len und einer kur­zen Pau­se auf der Außen­flä­che. Gegen Abend lee­ren sich die Hal­len end­lich etwas, sodass man sich fast ein biss­chen bewe­gen kann. Da ich bereits mein Bud­get aus­ge­schöpft habe, kann ich die meis­ten Bücher nur noch schmach­tend anstar­ren. Manch­mal schrei­be ich Titel auf. Neben­bei suche ich nach den Stän­den eines ange­kün­dig­ten Aus­stel­lers, der lite­ra­ri­sche Kar­ten anbie­tet. Jane Aus­tens Pem­ber­ly auf Papier in mein Zim­mer hän­gen zu kön­nen, klingt ein­fach zu ver­lo­ckend. Zwi­schen E95 und E97 prangt jedoch eine Lücke. Dafür begeg­net mir Räu­ber Hot­zen­plotz, und Tha­lia hat eine Foto­sta­ti­on für das neue Buch von Cor­ne­lia Fun­ke auf­ge­baut.

Irgend­wann tönt ein Gong durch die Hal­len. Die Besu­cher wer­den gebe­ten, sich zu den Aus­gän­gen zu bege­ben. Die Mes­se schließt für den Tag. Am Bahn­hof habe ich noch eine gute Stun­de Zeit, bevor mein Zug kommt. Aus dem einen Ruck­sack vom Anfang sind mitt­ler­wei­le ein Ruck­sack und zwei vol­le Jute­beu­tel gewor­den. Mir tut der Rücken weh, von den Füßen ganz zu schwei­gen. Bis nach Hau­se habe ich aller­dings noch knapp sechs Stun­den vor mir.

Ger­ne hät­te ich wäh­rend der Fahrt das Rug­by-Halb­fi­na­le ange­se­hen. Das WLAN des ICE macht dem aller­dings bald ein Ende. Also ver­brin­ge ich die Fahrt damit, nicht ein­zu­schla­fen und mich in ein Buch zu ver­tie­fen. 3:30 Uhr – mor­gens – bin ich dann schließ­lich wie­der zu Hau­se.

Was ist also mein Fazit der letz­ten vier­und­zwan­zig Stun­den?

Es war die Erfah­rung wert. Es hat zeit­wei­se wirk­lich Spaß gemacht, so anstren­gend es auch war. Müss­te ich Frank­furt und Leip­zig aller­dings ver­glei­chen, zieht Frank­furt den Kür­ze­ren. Frank­furt war mir ins­ge­samt ein­fach zu unper­sön­lich. Viel­leicht lag es dar­an, dass es so voll war, viel­leicht war es auch ein­fach zu gigan­tisch. In Leip­zig kam das Gefühl, dass sich das Gan­ze um Bücher dreh­te, auch wirk­lich durch. Man bekam Lust zu lesen, man konn­te sich durch Aus­stel­ler stö­bern, bei denen eben kei­ne Bücher, doch trotz­dem lite­ra­ri­sche Kunst­wer­ke ange­bo­ten wur­den. Die­se Indi­vi­dua­li­tät ging auf die­ser enor­men Flä­che ein­fach ver­lo­ren.

Trotz­dem hat sich, mei­ner Mei­nung nach, der 24-Stun­den-Round­trip gelohnt.  So müde ich danach war, ich bereue nichts und habe Freun­de und Fami­lie gründ­lich mit Bil­dern ver­sorgt. Defi­ni­tiv eine Rei­se, die ich nie ver­ges­sen wer­de.


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