10 Dinge, die ich im Busch gelernt habe

Ich befin­de mich grad mit­ten drin auf der span­nends­ten Rei­se mei­nes Lebens – zurück zu mir, zurück zur Natur, zurück zu dem klei­nen Kind, das gern im Matsch spielt, das ich ein­mal war. Mit Eco­trai­ning mache ich der­zeit eine Aus­bil­dung zum Safa­ri-Gui­de in Afri­ka. Und schon jetzt hat mich das Leben hier drau­ßen im Busch so eini­ges gelehrt. Die wich­tigs­ten zehn Lek­tio­nen habe ich heu­te ein­mal auf­ge­schrie­ben…

1. Mei­ne Sin­ne sind noch da…Hurra!
In der Stadt habe ich mei­ne Sin­ne kaum benutzt. Ja, ich habe sie sogar betäubt. Mit Kopf­hö­rern und Smart­phone zum Bei­spiel. Im Busch kam es dann zu einem gro­ßen Erwa­chen, als plötz­lich alle mei­ne fünf Sin­ne (und manch­mal auch der sechs­te…) wie­der rich­tig zu tun hat­ten:
Der Geruch nach Pop­corn bedeu­tet, dass in der Nähe irgend­wo ein Leo­pard sein Ter­ri­to­ri­um mar­kiert hat (Erd­fer­kel-Urin riecht aller­dings genau­so…). Kna­cken­de Äste in der Nacht sind ein gutes Zei­chen dafür, dass Ele­fan­ten in der Nähe sind. Die Umge­bung mit den Augen zu über­flie­gen, anstatt lan­ge Zeit ein und den­sel­ben Punkt zu fokus­sie­ren, ermög­licht es, viel schnel­ler Bewe­gun­gen wahr­zu­neh­men – und somit Tie­re zu erspä­hen. Die Tem­pe­ra­tur von Ele­fan­ten-Mist zu füh­len, hilft unge­mein, um fest­zu­stel­len, wie weit ent­fernt das Tier ist, das für den Mist ver­ant­wort­lich ist. (Und nein, ich habe kein Pro­blem damit, mei­nen Fin­ger in einen damp­fen­den Hau­fen Sch***e zu ste­cken.)

2. Tie­re kön­nen nicht lesen.
Eines der ers­ten Din­ge, die ich im Busch gelernt habe, ist die Tat­sa­che, dass die Tie­re nicht die Lehr­bü­cher stu­diert haben wie ich – und des­halb auch nicht wis­sen kön­nen, wie sie sich zu ver­hal­ten haben. Sie ver­hal­ten sich halt ein­fach. Nichts da drau­ßen kann als selbst­ver­ständ­lich oder grund­sätz­lich ver­stan­den wer­den. Jedes Tier ist anders, jede Begeg­nung ist neu.

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3. Im Busch ist immer was los…
Mit Adre­na­lin hab ich eigent­lich nichts am Hut. Es reizt mich über­haupt nicht, aus einem flie­gen­den Flug­zeug zu sprin­gen oder an einem Seil in die Tie­fe zu stür­zen. Ich fah­re nicht gern Motor­rad und in Ach­ter­bah­nen wird mir oft schlecht. Umso über­rasch­ter bin ich, was für einen Effekt die täg­li­chen Bush-Walks auf mich haben: Sobald ich mor­gens um 05.00 Uhr mein Zelt ver­las­se, die Löwen brül­len höre und die Vögel zur Däm­me­rung ihr Lied sin­gen, sind alle mei­ne Sin­ne geschärft und ich kann es kaum erwar­ten, zu Fuß in die Wild­nis zu mar­schie­ren. Da drau­ßen ist immer was los! Jeden Tag triffst du auf wil­de Tie­re. Und ihr Ver­hal­ten zu inter­pre­tie­ren und zu ver­ste­hen, ist so ziem­lich die cools­te Beschäf­ti­gung, die ich mir vor­stel­len kann.

4. Ver­lau­fen gibt es nicht.
Ich bin auf mei­nen vor­he­ri­gen Rei­sen auch schon immer ger­ne ein­fach los­ge­lau­fen und habe in der Frem­de grund­sätz­lich nie Angst, mich zu ver­lau­fen. Das gibt es für mich in dem Sin­ne auch gar nicht. Wäh­rend mei­nem Busch-Navi­ga­ti­ons­kurs bekam ich hier­für die Bestä­ti­gung. Ich habe gelernt: „A gui­de is never lost, just tem­po­r­a­ri­ly dis­ori­en­ta­ted.“ Die Lek­ti­on gilt im Übri­gen für’s gan­ze Leben: Auch wenn wir mal vom Pfad abkom­men – es ist nur eine Fra­ge der Zeit, bis wir ihn wie­der­fin­den. Bis dahin hilft Ver­trau­en. Auf die Fügung, das eige­ne Kön­nen und die Men­schen um einen her­um, die einen nicht im Stich las­sen wer­den.

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5. So geht Anpir­schen.
Das Ver­hal­ten der Tie­re früh­zei­tig zu ver­ste­hen und zu deu­ten, ist uner­setz­lich als Safa­ri-Gui­de; genau­so wie den leich­tes­ten Rich­tungs­wech­sel des Win­des wahr­zu­neh­men. Es lohnt des­halb, immer eine mit Asche gefüll­te Socke dabei zu haben – ein­mal kurz hoch­wer­fen und wie­der auf­fan­gen, lässt sich so die Wind­rich­tung bestim­men. Genau­so wich­tig ist der Stand­punkt der Son­ne (wie viel Zeit habe ich noch, bis es dun­kel wird?), Flucht­we­ge (wohin ver­dün­ni­sie­re ich mich, wenn ein Tier schlech­te Lau­ne hat?), Ver­ste­cke (wor­auf klet­te­re ich, wenn ein Tier schlech­te Lau­ne hat?), sowie Selbst­si­cher­heit und Gelas­sen­heit. Vor allem letz­te­res kommt den­ke ich nur mit Erfah­rung. Grund­sätz­lich hilft es aber, mit einem küh­len und vor allem kla­ren Kopf durch den Busch zu wan­dern, schnell zu reagie­ren und auf das gute, alte Bauch­ge­fühl zu hören.

6. Natür­li­che Geräu­sche hal­ten nicht vom Schla­fen ab.
In mei­ner ers­ten Nacht im Busch habe ich mit Ohr­stöp­seln geschla­fen. Was für ein Schwach­sinn! Aber mir war das in dem Moment ein­fach alles zu viel. Ich lag auf einer Matrat­ze irgend­wo in Afri­ka und das ein­zi­ge, was mich von der Wild­nis trenn­te, war eine dün­ne Zelt­wand. Drau­ßen hör­te ich Hyä­nen, kna­cken­de Äste, irgend­wel­che Vögel und Affen…
Doch nach nur weni­gen Näch­ten waren all die­se Klän­ge wie Musik in mei­nen Ohren. Zuhau­se in Ber­lin bin ich regel­mä­ßig auf­ge­wacht von Poli­zei­si­re­nen, betrun­ke­nen Nach­barn und schrei­en­den Babys. Im Busch schla­fe ich jetzt selbst wie eins und das ein­zi­ge, was das nächt­li­che Röcheln eines Leo­par­den mit mir anstellt, ist ein Lächeln auf mein Gesicht zau­bern.

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7. Ein Tag im Busch ist grund­sätz­lich dop­pelt so gut wie ein Tag irgend­wo anders.
Mit dem Land­ro­ver durch Flüs­se fah­ren, Ele­fan­ten­fähr­ten lesen, Löwen auf­spü­ren, Rei­fen wech­seln, Camp her­rich­ten… Im Busch gibt es immer was zu tun. Die Tage hier begin­nen noch bevor die Son­ne auf­geht und man kommt vom ers­ten vier­stün­di­gen Bush-Walk des Tages zurück, noch bevor der in der Stadt über­haupt begon­nen hat. All das ist wahn­sin­nig befrie­di­gend. Die Arbeit an der fri­schen Luft erfüllt einen mit Freu­de und bringt gleich­zei­tig einen tie­fe­ren Sinn. Für mich gibt es im Busch nur gute Tage. Auch ein schlech­ter Tag im Busch ist immer noch dop­pelt so gut wie ein guter irgend­wo anders.

8. Fähr­ten­le­sen 101.
Mein Zei­ge­fin­ger ist unge­fähr zehn Zen­ti­me­ter lang. Wenn ich den also neben eine Fähr­te hal­te, kann ich unge­fähr abschät­zen, wel­ches Tier hier gelau­fen ist. Ein War­zen­schwein­fuß ist etwas kür­zer, ein Kudu etwas län­ger. Kudu-Fuß­spu­ren sehen aus wie ein Rugy-Ball. Der Abstand zwi­schen den Hufen eines Tie­res sagt aus, wie groß und wie breit das ent­spre­chen­de Tier ist. Ele­fan­ten­fähr­ten lesen ist – ein­fach. Und macht Spaß! Ein Ele­fant tritt zuerst mit der Hacke auf und kickt ein biss­chen Sand vor­wärts, der einem die Lauf­rich­tung ver­rät. Wenn man ein Band oder eine Schnur 2 1/​2 mal um die Fuß­spur wickelt, erhält man die Schul­ter­hö­he des Ele­fan­ten, der da gelau­fen ist.

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9. You never stop lear­ning.
In den meis­ten Beru­fen stellt sie sich irgend­wann ein: Die Rou­ti­ne. Und mit ihr kommt dann die Lan­ge­wei­le und der Wunsch, irgend­wie aus­zu­bre­chen. Ich glau­be, abge­se­hen davon, dass Safa­ri-Gui­des so viel Zeit in der Natur ver­brin­gen – und das ein­fach glück­lich machen muss, haben die­se Men­schen auch des­halb den bes­ten Job der Welt, weil sie nie auf­hö­ren zu ler­nen. Jeder Tag ist neu, jede Begeg­nung mit einem wil­den Tier ist anders, jeder Gui­de hat einen ande­ren inter­es­san­ten Fakt oder eine span­nen­de Geschich­te zu erzäh­len. So vie­les in der natür­li­chen Welt wird nach wie vor noch erforscht! Wir wis­sen nicht, wie viel Ele­fan­ten wis­sen, war­um und ob sie um ihre ver­stor­be­nen Ver­wand­ten trau­ern, wie sie wirk­lich kom­mu­ni­zie­ren. Es gibt noch so viel zu ent­de­cken und das Leben ist eine ein­zi­ge Expe­di­ti­on! Erfah­rung macht glück­lich. Dar­an glau­be ich ganz fest.

10. Alles erzählt eine Geschich­te.
Wer mit offe­nen Augen nicht nur durch den Busch, son­dern durch die Welt läuft, wird erken­nen, dass alles und jeder eine Geschich­te zu erzäh­len hat. Das war für mich die bis­her schöns­te Erkennt­nis hier drau­ßen. Alles lässt sich inter­pre­tie­ren, alles ist hier aus einem bestimm­ten Grund. Alles hat eine Auf­ga­be zu erfül­len. War­um ist der Ast umge­knickt? War­um steht da ein Ter­mi­ten­hü­gel? Wohin bringt der Mist­kä­fer den Mist? War­um hat der Him­mel heu­te Mor­gen eine ande­re Far­be als ges­tern? Die Lek­tio­nen, die uns die Natur leh­ren kann, sind end­los und es wird immer neue Fra­gen geben, die wir stel­len kön­nen, um uns neue Geschich­ten von ihr erzäh­len zu las­sen.

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…Und als Zusatz noch eine Num­mer 11…
Um hier drau­ßen zu arbei­ten, braucht es vor allem eines: Lei­den­schaft.

https://vimeo.com/128121433

Erschienen am



Antworten

  1. Avatar von Agnes

    Aben­teu­er 🙂

    Bestimmt auch ein abso­lu­ter Traum­job. So mit­ten im Afri­ka­ni­schen Busch

  2. Avatar von Adele
    Adele

    Ein­fach groß­ar­tig, was Gesa erlebt! 🙂

    Als Geo­gra­phin bekam ich im Stu­di­um auf Exkur­sio­nen ähn­li­chen Spruch bei­gebracht: »Ein Geo­graph ver­läuft sich nicht, er erkun­det!« … aber so sehe ich es sowie­so. 🙂

  3. Avatar von Izabela

    Hal­lo Gesa,

    beson­ders mit Punkt 2 set­zen sich vie­le nicht aus­ein­an­der, daher fin­de ich es wich­tig & rich­tig, dass du es ansprichst. Tie­re kön­nen in der Rea­li­tät, in der Wild­nis kom­plett anders reagie­ren, als man es in Büchern gele­sen hat. Tol­les Video auf jeden Fall. 🙂

    Lie­be Grü­ße,
    Iza

  4. Avatar von Becky

    Bei Punkt 9 muss­te ich gera­de kräf­tig nicken. Wer mit offe­nen Augen durchs Leben geht, lernt nie aus. Es gibt immer und über­all Neu­es zu ent­de­cken. Affri­ka ist da bestimmt eine ganz ande­re Haus­num­mer, aber sogar bei uns in Inni­chen fin­det man immer wie­der etwas, das man noch nicht kennt. 🙂 Ein wun­der­schö­ner Bei­trag. Dan­ke.

    Lg Becky

  5. Avatar von Zypresse

    „A gui­de is never lost, just tem­po­r­a­ri­ly dis­ori­en­ta­ted.“
    Mensch, wie schön… und wie wahr Dei­ne Anmer­kung, dass dies für das Leben ins­ge­samt gilt. Afri­ka lehrt uns so vie­les, wenn wir nur auf­merk­sam hin­schau­en und zuhö­ren.

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