»We’re looking for a lot of Love« – De Madrid al Cielo

Der Esel vor den Toren der Stadt muss war­ten!“, flüs­te­re ich Miguel ins Ohr, wäh­rend ich mich in einer Nacht und Nebel­ak­ti­on von der nahen Hotel­bar los­rei­ße und das zu sei­nen Ehren erbau­te Monu­ment bestei­ge, um mich in sei­ne über­le­bens­gro­ße und küh­le Ohr­mu­schel hin­ein zu leh­nen. Beim nächs­ten Voll­mond wür­de ich mich auf­ma­chen, aus der Stadt ent­schwin­den, das schwö­re ich ihm.

Doch vor­erst müs­se ich der Völ­le­rei frö­nen, der Tisch sei reich gedeckt und man habe nicht gegeizt, mir die spa­ni­sche Küche der Neu­zeit auf­zu­ti­schen. Ein lan­ges Wochen­en­de wür­de ich benö­ti­gen, um mich mit Stift und Block durch das Buf­fet zu wüh­len und her­aus­ra­gen­de ibe­ri­sche Wein­ber­ge, mit dem Glas an den Lip­pen, im Geis­te abzu­wan­dern. Warst nicht Du es, der ein­mal frag­te, ob man jemals von etwas Gutem zu viel haben kön­ne? Oder um noch ein­mal mit Dei­ner Zun­ge zu spre­chen, wo ich doch jetzt zur Bar heim­keh­ren muss: „Ich trin­ke, wenn sich mir eine Gele­gen­heit bie­tet, und ich trin­ke auch, wenn sich mir kei­ne Gele­gen­heit bie­tet.“

Am Fuße der Gran Vía, Ernest Heming­way umschrieb die­se brei­te Amü­sier­mei­le als eine Mischung aus Broad­way und Fifth Ave­nue, liegt die Pla­za de Espa­ña. Vor mir sitzt der ver­stei­ner­te Natio­nal­held Miguel de Cer­van­tes, auf dem in den 1920er Jah­ren ihm und der spa­ni­schen Spra­che zu Ehren errich­te­tem Monu­ment. Für die Ewig­keit gemei­ßelt, soll­ten nicht uner­war­tet Analpha­be­ten an die Macht kom­men oder sol­che, die sich von Welt­li­te­ra­tur in ihrer Eng­stir­nig­keit bedroht füh­len. Die stei­ner­ne Hals­krau­se scheint bis­wei­len sei­nen Kopf zu stüt­zen und hin­dert den gro­ßen Schrei­ber dar­an, im Bei­sein täg­lich tau­sen­der auf ihn gerich­te­ter Smart­phones, ein­zu­ni­cken.

Nicht die in Cer­van­tes Roman „Don Qui­jo­te“ beschrie­be­ne Kul­tur­land­schaft der Madrid umge­ben­den Man­cha ist mein Ziel, die sich karg und bis­wei­len ocker­far­ben vor den Toren der Haupt­stadt erstreckt. Viel mehr möch­te ich es dem voll­bär­ti­gen Heming­way gleich tun, dem Inbe­griff eines Lebe­man­nes, der stets einen Liter Wein in einem Leder­sack, dem “Bota“ geschul­tert und Res­ten von Pael­la in den Bart­spit­zen, mit sei­nen gro­ßen, beharr­ten Hän­den ges­ti­ku­lie­rend vom Stier­kämp­fer als Edel­mann berich­te­te und dem spa­ni­schen Lebens­ge­fühl mit der Schreib­ma­schi­ne zu Lei­be rück­te.

De Madrid al cie­lo“ – bis zum Him­mel ist es nicht weit. Damit ist nicht die Nähe zu den an die­sem ver­reg­ne­ten Mai­wo­chen­en­de tief flie­gen­den Wol­ken gemeint. Hier mani­fes­tiert sich vor allem das Selbst­ver­ständ­nis der Madri­le­ños, dass das Lebens­ge­fühl der Haupt­städ­ter ein der Welt ent­rück­tes ist, was jeg­li­chen Ver­gleich zu Bar­ce­lo­na, Sevil­la und ande­ren Dör­fern des Lan­des ent­behrt. Sie tra­gen die Nase bekannt­lich etwas höher, vor lau­ter Stolz kann der Zin­ken da schon mal an der Wol­ken­de­cke krat­zen.

Einen Stein­wurf von hier hat man mich über­ir­disch unter­ge­bracht, im 142 Meter hohen Tor­re de Madrid. Bis in die spä­ten 60er Jah­re das höchs­te Büro­ge­bäu­de Euro­pas ist die Fas­sa­de seit dem Bau unver­än­dert. Die ers­ten neun Eta­gen des Gebäu­des sind dem vor­neh­men Bar­celó Gast­haus vor­be­hal­ten, was gleich dem schon benann­ten Selbst­ver­ständ­nis der Haupt­städ­ter, eben nicht von die­ser Welt ist. Der spa­ni­sche Desi­gner Jai­me Hayon hat hier Gott gleich ein eige­nes Reich erschaf­fen. Die Madri­le­ños umschrei­ben den Tor­re lie­be­voll als „Giraf­fe“, exo­tisch und ver­spielt setzt Hayon die­se Bild­spra­che hin­ter den gro­ßen Dreh­tü­ren zur Lob­by fort, wo eine vier Meter hohe Bären­skulp­tur im Zebra­fell, den Gast sanft­mü­tig emp­fängt.

Der fri­sches­te Fisch, so der Volks­mund, wer­de einem in Madrid gereicht, denn hier wis­se man, was den Gau­men in freu­di­ges Schwin­gen ver­setzt. Die Prei­se sind dabei zweit­ran­gig, denn die Ein­hei­mi­schen knau­sern nicht. Stimmt die Qua­li­tät, ist die Geld­bör­se um Aus­tausch bemüht. Der Peso, ent­schul­digt, der Euro, möch­te wan­dern, nicht auf einem Bau­spar­kon­to dahin sie­chen. Das Leben ist jetzt und die Gau­men­freu­den ein unmit­tel­ba­rer Genuss. Gibt es etwas lebens­be­ja­hen­de­res als sich abwech­selnd Pin­chos de Tor­til­la, Man­che­go Käse und in der Pfan­ne geschwenk­te Papri­ka­scho­ten ein­zu­ver­lei­ben?

Was für den Yogi die Atem­übung „Lass los“, das ist für mei­nen inne­ren Heming­way der Genuss von gegrill­tem Tin­ten­fisch, auf pürier­tem Kar­tof­fel­bett. Jeder Biss auf die klei­nen Mee­res­schwim­mer ist ein Ver­ge­wis­sern des Jetzt. Der End­lich­keit des eige­nen Lebens bewusst, weiß der Spa­ni­er um die Ein­ma­lig­keit der Situa­ti­on. Nur nicht die Fra­ge nach dem Sinn stel­len, das Dra­ma unse­ren kur­zen Exis­tenz über­setzt man in Ges­tik und Spra­che. Denn auch beim Essen bemüht sich der Madri­le­ño den Sitz­nach­barn und bes­ten Freund zu über­tö­nen. Damit auch die Toten etwas davon haben. Die Fähig­keit zu Genies­sen als letz­te Instanz gegen die Ver­gäng­lich­keit? Nicht ohne Grund schmückt sich das Hotel­re­stau­rant mit dem Namen „Somos“, zu Deutsch „Wir sind“. Ein lau­tes „¡Salut!“ auf das Jetzt!

Zu sehen:

Die Nach­bar­schaft Con­de Duque

- Vin­ta­ge Geschäf­te wie das „Spor­tivo“, die „Ber­lin Gale­rie“ und die kul­tu­rel­le Begeg­nungs­stät­te „Con­de Duque“ am „Pla­za de Guar­dí­as de Corps“.

- Ein paar Stra­ßen wei­ter sind auch der „Pla­za de las Comend­ado­ras“ und die dar­an anlie­gen­den Bars einen Abste­cher wert: Tra­di­tio­nel­les Hand­werk, an den Markt­stän­den wird v.a. Töp­fer­wa­re ver­kauft, gesellt sich hier zu ein­la­den­den Hips­ter Cafés. Die Eier Bene­dikts, die seit einer Wei­le ihren welt­um­span­nen­den Sie­ges­zug antre­ten, kön­nen auch hier Café „Roll“ und „Fede­ral“ ver­kös­tigt wer­den.

- Außer­dem gilt im Con­de Duque: wer sich trei­ben lässt, wird belohnt.

Die Nach­bar­schaft Mala­sa­ña

- Die „Pla­za del Dos de Mayo“ bil­det das Herz von Mala­sa­ña – Am Wochen­en­de ver­wan­delt sich die Pla­za in einen Floh­markt, u.a. bie­ten loka­le Desi­gner ihre Krea­tio­nen zum Ver­kauf an.

- Die angren­zen­de Stra­ße „Cal­le Velar­de“ war­tet mit der höchs­ten Dich­te an den bes­ten Second Hand Shops von Madrid auf.

- Die Stras­se „Cal­le de Pez“ im angren­zen­den Uni­ver­si­täts-Distrikt ist die Haupt­schlag­ader der Hips­ter und Trend­be­we­gung. Klei­ne coo­le Gale­rien, wie „La Fiam­bre­ra“ im Haus 7, und gelun­ge­ne Bars wie die „1862 Dry Bar“ und unzäh­li­ge Cafés sol­len besucht wer­den.

- Am angren­zen­den „Pla­za Car­los Cam­brone­ro“ im „El Palen­ti­no“ ser­viert das Urge­stein und mit über 80 Jah­ren ältes­ter Tre­sen­mann Cas­tro Her­re­zue­lo Drinks für den schma­len Geld­beu­tel. Das Palen­ti­no ist ein Mythos der lan­gen Madri­der Näch­te.

80 Jah­re Guer­ni­ca

Der­zeit läuft zum 80 jäh­ri­gen Geburts­tag von Picas­sos „Guer­ni­ca“ eine Son­der­aus­stel­lung im Muse­um für zeit­ge­nös­si­sche Kunst „Rei­na Sofia“. Ein­tritt p.P.: 8,00,- €

dsc_0076 Geheim­tipp: Die Nach­bar­schaft »Con­de Duque«. Bowie war auch hier.

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img_0155-2Don Qui­jo­te und Sancho Pan­za

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img_0278dsc_0106img_0223 Fri­sur pas­send zur Cou­leur des Debod Tem­pels img_0235 Die Pla­za de Espa­ñabtmad_view_04_med img_0108

5h1a0572img_0109dsc_0075dsc_0101 Essen im »Somos«dsc_0097 dsc_0085 »Es la hora« – Im Wer­mut­him­mel  dsc_0167dsc_0132

Ein ernst gemein­ter Dank geht an die Air­Eu­ro­pa für den fabel­haf­ten Blech­vo­gel und die gelun­ge­ne Anrei­se von Mün­chen und das schöns­te Gast­haus am Platz.


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